CREDIT RESEARCH COVERED BONDS/FINANCIALS LBBW RESEARCH Burkerts Blick Kommentar des LBBW Chefvolkswirts Anleihenmärkte: Liquiditätsmangel trotz Liquiditätsflut? Kräftige Kursausschläge bei Anleihen könnten zur Gewohnheit werden. . Heftige Kursturbulenzen bei Aktien, Rohstoffen und den Währungen wichtiger Schwellenländer haben die Finanzmarktteilnehmer zuletzt in Atem gehalten. An den Anleihenmärkten im Euroraum und anderen großen Industriestaaten ist dagegen, oberflächlich betrachtet, in diesem Jahr nicht allzu viel passiert. Die als Fels in der Brandung für unsichere Zeiten geschätzten Bundesanleihen rentieren im 10-jährigen Laufzeitbereich bei knapp 0,7% und damit leicht höher als zu Jahresbeginn. Die Wertentwicklung von EuroStaatsanleihen ist im Jahr 2015 bis dato in der Summe leicht auf der positiven Seite gewesen, während höherverzinsliche Unternehmensanleihen (High Yield) trotz einiger Rückschläge im Spätsommer die Performancerangliste am Bondmarkt klar anführen. Bei genauerer Betrachtung muss man allerdings feststellen, dass der Anleihemarkt bereits mehrfach heftigen Kursauschlägen, insbesondere nach unten, ausgesetzt war. Das jüngste Beispiel datiert aus der laufenden Woche. Diese Kursrückschläge waren bisher zwar oft nicht nachhaltig, wurden also anschließend wieder (teilweise) korrigiert. Kann man diese Kursturbulenzen am Anleihenmarkt daher als wenig bedeutsam abtun? Dies wäre meiner Ansicht nach voreilig, denn es fällt auf, dass die Anleihekurse mehrfach ohne klar ersichtlichen Auslöser abgesackt sind. So schoss die Rendite 10-jähriger Bunds am 7. Mai innerhalb kurzer Zeit von knapp 0,6 % bis auf 0,8 % empor – eine Bewegung, die in diesem Ausmaß in der Vergangenheit höchstens in akuten Krisenszenarien oder bei unerwarteten Kursschwenks der Notenbank auftrat. Nichts davon war jedoch am 7. Mai passiert, vielmehr sank die Bundrendite im weiteren Tagesverlauf wieder auf ihr Ausgangsniveau ab. Dieses Muster erinnerte zudem stark an ein Ereignis aus dem Oktober 2014 am USStaatsanleihemarkt, als die Rendite der 10-jährigen Benchmarkanleihe innerhalb von Minuten um 30 Basispunkte absackte – inzwischen weithin bekannt als „flash rally“. Die aus meiner Sicht heißeste Spur führt jedoch zu einer Erklärung, die auf den ersten Blick wie ein Paradoxon anmutet: Die Anleihenmärkte leiden unter einem Mangel an Liquidität. Bekanntermaßen flutet die Europäische Zentralbank die Märkte ja seit März mit rund 60 Mrd. Euro monatlich, indem sie von Banken und anderen Investoren hauptsächlich Staatsanleihen, aber auch Covered Bonds und Anleihen von staatsnahen Unternehmen kauft und dem Finanzsystem damit zusätzliche (Zentralbank-) Liquidität zuführt. Das scheinbare Paradoxon löst sich dadurch, dass hier von unterschiedlichen Liquiditätsbegriffen die Rede ist. Während Liquidität im Sinne von liquiden Mitteln zur Begleichung von Forderungen und als Basis für die Vergabe neuer Kredite im Überfluss vorhanden ist (aber für Letzteres weiterhin nur schleppend genutzt wird), fehlt es an Marktliquidität im Sinne der Fähigkeit des Marktes, auch größere Transaktionsvolumina ohne abrupte Kursschwankungen absorbieren zu können. Als Maßstab für diese Marktliquidität kann etwa das Volumen an gehandelten Anleihen innerhalb einer bestimmten Periode dienen, denn je FREITAG, 18. SEPTEMBER 2015 Uwe Burkert Chefvolkswirt und Leiter Research [email protected] FOKUS MARKTLIQUIDITÄT MARKT ANLEIHENMARKT 10-jährige Bundrendite aktuell knapp über Jahresanfangsstand. Höher verzinsliche Unternehmensanleihen robust gegen jüngste Marktturbulenzen. Mehrere Phasen heftiger Kursturbulenzen lassen aufhorchen. Besonders auffällig: Häufig kein konkreter Auslöser erkennbar. Mangelnde Marktliquidität „heiße Spur“ zur erhöhten Volatilität. Paradoxon angesichts der Liquiditätsschwemme der EZB? Maße für Marktliquidität: Handelsvolumen, Geld-Brief-Spannen, Markttiefe. BITTE BEACHTEN SIE DEN DISCLAIMER UND WICHTIGE OFFENLEGUNGSTATBESTÄNDE IM ANHANG-1 CREDIT RESEARCH COVERED BONDS/FINANCIALS LBBW RESEARCH Burkerts Blick Kommentar des LBBW Chefvolkswirts höher das durchschnittliche Handelsvolumen, desto höher ist aus Sicht des Verkäufers einer Anleihe die Wahrscheinlichkeit, zu vernünftigen Preisen einen Käufer zu finden. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), also die Zentralbank der Zentralbanken, die sich in ihrem aktuellen Quartalsbericht ebenfalls dem Thema abnehmender Liquidität am Anleihenmarkt widmet, verwendet als alternative Maße die Geld-Brief-Spannen sowie die Markttiefe, ausgedrückt als ausführbares Transaktionsvolumen, in den am stärksten gehandelten deutschen Bundesanleihen. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Geld-Brief-Spannen in den vergangenen Monaten gestiegen sind, während die Markttiefe tendenziell gesunken ist – beides Indizien dafür, dass der Anleihenmarkt das Eintreffen größerer Transaktionsvolumina schlechter absorbieren kann. Die Ergebnisse deuten zudem daraufhin, dass die Marktliquidität gerade seit der Ankündigung des Anleihekaufprogramms durch die EZB abgenommen hat. Sinkt die Liquidität am Anleihenmarkt also nicht trotz sondern sogar wegen der EZB-Maßnahmen? Eine „Mitverantwortung“ der EZB ist wohl nicht von der Hand zu weisen, denn durch ihre Anleihekäufe entzieht die EZB dem Anleihenmarkt laufend Material, während gerade am deutschen Staatsanleihemarkt aufgrund der ausgeglichenen öffentlichen Haushalte kein neues Nettoangebot hinzukommt. Per Ende August hatte die EZB bereits Bundesanleihen in Höhe von 68 Mrd. Euro erworben, und damit rund 8% des im Rahmen des QEProgramms prinzipiell in Frage kommenden Volumens. Sollte die EZB ihr Kaufprogramm, wie jüngst von Mario Draghi angedeutet, sogar nochmals ausweiten, könnte sie somit den Liquiditätsmangel zusätzlich verschärfen. Der Hauptauslöser für die sinkende Liquidität am Anleihenmarkt liegt aus meiner Sicht aber bis dato in verschärften regulatorischen Anforderungen für Banken und andere Finanzintermediäre in Folge der Finanzkrise. Strengere Kapitalvorschriften haben etwa dazu geführt, dass Anleihehändler nicht mehr im gewohnten Umfang Anleihebestände halten. Zudem müssen als sicher eingestufte Wertpapiere verstärkt zur Unterlegung von Risiken genutzt werden, was sie ebenfalls dem Handelskreislauf entzieht. So richtig diese Maßnahmen zur Eindämmung von Exzessen an den Finanzmärkten waren, so sehr zeigt hier jedoch das Auftreten neuer Risiken für die Finanzstabilität in Gestalt sinkender Liquidität, dass die Regulierungsschraube nicht übermäßig angezogen werden sollte, sondern dass Augenmaß gefragt ist. Dies gilt auch für weitere „Lockerungsübungen“ der EZB: Schon jetzt hat der Liquiditätsentzug eine Konstellation geschaffen, in der wiederholte heftige Kursausschläge zur Normalität werden könnten. Dies gilt umso mehr als die USNotenbank ihrer Glaubwürdigkeit mit ihrer gestrigen Entscheidung, die Leitzinswende weiter aufzuschieben, keinen Gefallen getan hat. Es macht meiner Meinung nach keinen Sinn, erst im Rahmen der sogenannten „Forward Guidance“ Schwellenwerte für die Arbeitslosenquote vorzugeben, ab deren Unterschreiten eine Zinswende avisiert wird, und diese dann doch nicht zu vollziehen. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) weist auf gesunkene Liquidität auf den Anleihenmärkten hin. BIZ-Bericht zeigt: EZB-Maßnahmen mitverantwortlich für mangelnde Liquidität. 8% der unter QE erwerbbaren Bunds liegen schon bei der EZB. Verschärfte regulatorische Anforderungen wohl Hauptauslöser. Zu starke Regulierung und zu lockere Geldpolitik tragen unbeabsichtigte Konsequenzen in sich. Anhang 1: Aufsichtsbehörden der LBBW: Europäische Zentralbank (EZB), Postfach 16 03 19, 60066 Frankfurt am Main und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Postfach 1253, 53002 Bonn / Postfach 50 01 54, 60391 Frankfurt. Diese Publikation beruht auf von uns nicht überprüfbaren, allgemein zugänglichen Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit und Vollständigkeit wir jedoch keine Gewähr übernehmen können. 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SEPTEMBER 2015 Stuttgart/Mainz Am Hauptbahnhof 2 70173 Stuttgart Phone +49 711 127-25200 Fax +49 711 127-25191