Architektur in Liechtenstein JPatchworkstruktur, Schräge, zwei Farbtöne: So vielseitig präsentiert sich die Fassade. UND PLÖTZLICH WAR ALLES SCHRÄG Ein unkonventioneller Bau in Ruggell ADer Eingangsbereich zeigt deutlich, wie der Betonkubus das Wohngebäude durchdringt. Doris Kobler und Roland Walser wollten kein 08/15-Häuschen. Deshalb steht jetzt eingangs Ruggell ein Gebäude, das mit kräftigem Orange und schrägen Kanten die Blicke auf sich zieht. VON TAMARA FROMMELT (TEXT) UND DANIEL SCHWENDENER (BILDER) ch wusste schon von klein auf, dass ich kein normales Haus möchte, wie jedes Kind es zeichnet», erzählt Doris Kobler. Zu wissen, was sie will, vor allem aber auch zu wissen, was sie nicht will, das fand die Gamprinerin wichtig, als sie ihren Traum vom Haus auf dem Grundstück ihrer Mutter in Ruggell in die Realität umzusetzen begann. Der Prozess, während dessen die Ideen für das Gebäude reiften, dauerte von August 2007 bis Mai 2008, dem Baubeginn. Im Juni 2009 zog das Paar ein. «bauen+wohnen» besuchte die beiden I sechs Wochen später. Wer nach Ruggell fährt, entdeckt das Haus an der linken Strassenseite schon bald. Der neuzeitliche Bau mit seiner orangebraunen Metallgeflechtfassade und die den Kubus durchdringende Garage aus hydrophobiertem Sichtbeton fällt auf. Einzelne Glasbausteine erzeugen im Garagenkubus eine Spannung und bringen Licht in den Garagentrakt. Auf drei Seiten besteht die Fassade aus einbrennlackiertem Strickmetall mit durchscheinender anthrazitfarbener Stamisol-Folie. Die Metallgeflechte wurden in einer Patchwork-Struktur montiert. Deren Farbe verändert sich je nach Sonneneinstrahlung. «Gegen Norden ist die Fassade, bestehend aus einem anthrazitfarbenen Sinusblech, welches das Konzept abrundet, energetisch geschlossen und dient als Witterungs-Schutzwand», erklärt Architekt Patrick Indra. Innen wiederholen sich einige Elemente der Fassade: Der Beton bei den Wänden im Treppenbereich, das Orange in der Küche und an einer weiteren Wand im Obergeschoss sowie diverse schräge Elemente. bauen+wohnen 4/09 47 Architektur in Liechtenstein JJZwei Kuben greifen ineinander: Das braun-orange Wohn- und das Garagengebäude aus Sichtbeton. J«Splitlevel» nennt der Architekt die verschiedenen Raumhöhen. Hier sichtbar durch die Treppe, welche das höher gelegene Wohnzimmer mit dem Ess- und Kochbereich verbindet. Interessant: Die mit Glühbirnen ausgeleuchteten Einlässe in der Betonwand. 1 GDie Balkenleuchte wirkt wie ein Kunstwerk an der einzelnen, orange gestrichenen Wand im Obergeschoss. Geschützter Innenhof Im Entree befindet sich rechterhand die praktischerweise durch eine Schiebetüre abgetrennte Garderobe. So bleibt der Eingangsbereich frei von Schuhen, Mänteln und Jacken etc. Nebenan befindet sich eine separate Toilette. Die limefarbenen Wandfliesen sorgen für einen Frischeeffekt.Vom Vorraum kommt man direkt ins grosszügige Esszimmer und nimmt gleich das satte Grün von draussen wahr. Zwei grosszügige Fenster geben den Blick frei auf die Terrasse und den Rasen. Geschützt durch die Garage ist hier ein kleiner Innenhof mit Sitzplatz entstanden, überdacht vom Obergeschoss. Dank dieser Auskragung konnte die Bauherrschaft auf Sonnenstoren verzichten. Nur ein Spazierweg führt an der Terrasse vorbei ins Riet. Weitere Häuser dürfen in dieser Zone nicht mehr gebaut werden, weshalb das Grundstück offen wirkt. Ein Bambus«Kasten» mit der Breite des Gebäudes erweitert den Raum nach aussen und schützt – Richtung Feldweg ausgerichtet – hier wie auch vor dem Küchenfenster, vor Einblicken. Die eingeschossige Garage schirmt den Sitzplatz zudem vom Lärm der Hauptstrasse ab und sorgt für zusätzlichen Sichtschutz. Es ist ruhig, man wähnt sich in einer Naturoase. Einziger Wermutstropfen: Roland Walser bezeichnet die Lage des Grundstücks als «Flugschneise für Insekten», was sich an den Fenstern immer wieder bemerkbar mache. «Ein Kracher» Ein orangefarbener Block bildet das Zentrum der Küche. «Ein Kracher», wie Doris Kobler sagt. Hier wird zubereitet, gekocht und abgespült. Parallel dazu verschwindet, in Weiss gehalten, der Stauraum in Form von raumhohen Einbauschränken, die auch als Raumtrenner zwischen Vorraum und Küche fungieren. Am breiten Ende des Küchenblocks befindet sich keine weitere Wand, sondern ein raumhohes Fenster. Die Schiebevorhänge können bei Bedarf zugezogen werden. In die Küche gelangt man übrigens auch direkt aus der Garage über eine Speisekammer. Diese dient als Temperaturpufferzone und erlaubt es, einen Teil der Einkäufe bereits hier bequem zu verstauen. Etwas weniger Platz als Esszimmer und Küche sprach das Paar dem Wohnzimmer zu, das mit einer Schiebetüre verschlossen werden kann. Es ist weniger für Gäste gedacht als für einen gemütlichen Fernsehabend zu zweit. Dennoch sorgt auch hier das wandhohe Fen- ster inklusive Sitzbank für den perfekten Ausblick ins Grüne. «Alle Fenster erscheinen wie Landschaftsbilder, die sich jeden Tag aufs Neue verändern», so Patrick Indra. Über eine Treppe gelangt man in die obere Etage mit Gästezimmer und -bad, Waschküche, Schlaf-, Badezimmer und Büro. Die Zimmer sind linear angeordnet, die gegenüberliegende Wand ist zum Teil in Orange gehalten. Eine Balkenleuchte ist wie ein Kunstwerk schräg an dieser Wand befestigt und sorgt für effektvolles Licht. Das Orange spiegelt sich an Wand und Decke wider. «Das Frontfenster lässt den Flur gewollt endlos erscheinen. Durch die Schrägstellung des Fensters scheint man in die Umgebung zu schweben», so Patrick Indra. Sichtbarer Splitlevel In die Treppenwand, die aus deckend lasiertem Sichtbeton besteht, sind rechteckige Löcher eingelassen. Puristisch erscheinende «Glühbirnen, wie sie Edison erschuf», so Indra, sorgen in jeder Aussparung für gedämpftes Licht. Das Herz der oberen Etage ist das Badezimmer. Zwar unterscheidet es sich in der Ausstattung nicht von herkömm- JJZwei grosszügige Fenster geben im Essbereich den Blick frei auf die Terrasse und den Rasen. Auf dem Tisch ist das Modell des Hauses zu sehen. JEin «Kracher»: Der orangefarbene Küchenblock. bauen+wohnen 4/09 49 ein Tag im Leben von ... Architektur in Liechtenstein «ALLE FENSTER ERSCHEINEN WIE LANDSCHAFTSBILDER, DIE SICH JEDEN TAG AUFS NEUE VERÄNDERN.» Aussichtsreich ist auch das Wohnzimmer. Schön zu sehen, ist zudem der dunkelbraune Korkboden.* lichen Badezimmern, doch die aussergewöhnliche Raumhöhe von über 2,60 Metern, das Dachfenster und eine Treppe, die den Nassbereich mit den Lavabos und der Toilette verbindet, verwandeln das Badezimmer in einen Wellnessbereich, in dem man gerne verweilt. Der Splitlevel, also die verschiedenen Ebenen des Raumes, wird auch hier sichtbar. Die Dusche scheint durch die schmalen, vertikal gewählten Fliesen gegen oben ins Endlose zu laufen. Sie wird mit einer Regenbrause komplettiert. Der ganze Raum ist lichtdurchflutet und verfügt über einen praktischen Wäschedurchwurf in den Wirtschaftsraum. Offener Nischenbereich Das Badezimmer ist zum einen durch den Vorraum erschliessbar, zum anderen auch durch das Schlafzimmer – über die Ankleide, in der sich die raumhohen Kleiderschränke befinden. Im Schlafzimmer hat man Zugang zu einem grosszügigen Westbalkon. Das Büro befindet sich neben dem Schlafzimmer in einem offenen Nischenbereich und ist somit kein abgetrennter Raum. Einbauschränke verstärken den Nischencharakter. Ein leichtes Hellgrün kontrastiert zum ansonsten dominanten Orange. Bis auf Bad und Waschküche zieht sich durch das ganze Haus ein dunkelbrau- ner Korkboden im quadratischen Format. Da die Bewohner gerne barfuss gehen, sahen sie im angenehm temperierten Kork einen idealen Bodenbelag. Patrick Indra: «Dadurch, dass die Fugen kaum sichtbar sind, hat er einen durchgehenden, monolithischen Charakter.» Was die Möbel betreffe, sei zu diesem Boden zudem alles kombinierbar. Die Bauherrschaft wollte ihr Traumhaus im Minergie-Standard erstellen. So verfügt das Gebäude über eine optimale Dämmung, eine kontrollierte Wohnraum-Lüftung sowie eine Luft-WasserWärmepumpe. Das Ganze wurde mit Fotovoltaik-Zellen auf dem Dach abgerundet, welche den gewonnenen Strom direkt ins Netz speisen. Eine Dachbegrünung wirkt sich klimatisch vorteilhaft aus und verfolgt einen ökologischen Gedanken: «Die Grünfläche, die durch den Bau genommen wurde, wird auf dem Dach wieder zurückgegeben», so Patrick Indra. «Nichts Gewöhnliches» «Wir sind durchs ganze Land gefahren, haben Fotos gemacht und uns nach den Architekten erkundigt, deren Bauten uns gefielen», erklärt Doris Kobler. Mit ihren Wünschen wurde das Paar dann im Architekturbüro Indra + Partner Est. vorstellig. Nichts Gewöhnliches, das war klar – eine L-Form könnten sie sich vor*Loewe TV-Installation von Kind Vision, Bendern 50 bauen+wohnen 4/09 stellen. So konnte das Grundstück, abgesehen vom Sitzplatzteil, in alle Richtungen voll ausgenutzt werden. «Wir haben überall bis an die Grenze gebaut», so Kobler. Das Modell, das der Architekt entworfen hat, steht noch auf dem Esstisch. Die letzte Version war das Ergebnis eines gemeinsamen Herantastens, da laut Patrick Indra zwar viele von etwas Ausgefallenem reden, später aber eine Neutralisierung wünschen. Bei Doris Kobler war das anders. «Mir gefiel der erste Vorschlag, aber ich sagte, es dürfe ruhig ungewöhnlicher sein.» Der Architekt nahm ein paar Änderungen vor «und plötzlich war alles schräg», erinnert sich Doris Kobler und lacht. Im Falle des Kubus, in dem sich die Garage und die Heizung befinden, entpuppte sich dies gar als signifikanter Platzgewinn für den Sitzplatz. DDer Grundriss des Erdgeschosses. Hier wird die aussergewöhnliche Form des Gebäudekomplexes, die sich durch die beiden Kuben ergibt, sichtbar.