Ausgabe 1/2.2013 | 10.50 CHF | www.ch-holzbau.ch FOKUS: DECKEN: Übersicht über verschiedene Systeme OBJEKT: FERTIGUNG + TECHNIK: BETRIEBSFÜHRUNG: Viel Holz für Berner Sanitätspolizei Brandschutz bei sichtbaren Holztragwerken So offerieren Zimmereien Seite 26 Seite 57 Seite 68 Da steckt 100 % Holzbau drin! Für Ihren Betrieb benötigen Sie Informationen zu den Themen Vorbereitung, Herstellung und Anwendung? Dann lesen Sie künftig am besten regelmässig Denn CH.HOLZBAU ist das Praxismagazin für Planung, Fertigung und Konstruktion – die Fachzeitschrift für die Holzbau-Branche in der Schweiz! Bestellen Sie gleich Ihr kostenloses Kennenlern-Abonnement unter www.ch-holzbau.ch oder telefonisch 056 483 54 18 Holzmann Medien Schweiz GmbH Täfernstrasse 14 I CH-5405 Baden-Dättwil Telefon +41 56 483 54 00 I Fax +41 56 483 54 09 [email protected] I www.holzmann-medien.ch OBJEKTE Fokus auf Funktionalität und Nachhaltigkeit Der Neubau für die Berner Sanitätspolizei ist äusserlich schlicht gehalten, was einen spannenden Gegensatz zur komplexen und doch kostenbewussten Konstruktion bildet. Er gehört zu den bedeutendsten Holzprojekten, die in den letzten Monaten im Kanton Bern realisiert wurden, und wird als Vorzeigeobjekt für den Holzbau und für energieeffizientes und ökologisches Bauen beworben. Die Vorgabe für den Architekten lautete: Holz als Baustoff muss sein. 26 1/2.2013 OBJEKTE Der dreigeschossige Bau kann in Zukunft bei Bedarf um weitere drei Stockwerke erhöht werden. Der alte Standort der Sanitätspolizei in der Berner Innenstadt war für 70 Personen konzipiert, mit den Jahren wuchs der Personalbestand aber auf 150 Angestellte, weshalb insgesamt neun Objekte dazugemietet werden mussten. Das war eine sehr komplizierte Ausgangslage für den Betrieb, der sich zudem in der verkehrstechnisch problematischen Innenstadt befand. Weil die Sanitätspolizei Bereitschaftsdienst für rund einen Drittel der gesamten Berner Kantonsbevölkerung leistet, wurde ein Neubau unumgänglich, um die Arbeitsprozesse zu erleichtern und so einen lückenlosen Rettungsdienst garantieren zu können. Der neue Standort für die Blaulichtorganisation wurde verkehrstechnisch optimal am Stadtrand in der Nähe einer Autobahnausfahrt gewählt. Der gewünschte Baustoff stand von Anfang fest: Es sollte Holz sein. «Der Kanton Bern möchte den Einsatz von Holz im Bau fördern», erläutert Michael Frutig vom Amt für Grundstücke und Gebäude, der Projektleiter seitens der Bauherrin. Im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie habe sich der Kanton als Zielwert vorgege- ben, jährlich mindestens 1500 Kubikmeter Holz zu verbauen. «Und wenn das gleich mit einem einzigen Gebäude gelingt, umso schöner», so Frutig. Erweiterung möglich Diese 1500 Kubikmeter Holz wurden im Neubau des Betriebsgebäudes für den Rettungsdienst und die Kantonale Sanitätsnotrufzentrale, Sano genannt, erreicht. Fotos: Dominique Wehrli Die Architektur mit dem prägnanten, rechteckigen Baukörper ist gradlinig und ermöglicht verschiedene Nutzungen in einem Gebäude. Im kompakten Dreigeschosser, der durch die horizontale Betonung der Fassadengliederung fast ein wenig niedrig wirkt, sind Büros, Schulungs- und Schlafräume, in denen die Rettungssanitäter, die nachts Bereitschaft haben, sich ausruhen können, sowie Fuhrpark und Werkhof un- Die Herausforderung für den Architekten bestand darin, verschiedene Nutzungen wie den Fuhrpark oder die Schlafräume unter einem Dach zu vereinen. Zeichnung: Müller + Truniger Architekten 1/2.2013 27 OBJEKTE 1 Empfang 2 Foyer 3 Notfallzimmer 4 med. Technik 5 Bikeraum 6 Lavage 7 Bereitschaftshalle 8 Retablierung 9 Medikamentenlager 10 med. Technik 11 Abfallraum 12 Schlosserei 13 Fahrzeugwartung 14 Malerei 15 Schreinerei 16 Sauerstoffumfüllung Die Grundform des Gebäudes orientierte sich an der Form der Parzelle, auf die es zu stehen kam. Zeichnungen: Müller + Truniger Architekten 1 Bibliothek 2 Gruppenleiterraum 3 Ärzte/Care 4 Ausbildung 5 Regie 6 Garderobe Damen 7 Garderobe Herren 8 Fitness 9 Aufenthalt 10 Cafeteria 11 Küche 12 Mannschaftsraum 13 Tagesverantwortlicher 14 Mannschaftsraum 15 Schlafraum 1 16 Schlafraum 2 17 Schlafraum 3 18 Schlafraum 4 19 Schlafraum 5 20 Schlafraum 6 21 Elektro Not 22 Elektro Netz 23 Terrasse Eine Haupttreppe trennt den aktiven Bereich wie die Garderobe von den Schlafräumen. 28 1/2.2013 OBJEKTE Blick in den Fuhrpark der Ambulanzen im Erdgeschoss. tergebracht. Die formale Einschränkung auf nur wenige Fenstertypen, welche in der Addition rings um das Gebäude auftreten, ist wirkungsvoll, sie bewirkt, dass der Bau trotz seiner vielen Funktionen optisch als Einheit wahrgenommen wird. Damit der Bau nicht wieder so schnell an seine Kapazitätsgrenzen stösst, ist zu einem späteren Zeitpunkt eine Aufstockung auf bis zu sechs Geschosse möglich. Neben der Funktionalität lag der Fokus bei der Projektierung auf der Nachhaltigkeit, unter anderem wurde der Bau im anspruchsvollen Minergie-P-Eco-Standard realisiert. An Rückbau gedacht Um diese Zertifizierung zu erreichen, war es wichtig, den Neubau so zu konzipieren, dass dereinst der Rückbau problemlos erfolgen kann, weshalb eine systemgetrennte Bauweise gewählt wurde. Die verschiedenen Einzelteile der Bauteile können einfach voneinander getrennt und recycelt werden. Der Holzkörper umschliesst einen Treppenkern aus Beton. Beton sei hier nicht aus Brandschutzgründen gewählt worden, erläutert der Architekt Andreas Müller von Müller & Truniger Architekten, der zusammen mit Dieter Schudel den Bau plante, sondern wegen der Erdbebensicherheit. Ingenieurholzbau Eschenholz-Stützen von 440 x 440 mm ermöglichen die Ableitung der extremen Lasten, die heute aus drei, später aus sechs Geschossen entstehen. Die Verbindung der Hauptträger an die Stützen erfolgte im GSA-System, einer Eigenentwicklung der neuen Holzbau AG Lungern, die die Brettschicht-Bauteile lieferte. Die Tragstruktur wurde als Skelettbau montiert. Es kamen zwei Deckensysteme zum Einsatz, wobei es sich bei beiden Systemen um steife Holzbetonverbunddecken (HBV) handelt. Zum einen wurden bauseits 18 cm dicke vollflächige Brettstapelelemente 14 cm dick betoniert. Der Verbund Foto: Dominique Wehrli zwischen Brettstapel und Beton ist über ins Holz eingeschnittenen Kerven formschlüssig ausgeführt. Dieses Deckensystem wurde über dem ganzen Erdgeschoss und im Kernbereich der Obergeschosse angewendet. Im Aussenbereich und kam eine Rippendecke mit Brettschichtträgern und einer vorgefertigten 50 mm starken Filigranbetonplatte zum Einsatz. Sie bekam eine 9 cm dicke Schicht Ortbeton. Der Verbund zwischen Holz und Beton ist über eingeklebte Armierungsstähle sichergestellt. Die Filigran-Betondecke dient dem sommerlichen Wärmeschutz, die Masse des Betons soll die Wärme regulieren. Holz als Baumaterial ist im Inneren via Balken und Träger sichtbar. Ebenfalls sichtbar ist die Untersicht der filigranen Schalungsdecke. Berner Sanitätspolizei Die Sanitätsnotrufzentrale nimmt pro Jahr rund 237 000 Anrufe und 60 000 Funkgespräche entgegen. Der Rettungsdienst leistet alljährlich 16 000 Notfalleinsätze und Verlegungstransporte in der Region Bern. Die 30 Einsatzfahrzeuge legen in 12 Monaten über 500 000 Kilometer zurück. Der Radius der Sanitätspolizei umfasst 40 Gemeinden mit rund einem Drittel der Berner Kantonsbevölkerung. Die Sanitätspolizei ist also für fast 330 000 Bernerinnen und Berner in ständiger Bereitschaft. 1/2.2013 29 OBJEKTE 1 30 2 3 4 5 1/2.2013 OBJEKTE 1: Eschenholzstützen ermöglichen die 6 Ableitung der extremen Lasten. 2: Es kamen zwei Deckensysteme zum Einsatz. 3: Die Deckenspriessen sind gemäss den Angaben des Holzbauingenieurs montiert. 4: Ein Detail der Verbindung. 5: Der Verbund zwischen Holz und Beton ist über eingeklebte Armierungsstähle sichergestellt. 6: Angestellte von Wenger Holzbau AG bei der Arbeit. 7: Die Auffahrt aus der Garage des Untergeschosses. Fotos: Pirmin Jung Ingenieure, Wenger Holzbau AG 7 1/2.2013 31 OBJEKTE Die Installationsleitungen wurden unter einer abgehängten Decke platziert, sind also frei zugänglich und können jederzeit problemlos ausgetauscht werden. Gebäudehülle Die Aussenwände bestehen aus vorfabrizierten Holzelementen. Die 380 mm starke Wärmedämmung sorgt für die geforderten Werte zur Erreichung der Minergie-P-Vorgabe. Die Aussenverkleidung erfolgte aus praktisch astfreier Weisstannen-Schalung aus Schweizer Starkholz, behandelt mit Vorbewitterungslasur. Mobile Trennwände Das Gebäude ist für den reibungslosen Betrieb von drei Seiten her erschlossen. Fahrzeugausfahrten beziehungsweise -zufahrten liegen auf der Westseite, Anlieferung und Wartung auf der Ostseite und der Hauptpersonenzugang ist nordseitig. Im Untergeschoss befindet sich die Einstellhalle für Fahrzeuge, die weniger häufig verwendet werden, im Erdgeschoss die Garage für die Sanitätswagen sowie die Werkstätten. In den Räumen im ersten Obergeschoss ist der Bereitschaftsdienst untergebracht. Die Cafeteria sowie die Aufenthalts- und Mannschaftsräume sind gegen Südwesten ausgerichtet, ihnen ist eine grosszügige Terrasse angegliedert. Eine Haupttreppe trennt gezielt den aktiven Raum von den Ruhezonen, also den Schlaf- und Garderoberäumlichkeiten im östlichen Bereich des Gebäudes. Wenn in der Nacht ein Notruf eingeht, dann müssen die Rettungssanitäter schnellstmöglich mit den Rettungsfahrzeugen ausrücken. Zentral gelegene Rutschen garantieren den schnellen Zugang zu den Einsatzfahrzeugen. Im zweiten Obergeschoss befinden sich die Räumlichkeiten für die Ausbildung, das Kommando sowie die Notrufzentrale. Dieses Etage ist so aufgeteilt, dass im Norden die kleinteiligen Büros liegen, im Süden die grossflächigen Schulungsräume und die Zentrale. Mobile Trennwände erlauben maximale Raumgrössen von bis zu 170 Quadratmetern. Die Baukosten (BKP2) beliefen sich auf 23 070 000 Franken. Via die Balken und Träger ist Holz im Innenbereich als Baumaterial sichtbar. Foto: Pirmin Jung Ingenieure 32 1/2.2013 Susanna Vanek Am Bau Beteiligte Bauträgerschaft: Amt für Grundstücke und Gebäude des Kantons Bern Nutzer: Sanitätspolizei der Stadt Bern Architekt: Müller & Truniger Architekten, Zürich Holzbauingenieur: Pirmin Jung Ingenieure für Holzbau, Rain Holzbau: Wenger Holzbau AG, Steffisburg Kosten Kennwerte (SIA 416) Geschossfläche Rauminhalt Hauptnutzfläche Nutzfläche BKP2 3593 736 5890 5605 in CHF pro m3 Die Fassade besteht aus praktisch astfreier Weisstannen-Schalung, die mit Vorbewitterungslasur behandelt wurde. Foto: Wenger Holzbau AG