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NR. 8 | 2017
BLICK PUNKTE
MENSCH
GESELLSCHAFT
SICHERHEIT
Integrative Medizin.
Unwirksame Verheißung oder nutzbringende Erweiterung?
Inhaltsverzeichnis
BLIND
Prof. Dr. med. Bernd Brüggenjürgen
Über Integrative Medizin
Seite 04
ZUKUNFT
Prof. Dr. Benno Brinkhaus, Prof. Dr. Stefan N. Willich
Integrative Medizin –
Entwurf für die Medizin der Zukunft
Seite 06
PRAXIS 1
Prof. Dr. Albrecht Hempel
Integrative Medizin für die Praxis
Seite 09
Impressum
Herausgeber
SDK-Stiftung
der Süddeutschen Krankenversicherung a.G.
Raiffeisenplatz 5 | 70736 Fellbach
PRAXIS 2
Sibylle Vogel
Hörwahrnehmungsstörung und Stimmfrequenzanalyse –
Eine Messmethode und eine Behandlungsform bei dysfunktionaler Belastung der Kommunikationsfähigkeit
Seite 12
Tel. 0711 / 7372-7777 | [email protected] | www.sdk.de
Redaktion
Süddeutsche Krankenversicherung a.G.
Abteilung Vorstandsstab
Monika Krimmer | Rafaela König
Raiffeisenplatz 5 | 70736 Fellbach
FINANZIERUNG
Prof. Dr. med. Bernd Brüggenjürgen
Komplementärmedizin und Kosten – Können wir uns eine
integrative Medizin leisten?
Seite 17
Tel. 0711 / 7372-4912 |-4916
[email protected] | [email protected]
Druck
Knöller Druck, Stuttgart
Gestaltung, Satz
Wohlgemuth & Company, Stuttgart
Bildnachweise
Titelbild, S. 19: thinkstock
S. 13, S. 15: http://linguamodulata.com/
ISSN
2197-8980
2
Liebe Leserinnen
und Leser,
in der aktuellen Ausgabe von BLICKPUNKTE wird eine
mend als wichtigen Wettbewerbsfaktor. Diese Entwicklung
interessante Entwicklung im Gesundheitswesen näher
dürfte sich in den kommenden Jahren weiter fortsetzen.
beleuchtet: Die sogenannte Komplementär- und Alternativmedizin (CAM). Hierzu gehören alternative Behand-
Seitens der klassischen Schulmedizin mag in der CAM an-
lungsmethoden wie beispielsweise Akupunktur, Homöopa-
fangs eine Gefahr gesehen worden sein. Doch es ist fest-
thie oder auch Naturheilverfahren. Die Komplementär- und
zustellen, dass aus Patientensicht sowohl Schul- als auch
Alternativmedizin umfasst all jene Aspekte, die nicht durch
Komplementärmedizin von Bedeutung sind, da das Neben-
die klassische Schulmedizin, wie sie im Medizin- oder
einander dieser beiden Richtungen im Gesamten betrachtet
Psychologiestudium gelehrt werden, abgedeckt sind.
eine Erweiterung des Angebots darstellt. Dies wird bereits
durch den Begriff „Komplementärmedizin“ deutlich, so be-
Oft fällt in diesem Zusammenhang der Begriff „neue Be-
deutet „komplementär“ schließlich nichts anders als eine
handlungsmethoden“. Im Grunde hat die Alternativmedizin
Ergänzung zu bereits Bestehendem und Etablierten.
aber eine durchaus lange Geschichte. Schließlich wurden
bereits vor Jahrzehnten einige jener Behandlungsmetho-
Unterschiedliche Positionen zur CAM gibt es natürlich nach
den angewandt, die heute im Bereich der CAM durch-
wie vor. Manche mögen sie als „Hokuspokus“ oder „Schar-
aus gängig sind. Und auch einige Heilverfahren, die in
latanerie“ bezeichnen, andere darauf schwören, eines steht
Asien bereits seit Jahrhunderten praktiziert werden, wie
jedoch fest: Die Komplementär- und Alternativmedizin ist aus
beispielsweise die Akupunktur, sind der Alternativmedizin
dem deutschen Gesundheitswesen nicht mehr wegzudenken.
zuzuordnen.
Daher freue ich mich, dass diese Ausgabe von BLICKPUNKTE
sich diesem interessanten Themenfeld widmet.
Die eigentliche Bezeichnung „Alternativmedizin“ hat sich
in Deutschland dagegen erst recht spät, in den 1980er
Ich wünsche Ihnen spannende Momente und viel Vergnü-
Jahren, verbreitet. Nichtsdestotrotz stellt sie mittlerweile
gen beim Lesen.
einen gewichtigen Teilbereich des deutschen Gesund-
Ihr
heitswesens dar, auch aus ökonomischer Sicht. Immer
mehr Ärzte und Therapeuten bieten alternative Behandlungsmethoden an und im Zuge der steigenden Nachfrage
seitens der Patienten betrachten auch die Krankenkassen
eine Aufnahme der CAM in ihren Leistungskatalog zuneh-
Klaus Henkel
Kuratoriumsvorsitzender SDK-Stiftung
3
Über Integrative Medizin
von Prof. Dr. med. Bernd Brüggenjürgen, MPH
Die Rahmenbedingungen unseres Gesundheitswesens ändern sich: So befürchten viele Bürger, dass die zunehmende Ökonomisierung eine patientenorientierte Versorgung kaum noch
ermöglicht und die Mitmenschlichkeit verloren geht. Zudem hat auch die wissenschaftliche
Schulmedizin bekanntermaßen ihre Grenzen und lässt Raum für Alternativen offen. Mit einem
Blick zurück auf die Errungenschaften der Hygiene und die moderne Medizin kann bescheinigt
werden, dass eine erhebliche Verbesserung der Morbidität und eine beträchtliche Verlängerung
der Lebenserwartung erreicht wurden. Wichtige Patientenbedürfnisse mussten über die Jahre
allerdings immer wieder gestärkt werden, so gehören die Sicherheit von Behandlungsverfahren
und ihre Wirksamkeit zum grundlegenden Credo unserer Gesundheitssysteme.
Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen
leitet seit 2008 den SDK-Stiftungslehrstuhl
für Gesundheitsökonomie an der SteinbeisHochschule Berlin.
Dennoch scheint der Verlust an persönlicher Zuwendung, die Veränderung vom Patienten zum
Kunden und die fehlende ganzheitliche Betrachtung eine Hinwendung zu alternativen Verfahren
stark zu fördern. So ist in Deutschland eine steigende Inanspruchnahme von Maßnahmen aus
dem Komplementär- und Alternativmedizin (CAM) Spektrum zu beobachten. Schwerpunkte sind
die Anthroposophische Medizin, die Homöopathie, die Neuraltherapie, die Phytotherapie und die
Traditionelle Chinesische Medizin [Schöne-Seifert et al. 2015]. Patienten nutzen speziell ausgebildete Ärzte dieser Therapierichtungen, Lehrstühle werden gegründet und Studiengänge werden etabliert. Einige Autoren sprechen gar von einem „CAM-Wahn“ [Coulter und Willis 2004].
Allerdings gibt es „die“ Komplementär- und Alternativmedizin nicht. Der Begriff umfasst hunderte von einzelnen Verfahren, die bisher überwiegend nicht von der Schulmedizin benutzt wurden,
aber zunehmend in den Versorgungsalltag eingehen – idealerweise sofern ein Nutzen vorhanden ist. Hier liegt denn auch aus wissenschaftlicher Sicht die große Herausforderung: Positive Erwartungen an eine nutzbringende Therapie und wirklich nachgewiesener Nutzen müssen
getrennt betrachtet werden! Zudem ist Komplementär- und Alternativmedizin nicht per se als
Klasse zu bewerten, sondern muss eben in Abhängigkeit vom jeweiligen Verfahren, wie z.B.
4
der Akupunktur, von den zu versorgenden Patienten und deren Erkrankungen beurteilt werden.
Ein optimistisch stimmender Trend ist die Öffnung und komplementäre
Ergänzung der bestehenden schulmedizinischen Versorgung und ggf.
eine Integration nutzbringender Verfahren in den Versorgungsalltag:
P rof. Benno Brinkhaus und Prof. Stefan Willich erläutern in ihrem
Beitrag den Bezugsrahmen, geben einen Überblick über die Definitionen und beleuchten aktuelle Forschungsentwicklungen auf dem
Gebiet der Integrativen Medizin (dem Zusammenwirken von konventionellen und komplementärmedizinischen Verfahren).
D
en Bezug zur Praxis öffnet Prof. Albrecht Hempel und schildert die
Potentiale einer Umsetzung im Therapiealltag am Beispiel von Ernährung und Lebensstil sowie Schwingungen und Energiefluss und ermöglicht hiermit neue Sichtweisen auf die Behandlung von Patienten.
G
erade die Öffnung der Schulmedizin neueren Verfahren gegenüber
ist ein interessanter Aspekt, der auch unkonventionellen Methoden
angrenzender Wissenschaftsdisziplinen offenstehen sollte. Frau Sybille Vogel, Entwicklerin der Methode Lingua Modulata, zeigt hier die
Potenziale einer neuen Behandlungsform bei dysfunktionaler Belastung der Kommunikationsfähigkeit auf.
D
er Autor selbst untersucht zudem die Kostenperspektive der
CAM-Verfahren und beobachtet vor dem Hintergrund angespannter
Finanzen positive Entwicklungspotentiale hinsichtlich einer sich ändernden therapeutischen Haltung am Beispiel der CAM-Ärzte.
Referenzen
Coulter, I.D. und Willis, E.M. (2004): The rise and rise of complementary and alternative
medicine: a sociological perspective. In: Medical Journal of Australia. 180, S. 587-589.
Schöne-Seifert, B.; Reichardt, J.-O.; Friedrich, D. R. u. a. (2015): The concept of complementary and alternative medicine from the perspective of the philosophy of science and
bioethics. In: Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen. 109
(3), S. 236-244.
5
ZUKUNFT
Integrative Medizin –
Entwurf für die Medizin der Zukunft
von Prof. Dr. Benno Brinkhaus, Prof. Dr. Stefan N. Willich, MPH MBA
_Gesellschaftliche Veränderungen bedingen Veränderung in der Medizin
Die Gesellschaften der meisten Länder sind mit verschiedensten Herausforderungen wie sozialer
Ungleichheit, Armut, Umweltschäden, klimatischen Veränderungen und undemokratischen politischen Systemen bzw. Einflüssen konfrontiert. Auch die konventionelle Medizin steht – trotz oder
gerade wegen ihrer Erfolge wie beispielsweise der steigenden Lebenserwartung – vor großen
Prof. Dr. Benno Brinkhaus ist seit 2010
Universitätsprofessor für Naturheilkunde
an der Charité – Universitätsmedizin
Berlin.
Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. In den Industrieländern erkrankt eine älter werdende Bevölkerung zunehmend häufig an chronischen und funktionellen Erkrankungen, welche
die Lebensqualität nachhaltig negativ beeinflussen und für die es keine zufriedenstellenden therapeutischen Methoden gibt. Problematisch ist beispielsweise auch die zunehmende Antibiotikaresistenz, die es immer schwerer macht, eine adäquate Therapie bei infektiösen Erkrankungen zu
finden. Herausforderungen in ärmeren Ländern sind dem gegenüber die hohe Kindheitssterblichkeit und ein mangelnder Zugang zu Gesundheitsleistungen. In nahezu allen Ländern finden sich
darüber hinaus Probleme bei der Finanzierung der zunehmenden Kosten des Gesundheitssystems.
Vor diesem Hintergrund wenden sich immer mehr Menschen komplementärmedizinischen und
traditionellen Medizinverfahren (in Deutschland mehr als 60 % der Bevölkerung) [Härtel und Volger 2004; Sartori et al. 2012] zu, die häufig nur unzureichend wissenschaftlich untersucht sind.
Positive Ergebnisse aus der Forschung im Bereich Komplementärmedizin zeigen jedoch, dass sich
traditionelle Medizinverfahren, wie z. B. die Akupunktur, sinnvoll mit konventioneller Medizin im
Sinne einer Integrativen Medizin kombinieren lassen.
_Komplementärmedizin und Traditionelle Medizinverfahren – häufig eingesetzt
Prof. Dr. Stefan Willich ist Direktor des
Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie
und Gesundheitsökonomie an der Charité
– Universitätsmedizin Berlin.
Der Begriff Komplementärmedizin beschreibt diagnostische und therapeutische Verfahren aus dem
Bereich der Traditionellen Medizin, wie z.B. Pflanzenheilkunde, Akupunktur, Neuraltherapie und
Osteopathie. Diese Verfahren stehen z.T. außerhalb der konventionellen Medizin. Es gibt allerdings
Hinweise auf eine Wirksamkeit, sodass sie ergänzend zur Schulmedizin eingesetzt werden können. Von der Laienpresse wird häufig der Begriff „Alternative Medizin“ verwendet. Dieser Begriff
wird aber von seriösen Ärzten abgelehnt, da diese Verfahren keine therapeutische Alternative zur
konventionellen Medizin sind.
6
Defizit sollte in den nächsten Jahren durch wissenschafts-informierte
Websiten und Foren behoben werden [Nissen et al. 2012].
_Integrative Medizin – Medizin der Zukunft
In den letzten Jahren wird verstärkt der Begriff ‚Integrative Medizin’ verwendet. Das US Academic Consortium for Integrative Medicine & Health
definiert den Begriff ‚Integrative Medicine’ wie folgt: “Integrative medicine and health reaffirms the importance of the relationship between
practitioner and patient, focuses on the whole person, is informed by
Die Naturheilkunde, die ihren Ursprung in der antiken griechischen Me-
evidence, and makes use of all appropriate therapeutic and lifestyle
dizin hat und auch als traditionelle mitteleuropäische Medizin bezeichnet
approaches, healthcare professionals and disciplines to achieve optimal
wird, beinhaltet die sogenannten fünf klassischen Naturheilverfahren:
health and healing” [Academic Consortium for Integrative Medicine &
Bewegungstherapie, Ernährungstherapie, Hydrotherapie (Therapie mit
Health 2016]. Ins Deutsche übersetzt lautet die Definition folgenderma-
Wasseranwendungen), Phytotherapie (Therapie mit Heilpflanzen) und
ßen: „Integrative Gesundheitsversorgung ist die Praxis der Gesundheits-
Ordnungstherapie (Vorschläge zum gesunden und naturverbundenen
versorgung, welche die Bedeutung der Beziehung zwischen Patient und
Lebensstil).
Therapeut unter Berücksichtigung individueller und gesellschaftlicher
Die Naturheilverfahren werden insbesondere in Deutschland aber auch
Bedürfnisse betont, dabei die ganze Person und die Gesamtgesellschaft
in weiteren Ländern Europas, wie z. B. in Österreich, in der Schweiz und
berücksichtigt, sich auf Evidenz stützt und alle angemessenen Möglich-
in Italien traditionell eingesetzt [Härtel und Volger 2004].
keiten für Therapie und Lebensweise, Gesundheitsberufe und -disziplinen nutzt, um optimale Bedingungen für Gesundheit und Heilung zu
Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl von weiteren traditionellen
erreichen“ (nach einem Vortrag von Prof. Dr. E. G. Hahn).
Medizinverfahren in Europa, wie z. B. die Neuraltherapie, die Homöopathie und die Anthroposophische Medizin. Außerhalb Europas finden sich
Nach dieser Definition ist das Schlüsselelement der Integrativen Medizin
außerdem bspw. die Chinesische Medizin, die Ayurvedische Medizin und
eine partnerschaftliche Arzt-Patienten-Beziehung mit einem empathi-
die Tibetische Medizin.
schen, gut ausgebildeten und erfahrenen Therapeuten. Der Therapeut behandelt nicht nur ein Symptom oder eine Beschwerde, sondern betrachtet
In dem von der Europäischen Union geförderten CAMbrella Projekt
den Patienten in seiner ganzen Persönlichkeit unter Einbeziehung seiner
[Informationen abrufbar unter http://cambrella.eu/home.php] konnte
biologischen, psychischen, sozialen und spirituellen Aspekte. Neben der
gezeigt werden, dass mehr als 320.000 Therapeuten in Europa Komple-
adäquaten Therapie von Erkrankungen, die sich sowohl nach wissen-
mentärmedizin einsetzten. Darunter sind zu ca. 60 % nicht-ärztliche The-
schaftlichen Ergebnissen hinsichtlich der Wirksamkeit, Therapiesicherheit
rapeuten und die am häufigsten eingesetzten Verfahren sind Phytothera-
und Kosten-Nutzen-Bewertung als auch nach den gemeinsamen Thera-
pie, Homöopathie, Akupunktur, Chirotherapie und Reflexiologie [Eardley
piezielen richtet, steht der aktive und selbstverantwortliche Patient im Vor-
et al. 2012; von Ammon et al. 2012]. Die meisten dieser Verfahren sind
dergrund, der seine gesundheitsaktivierenden (Resilienz-) Faktoren stärkt.
nicht oder nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht. Um auf dieses
Soweit möglich, sollten als primäre Therapiekomponenten Veränderungen
Defizit hinzuweisen, werden im CAMbrella Projekt Forschungsstrategien
der Ernährung, Bewegung, natürliche Therapieverfahren und Stressreduk-
entwickelt und gleichzeitig Vorschläge zur Evaluation gemacht [Fischer
tion im Vordergrund stehen, insbesondere bei chronisch kranken Patienten.
et al. 2014a; Fischer et al. 2014b]. Problematisch erschien es darüber
hinaus, dass die Patienten zu wenig valide Informationen über kom-
Neben der Auswahl der adäquaten, möglichst die Lebenskräfte des
plementärmedizinische Verfahren aus den Medien bekommen, dieses
Patienten schonenden Therapie, steht die frühzeitige Prävention vor
7
Erkrankungen mit Lebensstil verändernden Maßnahmen und sinnvollen
Screening Methoden im Mittelpunkt der Integrativen Medizin. Aber nicht
nur die Prävention von Krankheiten im individuellen Setting aus Sicht
der Mikroebene ist von Bedeutung. Da bekannt ist, dass beispielsweise
Referenzen
soziale Benachteiligung, Umweltbelastungen oder Einschränkungen der
demokratischen Grundrechte zu Krankheiten führen können, sollten sich
Ärzte und Vertreter anderer Gesundheitsberufe auch für eine gesunde
Umwelt aus der Sicht der Makroperspektive einsetzen.
_Weltkongress setzt ein Zeichen
Für viele konventionelle Ärzte ist deutlich, dass sich die Medizin der Zukunft verändern muss, um wirksamer und nachhaltiger zu werden und
finanzierbar zu bleiben. Therapieverfahren aus dem Bereich der Komplementären und Traditionellen Medizin müssen hinsichtlich Ihrer Wirksamkeit, Therapiesicherheit und Kosten-Nutzen-Bewertung untersucht und
im positiven Fall in die Medizin der Zukunft integriert werden.
Auf dem Weltkongress für Integrative Medizin und Gesundheit in Berlin
Academic Consortium for Integrative Medicine & Health“. Imconsortium.org. Abrufbar
unter http://www.imconsortium.org. (Stand 05.10.16).
CAMbrella - Communication Platform on topics related to Complementary and Alternative
Medicine (CAM) in Europe“. Cambrella.eu. Abrufbar unter http://cambrella.eu/home.php.
(Stand 05.10.16).
Eardley, S.; Bishop, F. L.; Cardini, F. u. a. (2012): A Pilot Feasibility Study of a Questionnaire to Determine European Union-Wide CAM Use. In: Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine. 19 (6), S. 302-310.
Fischer, F. H.; Lewith, G.; Witt, C. M. u. a. (2014a): High prevalence but limited evidence in
complementary and alternative medicine: guidelines for future research. In: BMC Complementary and Alternative Medicine. 14 (1).
Fischer, F.; Lewith, G.; Witt, C. M. u. a. (2014b): A Research Roadmap for Complementary
and Alternative Medicine - What We Need to Know by 2020. In: Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine. 21 (2), S. 6-6.
im Mai 2017 wird anhand von Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen und klinischer Erfahrungen über geeignete Therapie- und
Präventionsmethoden vor einem Fachpublikum diskutiert. 1 Sowohl Vertreter der konventionellen Medizin, Medizinstudenten als auch Vertreter
Härtel, U. und Volger, E. (2004): Inanspruchnahme und Akzeptanz klassischer Naturheilverfahren und alternativer Heilmethoden in Deutschland – Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsstudie. In: Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine. 11 (6), S. 327-334.
der Komplementären und Integrativen Medizin einschließlich der traditionellen Medizinsysteme werden diesen Kongress zu einem wichtigen
Forum für die Medizin der Zukunft machen.
Nissen, N.; Schunder-Tatzber, S.; Weidenhammer, W. u. a. (2012): What Attitudes and
Needs Do Citizens in Europe Have in Relation to Complementary and Alternative Medicine?. In: Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine. 19
(s2), S. 9-17.
Sartori, C.; Osterkamp, N.; Uebing, C. und Linde, K. (2014): Homöopathie in der gesetzlichen Krankenversicherung: Modelle, Erfahrungen und Bewertungen. In: gesundheitsmonitor 3/2014, S. 1-12.
von Ammon, K.; Frei-Erb, M.; Cardini, F. u. a. (2012): Complementary and Alternative
Medicine Provision in Europe – First Results Approaching Reality in an Unclear Field of
Practices. In: Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine.
19 (s2), S. 37-43.
1
Informationen zum Weltkongress für Integrative Medizin und Gesundheit in Berlin 2017 sind unter https://www.ecim-iccmr.org/2017/ abrufbar.
8
PRAXIS 1
„Integrative Medizin für die Praxis“
von Prof. Dr. Albrecht Hempel
_Die bisherige Entwicklung
Die „Integrative Medizin“ nutzt beide, konventionelle und alternative Heilmethoden gemeinsam,
mit dem Ziel, die Ergebnisse von Behandlungen zu verbessern und sich wechselseitig und voneinander unabhängig überprüfen zu können. Bereits 1986 bereitete die WHO, die die Begriffe von
„Krankheit“ und „Gesundheit“ durch „Lebensqualität“ ersetzte und als körperliches, psychisches
und soziales Wohlbefinden mit der Fähigkeit zur Selbstversorgung bis ins hohe Lebensalter des
Individuums [Weltgesundheitsorganisation 1986] definierte, dies gedanklich mit vor.
Diese Entwicklung ist ebenso in Deutschland zu erkennen: Bis zu 70 % der Bevölkerung nutzen
auch ganzheitliche und als „sanft“ erlebte medizinische Vorgehensweisen, die von 63 % der
niedergelassenen Ärzte mit angeboten werden [Thanner et al. 2014]. Bei einem guten Stan-
Prof. Dr. Albrecht Hempel ist Leiter des
Studiengangs Integrative medizinische
Wissenschaften an der Steinbeis-Hochschule Berlin.
dard des konventionellen Gesundheitswesens ist trotzdem ein Unbehagen zu beobachten, da sich
Patienten, trotz wissenschaftlich leitliniengerechter Behandlung, zu wenig als Individuum wahrgenommen fühlen [Thanner et al. 2014]. Das Gefälle vom „wissenden Arzt“ zum „order-empfangenden“ Patienten behindert die aktive Einbeziehung des Patienten, da er die Ursachen seiner
Probleme nicht erfährt und sich an deren Lösung somit nicht beteiligen kann.
Die Schweiz hat als erstes europäisches Land die „Alternativmedizin“ im Rahmen einer Volksabstimmung 2009 (67 % Zustimmung) sowohl in die Verfassung, als auch in die allgemeine medizinische Versorgung aufgenommen [Neue Zürcher Zeitung 2009]. Gleichzeitig wurden die
Ausbildungsinhalte zur „Alternativmedizin“ in die Verantwortung des Staates gestellt und die
Fachrichtungen Ayurveda, Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und Traditionelle
Europäische Naturheilkunde (TEN) darin integriert.
Außereuropäisch sind es vor allem die USA, die in der „Complementary and Alternative Medicine“
(AM) - eine Zusammenfassung komplementärer und alternativmedizinischer Methoden [Jonas et
al. 2013] – in Praxis und Akzeptanz im Weltmaßstab eine Vorreiterrolle übernommen haben. Mehrere USA-Universitäten verfügen über Lehrstühle für „Complementary and Alternative Medicine“,
die erfolgreich staatliche wie auch Forschungsgelder aus der Industrie einwerben und produktiv
weltweit die Ergebnisse publizieren [Thanner et al. 2014; Jonas et al. 2013].
Gemeinsame Ziele der „Integrativen Medizin“ in den USA und Europa sind [Thanner et al. 2014;
Jonas et al.]:
D ie Behandlung jeder Person in ihrer Gesamtheit
A usrichtung auf Prävention als Primärziel
J ede Behandlung ist vom Grundsatz her individuell
B ehandlungen richten sich auf die Ursachen und unterstützen den natürlichen Heilungsprozess
9
_Beispiele aus der Praxis
_ 2 Leben, Schwingung und Energiefluss – das „Wunder“ der Regulation
_ 1 Ernährung und Lebensstil
Die „Integrative Medizin“ betrachtet, wie gut
Biologisch gesehen sind wir als „Jäger und Sammler“ konzipiert, der sich täglich 10-20 km an
unsere Lebensvorgänge aufeinander abge-
frischer Luft auf Nahrungssuche begab und nur ausnahmsweise einmal Wildbret erlegte. Heute
stimmt sind. Dabei spielen sich in jeder Zelle
sitzen wir meist regungsarm vor Computern und verleiben uns Kalorien anstelle von Vitalstoffen
pro Sekunde 1017 physikalische Einzelvorgänge
ein. „Volkskrankheiten“, wie z. B. Diabetes und Bluthochdruck, sind damit ein Produkt aus Fehl-
ab [Popp et al. 1994] – dies sind in etwa so viele
ernährung und Bewegungsmangel. Dr. Galina Schatalova, Ärztin, Wissenschaftlerin und
Vorgänge, wie das Alter der Erde in Sekunden.
früher medizinische Leiterin der Auswahlkommission für sowjetische Kosmonauten, for-
Diese unvorstellbar große Zahl erscheint von
mulierte es in ihrem Buch drastisch: „Wir fressen uns zu Tode“ [Schatalova 2002].
keinem Nervensystem allein „beherrschbar“.
Die „Neue Medizin der Emotionen“ [Popp et
In einem großen und sehr umfangreichen wissenschaftlichen Buch „Die China-Study“ [Camp-
al. 1994] misst unseren Gefühlen eine zen-
bell und Campbell 2006] wurde unter Einbeziehung von über 750 wissenschaftlichen Arbei-
trale, vermutlich sogar übergeordnete Bedeu-
ten belegt, dass eine Umstellung auf eine vegane Ernährung das Auftreten von Krebs- wie
tung zu und geht dabei von unterschiedlichen
Abb. 1: Verlaufsdarstellung der Herzmeridianmessung (Elektroakupunktur) einer 60-jährigen Frau mit „unerklärlichen“ Blutdruck-Attacken:
Bei Schilderung eines aktuellen Familienkonfliktes entwickelten sich innerhalb von 5 min die Messpunkte des Herzmeridians entgegengesetzt: Bildlich „zerriss
es ihr das Herz“. Gleichzeitig entgleiste der Blutdruck akut (auf 205/110mmHg, Puls 95/min).
auch Herz-/Kreislauferkrankungen um jeweils mehr als 50 % verringerte. Es gibt also so-
„Schwingungsmustern“ aus, die mithilfe von
wohl aus integrativmedizinischer als auch aus gesamtmedizinischer Sicht Handlungsbedarf.
Nervengeflechten unseres Körpers wahrgenommen und differenziert werden [Bauer 2005]. A.
Ein Patient, der sich zu einer „integrativmedizinischen“ Diagnostik und Beratung begibt, wird sicher
Popp wies parallel dazu Photonenstrahlungen
auch nach seinen Ernährungsgewohnheiten befragt und beraten werden. In eigener Praxis werden
auf Zellebene nach, bei der gesunde Zellen
2x/Jahr „BiGuFuQi“-Kurse angeboten. Frei übersetzt heißt dies: „Ohne Nahrung in voller Kraft
eine zwar schwache, aber eindeutige und sehr
sein“. Durch ganz spezielle QiGong-Übungen werden Schadstoffe mobilisiert und vermehrt über
wahrscheinlich biologisch nutzbare Strahlung
Leber und Nieren ausgeschieden. Sie verursachen eine Appetitarmut und erleichtern es, die Nah-
aussenden, mit der sie – so die Annahme – mit
rungsaufnahme einzustellen, bei gleichzeitig ausreichender Flüssigkeitszufuhr. Durch den Verzicht
Nachbarzellen „kommunizieren“ können und
auf Nahrung muss diese nicht mehr verarbeitet werden. Bei Fortsetzung der Körperübungen wer-
mit der länger bekannten „Mitosestrahlung“
den nun noch mehr Schadstoffe ausgeschieden. Subjektiv berichten Teilnehmer von „angenehmer
(eine Phase bei der Zellteilung) [Popp et al.
Leichtigkeit“ o. ä. Gleichzeitig sinkt der Schlafbedarf auffällig und es entsteht mehr Freizeit, da
2002] vergleichbar sind. Gefühle rufen außer-
Kochen und Einkäufe entfallen. Die Haut der Teilnehmer und Teilnehmerinnen strafft sich sichtbar,
dem messbare Veränderungen hervor [Bauer
Gelenk- u. a. Schmerzen bilden sich nahezu regelhaft zurück und treten interessanterweise oft
2005], die zusätzlich, z.B. mittels Elektroaku-
dann wieder auf, wenn bestimmte Nahrungsmittel – oft ist es Fleisch – erneut konsumiert werden.
punktur oder auch Herzratenvariabilität erfasst
10
Gesundes Kinzigtal ist die langfristige Zusammenarbeit eines
Praxisnetzes (MQNK e.V.) mit einem gesundheitswissenschaftlich ausgerichteten Unternehmen (OptiMedis AG).
Der Schwerpunkt liegt auf einer
werden und ihrerseits wiederum therapeutische Interventi-
Entwicklung regionaler multipro-
onen unterstützen können.
Die Schilderung eines Familienkonfliktes durch die Pati-
fessioneller Gesundheitsnetzwerke
entin (Abb. 1) führte innerhalb von 5 Minuten zu einem
im Rahmen einer Integrierten Versorgung
Auseinanderdriften der Messwerte von linkem und rechtem
mit dem Ziel, durch eine Verbesserung der
Herzmeridian (He). Im Bilde gesprochen „zerriss es der Patientin
Strukturen und Abläufe im Gesundheitswesen und damit
das Herz“, während gleichzeitig ihr Blutdruck entgleiste (205/110mmHg,
Puls 95/min). Das Erkennen dieses Zusammenhangs ermöglichte es der
auch der Qualität und Effizienz der Versorgung einen zusätz-
Patientin, Blutdruckentgleisungen im Verlaufe immer besser zu vermei-
lichen, messbaren Gesundheitsnutzen zu schaffen.
den. Ausgeglichene Messwerte sind gleichbedeutend mit einem guten
Befinden. Dauerhaft unausgeglichene Messwerte würden zu Krankheiten mit Organveränderungen führen, sobald die Möglichkeiten der
(Gegen-) Regulation erschöpft sind.
Eine große Bedeutung erlangte der amerikanische Medizinprofessor Jon
Referenzen
Bauer, J. (2005): Warum ich fühle, was Du fühlst: Intuitive Kommunikation und das
Geheimnis der Spiegelneurone. Hamburg: Hoffmann und Campe.
Kabat-Zinn, der mithilfe zahlloser Untersuchungen seit den 80er Jahren
die Bedeutung von Stress bzw. dessen Vermeidung durch achtsamen
Umgang mit sich und anderen nachwies [Kabat-Zinn 1982].
Die valide Beurteilung einer Regulationsfähigkeit wiederum könnte z. B.
auch bei der Entscheidung helfen, ob eine Chemotherapie momentan
sinnvoll ist oder nicht. Der Nachweis eines starken Energiemangels,
darstellbar bspw. mittels Elektroakupunktur, könnte eine Chemotherapie wegen absehbarer starker Nebenwirkungen vermeiden, andererseits
aber auch helfen, einen späteren Zeitpunkt mit besserer Verträglichkeit
herauszufinden.
_ 3 Ausblick
Die immer neuen Einsichten in die Komplexität regulatorischer Vorgänge in uns lassen vermuten, dass sich die Möglichkeiten einer rein
biochemischen Einflussnahme auf unsere Lebensvorgänge erschöpfen.
Antibiotikaresistenzen nehmen bedrohlich zu, ebenso die Häufigkeit umwelt-mitbedingter Erkrankungen wie Allergien und Unverträglichkeiten,
aber auch Umweltbelastungen durch Lärm, Licht und die zahlreichen
elektromagnetischen Felder. Die nächste medizinische Revolution wird
sich, so die Vermutung, auf dem Gebiet der Regulations- und Informa-
Campbell, T.C. und Campbell, T.M. (2006): The China Study: The Most Comprehensive
Study of Nutrion Ever Conducted and the Startling Implications for Diet, Weigth Loss and
Long-term Health. Benbella Books.
Gesundes Kinzigtal GmbH (Hrsg.): Die Geschichte von Gesundes Kinzigtal. Abrufbar unter
http://www.gesundes-kinzigtal.de/geschichte/.
Jonas, W. B.; Eisenberg, D.; Hufford, D. u. a. (2013): The Evolution of Complementary and
Alternative Medicine (CAM) in the USA over the Last 20 Years. In: Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine. 20 (1), S. 65-72.
Kabat-Zinn, J. (1982): An outpatient program in behavioral medicine for chronic pain
patients based on the practice of mindfulness meditation: Theoretical considerations and
preliminary results. In: General Hospital Psychiatry. 4 (1), S 33-47.
Neue Zürcher Zeitung (Hrsg.) (2009): Zustimmung von 67 Prozent in der Volksabstimmung
zu Verfassungsartikel: Deutliche Zustimmung zur Komplementärmedizin. Abrufbar unter
http://www.nzz.ch/abstimmung-hochrechnung-biometrischer-pass-komplementaermedizin-1.2571713. [veröffentlicht am 17.05.2009].
Popp, F.A.; Chang, J.J.; Herzog, A. u.a. (2002): Evidence of non-classical (squeezed) light
in biological systems. In: Physics Letters A. Bd. 293. S. 98-102.
Popp, F.A.; Gu, Q.; Li, K.H. (1994): Biophoton emission: Experimental Backround and
theoretical approaches.. In: Modern Physics Letters B. 08 (21n22), S. 1269-1296.
Schatalova, G. (2002): Wir fressen uns zu Tode – Das revolutionäre Konzept einer russischen Ärztin für ein langes Leben bei optimaler Gesundheit. München: Goldmann Verlag.
tionsmedizin abspielen.
Die Hinwendung der eingangs erwähnten WHO-Definition zur „Lebensqualität“ kann helfen, uns auf das Wesentliche, die Unterstützung und
Stärkung der Selbstverantwortung auszurichten, subjektives Erleben aller wertzuschätzen und funktionierende Modelle einer wertschätzenden
Medizin, z. B. am Beispiel des „Gesunden Kinzigtals“ [Gesundes Kinzigtal] zu unterstützen.
Thanner, M.; Nagel, E. und Loss, J. (2014): Komplementäre und alternative Heilverfahren im
vertragsärztlichen Bereich: Ausmaß, Struktur und Gründe des ärztlichen Angebots. In: Das
Gesundheitswesen. 76 (11), S. 715-721. Abrufbar unter http://www.uni-regensburg.de/
medizin/epidemiologie-praeventivmedizin/medien/institut/professur-fuer-medizinische-soziologie/prof-dr-med-julika-loss/alternative_heilverfahren_angebot_gesundheitswesen.pdf.
Weltgesundheitsorganisation (Hrsg.) (1986): Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung.
Abrufbar unter http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf.
11
PRAXIS 2
Hörwahrnehmungsstörung und
Stimmfrequenzanalyse –
Eine Messmethode und eine Behandlungsform bei dysfunktionaler Belastung der Kommunikationsfähigkeit
von Sibylle Vogel
Ein Praxisbeispiel, das zeigt, wie die Integration von innovativen alternativen Verfahren in Diagnostik und Behandlung einen validen Nutzen für alle Beteiligten bringen kann:
Die Stimmfrequenzanalyse in der hier dargestellten Form ist ein Verfahren, das aus der Zusammenführung von Erkenntnissen aus der HNO-Medizin, der Linguistik, der Neurolinguistik und der
Hirn- und Lernforschung entwickelt wurde. 1 Ziel der Stimmfrequenzanalyse ist die Beurteilung der
Qualität der Sprachverarbeitung im Gehirn.
Sprache ist eine Abfolge von, nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten angeordneten, Lautmustern.
Der Mensch ist das einzige Wesen, dem die Fähigkeit gegeben ist, Sprache auszubilden, sie zur
Sibylle Vogel
ist ausgebildete Audio-Psycho-Phonologin und Entwicklerin der Methode
Lingua Modulata
Kommunikation zu verwenden und in ihr zu denken. Welche und wie wir Frequenzen wahrnehmen
und verarbeiten, ist ein erlerntes, erworbenes Muster, das sich durch neuen Dateninput erweitern und manchmal auch dysfunktional verzerren kann. Die Sprachverarbeitung im Gehirn ist ein
physikalisches Phänomen - das Gehirn muss Schallwellen verarbeiten können. Als „Schnittstelle“
für die Decodierung sprachlicher Informationen nutzt der Mensch sein Gehör. Mit seiner überaus
feingliedrigen Struktur kann das Gehör auch die allerkleinsten Unterschiede von auftreffenden
Schalldruckwellen erkennen und in neuronale Impulse umsetzen [Spitzer 2002].
Die Art, wie ein Mensch Sprache integriert hat, bestimmt auch die Art, wie er denkt. Beides steht
und fällt mit der Qualität der Wahrnehmung und Verarbeitung der Frequenzmuster, aus denen die
Sprache besteht. Hier können sich Unschärfen und Störungen einschleichen. Traumata können
das System der Sprachverarbeitung auch schlagartig dramatisch verzerren.
Die Hörwahrnehmung ist der wichtigste Kanal, über den der Mensch Informationen aus seiner
Umwelt erhält und deren neuronale Verarbeitung ihn überhaupt erst zur sozialen Interaktion befähigt. Durch das Hören von gesprochener Sprache baut er sich im Laufe der Zeit „sein“ Sprach-,
Denk- und Handlungssystem auf.
_ Sprachpakete erkennen - Phoneme diskriminieren
Jede Sprache wird aus einer feststehenden Anzahl von Frequenzpäckchen zusammengebaut. Diese sind - ähnlich wie Akkorde auf dem Klavier - durch die Abstände der enthaltenen Frequenzen
gekennzeichnet.
Die Grundlage der Methode bilden die wissenschaftlichen Erkenntnisse: Vgl. Tomatis, dargelegt in seinen zahlreichen Büchern und Veröffentlichungen, vor allem in dem Grundlagenwerk: Der Klang des Lebens. Vorgeburtliche Kommunikation - die Anfänge der seelischen Entwicklung (1990), Chomsky et al (1977), Hüther et al. (2016) und Spitzer et al. (2007).
1
12
Defizite in der Frequenzverteilung in %
35%
28%
-
gelegentliche Ohrgeräusche
leichter Stress
Müdigkeit
leichte Konzetrationsschwierigkeiten
20%
-
12%
- keine
0%
normal
erhöht
Tinnitus
Erschöpfung
Überlastung
Konzentrationsschwäche
Lese-RechtschreibSchwäche
hoch
-
- Autismus
- Mutismus
- bipolare Störung
unerträglicher Tinnitus
Burnout
ADHS
Legathenie
Asperger Syndrom
sehr hoch
extrem
Aufwand bei der Informationsverarbeitung
Abb.1: Defizitäre Hörwahrnehmung und die Folgen
Es gibt ungefähr 7000 verschiedene Sprachen [Haspelmath] auf der Welt, diese sind zusam-
wahrnehmen könnten und deshalb die Wort-
mengerechnet aus etwa 100 bedeutungsunterscheidenden Grundbausteinen zusammengesetzt
bedeutungen verwechseln würden:
[Böttger 2016].
„In meinem Urlaubs-Land geh ich an den
In der Sprachwissenschaft werden diese Lautmuster als Phoneme bezeichnet. Theoretisch be-
Strand und leg mich in den Sand“ – klar, das
trachtet hat der Mensch die Anlagen (das Gehör mit allen seinen angegliederten Stationen –
macht jeder so im Urlaub.
Außenohr, Innenohr, Luftleitung, Knochenleitung, Hörschnecke, Vestibularapparat, myelenisierte
„In meinem Urlaubs-Band geh ich an den
Faserbündel , tonotope Karte, Hirnareale wie Broca- und Wernickezentrum) [Wolf 2012; Hellbrück
Sand und leg mich in die Wand“ – wie bitte,
und Ellermeier 2004], jede beliebige dieser Sprachen zu lernen. Praktisch speichert er aber nur
hast du einen Sonnenstich?
die Lautmuster ab, die ihm von seiner Umwelt - vor allem und bereits vorgeburtlich - von seiner
Mutter geliefert werden. Ein deutscher Muttersprachler „speichert“ nur etwa die 40 Lautmuster,
Wenn Phoneme, also „Päckchen“ von Fre-
aus denen die deutsche Sprache besteht. Für den Rest ist er „taub“. Die Speicherung anderer
quenzen mit Grund- und Obertönen, nicht
Lautmuster macht für einen deutschen Sprecher keinen Sinn, da er mit diesen keine Wörter bilden
klar decodiert und voneinander unterschieden
kann.
werden können, hat dies Folgen im gesamten
Bereich der Informationsverarbeitung, also im
Phoneme klar erkennen und einordnen zu können, ist die Grundvoraussetzung für die Aneignung
Denken, Lernen und Zuhören oder allgemein
und Verwendung der Sprache und zum Denken – eine korrekte Hörwahrnehmung bildet die Basis.
der Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Wenn das
Dekodieren der Phoneme nicht reibungslos
Papa - Pipi - Popo - sind Wörter, die fast gleich klingen. Der kleine Unterschied von -a-, -i-,
funktioniert, muss das Gehirn Mehraufwand
-o- bewirkt, dass wir die unterschiedlichen Wortbedeutungen erkennen.
leisten, um die Bedeutung einer Information
Band - Land - Sand - Wand - Stand - Strand klingen auch fast gleich. In einem Gespräch würde
zu verstehen. In Folge verkürzt sich die Auf-
es aber große Verwirrung schaffen, wenn wir die feinen Unterschiede am Wortanfang nicht
merksamkeitsspanne,
Konzentrationsschwä-
13
Die Methode Lingua Modulata
Lingua Modulata ist ein Klangtraining, das erfolgreich bei Tinnitus,
Burn-Out, ADHS und in der Logopädie eingesetzt wird. Diesen unterche, Überempfindlichkeit, Erschöpfung und Nervosität sind die Folge.
schiedlichen Krankheitsbildern ist eines gemeinsam: Der Auslöser ist
Die Symptome sind das Resultat einer Verzerrung der Hörwahrnehmung
eine gestörte Hörwahrnehmung.
und der daraus resultierenden Unordnung auf der tonotopen Karte.
Bei Lingua Modulata wird zunächst eine sehr differenzierte Analyse erstellt
– was genau wird von der Testperson wahrgenommen und was nicht?
_ Messung der Qualität der Hörwahrnehmung/Sprachverarbeitung
Die direkte Beobachtung neuronaler Prozesse bei der Wahrnehmung
und Verarbeitung von sprachlicher Information ist nur mit aufwändigen
bildgebenden Verfahren möglich. In den 1960iger Jahren wurde jedoch
eine Gesetzmäßigkeit entdeckt, die eine einfache, elegante - sozusagen
indirekte - Möglichkeit zur Beobachtung eröffnet: In der Sprechstimme
Als Muttersprachler können wir Hase und Hass und Hose und Rose
selbstverständlich als verschiedene Wörter erkennen und sinngemäß
darauf reagieren, obwohl die lautlichen Unterschiede extrem klein sind.
Zu heftigen Verwerfungen (siehe oben: Schulprobleme, Probleme am
Arbeitsplatz) kann es jedoch führen, wenn aufgrund einer fehlerhaften
Hörwahrnehmung beispielsweise Schwierigkeiten in der Differenzierung
von –s und –ss bestehen, wenn der Hase nicht vom Hass unterschied-
eines Menschen tauchen nur die Frequenzen auf, die er korrekt wahr-
lich gehört wird.
nehmen, differenzieren und verarbeiten kann. Die Frequenzverteilung in
In der Stimme eines Menschen sind nur die Frequenzen vorhanden,
der Stimme bildet exakt die Hörwahrnehmung ab [Tomatis 1957].
die er wahrnehmen kann. Die Stimme spiegelt seine Hörwahrnehmung.
Anhand einer Stimmfrequenzanalyse lässt sich die Genauigkeit bestim-
Mit einer Stimmfrequenzanalyse kann also dargestellt werden, was
men, mit der eine Person Phoneme diskriminieren kann. Dabei wird die
eine Person wahrnehmen kann – und was ihr fehlt.
Intensität der Frequenzen in der Stimme eines Sprechers gemessen und
Lingua Modulata bietet aufgrund der Stimmfrequenzanalyse dann ein
die Abweichungen von der Idealkurve seiner Muttersprache berechnet.
Je höher die Abweichung, desto höher die Gefahr, dass ein Mensch
Symptome wie beispielsweise Konzentrationsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit, depressive Tendenzen oder Burnout entwickelt. Je höher die
Klangtraining an, bei dem die erkannten defizitären Bereiche gestärkt
und die überschießenden Bereiche (Tinnitus) abgeschwächt werden.
Für das Training erhält man spezielle Kopfhörer, die vor dem Ohr auf
den Schädelknochen angebracht werden. Der Schall wird nicht über die
Abweichung, desto geringer ist die Chance auf Erfolg in Schule, Studium
Luftleitung übertragen. Dies hat den Vorteil, dass alles, was gesendet
und Beruf.
wird, auch wirklich im Gehirn ankommt. Der Weg über die willkürliche
muskuläre Steuerung der Hörwahrnehmung über die Trommelfelle wird
_ Therapie – Mit modulierter Musik die Hörwahrnehmung
trainieren und Stress-Symptome beseitigen
umgangen – nur so ist ein Retraining einer gestörten Hörwahrnehmung
Welche und wie wir Frequenzen wahrnehmen und verarbeiten, ist ein
– damals noch nicht online verfügbar und technisch etwas anders auf-
erlerntes, erworbenes Muster, das sich auch verändern kann. Musik und
gestellt – seit den 1960iger Jahren [Sacarin 2013; Flehming; Musica
Sprache werden dabei in denselben Arealen im Gehirn verarbeitet -
Medica Studien (Überblick abrufbar unter http://linguamodulata.com/
daher eignet sich frequenzreiche Musik für ein Training. Das Gehirn
Studien/Musica_Medica_Studien.pdf)].
ist plastisch und besitzt die Fähigkeit, sich in jedem Altersstadium zu
Auf Basis der Stimmfrequenzanalyse wird eine Trägermusik moduliert,
ändern. So kann ein gestörtes bzw. defizitäres Muster durch gezieltes
die einen Ausgleich zu den fehlenden und zu überrepräsentierten Fre-
Frequenztraining behandelt werden. Ziel des Trainings ist es, eine defi-
quenzbereichen schafft. Nach einem Trainingsplan wird die Trägermusik
zitäre Phonemdiskriminierung auszugleichen. Als Basis für die Therapie
via Knochenleiterkopfhörer direkt auf die Schädelknochen übertragen. Auf
dient die o.g. Stimmfrequenzanalyse, anhand derer defizitäre Muster
diese Weise wird die „störanfällige“ Luftleitung, der Weg über die Ohrmu-
sichtbar gemacht werden können.
schel, die Trommelfelle und das Mittelohr, umgangen. Dem Gehörsystem
Online ist unter http://www.linguamodulata.de/ aktuell ein Frequenztrai-
wird so die Möglichkeit genommen, bestimmte Frequenzen auszufiltern,
ning verfügbar, das individuell auf die Bedürfnisse der jeweiligen Person
einfach auf Durchzug zu stellen. Über die Knochenleitung können die Fre-
zugeschnitten wird und gezielt die defizitären Frequenzen bearbeitet,
quenz-Löcher und Frequenz-Peaks ausgeglichen werden.
die sich aus der Stimmfrequenzanalyse ergeben. Die Wirksamkeit dieser
Dieses Frequenz- bzw. Klangtraining versteht alle Stresssymptome, das
Klangtherapie ist wissenschaftlich gut dokumentiert. Es gibt sie bereits
Burnout-Syndrom, Sprach-, Lern- und Verhaltensstörungen als Verzer-
14
möglich.
4069 bis 8192 Hz
2048 bis 4095 Hz
GRAFIK
1024 bis 2047 Hz
512 bis 1023 Hz
256 bis 511 Hz
128 bis 255 Hz
Abb.2: B
eispiel 1 –
Stimmfrequenzanalyse des
Abiturienten Bernardo (2015)
(oktavierte und normalisierte
Darstellung)
64 bis 127 Hz
32 bis 63 Hz
16 bis 31 Hz
rungen, Ungenauigkeiten oder Fehler in der Wahrnehmung und neuro-
Seiten können nicht mehr fließend verarbeitet werden. Dies führt zu
nalen Verarbeitung von Sprachfrequenzen.
einem Datenverkehrsstau - es geht nichts mehr - bis hin zum völligen
Zusammenbruch der Sprachdatenverarbeitung.
_ Messung der Qualität der Hörwahrnehmung / Sprachverarbeitung
Auch die AD(H)S-Symptomatik entsteht durch mangelnde Filterfunktion
für Sprachfrequenzen. Die Betroffenen können auf kein klar strukturier-
Konzentrationsstörungen können im Gefolge einer defizitären Hörwahr-
tes neuronales Verarbeitungssystem für Sprachfrequenzen zurückgrei-
nehmung auftreten. Wenn Phoneme nicht klar dekodiert bzw. erkannt
fen, hampeln daher sowohl geistig als auch motorisch herum und haben
werden, steigt der kognitive Aufwand beim Verarbeiten von Informationen.
Probleme, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren.
4069 bis 8192 Hz
2048 bis 4095 Hz
GRAFIK
1024 bis 2047 Hz
512 bis 1023 Hz
256 bis 511 Hz
128 bis 255 Hz
Abb.3: B
eispiel 2 –
Stimmfrequenzanalyse
von Cecile (2009)
(oktavierte und normalisierte
Darstellung)
64 bis 127 Hz
32 bis 63 Hz
16 bis 31 Hz
Dieser Umstand macht sich nicht nur beim Hörverständnis bemerkbar.
Legastheniker haben Probleme, Phoneme zu diskriminieren: Um ein Wort
Auch das Erfassen schriftlicher Informationen wird erschwert. Da der
korrekt zu schreiben, müssen die Phoneme, aus denen es besteht, klar
Mensch auch beim Denken seine Sprache nutzt, ist auch klares Denken
identifiziert werden können. Erst danach ist die korrekte Zuordnung der
erschwert.
jeweils zum Phonem passenden Schriftzeichen möglich.
Menschen mit Burnout-Symptomen erleben eine schleichende Über-
Tinnitus ist eine Alarmsirene, die losgeht, weil die geregelte Frequenz-
lastung durch sprachliche Informationen, die Anforderungen von allen
verarbeitung massiv gestört wurde, z. B. durch überlaute Musik oder – in
15
den meisten Fällen – durch Stau auf der Datenautobahn, der als Stress
und Überlastung wahrgenommen wird.
In diesen beispielhaft genannten Anwendungsgebieten hilft ein Klangtraining schnell und ohne großen Aufwand. Entspannungstechniken,
Gesprächstherapien, verbessertes Zeitmanagement oder eine ausgeglichene Work-Life-Balance können hervorragende Begleiter sein, die
eine Klangtherapie unterstützen und den Erfolg verstärken. Eine Gesprächstherapie allein oder auch in Kombination mit Psychopharmaka,
die in den Neurotransmitterhaushalt eingreifen, kann das angelernte
Muster der Phonemdiskrimination nicht verändern. Das Retraining der
Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmuster von Sprache – der Hörwahrnehmung – ist der Nukleus der Therapie.
Die Stimmfrequenzanalyse kann (s.o.) mittlerweile online durchgeführt
werden, die Trainingsmusik wird ad hoc moduliert und steht dem Anwender als Download zur Verfügung. Unter Verwendung der zuvor genannten Knochenleiterkopfhörer wird das Klangtraining nach einem
vorgegebenen Zeitplan selbstständig durchgeführt und gliedert sich in
drei Blöcke. Nach jedem Trainingsblock sollte eine erneute Stimmfrequenzanalyse durchgeführt werden, auf deren Basis die Trägermusik auf
den jeweiligen Therapiestand angepasst wird.
Referenzen
Böttger, H. (2016): Neurodidaktik des frühen Sprachenlernens: Wo die Sprache zuhause
ist. Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verlag.
Chomsky, N. (1977): Reflexionen über die Sprache. Berlin: Suhrkamp.
Flehming, I. (o.J.):Grundsatz-Gutachten zur Behandlungsmethode nach Prof. Tomatis.
Abrufbar unter: http://drbeckedorf.de/wp-content/uploads/2015/03/Grundsatz-Gutachten-zur-Behandlungsmethode.pdf.
Das Klangtraining kann in der Regel gut in den Alltag integriert werden
und – je nach Art der Tätigkeit und mit Einverständnis des Arbeitgebers
– auch am Arbeitsplatz erfolgen. Dieser Umstand macht die Methode
durchaus für die Integration in ein betriebliches Gesundheitsmanagement interessant. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber profitieren
von den Therapieerfolgen - neben einer Steigerung des allgemeinen
Wohlbefindens, werden gezielt die Konzentrationsfähigkeit, die geistige
Haspelmath, M. (o.J.): Sprachen der Welt. Max-Planck-Institut für evolutinäre Anthropologie (Hrsg.). Abrufbar unter http://home.uni-leipzig.de/muellerg/su/haspelmath.pdf.
Hellbrück, J. und Ellermeier, W. (2004): Hören: Physiologie, Psychologie und Pathologie.
Göttingen: Hogrefe Verlag.
Hüther, G. (2010): Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Leistungsfähigkeit und die Klarheit in der Kommunikation trainiert.
_ GLOSSAR
Tonotope Karte: Die systematische Organisation von charakteristischen Frequenzen nennt man Tonotopie. Für die Tonhöhen herrscht
somit eine Art Arbeitsteilung: Für das Verarbeiten von Tönen einer bestimmten Frequenz sind jeweils spezialisierte Nervenzellen im Innenohr
zuständig. Die tonotope Karte ist der Ort im Gehirn, auf dem u.a. die
Phoneme gespeichert sind.
Sacarin, L. (2013): Early Effects of the Tomatis Listening Method in Children with Attention
Deficit. Abrufbar unter http://aura.antioch.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1044&context=etds.
Spitzer, M. (2002): Musik im Kopf: Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk. Stuttgart: Schattauer Verlag.
Spitzer, M. (2007): Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg:
Spektrum.
Tomatis, A. (1957): Beitrag bei der Akademie der Wissenschaften in Paris.
Tomatis, A. (1990): Der Klang des Lebens. Vorgeburtliche Kommunikation - Die Anfänge
der seelischen Entwicklung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag.
Wolf, C. (2012): Vom Wackeln zur wunderbaren Vielfalt der Klänge. Abrufbar unter https://
www.dasgehirn.info/wahrnehmen/hoeren/vom-einfachen-wackeln-zur-wunderbaren-vielfalt-der-klaenge-6355.
16
FINANZIERUNG
Komplementärmedizin und Kosten –
Können wir uns
eine integrative Medizin leisten?
von Prof. Dr. med. Bernd Brüggenjürgen, MPH
Die Relevanz von Ausgaben lässt sich in Deutschland mitunter besser an der höchstrichterlichen, steuerlichen Rechtsprechung ablesen als auf Basis verfügbarer Zahlen: So urteilte
1990 das oberste deutsche Finanzgericht, dass z. B. eine ärztliche Behandlung mit Akupunktur
oder die Medikamente und Behandlungen, die von einem Heilpraktiker verordnet werden, als
Krankheitskosten steuerlich abzugsfähig seien – Verfahren wie Geistheilung selbstverständlich
ausgenommen [vgl. BFH, Urteil vom 6.4.1990, BStBl 1990, Teil II Seite 432].
Der schwer zu beziffernde Umfang der Ausgaben für Komplementär- und Alternativmedizin
(CAM) kann aber auch angesichts der in diesem Bereich tätigen Leistungserbringer als beträchtlich bezeichnet werden, da laut Statistischem Bundesamt z. B. mehr als 26.000 Heilprak-
Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen
Seit Dezember 2008 leitet Prof. Dr. Bernd
Brüggenjürgen den SDK-Stiftungslehrstuhl
für Gesundheitsökonomie an der SteinbeisHochschule Berlin.
tiker aktiv sind und davon 14.000 in Vollzeit arbeiten. Auf der Basis von Abrechnungsdaten
belaufen sich die jährlichen Kosten für CAM-Verfahren allein für Privatversicherte auf 0,3 Mrd. u
[Niehaus 2015]. Die von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) getragenen Kosten sind
hingegen nicht zu beziffern, da Satzungsleistungen nicht berichtet werden. Die Apothekenumsätze für pflanzliche oder homöopathische Präparate können jedoch genauer analysiert werden
und erreichten in 2013 eine Höhe von 1,8 Mrd. u in Deutschland, von denen die GKV allerdings
nur 79 Mio. u und die PKV 40 Mio. u erstattete.
In der Schweiz hatten ca. 11 % der Bevölkerung schon einmal entweder Verfahren der Anthroposophischen Medizin, Homöopathie, Neuraltherapie, Phytotherapie oder Traditionellen Chinesischen Medizin benutzt [Kooreman und Baars 2012]. So führte ein Referendum 2009 dazu,
dass in der Schweiz die genannten Verfahren der Komplementär- und Alternativmedizin über 6
Jahre von der Krankenversicherung erstattet werden müssen. In den USA gehen aktuelle Schätzungen von ca. 30 Mrd. u Gesamtausgaben für die CAM-Verfahren aus [Herman et al. 2012].
Aus gesundheitsökonomischer Sicht ist neben der Wirksamkeit, bzw. der Wirkung im Alltag,
insbesondere die Gegenüberstellung von Nutzen und Kosten relevant. Somit können Entscheidungen der Kostenträger sowohl aus Patienten- als auch aus Kostensicht rationaler gefällt
werden. Streng methodisch wird bei der Ermittlung der Wirksamkeit häufig die Verblindung
von Verfahren gefordert - also das Nichtwissen der Patienten, ob er die Studien-Intervention
erhält oder nicht. Allerdings ist dies bei Verfahren der CAM häufig problematisch: So ist z. B. die
Durchführung der Akupunktur nicht zu verblinden. Daher umgeht man dieses Problem entweder
mit Akupunkturpunkten, die nicht gemäß der Lehrmeinung gesetzt werden, oder man vergleicht
Gruppen, die verzögert behandelt werden. Mit letzterer Methodik konnte z. B. in einer großen
17
deutschen Studie an Patienten, die schon längere Zeit unter Arthrose-Beschwerden der Hüfte
und des Knies litten, gezeigt werden, dass Akupunktur zusätzlich zur orthopädischen Standardbehandlung eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität mit sich brachte. Allerdings
konnten die Mehrkosten durch die Akupunkturbehandlung (ohne patientenseitige Kosten) in
dieser Patientengruppe nicht durch Einsparungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden
[Reinhold et al. 2008]. Die Autoren bezeichneten das Verfahren dennoch als kosteneffektiv, weil
die standardisierten Mehrkosten für ein zusätzliches Jahr mit optimaler Lebensqualität (QALY)
nur 17.845 u betrugen – in England werden Therapien bis zu 20.000 brit. Pfund (ca. 25.000 u)
pro QALY für das NHS (National Health Service) zur Erstattung empfohlen.
Im Rahmen einer Studie zur Homöopathie untersuchte eine berliner Arbeitsgruppe, welche Kostenauswirkungen eine deutsche Krankenversicherung durch den Einsatz der Homöopathie hat
[Ostermann et al. 2015]. Hier wurden auf Basis von Routinedaten einer großen Krankenversicherung und der Teilnahme an einem Pilotprojekt zur Homöopathie-Behandlung Versicherte
mit und ohne ergänzende Homöopathie statistisch adjustiert verglichen. Die Autoren kamen zu
dem Ergebnis, dass die Gesamtausgaben der Krankenversicherung in der Homöopathie-Gruppe
sogar signifikant höher waren als in der Kontrollgruppe und konnten die Ergebnisse anderer
Krankenpflegeversicherung. Vielmehr dürfte
Studien nicht bestätigen. Daher erfolgte keine Verlängerung des Pilotprojektes [Frankfurter All-
nicht nur die Dauer des Gesprächs sondern
gemeine Zeitung 2016].
auch die geringeren Nebenwirkungen der
Mittlerweile ist ein großer Umfang an Kostenstudien in der Komplementär- und Alternativmedi-
CAM zu einer höheren Patientenzufriedenheit
zin durchgeführt worden. Von 2001 bis 2010 wurden insgesamt 204 gesundheitsökonomische
beigetragen haben [Studer und Busato 2010].
Studien aus dem Bereich der Komplementär- und Alternativmedizin publiziert [Herman et al.
Interessant war hierbei, dass auch die Schwei-
2012]. Allerdings sind viele dieser ökonomischen Studien - wie auch häufig in der klassischen
zer Patienten mit chronischen und schwer-
Schulmedizin – nicht von ausreichender Qualität. Von den 31 Studien höherer Qualität zeigt zu-
wiegenderen Erkrankungen häufiger die Be-
mindest der überwiegende Teil ein angemessenes Verhältnis von Nutzen und Kosten, 30 % der
treuung durch die CAM-zertifizierten Ärzte
Studien konnten sogar Einsparungen infolge der Anwendung von CAM-Verfahren nachweisen.
suchten. Eine weitere Studie im Rahmen des
Dies kann allerdings nicht verallgemeinert werden, da sich die Ergebnisse nur auf die unter-
umfangreichen Evaluationsprogramms von
suchten Verfahren beziehen und für ausgewählte Patientengruppen gelten. Kosteneinsparungen
CAM-Verfahren in der Schweiz beschied die-
konnten z. B. für die Behandlung von Schmerzpatienten durch Akupunktur oder die Manuelle
sen Ärzten auch eine höhere Attraktivität für
Therapie, die Behandlung des Grauen Stars mit Antioxidantien oder die regelmäßige Durchfüh-
Patienten als den nicht geschulten Kollegen.
rung von Tai Chi in der Vermeidung von Hüftfrakturen in Pflegeheimen nachgewiesen werden
Patienten suchten hier selbstbestimmt nach
[Herman et al. 2012].
einer spezifischen Methode oder wünschten
eine ganzheitlichere Behandlung. Allerdings
Allerdings scheint auch ein grundsätzlicher Kosteneffekt durch die vermutlich ganzheitlich ori-
wird auch auf die Problematik hingewiesen,
entiertere Medizin zu bestehen: So zeigte sich in einer niederländischen Untersuchung, dass
Therapieformen allein nach Patientenwunsch
die durchschnittlichen jährlichen Gesamtkosten der Patienten in einer Praxis von Allgemeinme-
auszuwählen [Wapf und Busato 2007].
dizinern, die eine CAM-Zusatzausbildung hatten, mit 140 u signifikant niedriger lagen als die
der Kollegen ohne diese Zertifizierung. Werden alle Unterschiede, z. B. der höhere Frauenanteil,
In Deutschland wird die Diskussion um die
die bessere sozioökonomische Situation aber auch die häufigeren chronischen und schweren
Wirksamkeit zunehmend schärfer geführt. Aus
Erkrankungen statistisch mit beachtet, lag der Unterschied sogar bei 66 u pro Quartal.
Sicht angesehener deutscher Wissenschaftler
Auch aus Patientensicht scheint sich die Komplementär bzw. Integrative Medizin auszuzahlen:
resultiert die hohe Attraktivität allein aus ei-
So zeigte eine schweizerische Studie bei Ärzten, die eine zertifizierte CAM-Ausbildung absol-
ner Kombination positiver Erwartungen und
vierten, auch eine – von Patienten häufig geforderte – Verlängerung der Gesprächsdauer. Diese
Erfahrungen, ist aber nahezu nicht belegt oder
längere Konsultationszeit führte aber nicht zu höheren Kosten zu Lasten der obligatorischen
überhaupt nicht belegbar [Anlauf et al. 2015].
18
Die Institutionen des Gesundheitswesens
müssen zu Recht eine sichere Versorgung garantieren. Der Vorsitzende des Gemeinsamen
Referenzen
Anlauf, M.; Hein, L.; Hense, H.W. u.a. (2015): Complementary and alternative drug therapy versus science-oriented
medicine. In: GMS German Medical Science. 13, Doc05.
Bundesausschusses hat daher nach Todesfällen unter dem Präparat „3-Bromopyruvat“
angekündigt, bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Selbstzahlern ggf. Verfahren der
Komplementär- und Alternativmedizin sogar
zu verbieten, solange die Wirksamkeit nicht
mit Studien belegt worden sei [Frankfurter
Allgemeine Zeitung 2016].
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass
zwar den Verfahren der Komplementär- und
Alternativmedizin nur eingeschränkt eine evi-
Anonymus (2016) in Frankfurter Allgemeine Zeitung - Online Ausgabe FAZIT Stiftung, Frankfurt..
Herman, P.M.; Poindexter B.L.; Witt C.M.; Eisenberg D.M. (2012): Are complementary therapies and integrative care
cost-effective? A systematic review of economic evaluations. In: BMJ Open. 2 (5), S. e001046.
Kooreman, P. und Baars, E.W. (2012): Patients whose GP knows complementary medicine tend to have lower costs and
live longer. The European Journal of Health Economics. 13 (6), S. 769-776.
Niehaus, F. (2015): Der überproportionale Finanzierungsbeitrag privat versicherter Patienten im Jahr 2013. Diskussionspapier. Wissenschaftliches Institut der PKV.
Ostermann, J.K.; Reinhold, T.; Witt, C.M. (2015): Can Additional Homeopathic Treatment Save Costs? A Retrospective
Cost-Analysis Based on 44500 Insured Persons. In: PLOS ONE. 10 (7), S. e0134657.
denzbasierte Wirksamkeit zugeschrieben werden kann. Allerdings kann der ökonomische
Effekt durchaus positiv ausfallen, sei es aus
der Perspektive potentieller Einsparungen
bei bestimmten CAM-Verfahren oder in einer
anscheinend
grundsätzlich
kostenvermei-
denderen Vorgehensweise von Ärzten mit ei-
Reinhold, T.; Witt, C.M.; Jena, S. u.a. (2008): Quality of life and cost-effectiveness of acupuncture treatment in patients
with osteoarthritis pain. In: The European Journal of Health Economics. 9 (3), S. 209-219.
Studer, H.P. und Busato, A. (2010): Ist ärztliche Komplementärmedizin wirtschaftlich? Die wichtigsten Ergebnisse des
Programms Evaluation Komplementärmedizin (PEK). In: Schweizerische Ärztezeitung 91 (5).
Wapf, V. und Busato, A. (2007): Patients‘ motives for choosing a physician: comparison between conventional and complementary medicine in Swiss primary care. In: BMC Complementary and Alternative Medicine. 7 (1).
ner Zusatzqualifikation in Komplementär- und
Alternativmedizin. Können wir uns also eine
integrative Medizin leisten? Hier eröffnen sich
unter Beachtung angemessener Evidenz möglicherweise mit der integrativen Medizin auch
aus Kostensicht neue Chancen für eine gute,
patientenorientierte Versorgung.
19
Vielseitiges Engagement in wichtigen
Bereichen der Gesellschaft –
Die SDK-Stiftung
Die SDK-Stiftung wurde 2007 gegründet.
ökonom verfügt er über langjährige Erfahrung
Der Stifterverband für die Deutsche Wissen-
als Berater im Gesundheitswesen.
schaft verwaltet die SDK-Stiftung treuhände-
Beim Symposium der SDK-Stiftung 2017
diskutierten Experten vor 130 Gästen das Thema
„Vermessung der Gesundheit –
Fluch und Segen der Digitalisierung“.
risch. Die SDK-Stiftung fördert das Gesund-
Brüggenjürgen ist im Vorstand des Deutschen
heitswesen, Wissenschaft und Forschung,
Verbandes für Gesundheitswissenschaften und
Umweltschutz, Kunst und Kultur, Bildung
Public Health und im erweiterten Vorstand der
und Erziehung sowie mildtätige Zwecke.
Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie.
Aktuell unterstützt sie die Hilfsorganisation
Einmal jährlich veranstaltet die SDK-Stiftung
„Ärzte der Welt“ und die Benefiz-Radveran-
in Zusammenarbeit mit dem SDK-Institut für
staltung „Tour Ginkgo“ der Christiane Eichen-
Gesundheitsökonomie das SDK-Symposium.
hofer-Stiftung.
Bei der Tagesveranstaltung kommen Experten
aus dem Gesundheitswesen zu Wort und be-
Der SDK-Stiftungslehrstuhl für Gesundheitsö-
leuchten aktuelle Themen aus Gesundheitsökono-
konomie wurde zum 1. Dezember 2008 an der
mie und Gesundheitspolitik.
Steinbeis-Hochschule Berlin eingerichtet. Die
Steinbeis-Hochschule ist eine der größten deutschen Hochschulen für postgraduale Masterstudiengänge. Lehrstuhlinhaber ist Prof. Dr. Bernd
ISSN 2197-8980
Brüggenjürgen. Als Mediziner und Gesundheits-
BLICK PUNKTE
nr. 2 | 2014
Blick punkte
Mensch
Gesellschaft
sicherheit
Vom Ausbrennen
bedroht.
Psychische Erkrankungen in Unternehmen und wie
Arbeitgeber helfen können.
02| 2014
Vom Ausbrennen
bedroht!
NR. 3 | 2014
GESELLSCHAFT
NR. 5 | 2015
BLICK PUNKTE
SICHERHEIT
MENSCH
03| 2014
Pflegefall Zukunft – sind
wir reif für die Pflege?
GESELLSCHAFT
SICHERHEIT
Gesunde Qualität –
„ Pflegefall Zukunft – sind
wir reif für die Pflege?“
www.stiftung.sdk.de
0.153/03.2017
auf einen Blick!
BLICK PUNKTE
MENSCH
www.stiftung.sdk.de
Gesundheitsversorgung auf dem Prüfstand
04| 2014
Individualisierte Medizin –
Chancen und Grenzen
zukünftiger Patientenbehandlung.
05| 2015
Gesunde Qualität–
Gesundheitsversorgung
auf dem Prüfstand
NR. 6 | 2015
BLICK PUNKTE
MENSCH
GESELLSCHAFT
SICHERHEIT
Wissen
über Gesundheit
06| 2015
Wissen über Gesundheit
NR. 7 | 2016
BLICK PUNKTE
MENSCH
GESELLSCHAFT
SICHERHEIT
Wo Versorgung
an Grenzen stösst
Patientenwünsche | Medizinischer Bedarf | Versorgungsbrüche
07| 2016
Wo Versorgung
an Grenzen stösst
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