BRESLAU / W ROC ŁAW INHALTSVER ZEICHNIS 6 8 30 BRESL AU / W ROC Ł AW Stadtplan Stadtgeschichtliche Anmerkungen Welterbe Jahrhunderthalle Das Zentrum Heinrich Rump: Städtische Sparkasse Adolf Rading: Mohrenapotheke Richard Plüddemann: Markthalle Hans Poelzig: Büro- und Geschäftshaus Erich Mendelsohn: Kaufhaus Petersdorff Hermann Dernburg: Bau für Wertheim Lothar Neumann: Postscheckamt Rudolf Fernholz: Polizeipräsidium Siedlungs- und Wohnungsbau Hermann Wahlich, Paul Heim: Siedlung Zimpel Werkbundsiedlung „Wohnung und Werkraum“ WUWA Hans Scharoun: Ledigenheim 32 34 36 40 40 42 GÖRLITZ Stadtplan Stadtgeschichtliche Anmerkungen Carl Schmanns: Kaufhaus zum Strauss Görlitz und der „Stil um 1910“ Bernhard Sehring: Stadthalle Krematorium 44 46 47 48 49 NIESKY Stadtplan Niesky und der Holzbau Konrad Wachsmann Die Holzbauten in der Stadt Kurt Langer: St.-Josef-Kirche 50 52 54 60 LÖBAU Stadtplan Stadtgeschichtliche Anmerkungen Hans Scharoun: Haus Schminke Die „Anker“-Teigwarenfabrik 10 12 14 18 19 19 20 21 24 25 25 26 28 29 30 4 Vorwort Einleitung 62 64 66 67 68 69 72 73 74 74 74 74 76 76 78 80 80 80 80 80 82 83 84 86 88 89 89 90 90 91 94 94 94 94 94 94 96 96 96 98 DRESDEN Stadtplan Stadtgeschichtliche Anmerkungen Das Lebensmodell „Gartenstadt Hellerau“ Gartenstadt Hellerau Fabrik Festspielhaus Pensionshäuser Holzhäuser Um 1910 Martin Dülfer: Beyerbau Martin Dülfer: Chemische Institute Fritz Schumacher: Krematorium des Johannisfriedhofes Martin Hammitzsch: Tabakfabrik Yenidze Hans Erlwein: „Erlwein-Speicher“ Hans Erlwein: Großer Gasometer Die 20er Jahre Paul Wolf: Sachsenbad Paul Wolf: Straßenbahndepot, Waltherstraße Paul Wolf: Julius-Ambrosius-Hülße-Gymnasium Paul Wolf: Heizkraftwerk am Wettiner Platz Hans Richter, Hans Waloschek u. a.: Siedlung Trachau Wilhelm Kreis: Hygienemuseum CHEMNIT Z Stadtplan Stadtgeschichtliche Anmerkungen Erich Mendelsohn: Kaufhaus Schocken Bauten für Gewerbe, Industrie und Verkauf Erich Basarke: Deutsche Bank Spinnereimaschinenbau Chemnitz Hans Poelzig: Textilfabrik Goeritz Erich Basarke: Maschinenfabrik Schubert & Salzer Öffentliche Bauten Friedrich Wagner-Poltrock: Industrieschule Emil Eberts: Georgius-Agricola-Gymnasium Martin Alfred Otto: Hauptverwaltung der städtischen Wasserwerke Friedrich Wagner-Poltrock: Diesterwegschule Martin Alfred Otto, Fritz Weber: Stadtbad Wohnen in Chemnitz Henry van de Velde: Villa Esche Münnich + Schäller: Gablenzsiedlung Curt am Ende: Wissmannhof 100 102 104 106 106 106 108 108 110 110 110 112 112 112 113 114 114 116 118 120 120 120 122 122 122 122 127 127 127 128 128 129 129 129 130 132 LEIPZIG Stadtplan Stadtgeschichtliche Anmerkungen Lossow und Kühne: Hauptbahnhof Messe- und Kaufhäuser Friedrich von Seltendorff, Emil Friedrich Rayher, Maximilian J. R. Korber, Möller: Städtisches Kaufhaus Theodor Kösser: Mädlerpassage August Hermann Schmidt, Arthur Johlige: Kaufhaus Topas Otto Droge: Untergrundmessehalle Um 1910 Bruno Schmitz, Clemens Thiele: Völkerschlachtdenkmal Großstadt der 20er Jahre Hubert Ritter, Carl Wilhelm Zweck, Hans Voigt: Neues Grassimuseum Hubert Ritter, Franz Dischinger, Hubert Rüsch: Großmarkthallen Wilhelm Kreis: „Volkspalast“ Hubert Ritter: Rundling German Bestelmeyer: Bankhaus Kroch Otto Paul Burghardt: Europahaus DESSAU Stadtplan Stadtgeschichtliche Anmerkungen Das Bauhaus und Dessau Die 20er Jahre – Bauhaus & Co. Walter Gropius: Bauhaus Walter Gropius: Meisterhäuser Walter Gropius: Versuchssiedlung Dessau-Törten 150 Walter Gropius: Konsumgebäude 150 Hannes Meyer: Laubenganghäuser 151 Carl Fieger: Kornhaus 134 136 138 141 141 146 148 152 152 153 153 154 ANHANG Stilgeschichtliche Anmerkungen Wilhelminismus Jugendstil Um 1910 Neue Sachlichkeit und neues bauen 155 156 158 160 Ausgewählte Literatur Architektenregister Bildverzeichnis Impressum HALLE Stadtplan Stadtgeschichtliche Anmerkungen Um 1910 Wilhelm Jost: Stadtbad Wilhelm Jost, Georg Lindner: Krematorium Marktplatz und Zentrum Wilhelm Jost u. a.: Ratshof Bruno Föhre: Kaufhaus Bruno Föhre: Kaufhaus am Waisenhausring Reinhold Knoch, Friedrich Kallmeyer: Haus für eine Weinhandlung Heinrich Schlumpp: Textilhaus Otto Steinkopff: Geschäfts- und Wohnhaus Die Bauten der 20er Jahre Alfred Gellhorn, Martin Knauthe: Haus Sernau Wilhelm Ulrich: Katholische Kirche zur Heiligsten Dreieinigkeit Wilhelm Jost, Wilhelm Freise: Luthersiedlung Wilhelm Jost, Oskar Muy: Wasserturm Wilhelm Jost, Walter Engels: Pestalozzischule Wolfgang Bornemann, Wilhelm Jost: Diesterwegschule 5 BRESLAU / W ROC ŁAW Einleitung Dieses ist ein Reiseführer zur Architektur. Er zeigt entlang einer Route von Breslau bis Dessau Bauten aus der Zeit zwischen 1900 und 1930 – der Zeit, die als die „Geburt der architektonischen Moderne“ bezeichnet werden kann. Der Autor eines Reiseführers hat immer mit einem Problem zu kämpfen, nämlich dem, dass der Weg von einer Stadt zur anderen und von einem Gebäude zum nächsten innerhalb einer Stadt nicht dem baugeschichtlichen Ablauf folgen kann – der Bau einer Stadt folgt nicht der allgemeinen Baugeschichte, sondern dem bestimmten Ort. Und es wäre unsinnig, die Besucher im Zickzack durch die Region oder die jeweilige Stadt zu führen, nur um der zeitlichen oder stilgeschichtlichen Logik gerecht zu werden. Andererseits folgt dieses Buch dann doch nicht ganz exakt den Wegen durch eine Stadt – da geht der Bauhistoriker mit dem Verfasser durch. Zudem lesen wohl nur wenige einen Reiseführer in der vorgegebenen Folge. Vermutlich wählt man doch eher einzelne Orte aus, um dann gezielt die Informationen abzurufen. Daher wird versucht, die einzelnen Städte in ihren architektonischen Schwerpunkten zu würdigen. Dabei sind die Bauten je zu Gruppen zusammengefasst; eine Karte gibt dazu den Überblick. Am Beginn eines jeden Kapitels finden sich die wichtigsten Daten zur Stadtgeschichte und ein Blick auf diese von heute aus. Dann wird das „Highlight“, die architektonische Besonderheit, vorgestellt, der Höhepunkt, weswegen sich der Besucher in der Stadt befindet – sofern er nicht ganz andere Gründe hat. Anschließend werden dann die Bauten beschrieben. Dabei kam es uns nicht auf enzyklopädische Vollständigkeit an; deshalb werden tabellarisch auch weitere, nicht näher beschriebene Gebäude aufgeführt. Die nach Einschätzung des Verfassers aber bemerkenswertesten Bauten, mit durchaus subjektiver Perspektive, werden genauer gezeigt. Leser, denen das entsprechende Fachwissen fehlt, finden am Ende des Buches eine kleine stilgeschichtliche Hilfestellung, indem in knapper Form die wichtigsten Entwicklungen und Begriffe in ihrem baugeschichtlichen Zusammenhang beschrieben werden, um die Einordnung der jeweiligen Bauten zu erleichtern. Ich danke Philipp Sperrle vom JOVIS Verlag für das Lektorat und Andreas Bednarek für seine Hilfe bei der Überprüfung der polnischen Namen im Text. Gert Kähler Hamburg, 2009 8 9 BAUTEN VON MAX BERG IN BRESLAU Säuglingsheim, ul. Hoene Wrońskiego Jahrhunderthalle, ul. Zygmunta Wroblewskiego Städtische Badeanstalt, ul. Marii Skłodowskiej-Curie/ul. Nehringa Friedhofskapelle (mit Albert Kempter), ul. Osobowicka Wasserkraftwerk Süd (mit Ludwig Moshamer), ul. Nowy Swiat 46 Wasserkraftwerk Nord (mit P. Schneider), ul. Księsca Witolda 3a/ul. Pomorska Welterbe Jahrhunderthalle BRESLAU / W ROC ŁAW rechts: Stanisław Hempel, „Nadel“, 1948 unten: Max Berg, Jahrhunderthalle, 1913, Innenraum XX 1910 1913 1914 1920 – 1921 1922 – 1924 1924 – 1925 Max Berg, Jahrhunderthalle, 1913, innere Kuppel und Schnitt Betonbögen, die als dunkle Sockelzone die Halle dominieren, darüber der eigentliche Kuppelraum, der in 32 Rippen aufgelöst und mit vier gestaffelten Fensterbändern ringsum hell belichtet ist und Kuppel wie Gesamtraum dominiert. Heute sind die Fenster meist zugehängt, weil die Halle als Veranstaltungsraum dient. Das hat schon, trotz des rohen Materials, sakrale Wirkung; immerhin ist die überspannte Fläche dreimal so groß wie die der Kuppel des Petersdomes, und die Konstruktion erinnert an die der Hagia Sophia in Istanbul. Diese Wirkung wird nicht durch Schmuckelemente hervorgerufen, sondern im Gegenteil durch die elementare Einfachheit der Formen – da trifft sich die Jahrhunderthalle beinahe mit dem Völkerschlachtdenkmal und einem stilistischen Ansatz um 1910, in dem ein „deutscher“ Stil in monumentaler Reduktion und in „Wahrhaftigkeit“ des Materials gesucht wurde, von Hans Poelzig oder Hermann Muthesius bis Peter Behrens und Fritz Schumacher. Keine Frage: Der unglaublich kühnen Konstruktion stand kein entsprechend kühner Gesamtentwurf des Messegeländes gegenüber, und das liegt nicht daran, dass es im Wesentlichen von dem anderen bedeutenden Architekten in Breslau entworfen wurde, nämlich von Hans Poelzig (1869 – 1936). Es wäre unsinnig, einen Gegensatz zwischen einem „modernen“ Max Berg und einem „konservativen“ Hans Poelzig konstruieren zu wollen. Man wird bei beiden ähnliche Anschauungen vermuten können, denn noch 1924 hat Berg eine forumsähnliche Eingangssituation für die Jahrhunderthalle mit – wenn auch ebenfalls betonierten – Säulenreihen gebaut; Hans Poelzig aber schuf die ebenso römisch-kaiserlich anmutende halbrunde Wasserfläche mit der heute schön bewachsenen, betonierten Pergola und außerdem den Vierkuppel-Pavillon, der einer eigenen Ausstellung aus dem seinerzeit gegebenen Anlass diente. Max Berg (1870 – 1947), der Architekt der Halle, hat das durchaus so gesehen; er schrieb über seine Materialwahl, er habe den Stahlbeton nicht nur gewählt, weil er billiger gewesen sei, sondern weil er „auch eine architektonisch und konstruktiv bedeutungsvollere Gestaltung zulässt. Auf diese Weise wurde es ermöglicht, die bisher bedeutendste stützenlose Überspannung eines Raumes in rein massiver Konstruktion“ zu errichten. Aber spannend fanden es die Beteiligten schon, ob auch alles so hielte wie berechnet und entworfen; der Anekdote nach hat Berg den In dieses Ensemble fügt sich die sogenannte „Nadel“ Abbau des die Kuppel stützenden Gerüstes mit gela- („Iglica“) von 1948 ein, obwohl ihr vordergründiger dener Pistole in der Tasche verfolgt – wenn sie zu- Zweck kurz nach der Übernahme der Stadt durch die sammengekracht wäre, hätte er sich erschossen. Das Polen gewiss ein anderer war: Sie sollte – drei Jahre waren noch Architekten! nach Ende des Krieges, in einer zu großen Teilen immer noch zerstörten Stadt – die Leistungsfähigkeit der polnischen Technik im Rahmen einer Ausstellung der „wiedergewonnenen Gebiete“ beweisen – und dafür gab es in der Tat keinen besseren Ort als den gegenüber der genialen Jahrhunderthalle! 16 17 GÖRL I TZ Carl Schmanns: Kaufhaus zum Strauss Weder Jugendstil noch der Stil um 1910 oder gar die klassische Moderne der 20er Jahre prägen die Stadt Görlitz, und doch gibt es eine Reihe hochrangiger Bauten gerade aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg – der schönste ist zweifellos das „KAUFHAUS ZUM STRAUSS“ von Carl Schmanns (heute Hertie) mitten in der Stadt, am Marienplatz. Carl Schmanns (über den als Architekt wenig bekannt ist) übernahm in Görlitz die großstädtischen Elemente; die Werksteinfassade seines Kaufhauses besitzt eine großzügige Pfeilerfront, die auf einer Seite in zweigeschossigen Arkaden endet. Über den Haupteingang, vom heutigen Marienplatz aus, betritt man das Gebäude und blickt auf den innen liegenden, verglasten und ausgemalten Lichthof mit der Treppe in die einzelnen Geschosse – eine höchst eindrucksvolle Anlage, die dem Besucher noch heute einen Eindruck davon vermittelt, wie das Kaufhaus zum urbanen Element der Stadt wurde. Das Kaufhaus war ein erst wenige Jahre zuvor entwickelter Bautyp, der aus Paris zunächst nach Berlin gekommen war, wo ihn Unternehmer wie Wertheim und Tietz realisiert hatten. Die wichtigsten deutschen Vorgängerbauten des sehr viel kleineren Görlitzer Baus waren Joseph Maria Olbrichs Kaufhaus Tietz Der Eindruck ist dem hervorragenden Erhaltungsin Düsseldorf (1906 – 1908) und Alfred Messels be- zustand des Hauses zu verdanken. Nachdem das rühmtes Kaufhaus Wertheim in Berlin (1896 – 1904), Kaufhaus 1991 von der Karstadt AG zurückerworben über das ein Zeitgenosse schrieb: „Wer das Haus worden war, die es schon in den Jahren 1929 bis Wertheim zum ersten Male betritt, empfängt den Ein- 1946 betrieben hatte, wurde der Bau sorgfältig resdruck eines erdrückenden Gewirres. Menschen fast tauriert und behutsam und denkmalgerecht heutigen zu jeder Tageszeit in ununterbrochenen Strömen; un- Ansprüchen des Verkaufs angepasst. Hier hat ein absehbare, immer neue Reihen von Verkaufsständen; Unternehmen ein denkmalpflegerisches Verständnis ein Meer von Warenmassen, ausgebreitet; Treppen, demonstriert, das man gern öfter sähe. Das Ergebnis Aufzüge, Etagen, sichtbar wie die Rippen eines Ske- beweist, dass eine Anpassung an heutige Vorstellunletts; Säle, Höfe, Hallen; Gänge, Winkel, Kontore; gen vom Verkaufen möglich ist, weil die Qualität und Enge und Weite, Tiefe und Höhe; Farben, Glanz, der Charme des alten Gebäudes zum VerkaufsarguLicht und Lärm: ein ungeheuerliches Durcheinander, ment werden – man geht gern dorthin, gerade weil scheinbar ohne Plan und Ordnung.“1 der Bau nicht nur die nackte Funktion vermittelt, sondern echte historische Patina bietet, Atmosphäre und Beide Bauten besaßen Gemeinsamkeiten mit dem Charakter, mithin das, was anderswo als „EinkaufsGörlitzer „Kaufhaus zum Strauss“, dessen Architekt erlebnis“ künstlich hergestellt werden muss. aus Potsdam kam und sicher mit dem Kaufhaus Wertheim vertraut war: die großformatig gegliederten, stark vertikal geprägten Fassaden in Naturstein und ein repräsentativer Eingang, der auf einen Lichthof zuführt, durch den sich das Kaufhaus als Ganzes erschließt. Der Besucher konnte von hier aus die Geschossigkeit überblicken und die symmetrisch angelegten Treppenanlagen sehen. Seiten 37 – 39: Carl Schmanns, Kaufhaus zum Strauss, 1912 – 1913 36 1 Göhre, Paul: Das Warenhaus (1907). zitiert nach: Strohmeyer, Klaus: Warenhäuser. Berlin 1980, S. 86 37 Die Holzbauten in der Stadt NIESKY Die Holzbauten in der Stadt Wachsmann wurde nur deshalb für die Moderne entdeckt, weil er nach seiner Emigration in die USA 1941 mit Walter Gropius zusammenarbeitete, der als Vertreter der Moderne nach Amerika geholt worden war. Erst dort konnte Wachsmann seine Forschungen über vorgefertigte, weit gespannte Bausysteme und Hallen fortsetzen – in Stahl. In Niesky hat er nur ein einziges Haus bauen können, 1927 für einen Direktor der Fabrik. Der Markt in den USA war gegenüber den Erkenntnissen einer rationellen, preisgünstigen Produktion und der Entwicklung neuer Verfahren aufgeschlossener, was sicher mit der amerikanischen Bautradition des balloon frame zu tun hat, einer Bauweise, die von ungelernten Arbeitern bewältigt werden konnte. Dort waren das Holzhaus und der häufige Umzug immer noch weit verbreitet; die europäische Tradition des Einmal-fürs-Leben-Bauens kennt man in den USA nicht. Deswegen konnte Wachsmann mit eigener Produktion, Entwicklung und Lehre sehr erfolgreich arbeiten, die sich keineswegs nur auf Holz und Wohnhaus beschränkten. Doch immer stand die rationelle, serielle Produktion im Vordergrund, nicht die Form an sich. In Niesky gibt es heute noch rund 85 Holzhäuser aus der Fabrik, ein Konrad-Wachsmann-Museum ist im Aufbau. Es lohnt sich, die Straßenzüge abzulaufen, in denen sich ganze Siedlungen erhalten haben (ein Faltblatt mit Informationen und Lageplan der Bauten ist in der Touristeninformation am zentralen Zinzendorfplatz erhältlich): Man sieht, wie gut diese Bauten altern können; sie sind technisch wie formal zeitlos und bestens gepflegt. Als Architekt allerdings wird man vielleicht enttäuscht sein, weil sich der Aufbruch in die Moderne so gar nicht im Äußeren der Bauten spiegelt – die Bauten sind, sozusagen, ideologiefrei. Klar, dass sie auch nach 1933 ohne Bruch produziert werden konnten. Andererseits: Der Bau „moderner“, weißer Häuser mit Flachdach stellt an sich keine moralische Kategorie dar. Im Denken und in der Radikalität des Ansatzes war Konrad Wachsmann im Hinblick auf die Leitbauaufgabe der 20er Jahre, möglichst viele Familien zu bezahlbaren Preisen in brauchbaren Wohnungen unterzubringen, moderner als die meisten Künstler-Architekten, deren Entwürfe heute zum Kanon der Moderne zählen. Ein Gebäude, das auffällig aus dem Rahmen der Wohnhäuser hervorsticht, ist die bereits erwähnte katholische ST.-JOSEF-KIRCHE (Sonnenweg 18). Sie wurde 1935 von Christoph & Unmack mit dem Breslauer Architekten und Spezialisten für Sakralbauten Kurt Langer gebaut. Sie zeigt die gleiche Grundhaltung wie die Wohnbauten: Nicht formale Moderne war das Ziel (das wäre 1935 auch kaum noch möglich gewesen), sondern eine Neuinterpretation historischer Formen unter Berücksichtigung der konstruktiven Erfordernisse des Holzbaus. So wirkt die Kirche wie eine reduzierte, vorsichtig uminterpretierte gotische Kirche. Der Innenraum offenbart die Ständerkonstruktion, wenngleich die eigentlich tragenden Elemente verkleidet sind – auch das eine Interpretation gotischer Baukunst, auf das Element Holz übertragen. Der verputzte, an den Chor angefügte Technikraum war ursprünglich ebenfalls in Holz gebaut. oben: Kurt Langer, St.-Josef-Kirche, Sonnenweg 18, 1935 Touristeninformation und Museum Niesky mit Ausstellung zur Brüdergemeine, zum Holzbau und zu Konrad Wachsmann Zinzendorfplatz 8, 02906 Niesky 48 Tel.: 03588/25600 Fax: 03588/255815 E-mail: [email protected] 49 Hans Scharoun: Haus Schminke LÖBAU Hans Scharoun, Haus Schminke, 1930 – 1933 Seite 54: Zustand vor der Sanierung Seiten 55 – 57: Nach der Sanierung durch die Wüstenrot Stiftung 1999 – 2000 Hans Scharoun: Haus Schminke Das Haus Schminke in Löbau bietet so etwas wie das perfekte Gegenstück zu Niesky: Bei dieser Villa für einen wohlhabenden Bauherrn geht es um die Ästhetik der klassischen Moderne und das sorgsam detaillierte Einzelstück, nicht um Produktionsabläufe und preiswerte Massenprodukte (was keine qualitative Unterscheidung sein soll, sondern eine beschreibende). der Stadt müssen den Bauherrn für verrückt gehalten haben, wenn sie es wohl auch nur hinter vorgehaltener Hand geäußert haben. Man stelle sich vor: 1933, in der Lausitzer Provinz, in einer Stadt mit weniger als 20.000 Einwohnern, von denen die meisten noch nie von den Goldenen 20er Jahren oder dem Aufbruch zu einer neuen Architektur gehört hatten, entsteht ein Wohnhaus, das von einem der größeren Unternehmer der Stadt für den eigenen Bedarf gebaut wird. Als Arbeitgeber und Steuerzahler ist der Nudelfabrikant ein wichtiger Mann in der Stadt; was er tut, erregt Aufmerksamkeit. Und der baut nun ein Haus, das nach dem Abbau der Gerüste weiß, strahlend und völlig neuartig in seiner Umgebung steht: eine Sensation! Immerhin ließ das Bauherrenehepaar das Haus für sich und die vier Kinder ein wenig abseits, hinter der Fabrik, errichten: ein Haus, das Offenheit zur Maxime machte – nicht nur vordergründig in den großen Fenstern, sondern vor allem im Prinzip der Grundrissanordnung. Das war keine bürgerliche Villa mit dem Fabrikanten in der Rolle des kleinen Königs, wie man sie noch im 19. Jahrhundert gebaut hätte; das war Form gewordene Bewegung, schon im Grundriss mit seiner Verschränkung von zwei im Winkel von 30 Grad zueinander stehenden Ordnungen ablesbar. In diesem Grundriss drückt sich auch ein neues Verständnis von Ehe und Partnerschaft aus, nicht nur, weil die Bauherrin Einfluss genommen hat, sondern weil er erkennbar für seine Bewohner, nicht für die Repräsentationsbedürfnisse eines Unternehmers entworfen worden ist. In einer Kleinstadt, in der nichts auf Modernität und Aufbruch hindeutet, entstand eines der schönsten Wohnhäuser der klassischen Moderne. Die Bürger Gleich nach Betreten der Eingangshalle wird der Besucher zu einer Richtungsentscheidung gedrängt: entweder die Treppe in das Obergeschoss hinauf, in Obergeschoss Erdgeschoss 54 55 Um 1910 DRESDEN oben und unten: Fritz Schumacher, Krematorium, 1908 – 1911 Fassade, die diese Monumentalität und Schwere her- lag. Außerdem versprach sich der Fabrikbesitzer und vorruft, es ist die gesamte Anlage in ihrer betonten Bauherr Hugo Zietz eine erhebliche Werbewirkung Axialität. Diese wird zwar durch das dem Bau vorge- von einem so fremdartigen Gebäude, einer vermeintlagerte Wasserbecken durchbrochen, der Besucher lichen Moschee – die „Tabakmoschee“ hieß der Bau kann also nicht direkt die Achse entlanglaufen, gleich- üblicherweise –, aber was wäre eine „Tabakmozeitig führen ihn jedoch die Freitreppen links und schee“? Nur als Camouflage sind die prächtige Verrechts vom Eingang wieder auf eine zentrale Gerade kleidung, die Kuppel und die Schornsteine in Form zurück. Auf der Rückseite des Krematoriums mit der von Minaretten der als Zigarettenfabrik genutzten AnFeierhalle befindet sich ein geschlossener Urnenhof lage zu verstehen – eine Art gebautes Märchen aus mit umlaufendem Arkadengang – auch er würdig, fei- Tausendundeiner Nacht, das allerdings unter den erlich, wie es der Aufgabe angemessen ist. Bürgern der Stadt zu heftigen Auseinandersetzungen führte. Heute ist das Haus restauriert und dient als Ein Krematorium war zu der Zeit noch keine Architek- Bürogebäude; unter der Kuppel befindet sich ein Returaufgabe, für die eine eigene Typologie entwickelt staurant. gewesen wäre; die Verbrennung der Toten war eine relativ neue Form der Bestattung. Auf der Suche Eine neue Nutzung hat auch der sogenannte „ERLnach historischen Bezugspunkten lehnte sich Schu- WEIN-SPEICHER“, der Städtische Speicher an der Elbe macher nicht nur an das Grabmal Theoderichs in erfahren. So wird vom stadtbildprägenden Bau zuRavenna aus dem 5. Jahrhundert an, sondern mit mindest noch die äußere Form und damit die Wirdem vorgelagerten Wasserbecken auch an das im kung von der Elbseite her erhalten; der Speicher Bau befindliche Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. dient heute als nobles Kongresshotel in unmittelbarer Die Formensprache im Detail ist jedoch nicht histori- Nähe zum sächsischen Landtag. sierend, selbst wenn die Gesamtanlage traditionelle Bezüge herstellt. Der Friedhof selbst wurde ebenfalls Beim Speicher handelte es sich eindeutig um einen nach dem Entwurf von Fritz Schumacher und Paul Zweckbau – ein Eisenbeton-Skelettbau, dessen MaWolf sowie des Gartenarchitekten Willy Meyer bis terial unverkleidet belassen wurde, weil alles andere nur Geld gekostet hätte. Allein in der lebhaft geglie1929 fertiggestellt. derten Dachzone ging der Architekt Hans Erlwein Die anderen wichtigen Bauten dieser Jahre kurz vor (1872 – 1914), seit 1905 Stadtbaurat Dresdens und dem Ersten Weltkrieg bekommen ihre Bedeutung als als Leiter des Hochbauamtes für sämtliche öffentliGegenstück zu Hochschule und Krematorium, die als chen Bauten und die der Infrastruktur der Stadt zu„richtige“ Architektur galten. Dass dagegen Bauten ständig, von der kargen Einfachheit ab, indem er ihre der technischen Infrastruktur und Gewerbebauten Gliederung an derjenigen der Bürgerhäuser der Stadt von Architekten entworfen wurden, war nicht das orientierte. Auch die vielen, funktionell kaum notwenNormale. Im Fall der TABAKFABRIK YENIDZE wurde es digen Fenster deuten darauf hin, dass hier die Sicht gemacht, weil es eigentlich um die Verkleidung eines auf die Stadt von der Elbe aus nicht zu sehr verFabrikgebäudes ging, das am Rande der Innenstadt schandelt werden sollte – heute bieten gerade die und damit an für das Stadtbild empfindlicher Stelle vielen Fenster die Chance für eine Hotelnutzung. oben: Hans Erlwein, Städtischer Speicher, 1914 Reinhardt + Sander GmbH: Umbau zum Kongresshotel (2004/05) unten: Martin Hammitzsch, Tabakfabrik Yenidze, 1912 76 77 DIE BAUTEN DER 20ER JAHRE 1919 1921 – 1922 1924 – 1925 1925 – 1926 1927 1927 – 1928 1929 1928 – 1929 1929 1929 – 1930 1930 1930 – 1931 1931 – 1932 Wilhelm Jost: Straßenbahndepot, Freiimfelder Straße 74/75 Alfred Gellhorn, Martin Knauthe: Forsterhof (ehemaliges Bürohaus Sernau), Forsterstraße 29 Wilhelm Ulrich: Eigenes Wohnhaus, Ratswerder 7 Walter Thurm: Kino „Capitol“, Lauchstädter Straße 1 Georg Roediger: Christuskirche, Freiimfelder Straße 89 Wilhelm Jost, Oskar Muy: Wasserturm, Lutherplatz Wilhelm Jost, Wilhelm Freise: Siedlung Lutherplatz Wilhelm Jost, Walter Engels: Pestalozzischule, Vor dem Hamstertor 12 Wilhelm Jost: Trafostation, Universitätsring/Geiststraße Wilhelm Ulrich: Kirche zur Heiligsten Dreieinigkeit, Lauchstädter Straße 14b Wolfgang Bornemann, Wilhelm Jost: Diesterwegschule, Diesterwegstraße 38 Heinrich Faller: Siedlung Vogelweide, Vogelweide 1 – 29 Martin Knauthe: Verwaltungsgebäude der AOK, Robert-Franz-Ring 16 Die Bauten der 20er Jahre H A LLE XX Die Bauten der 20er Jahre Wenn man die Architekten der wichtigsten Bauten Halles aus den 20er Jahren betrachtet, dann fällt auf, dass kein außerhalb der Stadt bekannter Name dabei ist (selbst Alfred Gellhorn dürfte nur Spezialisten ein Begriff sein). Genau das aber zeigt eine Tendenz, die über die Stadt hinaus weist und verallgemeinert werden kann: nämlich die unterschiedliche Akzeptanz und Verbreitung der sich nach dem Weltkrieg entwickelnden neuen Architektur, des neuen bauens, das zudem keineswegs in sich homogen war. Es zeigt auch, wie schnell sich der Formenkanon der Moderne ausweitete, selbst wenn man nicht als Architekt von sich behaupten konnte, man hätte eigenständige Beiträge dazu geliefert. Dass die neue Architektur der 20er Jahre vor allem im Wohnungs- und Siedlungsbau zur Geltung kam, belegt nicht nur, dass es sich beim Wohnungsbau um die „Leitbauaufgabe“ jener Jahre handelte, die auch am intensivsten diskutiert wurde, sondern dass diese Architektur programmatisch als Ausdruck einer neuen Gesellschaft begriffen wurde: die neue Architektur für den neuen Wohnungsbau! Angefangen aber hat dieser Zeitabschnitt in Halle nicht mit einer Siedlung, sondern mit einem Bürohaus eines Exporteurs von Spielwaren, dem ehemaligen HAUS SERNAU von Alfred Gellhorn und Martin Knauthe, die bis Mitte der 20er Jahre ein Büro in Halle führten. 1921 gab es praktisch noch keine Beispiele des neuen bauens in Deutschland, auf die man sich hätte beziehen können. Tatsächlich ist das Haus auch nicht wirklich eine Inkunabel einer neuen Ästhetik – dazu wirkt es zu massiv durch die tiefen Fensterleibungen, die Sockelzone und die wulstigen Formen. Dennoch: Es entsteht eine horizontale Bandwirkung der Fenster, und der weiße Putzbau mit flach geneigtem Dach nimmt einiges vorweg, das zum Kanon der Moderne gehört. Ebenfalls in diese Phase eines sich entwickelnden Stils gehört der Architekt Wilhelm Ulrich, den man weitläufig dem Expressionismus zuordnet, ohne dass der Begriff sein Denken und Arbeiten erklärte. Tatsächlich hat Ulrichs Architektur etwas vom Eigenbrötlerisch-Skurrilen, wie es auch das Bauhaus in Weimar nach 1919 prägte, als Gropius dort das Ideal der mittelalterlichen Bauhütte propagierte und „kleine, geheime und autarke Verbände, Logen, Hütten und Verschwörungen“ plante, um „künstlerisch ein Geheimnis, ein Körnchen Glauben, zu hüten und zu gestalten“2. So auch Ulrich, der das Geheimnis der Architektur in der sechseckigen Wabe fand und sein eigenes WOHNHAUS 1924 aus sechs identischen Waben baute, die regelmäßig um eine siebte gruppiert sind. Erst 1930 konnte er sein Konzept auch in einem öffentlichen Gebäude entwickeln, und dort passt es wesentlich besser, weil die Waben nicht als geschlossene Räume begriffen wurden: Die KATHOLISCHE KIRCHE ZUR HEILIGSTEN DREIEINIGKEIT nimmt vorweg, was in den Jahren um 1970 herum im Bürohausbau Furore machte: den 60-Grad-Winkel als formprägendes Element. In diesem Kircheninnenraum, bei dem eine Wabe den Altarbereich definiert, der geschickt indirekt belichtet ist, passt das System, weil es die „Waben“ als kombinierbare, offene Struktur versteht. Von außen allerdings kommt der Bau recht schlicht daher. Als eine in jeder Hinsicht für die 20er Jahre charakteristische Anlage kann die LUTHERSIEDLUNG einschließlich ihres zentral gelegenen WASSERTURMES gelten: eine Anlage mit kleinen Wohnungen auf der Grundlage staatlicher Förderung in einer Architektur, die sich vom traditionellen Heimatstil gelöst, aber noch keineswegs völlig der Moderne zugewandt hat. links: Alfred Gellhorn, Martin Knauthe, Forsterhof (ehemaliges Bürohaus Sernau), 1921 – 1922 Seite 129 oben und unten: Wilhelm Ulrich, Kirche zur Heiligsten Dreieinigkeit, 1929 – 1930 128 2 Gropius, Walter: Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar, zitiert nach: Conrads, Ulrich (Hg.): Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts. Gütersloh 1964, S. 47 129 BAUTEN FÜR GEWERBE, INDUSTRIE UND VERKAUF Erich Basarke: GEG Kauffahrtei, Johann Esche-Straße Hans Poelzig: Textilfirma Goeritz, Zwickauer Straße 106 – 108 Heinrich Straumer: Dresdner Bank, Johannisplatz Erich Basarke: Deutsche Bank, Falkeplatz 2 Willy Schönefeld: Fa. Cammann, Blankenauer Straße 74, (1996 revoniert) Hans und Oskar Gerson: Lagerhaus Emden & Söhne, Dresdner Straße 50 Erich Mendelsohn: Kaufhaus Schocken, Brückenstraße/Bahnhofstraße Erich Basarke: Maschinenfabrik Schubert & Salzer AG mit Uhrturm, Lothringer Straße/Annaberger Straße Ehemalige Spinnereimaschinenbau Chemnitz, Altchemnitzer Straße 27 Friedrich Wagner-Poltrock: Umspannwerk, Getreidemarkt Wilhelm Schönefeld: Astra-Werke, Altchemnitzer Straße 41 (heute Regierungspräsidium) Martin Alfred Otto, Stadtsparkasse, Stollberger Straße 2 Volker Staab: Umbau zum Museum Gunzenhauser (2007) 1927 1929 1929 1930 Bauten für Gewerbe, Industrie und Verkauf CHEMNITZ XX 1922 ff. 1922 – 1928 1924 1925 1926 1926 1927 – 1930 1927 Seite 92: Erich Basarke, Uhrturm der Maschinenfabrik Schubert & Salzer AG, 1927 Friedrich Wagner-Poltrock, Industrieschule, 1924 – 1928 92 92 93 Die 20er Jahre – Bauhaus & Co. DESSAU links: Vestibül, Junkers-Heizkörper, Eingang zum Werkstattflügel oben: Detail des Schriftzugs auf der Südseite des Gebäudes unten: Werkstatt-Trakt mit der dreigeschossigen Verglasung 144 145