Raum ist in der kleinsten Hütte

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Raum ist in der kleinsten Hütte
Noch bis zum 25. Februar zeigt das Theatermuseum eine Ausstellung über den
Architekten und Theatervisionär Frederick Kiesler unter dem Titel „Die Kulisse
explodiert“. Der 1890 in Czernowitz geborene und 1965 in New York verstorbene
Kiesler, der Zeit seines Lebens ein Geheimtipp in der Kunstszene war, zählt inzwischen unter die Kunstvisionäre des 20. Jahrhunderts. Er kam von der Malerei
und Bildhauerei und hat sich des Design und der Architektur angenommen. Seine Architektur scheint die Objekte von den Fesseln der Statik zu befreien. Er
wagt Ideen, die die Statiker und Techniker umsetzen müssen und es auch tatsächlich schaffen. Er öffnet der Architektur neue Räume und lässt durch sie
Räume, Stadtbilder neu erfahren. COOPHIMMELB(L)AU gehen ähnlich vor. Das
Theatermuseum zeigt mit Kieslers Theaterschaffen seinen Einfluss auf die Bühnenbildnerei und markante Arbeiten von ihm. So brachte er etwa mit der elektromechanischen Bühne die heute selbstverständliche Bewegung in die Kulisse.
Die Ausstellung nimmt mit dem Blick auf das Schaffen von Frederick Kiesler die
Kulisse als wesentliches Element einer jeden Theateraufführung in den Focus.
Der Einfluss der Kulisse auf das Gelingen einer Inszenierung ist nicht zu
unterschätzen. Sie gibt den Schauspielern und Schauspielerinnen die Fläche und
den Raum für ihre Rolle oder nimmt ihnen den auch. Wie in „Wastwater“ des für
seine zeitgemäßen Stücke gefeierten Simon Stephens am Akademietheater unter
der Regie von Stephan Kimmig. Eine leer Halle, kahle Betonwände, tropfende
Decken, Stahlträger und Nichts machen das öde Bild aus, das Anne Ehrlich als
Kulisse stellt. 3 Szenen, 3 Duette lose verbunden, einfach am falschen Ort, der
durch das mehrmalige Geräusch eines Überflugs sich als Flughafennähe suggeriert. Elisabeth Orth und der Newcomer Daniel Sträßer können die Tristesse noch
am ehesten für ihre Abschiedsszene nutzen und brillieren vor der grauen Wand.
Andrea Clausen und Peter Knaak haben aber einfach keine Chance, auf diesem
Hintergrund ein erotisches Date zu mimen. Das unvermeidliche Misslingen verwundert angesichts der Kulisse nicht und schluckt das Schauspiel. Selbst die
Mavie Hörbiger (Sian), Tilo Nest (Jonathan) © Reinhard Werner, Burgtheater
dritte Szene um eine Erpressung will in den Raum nicht passen und verschluckt
das großartige Spiel von Marvie Hörbiger und Tilo Nest. Ein facettenreiches und
verschlungenes Stück, das in der Kulisse abstürzt. (Am 28. Februar zum vorläufig letzten Mal.)
Dann doch gleich das Spiel vor die Bühne gelegt wie Amina Handke es anbietet für „Die schönen Tage von Aranjuez“ ihres Vaters Peter Handke. Eine Koproduktion der Wiener Festwochen unter der Regie von Luc Bondy am Akademietheater (Uraufführung am 15. Mai 2012). Dörte Lyssewski und Jens Harzer suchen die Anfänge ihre Liebe, versuchen zu verstehen und ihren einstigen Zauber
festzuhalten. Wortspiele vor der Bühne. Ein Bühnenvorhang quer über die Bühne
Dörte Lyssewski (Die Frau), Jens Harzer (Der Mann) © Ruth Walz
gezogen macht das Treiben der beiden zum unfertigen, probierenden Vorspiel,
vor der Bühne, vor der Aufführung, vorläufig. Sie probieren Rollen und wechseln
mit der Erinnerung auf offener Bühne, vor der Bühne Kostüme, spielen wie Kinder im Garten und scheitern, keine Kinder mehr. Ein großer Dialog (der weibliche
Part doch auch aus männlicher Feder, wie Amina Handke über manche Wortwahl
ihres Vaters leicht bemängelt) durch die offene Szene vor der Szene dem Publikum freigegeben zur eigenen Erinnerung, Suche und Einfühlen.
Die Bühne des Akademietheaters wie die Feststiege des Haupthauses, des
Burgtheaters. Bettina Meyer überrascht mit ihrem Bühnenbild und erntet Auftaktapplaus. „Der ideale Mann“ - Erstaufführung am 23. November 2011. Ein
spielfreudiges Ensemble, das den bissigen Oscar Wilde in der feingeschliffenen
Klinge von Elfriede Jelinek auf die Karriereleiter stellt. Vor, hinter und unter dieser Stiege spielt sich das Intrigenspiel der Eitelkeiten ab - mit mancher Slapstickeinlage des Buttlers (Peter Matic) auf eben dieser Stiege. „Also auf die Natur
kann man sich dabei am wenigsten verlassen. Die Beleuchtung ist schon irgendwie wichtig. Ich war letztes Jahr dreimal beim Chirurgen. Und der ist Spitze mit
der Spritze. Weiß bloß nicht, wie lange ich ihn noch zahlen kann.“ - Inzwischen
hat die Inszenierung auf die große Bühne am Ring übersiedelt.
Maria Happel (Mabel Chiltern), Katharina Lorenz (Lady Chiltern), Kirsten Dene
(Lady Markby), Caroline Peters (Mrs. Cheveley) © Reinhard Werner, Burgtheater
Dort gelingt es Stéphane Laimé, das Spiel mit der Kulisse auf die Spitze zu
treiben. Er vertauscht Bühne und Zuschauerraum. Das Publikum wird auf mobile
Bankreihen auf der Bühne platziert während Joachim Meyerhoff und Ignaz Kirchner im Parkett und in den Logen herumtoben. Jan Bosse (Regie) hat mit Gabriella Bußacker (Dramaturgie) „Robinson Crusoe, Projekt einer Insel nach dem Roman von Daniel Defoe“ als Zweipersonenstück inszeniert (Premiere am 20. April
2012). Die scheinbare Solidität und Unveränderlichkeit des Zuschauerraumes
gegenüber der sich ständig wandelnden Bühne wird aufgehoben. Der Schiffbrüchige zerlegt die Einrichtungsgegenstände des Saales, Sitzplätze, Teppiche, Verzierungen, Vorhänge und Vorhangstangen, um sich seine neue Welt einzurichten. Das vermag das Publikum zu amüsieren wie auch manche Einlage über die
Leiden eines Zuschauers bei zu großem Vordermann oder endlosem Bühnenspiel.
Die ungewöhnliche Situation und die Schadenfreude an der Demontage der Theatereinrichtung verbrauchen sich aber schnell und das Versprechen einer neuen,
tieferen Sicht des Buches von Defoe wird nicht wirklich eingelöst.
Ignaz Kirchner (Freitag), Joachim Meyerhoff (Robinson Crusoe) © Reinhard Werner, Burgtheater
Mit einem anderen Angriff auf die Bühne hat sich Olaf Altmann gleich den
Nestroy 2012 verdienst. Er verwandelt die Bühne des Akademietheaters in einen
Abhang für die „Winterreise“ von Elfriede Jelinek in der Regie von Stefan Bachmann (Österreichische Erstaufführung am 5. April 2012). Sie hängen am Seil
und räsonieren die Erinnerungen ihres Lebens. Komisch, tragisch den mit krat-
Simon Kirsch, Gerrit Jansen © Georg Soulek,
zender Stimme nachgesungenen Texten von Schuberts Winterreise (Jan Plewka)
folgend eine „Reise im Stillstand“, wie Jelinek es selbst formulierte. Ihre Themen, an denen sie sich reibt - Bankskandal, Entführungsopfer oder das Auswuchern sozialer Netzwerke im virtuellen Raum – und ihre persönliche Geschichte –
die Abschiebung ihres Vaters (gespielt von Rudolf Melichar) in die Psychiatrie, wo
er starb, über ihr schwieriges Verhältnis zur Mutter bis hin zu sich selbst (gespielt von Barbara Petritsch) als Vettel (Kostüme Esther Geremus) und in ungeschminkter Selbstkritik. „Fremd eingezogen, fremd ausgezogen, die Leier drehend, immer dieselbe Leier, immer dieselbe?“ Die Bühne kongenial zu der Sicht
des Lebens am seidenen Faden, das den Hang hinuntertreibt und schließlich
doch urösterreichisch aus- und in eine totale Pistengaudi übergeht.
Naturalistisch schön und stimmungsvoll hat Alvis Hermanis in dem Bühnenbild von Monika Pormale - eine Datscha am Land - Anton Tschechows Platonov (Martin Wuttke in der leisen und langsamen Spielart von Hermanis als
schmachtenden Schmarotzer) im Akademietheater inszeniert (Premiere 7. Mai
2011). In seiner nächsten Inszenierung hat er das Bühnenbild gleich selbst mit
übernommen – „Das Weite Land“ von Arthur Schnitzler (Premiere am 24. September 2011 im Burgtheater). Auch hier eine ganz bestimmte Stimmung. Aber
nicht die gewohnte, sondern das Ambiente eines Film noir. Zusammen mit der
Beleuchtung (Friedrich Rom) und den Kostümen (Eva Dessecker) gelingt die Atmosphäre, in der Dörte Lyssewski, Peter Simonischek, Kirsten Dene, Katharina
Lorenz und das gesamte Ensemble das Gesellschaftsdrama als spannende Kriminalgeschichte geben können. „Wie unbedeutend manche Dinge werden, wenn
man gerade vom Friedhof kommt.“ Alvis Hermanis, der Meister der leisen Töne
und dichten Stimmungen: „Es gibt zwei Kategorien von Bühnenbildnern: die ei-
nen – und das ist die Mehrheit - wollen die Geschichte allein durch die Szenerie
erzählen…Ich hingegen bevorzuge Bühnenbilder, die so realistisch wie möglich
sind und deren wichtigste Funktion es ist, den Schauspielern eine möglichst hilfreiche Umgebung zu bieten.“ (im Interview im Standard vom 14./15. August 2011, S.29)
Stefanie Dvorak (Adele), Falk Rokstroh (Doktor Franz Mauer) © Georg Soulek
Patrick Bannwart (Bühne & Kostüme) gelingt mit sparsamer Kulisse die
adäquate Stimmung für David Böschs Inszenierung von Henrik Ibsens „Gespenster“ am Akademietheater (Premiere am 9. März 2012). Wo die Pflicht zur
Lebensfreude wird und der zwanghafte, protestantische Geist der Ordnung und
des Gesetzes herbeigewünscht wird, sammeln sich die Leichen im Keller und regiert die Lebenslüge. Denn: „Eine Lüge, die sich als so stark erwiesen hat, dass
sie den Frieden eines Hauses wahren kann, ist mindestens genauso verehrungswürdig wie die Wahrheit.“
Kirsten Dene (Helene Alving), Martin Schwab (Pastor Manders) © Reinhard Werner
Alexandra Liedtke hat sich für ihre Inszenierung der „Hedda Gabler“ von
Henrik Ibsen im Theater in der Josefstadt (Premiere am 6. Dezember 2012)
Raimund Orfeo Voigt für das Bühnenbild geholt. Er drückt dem Publikum Sigmund Freuds Couch aufs Auge. Die verschiebbare Stellage nimmt die gesamte
Fläche ein, auf der man sich schlecht räkeln kann, über die man so manches Mal
halsbrecherisch drübersteigen muss und an welche sie die ominösen Manuskriptnotizen heften werden. Der karge, unbequeme Raum aber doch eine gelungene
Projektionsfläche, um insbesondere Maria Köstlinger als Hedda Gabler die Bühne
zu geben, auf der sie eine kühl berechnende und dirigierende, distanzierte Frau
geben kann, die ihre zerrissene und verletzte, schreiende und selbstzerstörerische Seele nicht verbergen und beherrschen kann.
Michael Dangl (Dr. Jörgen Tesman), Maria Köstlinger (Hedda), Raphael von Bargen (Eilert
Lövborg) © Erich Reismann
Gleiches schafft der Versuch der Bühnenumsetzung der „Anna Karenina“
des großen Romans von Leo Tolstoj im Volkstheater nicht. Für die reduzierte
Textfassung von Armin Peters und die Regie von Stephan Müller hat Hyun Chu
die Bühne verschachtelt. Das erleichtert die Szenenschnitte. Die Stimmung soll
durch wechselnde Farben angedeutet werden, was mitunter gelingt. Doch die
emotionale Tiefe des Romans baut sich nicht auf. Letztlich brilliert Martina Stilp
als Anna Karenina auch weniger in der Leidenschaftlichkeit ihrer Sehnsucht nach
Liebe als ihrer Eitelkeit.
Ebenso wenig überzeugt die Reduktion der Bühne und des Stückes bei der
Inszenierung des „Urfaust“ von Johann Wolfgang von Goethe am Volkstheater
durch Enrico Lübbe. In weniger als einer Stunde wird ein Zitatenrest des Stückes
aus der „Sturm und Drang“-Zeit abgespult, der gut und gern auf eine Schreibmaschinenseite passt. Die Bretterkiste als Bühnenbild von Michaela Barth
schränkt die Sicht ein und reduziert die Zuschauerplätze. Auch eine Sparmaßnahme. Positiv lässt sich zu diesem Versuch bemerken, dass Bühnenbild, Dramaturgie und Regie durchaus zusammenpassen. Ein Nichts für ein Nichts.
Dagegen gibt sich die Reduktion in Text und Kulisse in Michael Thalheimers
„Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal am Burgtheater (Premiere am 25. Oktober
2012) als Geniestreich. Olaf Altmann löst die Bühne gewissermaßen auf. Er lässt
einen schmalen Schacht in die Szene ragen wie einen Strich durch die Rechnung,
in dem die Protagonistinnen auf engstem Raum miteinander und aneinander
agieren müssen.
Christiane von Poelnitz (Elektra) © Georg Soulek
Die Beklemmung sichtbar und spürbar. Das Drama, die Tragödie unausweichlich.
Der enge Raum eine weite Spielwiese für das beklemmende, hinreißende, durchdringende Spiel der Christiane von Poelnitz als Elektra. Raum ist in der kleinsten
Hütte. Offensichtlich.
Johannes Langhoff
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