Intelligenter Knoten

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Swiss Re London
Intelligenter Knoten
Bauherr
Swiss Re Investments Ltd, London
Architekten
Foster & Partners, London
Tragwerksplaner
Ove Arup & Partners, London
Baujahr
2000–2004
Im Herzen der Londoner City hat Norman Foster das zweithöchste Hochhaus
der Stadt gebaut. Von der Bevölkerung auch als «erotische Gurke» bezeichnet,
ist die ungewohnte Form des neuen Domizils von Swiss Re London aber
mehr als der Auswuchs blühender Architektenfantasie oder Imponiergehabe
des Auftraggebers.
Dass sich der Schweizer Rückversicherer ernsthaft
um gute Architektur bemüht, hat er schon mehrfach
bewiesen. Und dies nicht erst seit dem Seminargebäude von Meili & Peter in Rüschlikon (2000):
erinnert sei auch an die Bauten am Zürcher Mythenquai, etwa an das Clubhaus von Hans Hofmann
(1958) oder an den Bürokomplex von Werner Stücheli
(1969). Mit Norman Foster steht ein Architekt hinter
dem Entwurf des 180 Meter hohen Turmes, dessen
Bauten und deren Gestalt meist massgeblich vom Interesse an neuen Technologien und nachhaltigen
Lösungen geprägt sind. So rechnet Foster damit, dass
mit dem Swiss Re Gebäude der britische Richtwert für
ein Niedrigenergie-Büro, der bei 175 kWh/m2 liegt, um
bis zu 25 kWh/m2 unterschritten werden kann. Dazu
trägt auch die Gebäudeform bei.
Hohe Räume im Hochhaus
Im dichten Gefüge der Londoner Innenstadt scheint
der 40 Stockwerke zählende Turm nur mit der
Fussspitze aufsetzen zu wollen. An der breitesten Stelle
einen Durchmesser von 56 Metern aufweisend, reduziert sich dieses Mass im Erdgeschoss, wo die Glasfassade zur Steigerung der Transparenz zusätzlich
über grosse Öffnungen verfügt, auf 49 Meter: Die neu
geschaffene Plaza, in deren Zentrum das Gebäude
steht, soll möglichst hell und grosszügig wirken.
Ladenlokale im Parterre charakterisieren den Aussenraum als öffentlich, und Sitzgelegenheiten laden zum
Verweilen ein. Der Aufenthalt soll hier angenehmer
sein als vor anderen Hochhäusern, da die aerodynamische Form des Turmes nicht nur die Angriffsfläche
auf die Fassade reduziert – was sich für die Bemessung des Stahlskelettes und der Curtain-Wall besonders
positiv auswirkte –, sondern auch die lästigen Fall-
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winde mindert. Im Innern profitieren bis zu sechsgeschossige Höfe, die sich an der Fassade als spiralförmige Bänder abzeichnen, von der Tannenzapfenform des Gebäudes. Als wesentliche Komponente
des Energiekonzeptes werden die so genannten
«Lightwells» nicht nur als Mittel zur besseren Belichtung der Büroflächen genutzt, sondern fungieren
gleichermassen als die Lungen des Gebäudes.
Unterschiedliche Druckverhältnisse an der Fassade
unterstützen nämlich den natürlichen Luftstrom in den
mit ausklappbaren Fenstern ausgestatteten Höfen.
Davon ziehen auch die angrenzenden Büroflächen
Nutzen. Gleichwohl gibt es aber auch eine mechanische Lüftung, deren zentrales Element in der Abluftfassade zu finden ist.
Mit den «Lightwells» ist jener Punkt des Projektes
angesprochen, der wie kein zweiter räumliche, ökologische, betriebliche und konstruktive Aspekte des
Gebäudes in sich vereint. Die Büroflächen in überschaubare Bereiche von durchschnittlich 16 x 11 Meter
zonierend, dienen die sechs Deckeneinschnitte auch
als Balkone und lassen geschossübergreifende
Sichtverbindungen entstehen. Und ist Höhe etwas,
was in Hochhäusern nur beim Blick durchs Fenster,
also in Relation zu den Nachbarbauten, erfahrbar ist,
gibt es hier bis zu 24 Meter hohe Räume im Innern.
Von aussen zeichnen sich die «Lightwells» als dunkle
Bänder ab, die sich spiralförmig um das Gebäude
winden und mit der Neigung der diagonalen Druckstäbe korrespondieren.
Steifes Korsett und stützenfreie Grundrisse
Zusammen mit horizontalen Zugstreben bilden die
Diagonalstützen der Fassade ein steifes Korsett, den
so genannten «Diagrid», so dass der Kern nur noch
vertikale Lasten abzutragen hat. Die Grossmassstäblichkeit der Tragstruktur – die A-förmigen Fassadenrahmen reichen über zwei Geschosse und weisen
eine Spreizung von rund neun Metern auf – schlägt
sich auch in der Konstruktion der Decken nieder. Auf
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radial angeordneten Breitflanschträgern basierend,
überbrücken die 54 cm hohen Profile eine Distanz von
14 Metern ohne eine einzige Stütze. Die Träger liegen
im Grundriss um je 10° zueinander versetzt, so dass
die Deckenfelder an der Fassade eine maximale
Spannweite von 4,5 Meter aufweisen. Dieses Mass
korrespondiert allerdings nur auf jedem zweiten
Geschoss mit der Stützenlage; auf Höhe der Knoten ist
die Distanz doppelt so gross, so dass zusätzlich ein
tangentialer Randträger eingeführt werden musste.
Besondere Beachtung verdienen die Knoten. Da die
Druckstäbe keine Krümmung aufweisen, erfolgen an
ihnen sämtliche Richtungsänderungen – sowohl im
Grundriss als auch im Schnitt. Die Knoten bestehen
aus zusammengeschweissten, facettenartig angeordneten Stahlplatten mit vorbereiteten Schraubverbindungen für die anzuschliessenden Tragwerksteile:
Druckstäbe aus Rundrohren, Zugstreben als Kastenträger und Deckenbalken in Form von Breitflanschträgern. Letztere lagern auf den Knoten gleitend
auf und werden von Gewindestangen in ihrer maximalen Ausdehnung limitiert. Beim Errichten des
Stahlbaus dienten die Stangen als Hilfsmittel, den Abstand zum Zentrum konstant zu halten und die Deformationen unter zunehmender Eigenlast zu regeln.
Einem gänzlich anderen Konstruktionsprinzip folgt
die Spitze des Gebäudes, wo sich neben haustechnischen Räumen auch ein Panoramarestaurant
befindet. Die Kuppel bildet ein eigenständiges,
von den Decken abgelöstes Tragwerk, dessen netzartige Struktur keine separaten Knoten aufweist. An
den Kreuzungspunkten sind die Rechteckprofile
(Querschnitt 110 x 150 mm) auf gleicher Ebene gestossen und miteinander verschweisst. Die Verglasung liegt wie bei einer Pfosten-Riegelkonstruktion
direkt auf den Profilen und wird von Pressleiten
gehalten.
Doppelte Fassade
Von Level 0 bis 38 basiert die Verglasung auf geschosshohen Elementen, die mittels Konsolen am
Stahlskelett befestigt sind. Die 4 Meter hohen Gläser
werden von umlaufenden, thermisch getrennten
Aluminiumprofilen gerahmt, deren Bauhöhe so gross
bemessen ist, dass sie nur am Fuss und an der
Spitze gehalten werden müssen. An den Befestigungspunkten schliessen insgesamt vier Elemente an,
darunter auch die angrenzenden Dreiecke, die
mittels aussteifender Einschieblinge mit den rautenförmigen Panelen verbunden sind.
Hinter den horizontalen Fugen befinden sich trichterförmige Stutzen für die Ansaugung von Frischluft,
die geschossweise aufbereitet wird und via abgehängter Decke in die Büros gelangt. Eine Glasfront,
die auf der Innenseite des «Diagrids» liegt und nur zu
Reinigungszwecken geöffnet werden kann, vervollständigt die Gebäudehülle zur Abluftfassade. Auf
Grundriss
Massstab 1: 600
Hinter den spiralförmigen
Bändern befinden sich die sogenannten «Lightwells» –
mehrgeschossige Bereiche,
die der zusätzlichen Belichtung
und der natürlichen Belüftung
der Büroflächen dienen.
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Während in den oberen Geschossen die Montage des
Stahlbaus noch voll im Gange
war, wurde unten bereits
die Fassade angebracht.
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Axonometrie
Massstab 1 : 50
1 Diagonalstütze
2 Knoten
3 Zugstrebe
4 Deckenträger, gleitend
gelagert
5 Gewindestangen, regeln die
radiale Ausdehnung
6 Platten für die tangentiale
Fixierung von Pos. 4
7 Deckenträger
8 Konsole für die Glasfassade
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dem Weg zur Lüftungszentrale passiert die Abluft aus
den Büroräumen diesen Zwischenraum, wodurch
gleichzeitig von der Sonneneinstrahlung erwärmte
Luft abgesaugt wird. Bei den «Lightwells» wurde statt
einer inneren Verglasung dunkel gefärbtes Sonnenschutzglas eingesetzt.
Knoten im Übergang zwischen
der Geschossdecke und dem
Luftraum eines «Lightwells».
Neutralisierende Verkleidung
Wurde beim Prada Epicenter von Herzog & de Meuron darauf geachtet, dass das Fassadentragwerk
keine Querschnittveränderungen erfährt, weil
die Brandschutzverkleidung wie eine zweite Haut die
Träger umwickeln soll, wurde bei Swiss Re genau
umgekehrt verfahren: die Verkleidung aus einbrennlackiertem Aluminiumblech beschreibt einen
Hohlkörper, in dem unterschiedlich geformte Tragwerksglieder genauso Platz finden wie Brandschutzmassnahmen und Haustechnikinstallationen. Das
Resultat ist aber in beiden Fällen gleich: die Konstruktion kann nur noch erahnt werden. (ad)
An jeder einzelnen Konsole
sind vier Fensterelemente befestigt. Die geschosshohen
Rauten sind unten und oben
eingehängt; mit den angrenzenden Dreiecken sind sie
über aussteifende Einschieblinge verbunden.
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Swiss Re London
Ort 30 St Mary Axe, London
Bauherr Swiss Re Investments Ltd, London
Architekten Foster & Partners, London
Generalunternehmer Sanska Construction UK Ltd, London
Tragwerksplaner Ove Arup & Partners, London
Fassadenplaner Emmer Pfenninger Partner AG, Münchenstein
Stahlbau Victor Buyck-Hollandia Joint Venture Ltd, Wraysbury
Fassade Schmidlin AG, Fassadentechnologie, Aesch
Kuppel Waagner Biro, Wien
Konstruktion Tragstruktur: Tragende Fassade («Diagrid») aus
Rundrohren, an facettiertem Knoten verschraubt; Kerne aus
Breitflanschträgern (nur vertikal belastet); Betonverbunddecke.
Curtain-Wall: Glaselemente mit Rahmen aus thermisch getrennten
Aluminiumprofilen, mittels Konsolen punktuell an Stahlkonstruktion befestigt.
Stahlverbrauch 8’358 Tonnen; davon 29% für «Diagrid», 24%
für Kern und 47% für Deckenträger
Nettonutzfläche 46’450 m 2
Bauzeit Dezember 2000 – Mai 2004
H
V
V
H
Fassadenausschnitt
Massstab 1:100
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C
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A
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D
B
Vertikalschnitt
Massstab 1:25
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Horizontalschnitt
Massstab 1 : 25
1 Diagonalstütze
Stahlrohr Ø 508/40 mm –
Ø 273/12,5 mm
2 Zugstrebe
Kastenprofil 300/250 mm
3 Deckenträger, radial
I-Profil 540/300 mm
4 Deckenträger, tangential
I-Profil 540/300 mm
5 Profilblech-Verbunddecke
160 mm
6 Konsole für Glaselement
7 Glaselement mit Rahmen
aus thermisch getrennten
Aluminiumprofilen (Glas:
ESG 10 mm, SZR 16 mm,
VSG 2 x 5 mm); dreieckig
8 dito 7; rautenförmig
9 Schiebefenster (Glas: VSG
2 x 5 mm)
10 Verkleidung Aluminiumblech 3 mm
A Frischluft, geschossweise
aufbereitet
B Zuluft Büro via Decke
C Abluft Büro via Schwelle
D Abluft Zwischenraum
(Abluftfassade)
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