Exkurse

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Ludwig Zöller (Hrsg.)
Die Physische
Geographie
Deutschlands
Exkurse
1
Exkurs
Abb. 1 Entstehung
des Deckenstapels
der Münchberger
Masse. Ehemals
räumlich getrennte
Gesteinsserien wurden nach und nach
übereinandergeschoben. Der Weißenstein-Eklogit gehört
zur Hangendserie
(leicht verändert aus
Peterek & Rohrmüller 2010).
Deckenstapel in der Münchberger Masse
W
as heute wie ein zusammengehöriges Gebirge erscheint (z. B. Böhmerwald, Bayerischer Wald, Oberpfälzer Wald, Fichtelgebirge, Frankenwald, Münchberger
Masse, Thüringer Wald), ist erst durch die variszische
Gebirgsbildung zusammengewachsen. Diese setzte
während der geologischen Periode des Devons ein (Beginn vor 410 Millionen Jahren) und erlebte in der betrachteten Region ihren Höhepunkt in der geologischen
Epoche des Oberkarbons (320 bis 296 Millionen Jahre).
Zuvor wurden in verschiedenen durch Kleinkontinente (z. B. Amorica) und Inselbögen getrennten Ozeanbecken kilometermächtige Sedimente abgelagert. Durch
Bewegungen von kontinentalen und ozeanischen Platten gegeneinander wurden die Ozeanböden eingeengt
und ozeanische Platten in den Erdmantel gezogen (subduziert), bis die Ozeanböden völlig abgetaucht waren
und kontinentale Krustenteile an Suturzonen aneinanderstießen. Maßgeblich war die Bewegung des Urkontinents Gondwana (Ur-Afrika) auf den Urkontinent
Laurasia (einschließlich Ur-Europa) zu. Das variszische
Gebirge war nun zusammengewachsen. Dabei gerieten
die Gesteine in bis zu mehreren Zehnern Kilometer Tiefe unter großen Druck und hohe Temperaturen, was zu
Zeit
U.-/O.-Karbon
(ca. 330 Ma)
Spröde Kruste
starken Deformationen und Umkristallisationen führte
(Metamorphose). Die Gliederung des variszischen Gebirges in mehrere Zonen bezeugt heute noch den Zusammenschub ursprünglich entfernt voneinander gelegener und durch Ozeanbecken getrennter Teile (www.
mineralienatlas.de). Eine dieser Suturzonen verläuft
südlich des Fichtelgebirges und trennt die südlich gelegene moldanubische Zone von der nördlich gelegenen
saxothuringischen Zone. Gegen Ende der Gebirgsbildung drangen auch Gesteinsschmelzen in die Erdkruste ein und erstarrten dort in einer Tiefe von einigen
Kilometern (Intrusion). Sie bilden heute, nachdem die
überlagernden Gesteine abgetragen wurden, die Granitstöcke des Fichtelgebirges.
Während die Gesteine des Fichtelgebirges – mit Ausnahme der Intrusivgesteine – und der moldanubischen
Zone einen mittleren bis hohen Grad der Metamorphose aufweisen, werden sie im Frankenwald von Südosten nach Nordwesten immer schwächer metamorph.
Eine Ausnahme bildet hier die Münchberger Masse,
die sich durch weit höhere Metamorphosegrade als
eine Art Fremdkörper zu erkennen gibt. Das war schon
den Geologen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt,
Hangend-Serie
Hangend-Serie
Liegend-Serie
Liegend-Serie
Randamphibolit-Serie
Randamphibolit-Serie
Prasinit-Phyllit-Serie
Prasinit-Phyllit-Serie
Saxothuringikum
Saxothuringikum
spröd
Aufbau heute
Hangend-Serie
Liegend-Serie
Oberdevon
(ca. 370 Ma)
Grünschiefer-Zone
Randamphibolit-Serie
Keine
Deformation
Saxothuringikum
Prasinit-Phyllit-Serie
duktil
Hangend-Serie
M./O.-Devon
(ca. 380 Ma)
MP-HT-Metamorph.
Kambrium
bis Unterdevon
(545 – ca. 390 Ma)
Liegend-Serie
Keine
Deformation
Saxothuringikum
Prasinit-Phyllit-Serie
Randamphibolit-Serie
Keine
Deformation
Saxothuringikum
Prasinit-Phyllit-Serie
Randamphibolit-Serie
duktil
duktil
Erste Metamorphose
480 – 490 Ma
U.-/M.-Devon
(ca. 390 Ma)
HP-HT-Metamorphose
(Subduktionszone)
Liegend-Serie
Hangend-Serie
da sie aber die Theorie der Plattentektonik noch nicht
kannten, konnten sie die Frage nach der Herkunft und
Entstehung der Münchberger Masse nicht befriedigend
klären. Heute geht man davon aus, dass die Münchberger Masse ebenso wie die weiter südöstlich gelegene „Zone Erbendorf-Vohenstrauß“ (ZEV) Reste einer
weit (bis ungefähr 200 Kilometer) überschobenen Gebirgsdecke darstellen, deren heutiges Hauptverbreitungsgebiet im Tepla-Barrandium in Böhmen liegt. In
der Münchberger Masse sind diese Deckenreste in einer
geologischen Muldenlage erhalten geblieben, während
sie über dem Fichtelgebirge schon wieder abgetragen
sind. Am Weißenstein bei Stammbach stehen am Gipfel hochmetamorphe Eklogite an. Sie entstanden aus
ehemaligen Basalten eines Ozeanbodens durch Versenkung an einer Subduktionszone in Tiefen von 60 bis
80 Kilometern. Die Druck- und Temperaturbedingungen der Eklogitbildung können in Hochdrucklaboratorien wie am Bayerischen Geoinstitut an der Universität
Bayreuth rekonstruiert werden. Durch die spätere Sutur wurden Teile dieser tief versenkten Gesteine wieder hochgepresst und als Decke über andere Gesteine
überschoben. Interessanterweise lagert heute der Eklogit des Weißensteins – der einzige europäische Eklogit
nördlich der Alpen – über geringer metamorphen Gesteinen. Im Detail lassen sich verschiedene Phasen der
langen Reise des Weißenstein-Eklogits an seinen heutigen Platz nachverfolgen (Abb. 1).
Thermochronometrie und Thermochronologie
C
hronometrie meint Zeitmessung in Zeiteinheiten
(Wagner 1995). Thermochronometrie bedeutet demnach die Untersuchung der thermischen Entwicklung
eines Minerals, Gesteins oder einer geologischen Region mittels radiometrischer Datierung von zwei oder
mehr Mineralen, die unterschiedliche Schließungstemperaturen besitzen. Die Schließungstemperatur ist diejenige Temperatur, bei der die akkumulierten Tochternuklide durch Diffusion aus dem Mineral entweichen
und die radiometrische Uhr somit wieder auf null gestellt wird. Die Nullstellung erstreckt sich aber über einen Zeitraum, dessen Dauer von der Gesteinstemperatur abhängt. Bei Strahlenschaden-Methoden wie der
U-Spaltspur-Methode (Fission Track, FT) wird der durch
spontane Kernspaltung von 238U oder durch ionisierende Strahlung entstandene Strahlenschaden wieder ausgeheilt. Zu beachten ist, dass zwischen der Ausheilzone
oberhalb der Schließungstemperatur und der Stabilitätszone der Strahlenschäden eine Partielle Ausheilzone (PAZ) existiert, in der der Strahlenschaden metastabil ist. Spaltspuren in Apatit zum Beispiel können bei
Temperaturen von mehr als etwa 110 °C nicht überdauern, sie heilen vollständig aus. Die PAZ liegt zwischen
ungefähr 110 °C und ungefähr 60 °C (Abb. 2.9). Die unter dem Mikroskop beobachtbaren Spaltspuren, die im
frischen Zustand eine Länge von etwa 16 µm (maximal
20 µm) besitzen, heilen in der PAZ teilweise aus, indem
sie von den Enden her verkürzt werden. Die statistische Spurlängenverteilung liefert also eine zusätzliche
Information über die Dauer des Aufenthaltes der Probe in der PAZ.
Bei der (U, Th, Sm)/He-Methode entspricht der Stabilitätszone die „Retentionszone“, in der durch α-Zerfälle entstandenes 4He (Edelgas) im Kristall verbleibt.
In der partiellen Retentionszone, die der PAZ entspricht, kann 4He über längere Zeiträume teilweise aus
dem Kristall diffundieren. Bei Apatit liegt die Schließungstemperatur für 4He bei ca. 60 °C (Exkurs 3).
Chronologie „entsteht erst aus der Verknüpfung
stratigraphisch erkannter Zeitabfolgen mit chronometrisch gewonnenen Altersdaten“ (Wagner 1995, S. 2).
Die Thermochronologie nutzt eine oder mehrere radiometrische Datierungsmethoden mit geeigneter Schließungstemperatur, um durch Vergleich der Ergebnisse
von mehreren Proben die Abtragungsgeschichte zu
entschlüsseln. Bewährte Beprobungsstrategien bieten
zum einen Höhenprofile, wobei an einer Lokalität wie
einem Tal-Berg-Profil von mindestens einigen Hundert
Metern Höhendifferenz Proben von heute an der Oberfläche anstehenden Festgesteinen genommen werden.
Bei einheitlicher tektonischer Entwicklung des beprobten Bereiches sind in höheren Lagen größere Alter zu
erwarten als in tieferen, da die Abkühlung unter die
Schließungstemperatur in den höheren Partien der
2
Exkurs
Abb. 2 Uran-Spaltspur-System für Apatit. Die Gesteinssäule links zeigt Isothermen des Gesteins in Abhängigkeit von der Tiefe. Von unten nach oben folgen
die Ausheilzone, die Schließungstemperatur bei 110 °C, die Partielle Ausheilzone (PAZ) und die Stabilitätszone. Nach Hebung der Gesteinssäule um 1 Kilometer (rechts) und an der Oberfläche entgegenwirkender Abtragung stellen
sich schließlich die Isothermen wieder in ihren gewohnten Tiefen ein. Die Gesteinssäule ist quasi durch die Isothermen nach oben gewandert und von oben
her um 1 Kilometer verkürzt worden.
Gesteinssäule früher erfolgte als in den tieferen. Dann
können auch langfristige mittlere Abtragungsraten berechnet werden. Zum anderen werden verschiedene benachbarte regionalgeologische Einheiten beprobt, um
zu erkennen, ob diese nach Unterschreiten der Schließungstemperatur eine vergleichbare oder verschiedene Denudationsgeschichte erfahren haben. Im letzteren
Falle kann im Allgemeinen unterschiedliche Hebungsgeschichte abgeleitet werden.
Ein direkter Rückschluss von thermochronometrischen Daten auf die Hebungsgeschichte ist jedoch nicht
statthaft, da drei Faktoren zu beachten sind: Erstens
können in Orogenen detachment faults (Abscherungsflächen), an denen durch gravitative Kräfte mehrere
Hundert Meter bis einige Kilometer mächtige Gesteinsserien abgeschert sind, ehemals tieflegende Krustenteile relativ rasch in Oberflächennähe gebracht haben,
wodurch sich die Isothermen im Gestein relativ schnell
nach unten bewegten. Zweitens kann in Trockengebieten ohne exorhëische Entwässerung (z. B. Puna in der
ariden Diagonale Südamerikas) die Zertalung und so-
mit die Denudation der Hebung um viele Millionen Jahre hinterherhinken. In dauernd humiden bis semihumiden Gebieten jedoch ist dieser Zeitraum relativ kurz
und die Denudation erfolgt gleichzeitig mit oder in
geologischen Zeiträumen betrachtet kurz nach der Hebung. Drittens schließlich ist regionalgeologisch zu klären, ob magmatische Intrusionen oder Thermalwässer
zu einer erneuten Aufheizung des Gesteins bzw. zu einer verzögerten Abkühlung geführt haben.
Neben Oberflächenproben sind Proben aus tiefen
Bohrlöchern von großem Interesse für die Thermochronometrie, zum Beispiel Proben von der KTB. Während
Zeit-Temperatur-Pfade (T-t-Diagramm), das heißt die
Darstellung der erzielten Alter gegen die Schließungstemperatur für verschiedene Methoden und Minerale, bei Oberflächenproben eben verschiedene Minerale und Methoden benötigen, kann bei tiefen Bohrungen
für ein und dasselbe Mineral ein T-t-Diagramm erstellt
werden. Im ungestörten Normalfall nehmen die Alter
von oben nach unten ab und bei ausreichend hohen
Bohrlochtemperaturen kann eine nach kinetischen Gesetzen modellierte Schließungstemperatur in situ überprüft werden.
In jüngerer Zeit versucht die „Detritische Thermochronologie“ an Sedimenten Informationen über die
Abkühlungs- und Denudationsgeschichte der Liefergebiete zu entschlüsseln (Lisker et al. 2009).
Wenn aufgrund regionalgeologischer Kenntnisse die Möglichkeit einer Veränderung des geothermischen Gradienten zum Beispiel durch erhöhten Wärmefluss, Intrusion usw. ausgeschlossen werden kann, liegt
der große innovative Nutzen der Thermochronologie
für die Geomorphologie in der Beantwortung folgender Fragen: Erstens: Wie sind erosive Großformen, zum
Beispiel Rumpftreppen, zu erklären? Zweitens: Dauern
die Vorgänge an und stellen ein Gefährdungspotenzial (Erdbeben, Vulkanismus, Hangrutsche, Bergstürze
usw.) dar?
Auf der linken Seite der Abbildung 2 ist eine 6 Kilometer mächtige Gesteinssäule mit ihrem Temperaturverlauf (ausgehend von 10 °C Jahresmitteltemperatur
an der Oberfläche) dargestellt. Im 1-Kilometer-Tiefenabstand ändert sich die Farbgebung der Gesteinssäule zur Verdeutlichung. Unterhalb der angenommenen
Schließungstemperatur von 110 °C (Finger) liegt die
Ausheilzone, in der sich keine Spaltspuren erhalten, das
heißt, die Uhr steht. Darüber folgt bis zirka 60 °C die
Partielle Ausheilzone (PAZ), in der die Uhr zwar tickt,
aber nachgeht, weil durch das partielle Ausheilen der
Spuren von den Enden her mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Spuren auch ganz verschwinden können.
Oberhalb von 60 °C, in der Stabilitätszone, tickt die Uhr
und geht auch richtig.
Nun hebt sich die Gesteinssäule, in diesem Beispiel
um 1 Kilometer. Die Isothermen des Gesteins werden
zunächst mit angehoben. Infolge der tektonischen Hebung und der damit verbundenen Erhöhung der Reliefenergie setzt Denudation (Exhumierung) ein und wirkt
der tektonischen Hebung derart entgegen, dass das Relief nicht um 1 Kilometer wachsen kann, sondern im
Idealfall nach einiger Zeit wieder vergleichbar gering
ist wie am Beginn. Die Differenz zwischen tektonischer
Hebung und Exhumierung ergibt die morphologische
Hebung (Hejl 1996). Durch die Denudation werden die
Isothermen des Gesteins in tiefere Stockwerke verlagert. Die 110 °C-Isotherme, die zu Beginn bei etwa 3,3
Kilometer Tiefe im violett-braunen Stockwerk lag, befindet sich nach einiger Zeit des gegeneinander gerichteten Wirkens von Hebung und Denudation wiederum
in 3,3 Kilometer Tiefe, aber in dem tieferen dunkelbraunen Stockwerk, weil das ursprünglich oberste hell-lila
farbige Stockwerk durch die Abtragung entfernt wurde. Stellt man sich vor, dass diese Prozesse weiterlaufen
bis schließlich das dunkelbraune Stockwerk (in der ursprünglich die 110 °C-Isotherme lag) die Erdoberfläche
erreicht hat, würde eine Apatit-Spaltspur-Datierung einer Oberflächengesteinsprobe den Zeitpunkt ergeben,
wann die Probe durch die 110 °C-Isotherme nach oben
stieg. Anders gesagt gibt das Apatit-Spaltspur-Alter an,
wie lange es gedauert hat bis 3,3 Kilometer Krustengestein abgetragen wurden. In Gebieten mit sehr starker
aktueller Orogenese nahe aktiver Subduktions- oder
Suturzonen kann das in der Größenordnung von etwa
ein bis wenigen Millionen Jahren erfolgen (wobei mögliche detachment faults zu berücksichtigen sind). In variszisch konsolidierten Gebirgsrümpfen Mitteleuropas
ergaben sich dem gegenüber Alter bis um 300 Millionen
Jahre. Werden weitere Informationen über den Zeitraum, den die Probe in der PAZ verbrachte, hinzugezogen, können heute Modellierungen über den Zeit-Temperatur-Verlauf und somit über den zeitlichen Verlauf
der Denudation erstellt werden. Damit erweist sich die
Thermochronologie grundsätzlich als bestens geeigneter Ansatz, um zum Beispiel die offene und seitens der
Geomorphologie allzu leichtfertig beiseite geschobene
Frage der Flächenstockwerke innovativ anzugehen. Einer Wissenschaft, die ihre ureigenen alten Fragestellungen nicht behandelt, könnte das Ende drohen.
Uran-Thorium-(Samarium-)Helium-Methode
B
ei der Hebung eines Gebirges werden die Isothermen zunächst aufgebogen. Aufgrund der Exhumierung durchläuft eine Gesteinsprobe in der Tiefe
immer niedrigere Isothermen, zunächst die der Schließungstemperatur und dann die der Partiellen Retentions-Zone (PRZ) und der Zone vollständiger Retention
von Helium, bis sie schließlich an der Oberfläche ankommt. Da der Isothermenverlauf bei derart geringen
Gesteinstemperaturen die Topographie nachahmt, hat
diese Einfluss auf die Abkühlalter. Diese Komplikation
bietet zugleich die Möglichkeit, Paläotopographie zu
rekonstruieren.
Im Vergleich zur Apatit-FT-Methode liegt die Schließungstemperatur des Uran-Thorium-(Samarium-)Helium-Systems in Apatit (AHe-Alter) niedriger, bei etwa
75 °C (Ehlers & Farley 2003) bzw. 70 ± 7 °C bei einer Ab-
3
Exkurs
kühlungsrate von 10 °C/Ma (Lisker et al. 2009). Für Zirkon liegt die Schließungstemperatur um etwa 80 °C
und für Titanit um ca. 130 °C höher als in Apatit. Durch
α-Zerfälle von 238U, 235U, 232Th und ihren Töchtern sowie
von 147Sm entstehen 4He-Kerne. He geht als Edelgas keine chemischen Verbindungen ein und akkumuliert mit
der Zeit im Kristall, sofern dessen Temperatur kälter als
die Schließungstemperatur ist. Bei höheren Temperaturen als die Schließungstemperatur diffundiert das He.
Bei Apatit liegt zwischen etwa 75 °C und 45 °C die Partielle Retentions-Zone (PRZ), in der ein Teil der He-Atome noch diffundieren kann und der andere Teil im Kristall zurückgehalten wird. Die AHe-Methode stellt somit
ein Niedrigtemperatur-Chronometer dar, welches bei
durchschnittlichem und konstantem geothermischem
Gradienten der kontinentalen Kruste den Zeitraum der
5
Denudation einer im Vergleich zu Apatit-FT-Altern um 1
bis 1,5 Kilometer geringeren Gesteinssäule abschätzen
kann. Die im datierten Zeitraum denudierte Gesteinsmächtigkeit beträgt aber immer noch ungefähr 2,5 Kilometer.
Wegen ihrer Abhängigkeit von der Topographie stellen AHe-Alter ein wichtiges Werkzeug dar, um die Geomorphologie (die sich hauptsächlich auf die Analyse
des aktuellen Reliefs und aktueller oder junger Prozes-
4
Exkurs
se stützt) mit längeren Zeitskalen, dokumentiert durch
die Strukturgeologie, zu verknüpfen.
Als noch kühleres Geothermometer bietet sich die
Lumineszenz von Quarzen (isothermaler Signalverlust ab etwa 30 °C, entsprechend etwa 1 Kilometer Tiefe) oder Feldspäten an, insbesondere die rote (620 nm)
TL-Emission von Quarzen wegen ihrer hohen Sättigungsdosis. Diese Methode befindet sich aber noch in der Phase der Grundlagenforschung (Schmidt et al. 2015).
Lumineszenzdatierung
D
as Leuchten eines elektrisch nicht leitenden Festkörpers zusätzlich zu seiner Planckschen Strahlung
(Schwarzkörperstrahlung) wird als Lumineszenz bezeichnet. Für die Datierung werden meist Quarze und
Feldspäte verwandt, die nahezu ubiquitär in der Erdkruste vorkommen. Bei der Lumineszenz wird im Kristallgitter gespeicherte Energie ionisierender Strahlung
(in der Natur α-, β- und γ-Strahlung sowie Höhenstrahlung) in Form von Photonen freigesetzt, indem die Probe während der Lumineszenzmessung stimuliert wird.
Je nach Stimulationsart unterscheidet man Thermolumineszenz (TL) bei Erhitzen der Probe und Optisch
Stimulierte Lumineszenz (OSL) bei Beleuchtung mit
bestimmten Wellenlängen; je nach Wellenlänge (Farbe) des Stimulationslichts kann weiter zum Beispiel in
blau-, grün- und Infrarot Stimulierte Lumineszenz (IRSL)
differenziert werden. In der Natur besteht überall ein
schwaches Strahlungsfeld ionisierender Strahlung, welches auf die radioaktiven Zerfälle von Uran, Thorium,
ihren Töchtern, sowie 40K zurückgeht und mit der Zeit
Strahlenschäden im Kristall aufbaut, die durch die Lumineszenz buchstäblich sichtbar gemacht werden.
In den wenigsten Fällen wird durch Lumineszenz das
Bildungsalter eines Minerals datiert, welches meist weit
jenseits des Datierungszeitraumes (ca. 100 000 bis einige Hunderttausend Jahre) liegt. Die durch die ionisierende Strahlung angehäuften Strahlenschäden
werden nämlich durch Erhitzung oder durch Exposition der Mineralkörner ans Tageslicht wieder ausgeheilt,
das heißt, die Uhr wird auf null gestellt. Somit kann die
letzte Erhitzung einer Probe (z. B. durch Menschen bei
Artefakten oder durch vulkanische Ereignisse) oder die
6
Sedimentation (besonders geeignet bei äolischen Sedimenten, deren einzelne Mineralkörner während Transport und Ablagerung viel Sonnenlicht gesehen haben)
direkt datiert werden (Abb. 3).
Der Prozess der Speicherung der Energie ionisierender Strahlung wird am Beispiel von Quarz in Abbildung
4 dargestellt. In der Natur gibt es praktisch keine reinen Kristalle, denn Realkristalle enthalten Fehlstellen
in der Ladungsverteilung des Kristallgitters (im gewählten Beispiel O-Fehlstellen und Al3+-Ionen). Durch ionisierende Bestrahlung wird ein Elektron e– vom Gitteratom oder -molekül abgelöst und auf ein energetisch
höheres Niveau angehoben, wo es im Kristall diffundieren kann. Im gewählten Beispiel wandert das freie Elektron an den Platz einer O-Fehlstelle. Das um ein ElekLumineszenzsignal
Signalrückstellung
durch Hitze oder Belichtung
Messung
im Labor
Mineralneubildung
Zeit seit Signalrückstellung
Zeit
Abb. 3 Mittels Lumineszenz datierbare Ereignisse
(Schmidt & Zöller 2016).
tron verarmte Atom zieht ein überschüssiges Elektron
vom Al3+-Ion ab. Damit wird ein metastabiler Zustand
erreicht, der unter Temperaturen an der Erdoberfläche
je nach Langzeitstabilität über geologische Zeiträume
von bis zu etlichen Millionen Jahren andauern kann. Bei
Stimulation durch Wärme oder Licht (grüner Pfeil) wird
das Elektron wieder freigesetzt und rekombiniert wieder in den Grundzustand, wobei ein Photon als Lumineszenz (violetter Pfeil) emittiert wird. Die Intensität
der Lumineszenz ist ein Maß für die seit der letzten
Nullstellung absorbierte Energie ionisierender Strahlung (Abb. 4).
In der Festkörperphysik werden diese Prozesse in
Form des Energiebänderdiagramms dargestellt (Abb. 5).
Im Grundzustand (A) können sich bei Nichtleitern
in der „verbotenen Zone“ zwischen dem Valenzband
und dem Leitungsband keine Elektronen aufhalten.
Aufgrund der Fehlstellen im Kristall existieren jedoch
Potenzialmulden in Form von Elektronenfallen und
Lochfallen (Rekombinationszentren). Bei ionisierender Bestrahlung (B) wird ein Elektron auf das Leitungsband angehoben, wo es zunächst frei beweglich ist, bis
es an einer Elektronenfalle unterhalb des Leitungsbandes haften bleibt. Das im Leitungsband zurückgelassene „positive Loch“ (Defektelektron) wird an einer Lochfalle oberhalb des Leitungsbandes eingefangen. Dieser
metastabbile Zustand (C) überdauert je nach Tiefe der
Elektronenfalle unterhalb des Leitungsbandes bzw. der
Stabilität der Lochfalle verschieden lange Zeiträume.
Bei der Stimulation (D) wird das Elektron aus seiner Falle zunächst wieder aufs Leitungsband gehoben und rekombiniert von dort aus mit dem positiven Loch unter
Aussendung eines Photons. Damit ist der Grundzustand
wieder hergestellt. Daraus geht hervor, dass die Lumineszenzmessung keine zerstörungsfreie Messung ist.
Erst nach erneuter ionisierender Bestrahlung zum Beispiel mittels radioaktiver Quellen im Labor kann wieder
ein Lumineszenzsignal gemessen werden.
Durch Vergleich des natürlichen Lumineszenzsignals,
welches die Probe seit ihrer letzten Nullstellung akkumuliert hat, mit im Labor durch künstliche Bestrahlung
mittels geeichter radioaktiver Quellen induzierten Signalen wird die von der Probe in der Natur absorbierte
Dosis bestimmt. Heute wird bei der OSL-Datierung dazu
meistens die Single Aliquot Regeneration-(SAR-)Technik
angewandt, bei der nach Messung der natürlichen OSL
verschiedene künstliche Bestrahlungsdosen appliziert
und über eine Testdosis jeweils normiert werden. Dieje-
nige Dosis, die das natürliche Signal regeneriert, heißt
Äquivalenzdosis (De) (Abb. 6).
Um ein Lumineszenzalter t zu berechnen, muss die
.
De [Gy] durch die Dosisleitung D [Gy/a] dividiert werden.
Die vereinfachte Altersgleichung lautet also:
.
t = De /D .
Es stehen eine Anzahl von Messmethoden zur Verfügung, die entweder direkt über Aktivitätsmessungen
der verschiedenen Strahlungsarten (α-, β- und γ-Strahlung) die jeweiligen Beiträge zur Dosisleistung bestim-
Abb. 5 Energiebänderdiagramm (bearbeitet nach
Schmidt & Zöller 2016).
7
Abb. 4 Fehlstellen
und Substitutionsatome in einem
Quarzkristall als
Fallen für freie Ladungsträger (bearbeitet nach Schmidt
& Zöller 2016).
Abb. 6 Ermittlung
der Äquivalenzdosis
(bearbeitet nach
Schmidt & Zöller
2016).
men oder über Messung der Elementkonzentration von
U, Th und K die Dosisleistung über bekannte Konvertierungsfaktoren berechnen. Der in Gebieten unter 1000
Meter ü. M. meist sehr geringe Beitrag der Höhenstrahlung (Sekundärstrahlung der kosmischen Strahlung)
wird unter Berücksichtigung der geographischen Breite und Länge, der Höhenlage sowie der Tiefe der Probe
unter der Erdoberfläche nach einer Formel berechnet.
5
Exkurs
Da Porenwasser einen Teil der ionisierenden Strahlung
absorbiert, erfolgt eine Korrektur nach dem für den Datierungszeitraum repräsentativen Wassergehalt. Dieser
ist aber oft nur mit relativ großen Schwankungsbreiten anzugeben.
Da letztlich eine Vielzahl von Variablen in die Altersberechnung eingehen, die zufälligen sowie systematischen Fehlern unterliegen, ist der Gesamtfehler eines Lumineszenzalters mit bis zu etwa 10 Prozent (1 σ)
recht hoch im Vergleich zu anderen physikalischen Datierungsmethoden. Weitere systematische Fehlerquellen wie unvollständige Rückstellung des natürlichen
Signals zum datierten Zeitpunkt, radioaktive Ungleichgewichte der U-Zerfallsreihen, Langzeitinstabilität des
Lumineszenzsignals (anomalous fading) und nicht korrigierte Sensitivitätsänderungen der Lumineszenz sind
nur schwer oder gar nicht quantifizierbar und können
die Richtigkeit des Lumineszenzalters beeinträchtigen.
Dem steht der Vorteil gegenüber, dass direkt Sedimentationsalter und somit ganze sedimentäre Sequenzen
datiert werden können, wodurch Ausreißer leichter erkennbar werden (weiterführende Literatur: Preusser et
al. 2008, Schmidt & Zöller 2016, Zöller & Wagner 2015).
Kalium-Argon- bzw. Argon/Argon-Datierung
K
alium (Kernladungszahl 19) ist eines der Hauptelemente in der Erdkruste (ca. 1,5 Prozent) und mit geringeren Konzentrationen des Erdmantels. Der Gesamtkaliumgehalt setzt sich in der Natur aus drei Isotopen
zusammen (K-Isotope): 39K (93,258 Prozent), 40K (0,01167
Prozent, instabil) und 41K (6,73 Prozent). Nur das Isotop
40
K ist radioaktiv. Es zerfällt über einen dualen Zerfall,
entweder über einen ß-Zerfall in 40Ca (für Datierungszwecke nicht tauglich) oder über einen „K-Einfang“ (Einfangen eines Elektrons von der K-Schale in den Kern) in
40
Ar (radiogenes Argon, 40Arrad), welches stabil ist.
Das natürliche Gesamtargon (Kernladungszahl 20)
hat einen Anteil von 0,134 Prozent an der Erdatmosphäre und besteht aus drei stabilen Isotopen: 36Ar
(0,337 Prozent), 38Ar (0,063 Prozent) und 40Ar (99,6 Prozent). Argon ist ein Edelgas, das keine chemischen Bindungen eingeht. Deshalb kann es bei hohen Tempe-
8
raturen aus dem kaliumhaltigen Muttergestein oder
-mineral entweichen. Durch vollständige Entgasung
wird die Uhr auf null gestellt. Wenn das Gestein unter
die Schließungstemperatur abgekühlt ist, bleibt aber
das Argon im Gestein bzw. Mineral (Retention) und akkumuliert mit der Zeit. Die Retention kann aber eingeschränkt sein, zum Beispiel durch stärkere Verwitterung des Gesteins. Unter den Voraussetzungen der
vollständigen Entgasung sowie der vollständigen Retention nach Abkühlung ist die 40K/40Ar-Methode ideal
zur Datierung von an der Erdoberfläche oder dicht darunter erstarrten Vulkangesteinen geeignet. Aufgrund
der sehr langen Halbwertszeit von 40K (1,248 Milliarden Jahre) deckt der Datierungszeitraum der Methode
grundsätzlich die gesamte Erdgeschichte ab.
Kalium kann mittels chemischer Methoden (wie
Flammenspektrometrie, AAS, ICP-OES) quantitativ be-
stimmt werden. Da das radioaktive 40K im festen Verhältnis zum Gesamtkalium steht lässt sich aus dessen
Messung leicht der Wert für 40K errechnen. Ar wird mittels eines Gasmassenspektrometers gemessen, wobei
verschiedene Ar-Isotope quantifiziert werden können.
Dabei ist das Verhältnis 40Ar/36Ar ein wichtiges Kriterium für die Zuverlässigkeit der Datierung, es sollte
bei vollständiger Entgasung im Zuge der vulkanischen
Eruption sehr nahe beim atmosphärischen Verhältnis
von 295,5 liegen. Vor allem bei relativ jungen Vulkaniten (weniger als 2 Millionen Jahre) kann unvollständige
Entgasung (Überschussargon) oder Kontamination der
Probe mit einzelnen viel älteren, nicht entgasten kaliumhaltigen Mineralkörnern (z. B. K-Feldspäte, Glimmer)
zu erheblichen Altersüberschätzungen führen. Es hat
sich gezeigt, dass Überschussargon oft an bestimmte
Minerale gebunden und somit räumlich inhomogen verteilt ist. Das Problem kann durch mineral- und ortsauflösende K/Ar-Analyse erkannt werden, wozu mikroanalytische Verfahren entwickelt wurden.
Bei der klassischen K/Ar-Analyse wurden beide Elemente also mittels verschiedener Messverfahren mit ihren jeweils inhärenten zufälligen und systematischen
Fehlerquellen bestimmt, wodurch der Gesamtfehler einer Datierung sich vergrößerte. Die Weiterentwicklung
zur 39Ar/40Ar-Methode konnte die nötigen Messungen
auf eine einzige Methode, die präzise Gasmassenspektrometrie, reduzieren und somit die Präzision der Alter verbessern. Hierzu wird die aufbereitete Probe in
einem Kernreaktor für Forschungszwecke mit Proto-
nen beschossen, wodurch aus 39K das radioaktive Isotop 39Ar entsteht. Aufgrund seiner sehr kurzen Halbwertszeit von nur 269 Tagen kommt 39Ar in der Natur
und somit in der Probe vor ihrem Beschuss im Reaktor
praktisch nicht vor. Es gilt somit: 40Ar/39Ar ~ 40Arrad/40K.
Die umständliche Bestimmung des Neutronenflusses
im Reaktor und der Einfangwahrscheinlichkeit für die
Protonen umgeht man heute meist, indem im Reaktor ein sehr gut datierter Standard mitbestrahlt wird.
Die 39Ar/ 40Ar-Lasertechnik ist eine Variante der
39
Ar/ 40Ar-Datierung mit analytisch höchster Verfeinerung. Hierbei wird die Probe nach der Bestrahlung
im Reaktor durch einen fokussierten Laserstrahl erhitzt und verdampft und die freigesetzten Argon-Ionen werden ins Gasmassenspektrometer geleitet. Die
Erhitzung kann sogar stufenweise erfolgen, womit Informationen über eventuellen Argonverlust oder -überschuss bei bestimmten Temperaturstufen gewonnen
werden. Ein entscheidender Vorteil der Technik liegt
darin, dass nur noch sehr geringe Probenmengen im
Milligrammbereich erforderlich sind, bis hin zur Datierung einzelner Körner kaliumhaltiger Minerale wie
Sanidine (vulkanische Kalifeldspäte) oder Phlogopite
(dunkle vulkanische Glimmer). Einzelkörner mit gestörtem K-Ar-System werden somit erkennbar. Die Untersuchung räumlich inhomogener Argonverteilung in einer Probe wird ebenfalls möglich. Diese Vorteile und
die hohe Präzision der massenspektrometrischen Messung kommen besonders der Datierung junger (quartärer) Vulkanite zugute.
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