LES OFFRANDES OUBLIÉES Die vergessenen Opfer Sinfonische Meditation Das war mein erstes vom Orchester gespieltes Werk und mein erster Kontakt mit dem großen Publikum. Ich war damals 22 Jahre alt. Komponiert wurde Les Offrandes oubliées 1930, uraufgeführt am 19. Februar 1931 im Theâtre des Champs-Elysées vom Orchestre Straram unter der Leitung seines Chefs und Namenspatrons Walther Straram (anagrammatisch für Marrast). Messiaen, Sohn einer Dichterin, hat seinem Opus eine Art Prosa-Gedicht beigegeben: Die Arme ausgebreitet, zu Tode betrübt, vergießest du auf dem Kreuzesstamm dein Blut. Du liebst uns, süßer Jesus, wir haben es vergessen. Vom Wahnsinn und von der Schlange Zunge getrieben, sind wir in einem atemraubenden, hemmungslosen, unaufhaltsamen Lauf in die Sünde hinabgestiegen wie in ein Grab. Hier ist der reine Tisch, der Quell der Mildtätigkeit, das Festmahl der Armen, hier das anbetungswürdige Mitleid, das uns das Brot des Lebens und der Liebe darbietet. Du liebst uns, süßer Jesus, wir haben es vergessen. In seinem Eigenkommentar hat Messiaen sein Stück als eine Art Altar-Triptychon erläutert: DAS KREUZ: Klage der Streicher, deren schmerzvolle ‚Neumen’ die Melodie in Gruppierungen ungleicher Dauer unterteilen, von tiefen grauen und malvenfarbigen Seufzern zerschnitten. DIE SÜNDE: Dargestellt hier als eine Art ‚Lauf in den Abgrund‘, in einer nahezu ‚mechanisierten’ Geschwindigkeit. Man wird die starken Akzente bemerken (Beugungsendungen in der Grammatik vergleichbar), das Pfeifen der Glissandi, die schneidenden Rufe der Trompeten. DIE EUCHARISTIE: Lange und langsame Phrase der Violinen, die sich über einem Teppich aus pianissimo- Akkorden erhebt, rot-, gold-, blaugetönt (gleich einem fernen Kirchenfenster), im Lichte der gedämpften Streichersoli. Die Sünde ist die Gottvergessenheit. Das Kreuz und die Eucharistie sind die göttlichen Opfer: ‚Siehe da, mein Leib, der für euch hingegeben wird. Siehe da, mein Blut, das für euch vergossen wird.’ L’ASCENSION Die Himmelfahrt Vier Sinfonische Meditationen für Orchester Die viersätzige L’Ascension wurde 1932/33 komponiert und im Februar 1935 in Paris unter Robert Siohan uraufgeführt. Die Orgelversion ist eine Transkription der Orchesterfassung, für die Messiaen einen neuen dritten Satz schrieb. In seinem Werkkommentar zitiert der Komponist jeweils nach den Satztiteln die Bibeltexte, die ihm als Inspiration dienten: 2 Majestät Christi, der seinen Vater um seine Verherrlichung bittet ‚Vater, die Stunde ist gekommen, verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche.‘ (Hohepriesterliches Gebet Christi, Johannes-Evangelium) Die Verherrlichung Christi, die am Kreuz begann und sich in der Auferstehung fortsetzte, ist erst am Tag der Himmelfahrt vollendet. Jene Verherrlichung, um die Christus in seinem hohepriesterlichen Gebet bittet, am Ende seiner Ansprache beim Abendmahl, sie ist bereits vollzogen durch die Vereinigung von Menschheit und Gottheit in der einzigartigen Gestalt Christi. 3 Frohe Hallelujas einer Seele, die den Himmel ersehnt ‚Wir bitten dich, allmächtiger Gott, gib, dass wir mit unserem Geiste im Himmel wohnen.‘ (Himmelfahrts-Messe) Den Himmel im Geiste bewohnen, das ist die dem Feiertag gemäße Gnade. Im Stil ist das Stück beschaulich, in der Form am Wechsel von Refrain und Couplets orientiert. Die Couplets verbinden die schmiegsamen Spiralen der Neumen des gregorianischen Chorals mit Verzierungen pastoralen Charakters. Und jedesmal wenn der Refrain auftaucht, haben wir eine neuerliche Variation vor uns. Halleluja auf der Trompete, Halleluja auf der Zimbel ‚Aufgefahren ist der Herr im Schall der Posaunen. Ihr Völker alle, schlagt in die Hände, preiset Gott mit frohlockenden Stimmen.‘ (Psalm 46) Auferstehung und Himmelfahrt Christi sind das Vorspiel zu unserem Eingang in den Himmel. Diese Wahrheit erfüllt uns mit Freude, einer Freude, die sich in einem neuen Halleluja ausdrückt, das weniger verinnerlicht, vielmehr überschwänglicher ist als das des vorhergehenden Stückes. 5 Gebet Christi, der zum Vater auffährt ‚Vater, ich habe deinen Namen den Menschen kundgetan. Ich bleibe nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt, und ich komme zu dir.‘ (Hohepriesterliches Gebet Christi, Johannes-Evangelium) Im Abendmahlssaal hat Christus, als erstes, diese Worte gesprochen und damit die Begriffe von Zeit und Raum außer Kraft gesetzt. Sie werden im Augenblick der Himmelfahrt von neuem ausgesprochen werden und vereinigen in sich die ganze Feierlichkeit dieses Aufbruchs von der Erde als einer Erhebung, die alle Himmelsregionen weit hinter sich lässt. POÈMES POUR MI Gedichte für Mi für dramatischen Sopran und Orchester Im Jahre 1936 heiratete Messiaen, 28-jähriger Organist an Sainte-Trinité in Paris (eine Stelle, die er mehr als 60 Jahre versah), die zwei Jahre ältere Geigerin und Komponistin Claire Delbos, 1937 wurde ihr Sohn Pascal geboren. Das familiäre Glück dauerte nicht lange. Claire Delbos wurde zu Beginn des Krieges schwer krank (ein Nerven-und Gehirnleiden, Messiaen sprach auch Freunden gegenüber nicht von der Art der Krankheit), starb aber erst zwei Jahrzehnte später. Zu den Kompositionen, die Messiaen für sie schrieb, gehören zwei Liederzyklen, deren erster – Poèmes pour Mi – 1936 in der Fassung für Gesang und Klavier, ein Jahr später in der Version für Orchester entstand. („Mi“ war der Kosename Claires – und ist in den romanischen Ländern die Bezeichnung für den Ton ,e’, die höchste leere Geigensaite. Die Neunzahl der Sätze weist auf die Schwangerschaftsmonate.) Messiaen – Sohn der Lyrikerin Cécile Sauvage – schrieb die Gedichte selbst, Verse, in denen Aspekte irdischer und himmlischer Liebe verschmelzen, das Lob der Geliebten und Gotteslob, Ehe und Theologie ineinander übergehen. Die Landschaftsbilder sind inspiriert von Messiaens Lieblingsgegend, der Dauphiné im französischen Südosten, das Vokabular und die Bildsprache von der Bibel und dem surrealistischen Dichter Pierre Reverdy. Erstes Buch 6 I. Dankgebet II. Landschaft III. Das Haus IV. Entsetzen Zweites Buch V. Die Gattin VI. Deine Stimme VII. Die beiden Krieger VIII. Das Halsband IX. Erhörtes Gebet TURANGALÎLA-SYMPHONIE für Klavier, Ondes Martenot und Orchester Diese Sinfonie ist eine Bestellung von Serge Koussevitsky, dem langjährigen Chef des Boston Symphony Orchestra, der schon 1936 eine Messiaen-Komposition (Offrandes oubliées) in Boston dirigierte – die erste damals in den USA erklingende. Koussevitsky holte Messiaen auch 1949 als Dozenten an sein berühmtes Tanglewood- Festival, im Jahr der Uraufführung von Turangalîla, die vom Koussevitsky-Assistenten Leonard Bernstein geleitet wurde. Seitdem steht die Musikwelt fasziniert und immer noch ein wenig fassungslos vor dem monumentalen Zehnsätzer, einem virtuosen Poème de l’extase, in dem sich Konstruktivismus mit wollüstigen Klangschwelgereien aufs seltsamste verbindet. Turangalîla – der Name setzt sich zusammen aus zwei vieldeutigen Begriffen der altindischen Kunstsprache Sanskrit, wobei „turanga“ Zeit, Bewegung und Rhythmus meint und „lîla“ das kosmische Spiel von Werden und Vergehen, vor allem aber „Liebe“, spirituelle und weltliche. Die Paradoxien und Dichotomien des MessiaenStils sind hier voll ausgeprägt, die Einflüsse reichen vom „Tristan-und-Isolde“Mythos bis zu elaborierten Resultaten seiner Rhythmuslehre, Ekstase wechselt mit gänzlicher Weltent- rücktheit, Puccini-Anklänge verbinden sich mit VarèseReminiszenzen, Klavierkaskaden in Liszt- Manier treffen auf die heulenden Glissandi und Süßlichkeiten des elektronischen Instruments Ondes Martenot. Neben den zahlreichen Themen, die jedem der zehn Sätze zugeordnet sind, kennt die Turangalîla- Sinfonie vier zyklische Themen, die man im Verlauf des Werkes fast überall antrifft [...] Das erste zyklische Thema mit seinen schweren Terzen – es wird fast immer fortissimo von den Posaunen gespielt – ist brutal, bedrückend und erschreckend wie altmexikanische Monumente. Es hat in mir stets das Bild einer furchtbaren, unheilvollen Statue wachgerufen [...] Ich gebe ihm daher die Bezeichnung ‚StatuenThema‘. Das zweite zyklische Thema – den einschmeichelnden Klarinetten im pianissimo anvertraut – ist zweistimmig und erinnert an zwei wiederholt aufblickende Augen [...] Der Vergleich mit einer Blume trifft hier am genauesten. Man denkt an die zarte Orchidee, die dekorative Fuchsie, die rote Gladiole oder die so biegsame Lilie [...] Das dritte zyklische Thema ist zugleich das bedeutsamste von allen: das ‚Liebes-Thema‘. Das vierte zyklische Thema besteht aus einer einfachen Akkordfolge. Bei ihm handelt es sich weniger um eine Themengestalt als um Stoff für verschiedenartige klangliche Grundierungen [...] I. Einleitung Hier werden die beiden ersten zyklischen Themen vorgestellt: das ‚Statuen-Thema‘ erklingt im fortissimo der Posaunen, das ‚Blumen-Thema‘ ist den pianissimo spielenden Klarinetten anvertraut. Nach einer Kadenz des Solo-Klaviers folgt das Kernstück des Satzes. Es bringt die Überlagerung zweier rhythmischer Ostinati in Holzbläsern und Streichern, ferner eine ‚Gamelan‘-Schicht, schließlich eine vierte musikalische Struktur mit alternierenden, einander antwortenden Blechbläser und Klavierakkorden. Schlussphase mit dem ‚Statuen-Thema‘. 2 II. Erster Liebesgesang Refrainform mit zwei Couplets und einer Durchführung. Der Refrain bringt stets im Wechsel zwei in Tempo, Dynamik und Emotion gegensätzliche Elemente. Das erste Element ist ein rasches, stark und leidenschaftlich zu spielendes Trompetenmotiv; das zweite hingegen langsam, leise und zart (Ondes, Streicher). Man beachte im ersten Couplet das Wechselspiel zwischen fahlem Näseln (tiefe Oboe, tiefes Englischhorn, Chalumeau-Register der Klarinetten) und Pizzicato-Klängen. Das Ganze vermischt sich mit den col-legno-Nuancen der Violinen und den perkussiven Klängen in Klavier und Glocken. III. Turangalîla 1 Erstes Thema alternierend zwischen Klarinette und Ondes Martenot (metallisches Echo-Timbre); hinzu kommen Tonpunkte einer Glocke und des Vibraphons sowie Kontrabass-Pizzicati. Zweites Thema im tiefen Posaunenregister; ihm überlagert sich ein ‚Gamelan‘, ausgeführt von Celesta, Glockenspiel, Vibraphon und Klavier. Drittes Thema – es ist geschmeidiger, gewundener – in Oboe und Flöte in Form eines Krebskanons. Kombination beider Themen im fortissimo spielenden Blech. Zarte, wie von weither erklingende Coda, die anstelle einer Reprise nur einige kurze Anspielungen auf frühere Verlaufsmomente bringt. Ab der Mitte des Satzes lässt sich ohne Unterbrechung bis Satzende ein viertes, lediglich rhythmisches Thema vernehmen. Es handelt sich um drei ‚rhythmische Personen‘, übertragen auf drei Schlaginstrumente (Maracas, Holzblock, große Trommel). Das Ohr vernimmt das mineralische Timbre kleiner Kiesel oder Bleikügelchen, wie sie die Maracas enthalten; daneben das vegetabile hölzerne Timbre des Woodblocks; schließlich das animalische Timbre, das vom Fell der großen Trommel herrührt. Die Rollen der drei rhythmischen Charaktere sehen vor, dass die große Trommel ‚wächst‘, die Maracas ‚schrumpfen‘, der Holzblock rhythmisch unverändert bleibt. IV. Zweiter Liebesgesang Eine Untergliederung in neun Sektionen ist denkbar: 1. Scherzo in Piccoloflöte und Fagott, dazu rhythmisches Thema des Holzblocks; 2. Überleitung; 3. Refrain und Trio 1 in den Holzbläsern; 4. Trio 2 in den Solo-Streichern; 5. Überlagerung beider Trios in Holzbläsern und Streichern, dazu Vogelgesänge des Klaviers; 6. Überleitung; 7. Reprise, zugleich Überlagerung des Scherzos mit beiden Trios und dem ‚Statuen-Thema‘ – hier werden alle Elemente des Satzes simultan hörbar; es ergibt sich eine komplexe Schichtung von zehn einander überlagerten Einzelschichten; 8. Kadenz des Solo-Klaviers; 9. Coda – es erklingen: das ‚Blumen-Thema‘ (Klarinetten, pianissimo), das ‚Statuen-Thema‘ (Posaunen, fortissimo) und ein Refrain (Ondes Martenot, Soloviolinen). Erwähnenswert die Schlussbildung, eine fächerartige Anlage unter Beteiligung von Vibraphon und Klavier, grundiert vom ruhigen, fast weihevollen pianissimo-Klang dreier Posaunen. V. Freude des Sternenblutes Dies ist ein lang anhaltender, frenetischer Freudentanz. Um die Exzesse dieses Satzes begreifen zu können, vergegenwärtige man sich, dass für wahrhaft Liebende die Vereinigung sich als eine Verwandlung geradezu kosmischen Ausmaßes darstellt. André Breton betrachtet die Geliebte als Verkörperung der Elemente: ‚Meine Frau, deine Augen gleichen einer Wasserfläche, einer Fläche aus Luft, Erde und Feuer [...]‘ Bereits bei Shakespeare spricht die Liebende (Julia): ‚So grenzenlos ist meine Huld, die Liebe | So tief ja wie das Meer [...]’ Und Tristan sagt zu Isolde: ‚Und wären alle Menschen dieser Welt um uns, | so sähe ich doch nur dich allein [...]‘ – Der Satz baut sich auf einem einzigen Thema auf, einer Variante des ‚StatuenThemas‘. Von größerer Bedeutung ist der große zentrale Durchführungsteil. In Posaunen und Hörnern erklingt das ‚Statuen-Thema‘ in der Ausgestaltung zu ‚rhythmischen Personen‘. Drei solcher ‚Personen‘ kommen vor: die erste augmentiert, die zweite diminuiert, die dritte rhythmisch unverändert [...] Im Anschluss an diesen schmetternden Tuttiabschnitt steigert sich das Freudendelirium noch dank einer Klavierkadenz, die das ‚Statuen-Thema‘ in rasendes Tempo überführt [...] VI. Garten des Liebesschlummers Eine einzige große, vom ‚Liebes-Thema‘ sich herleitende Phrase beansprucht den ganzen Satz. Sie ist den Ondes Martenot und den sordinierten Streichern anvertraut. Das Solo-Klavier spielt Vogelgesänge, Gesänge einer Nachtigall, einer Amsel und einer Gartengrasmücke, in stilisierter beziehungsweise idealisierter Gestalt. Zwei Tempelblocks folgen mit ihren sehr gedehnten Werten parallel geführten ‚chromatischen‘ Dauernskalen. Die eine verläuft vorwärts zu immer längeren Dauern von der Gegenwart hin zur Zukunft, die andere Skala geht rückwärts, also von sehr langen zu weniger langen Dauern, und wandelt so die Zukunft um in Vergangenheit; beide versinnbildlichen sie den Lauf der Zeit. – [...] Die Zeit verrinnt, doch ist sie in Vergessenheit geraten. Die Liebenden befinden sich außerhalb der Zeit; wecken wir sie nicht [...] VII. Turangalîla 2 Zwei orchestrale Wirkungen mögen hervorgehoben werden: [1] Ein sich schließender Fächer [...] mit den Ondes Martenot einerseits und drei Posaunen samt Tuba andererseits als ‚Widersachern‘ [...] [2] Ein furchterregender Rhythmus, der das Akkord-Thema, dazu metallische Schläge, verwendet, der den gleichzeitigen Eindruck von Ausdehnung und Kontraktion, Höhe und Tiefe auslöst. Jede Zeile endet mit einem unerbittlichen Schlag des Tam-tam. Dies lässt an die beiden Schreckensbilder in Edgar Allan Poes berühmter Erzählung ,Der Abgrund und das Pendel‘ denken: an Pendel in Messergestalt, die sich stetig dem Herzen des Gefangenen nähern; an die Tiefen des unbeschreiblich scheußlichen Folterverlieses [...] VIII. Entwicklung der Liebe Diese Überschrift lässt eine doppelte Deutung zu. Woran mag zunächst gedacht werden? An die Liebenden, die voneinander nicht ablassen können. Der Liebestrank hat sie, wie im mittelalterlichen Tristan- Roman beschrieben, für immer miteinander verbunden. Doch ist diese unaufhörlich anwachsende, sich ins Unendliche vervielfachende Leidenschaft nicht der einzige Aspekt des Titels. Auch von einer durchführungsartigen Entwicklung in musikalischer Hinsicht muss gesprochen werden [...] Im Verlauf dieser groß angelegten Durchführung hört man das ‚AkkordThema‘, das ‚Blumen-Thema‘ und drei heftige Ausbrüche des ‚Liebes-Themas‘ [...] Die explosiven Ausbrüche des ‚Liebes-Themas‘ zeigen uns Tristan und Isolde, erhoben zu dem einen Wesen Tristan-Isolde und damit den Gipfelpunkt der ganzen Sinfonie. Der abschließende Tam-tam-Schlag ruft Echovibrationen in den Gralsgrotten hervor. Man vernimmt die Nachklänge jenseitiger Sprachen, das ‚Statuen- Thema‘ neigt sich über Abgründe [...] IX. Turangalîla 3 In diesem eigenartigen Satz ist ein melodisches Thema festzustellen, dem zahlreiche Varianten seiner selbst im Klavier, in der ‚Gamelan‘-Formation, in den Ondes Martenot und den Holzbläsern überlagert werden. Ferner hört man einen ‚rhythmischen Modus‘, der siebzehn Dauernwerte vermischt und die so entstandenen Folgen fünf verschiedenen Perkussions-Timbres in der Gleichzeitigkeit zuordnet [...] X. Finale Erstes Thema: Fanfare in den Trompeten und Hörnern. Zweites Thema: das ‚LiebesThema‘. Der triumphalen Coda geht eine letzte Explosion des ‚Liebes-Themas‘ in Gestalt eines fortissimo-Tuttis voraus. In diesem großen Tutti halten sich die drei Orchestergruppen Holz, Blech und Streicher gegenseitig die Balance. Die Durchschlagskraft der Blechbläser gewinnt indessen eine emotionale Komponente dank der überirdischen Stimme der Ondes Martenot in den höchsten Registern. Ihre Leuchtkraft, ihre Freudentränen übertragen sich aufs ganze Orchester [...] RÉVEIL DES OISEAUX Das Erwachen der Vögel für Klavier und Orchester Übersetzen Sie meinen Text bitte ins Deutsche, ohne etwas zu ändern (weder etwas hinzufügen, noch etwas weglassen). Um Ihnen die Arbeit zu erleichtern, gebe ich Ihnen die Namen der Vögel in Französisch und in Deutsch [...] Für einen einzigen Vogel, der ziemlich selten ist – ‚la bouscarle‘ – habe ich in meinen Fachbüchern den deutschen Namen nicht finden können [...] Fügen Sie meiner Analyse keinerlei Biographie, keine menschliche oder musikalische Betrachtung bei: ich will hinter den Vögeln zurücktreten, schrieb im Juli 1953 Olivier Messiaen selbstbewusst und demütig an den SWF-Musikgewaltigen Heinrich Strobel, der ihn um den obligaten Werkkommentar zu seinem neuen Stück Réveil des oiseaux gebeten hatte. („La bouscarle“ ist übrigens der „Seidenrohrsänger“.) Damals gab es schon eine kleine Messiaen-Tradition beim SWF: 1948 hatte das Orchester bereits Les Offrandes oubliées, 1951 die deutsche Erstaufführung der Turangalîla-Sinfonie gespielt; im selben Jahr noch sollte der Harawi-Liederzyklus in Donaueschingen erklingen. Und Réveil des oiseaux wurde das zweite von insgesamt sechs in Donaueschingen präsentierten Messiaen-Werken – und wiederum die erste von drei Uraufführungen. Réveil des oiseaux ist so etwas wie die Rücknahme von Beethovens „Pastorale“ – also „mehr Malerei als Ausdruck der Empfindung“ –, betritt mithin von der entgegengesetzten Seite den Bezirk einer arkadisch-utopischen Übereinkunft von Natur und Kunst. Es ist die erste Messiaen-Partitur, in welcher der „style oiseau“ jedes Detail durchdringt – ein ornithologisches Klavierkonzert, das nur und ausschließlich aus Vogelgesängen und -rufen besteht, zu denen Messiaen auch das Klopfen des Spechts (auf dem woodblock) zählt. Zwischen den drei miteinander korrespondierenden Nachtigallen in der anfänglichen Klavierkadenz und dem „fernen Kuckuck“ des Schlusstaktes haben noch weitere 36 Vögel zwischen Amsel und Zilpzalp ihre Auftritte; sie erwachen nach dem Zeitplan der (Frühlings)-Natur, dem auch die Partitur folgt: Mitternacht – Vier Uhr morgens, Dämmerung (in der ein verwirrend polyphones „grand tutti“ beginnt, das mit dem Sonnenaufgang schlagartig aufhört) – Morgengesänge – Mittag (der in eine „grand silence“ mündet). Das Stück hat eine Dreifach-Widmung: an Messiaens ornithologischen Lehrmeister Jacques Delamain, an Yvonne Loriod, die Uraufführungs-Pianistin und spätere zweite Ehefrau Messiaens und an „alle Vögel unserer Wälder“. OISEAUX EXOTIQUES Exotische Vögel für Klavier und Kammerorchester Das außereuropäische Gegenstück zu Réveil des oiseaux war ein Auftrag von Pierre Boulez für seine Konzertreihe „Domaine musical“ und wurde im März 1956 im Petit Théâtre Marigny uraufgeführt. Der Dirigent war Rudolf Albert, die Pianistin – natürlich – Yvonne Loriod. Die Orchesterbesetzung besteht aus acht Holz- und drei Blechbläsern, Glockenspiel, Xylophon und neun Schlaginstrumenten mit unbestimmter Tonhöhe. Das Stück wird durch fünf Vogelruf-Klavierkadenzen gegliedert, enthält bis zu sechzehnstimmige Kontrapunkte von insgesamt 47 Vogelarten (darunter indische Mainate, chinesische Leiothrix, virginischer roter Kardinal, Baltimoretrupial, Orpheusspötter, Swainson-Drossel, Katzenvogel, Paperling), verwendet und schichtet dreizehn rhythmische Modelle, davon sechs indische und sieben griechische (darunter wiederum asklepiadeische, sapphische und adonische Versmaße). CHRONOCHROMIE für großes Orchester Elle est de couleurs et de temps rythmés („Sie besteht aus rhythmisierten Farben und Tondauern“) hatte schon Debussy die französische Musik sachlich definiert – was für seine eigene gilt, noch nachdrücklicher jedoch gewiss für diejenige Messiaens. Der nannte ein Orchesterstück sogar Chronochromie, also „Zeitfarbe“, und es ist ebenfalls Bestandteil der SWRMusikgeschichte: 1960 wurde es unter Hans Rosbaud in Donaueschingen uraufgeführt. Messiaen ist hier weniger Theologe als Rhythmiker, Ornithologe und Synästhetiker, bringt auch hier Natur und Kunst zusammen, indem er mit komplizierten rhythmischen Reihen operiert, aber auch Wasserfallgeräusche und – natürlich – den Gesang exotischer Vögel in Musik übersetzt. Im vorletzten Satz – einer 18-stimmigen „Vogelfuge“ der Streicher – geschieht das so nachdrücklich, dass sogar das Donaueschinger Auditorium damals an seine Toleranzschwelle gebracht wurde – was Messiaen wiederum zu dem erstaunten Ausruf veranlasste: Komisch, sie haben bei der hübschesten Stelle protestiert! Chronochromie, von allen orchestralen Messiaen-Werken am avanciertesten anmutend, orientiert sich mit seiner Siebensätzigkeit an einer erweiterten Form der Chorlieder der klassischen griechischen Tragödie. ‚Chronochromie’ beruht auf zwei Grundelementen: Klang und Zeit. Das zeitbestimmende oder rhythmische Material, bei weitem das wichtigste, verwendet zweiunddreißig verschiedene Zeitwerte; sie werden symmetrischen Permutationen unterworfen, die beständig nach der gleichen Regel erfolgen. Die so erreichten Permutationen sind teils einzeln, teils bruchstückhaft, teils im Verhältnis 3:3 übereinandergeschichtet zu hören. Das klangbestimmende oder melodische Material verwendet Vogelgesänge aus Frankreich, Schweden, Japan, Mexiko sowie Geräusche von Wasserfällen der französischen Alpen. Die äußerst vielfältigen Mischungen von Tönen und Klangfarben bleiben den Zeitwerten unterworfen, die durch Kolorierung betont werden. Die Farbe dient also der Gliederung der zeitlichen Abschnitte [...] 3 I. Introduction II. Strophe I III. Antistrophe I IV. Strophe II V. Antistrophe II VI. Épôde VII. Coda ET EXSPECTO RESURRECTIONEM MORTUORUM Und ich erwarte die Auferstehung der Toten für Holzbläser, Blechbläser und Metallschlagzeug Messiaen hat den Auftrag, den ihm 1964 der Schriftsteller André Malraux in seiner Eigenschaft als Kulturminister de Gaulles erteilte, ein wenig umgewidmet. Er sollte ein Stück zum Gedenken an die Toten beider Weltkriege komponieren, schrieb aber kein Requiem – das hatten schließlich schon agnostische oder gar atheistische Komponisten vor ihm getan –, sondern überlegte: „Der Tod? Es gibt ihn natürlich. Ich für meinen Teil betone die Auferstehung!“ und komponierte ein Stück für 34 Bläser und Schlagzeug, das er mit dem Kernsatz des katholischen „Credo“ überschrieb. Im Übrigen: Es ist vielleicht sinnvoll, daran zu erinnern, dass sich der Autor, als er die Partitur schrieb, gerne mit kraftvollen und einfachen Bildern umgab – mexikanischen Stufenpyramiden, altägyptischen Tempeln und Statuen, romanischen und gotischen Kirchen –, dass er erneut Texte des heiligen Thomas von Aquin über die Auferstehung las, dass er in den Hautes-Alpes arbeitete, im Angesicht der gewaltigen und feierlichen Landschaften, die seine wahre Heimat sind. Im Vorwort der Partitur beschreibt Messiaen auch die Umstände der ersten drei Auffüh- rungen: der vom 7. Mai 1965 in der Pariser Sainte Chapelle (in Anwesenheit von Malraux), wo „das Blau, Rot, Gold, Violett“ der Kirchenfenster und die Vormittagssonne so wundervoll mit den Klängen korrespondierten; der vom 20. Juni 1965 in der Kathedrale von Chartres (in Anwesenheit von General de Gaulle und dem Erzbischof), „weltberühmt wegen der Schönheit ihrer Architektur, Statuen und Fenster“ (beide Male dirigierte Serge Baudo); und der Aufführung am 12. Januar im Odeon-Theater („bei geringerem mystischen Glanz“, aber musikalisch „nicht weniger ruhmreich“) unter Pierre Boulez. I. Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Herr, höre meine Stimme! (Psalm 130, V. 1 und 2) Die Kirche schreibt diesen Psalm den Seelen im Fegefeuer zu, die auf das Paradies hoffen – und allen (Lebenden und Toten), die die Auferstehung erwarten. Thema der Tiefe im schweren Blech – Harmonisierung mit farbigen Komplexen der sechs Hörner – Schrei aus dem Abgrund. 2 II. Christus, von den Toten erweckt, stirbt hinfort nicht; der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen. (Paulus, Brief an die Römer, Kap. 6, V. 9) Einige schnelle Noten – dieselbe Melodie („sehr langsam“) ‚par manques‘ („durch Schwund“: ein sechsstimmiger Akkord wird sukzessive so weggeblendet, dass die Melodietöne „übrigbleiben“) – wieder dieselbe Melodie in Oboe und Klarinette, Echos in der Flöte. Cencerros, Glocken und Gongs spielen einen indischen ‚Simhavikrama‘Rhythmus („die Stärke des Löwen“). In der Apokalypse wird Jesus ‚der Löwe von Judäa‘ genannt [...] Er ist (der hinduistischen Gottheit) Shiva gewidmet [...] und Shiva ist Sinnbild für den Tod des Todes [...] Darüber eine Trompetenmelodie, die sich aus den Farbkomplexen der Holzbläser erhebt (ein wenig wie der auferstandene Christus von Matthias Grünewald, der in einem Regenbogen zu entschweben scheint). 3 III. Es kommt die Stunde, da die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden. (Johannes-Evangelium, Kap. 5, V. 25) Die Stimme, die die Toten erweckt [...] ist dreifach symbolisiert. Erstes Symbol: der den Holzbläsern anvertraute Gesang des Uirapuru, eines geheimnisvollen, magisch flötenden Amazonasvogels. Eine Legende besagt, dass man ihn im Augenblick des Todes hört. Zweites Symbol: das Schweigen und die Permutationen der Glocken. Drittes Symbol: ein langanhaltender, gewaltiger Klang des Tam-tam. 4 IV. Sie werden auferstehen in Herrlichkeit, mit einem neuen Namen – im freudigen Konzert der Sterne und im Jauchzen der Himmelssöhne. (Paulus, erster Brief an die Korinther, Kap. 15, V. 43; Offenbarung des Johannes, Kap. 2, V. 27; Buch Hiob, Kap. 38, V. 7) [...] Die drei geheimnisvollen Schläge, das dreifache Echo, die pianissimo- und fortissimo- Klänge der Tam-tams, die immer wieder den Ablauf der Musik unterbrechen, symbolisieren zum einen den Anruf der Trinität, den feierlichen Moment der Auferstehung und die ferne Melodie der Sterne. Der österliche Introitus der Glocken und Cencerros, das Halleluia der Trompeten mit ihrem Lichthof aus Obertönen symbolisieren eine der Eigenschaften der verherrlichten Leiber: die Gabe der Reinheit. Die Kalanderlerche, ein Vogel aus Spanien und Griechenland [...] symbolisiert die Freude [...] Dann vereinigen sich alle Themen. Wir finden den OsterIntroitus wieder, das Trompeten-Halleluia, den Rhythmus ,Simhavikrama‘ und sogar das Posaunenthema des ersten Satzes. Die Engel und Sterne vereinigen sich, um die Deutsch Auferstandenen in ihrer Herrlichkeit zu preisen: vier Musiken, vierfaches Farbenspiel, vier Klangkomplexe werden übereinander geschichtet [...] V. Und ich hörte die Stimme einer unermesslichen Schar ... (Offenbarung des Johannes, Kap. 19, V. 6) ,Wie das Tosen eines Wasserfalls‘: Lobgesang der Heiligen, dessen feierliche Gewalt in der Apokalypse beschrieben wird. Das OrchesterTutti und die unaufhörlichen Gongschläge bewirken diesen gewaltigen, einhelligen und einfachen Choral-Effekt. LA TRANSFIGURATION DE NOTRE-SEIGNEUR JÉSUS-CHRIST Die Verklärung unseres Herrn Jesus Christus für gemischten Chor, sieben Instrumentalsolisten und Orchester Das alle liturgischen Dimensionen sprengende Oratorium war ein Auftragswerk für die in Lissabon ansässige Kulturstiftung des armenischen Ölmagnaten Calouste Gulbenkian. Knapp vier Jahre lang, von 1965 bis 1969, hat Messiaen an dem Stück gearbeitet, dessen lateinische Texte er selbst aus Altem und Neuem Testament, dem römisch-katholischen Messbuch und der Summa theologica des Thomas von Aquin zusammenstellte. Thema ist der Matthäus-Bericht von der Verklärung Christi auf dem galiläischen Berg Tabor in Anwesenheit der Jünger Petrus, Jakobus und Johannes. „Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie Schnee“ heißt es im Evangelium. Es ist diese Messias- Vision der Jünger, die Messiaen in Musik übertragen wollte, Vorahnung des Jenseits, Blick ins Paradies, auf lichtüberflutete himmlische Landschaften. Dazu bedient er sich aufwendigster Mittel: eines 100-Personen-Chores, einer Gruppe von sieben Instrumentalsolisten und eines riesig besetzten Orchesters, darunter alleine sechs Schlagzeuger, die überwiegend exotisches Instrumentarium zu bedienen haben – besonders beeindruckend die Kollektion von Gongs und Tamtams. Das Werk ist in zwei Septenarien – zwei Gruppen zu je sieben Sätzen – unterteilt. Auf jede Lesung eines Evangelientext-Fragmentes zum Thema Verklärung folgen zwei Stücke, in denen die Hauptgedanken näher ausgeführt werden. Jedes Septenarium endet mit einem Choral. Der Aufbau ist also folgendermaßen: Erstes Septenarium I. Lesung aus dem Evangelium II.|III. Meditationen IV. Lesung aus dem Evangelium V.|VI. Meditationen VII. Schlusschoral Zweites Septenarium VIII. Lesung aus dem Evangelium IX.|X. Meditationen XI. Lesung aus dem Evangelium XII.|XIII. Meditationen XIV. Schlusschoral Erstes Septenarium I. Assumpsit Jesus Petrum et Jacobum Rhythmische Einleitung durch die Metallschlaginstrumente, die Tempelblocks, die Claves und die Glocken. Der Evangelientext als unbegleitetes Rezitativ. Pause und Vokalise auf das Wort ‚Transfiguration’. II. Configuratum corpori claritatis suae Wiederaufnahme der Idee des Lichtes. Wenn Christus im Licht erstrahlte, dann werden auch wir es nach der Auferstehung tun, sobald uns die Gabe der Helligkeit gegeben sein wird. Die Stimme des Schwarzkehl-Honiganzeigers (eines afrikanischen Vogels) verkündet es freudig und die Tenöre geben ihrer Erwartung Ausdruck: ‚exspectamus‘. 8 III. Christus Jesus, splendor Patris Weiterhin die Idee des Lichtes, freilich eines höheren Lichtes. Der Blitzschlag als Symbol: ‚Deine Blitze erhellten den Erdkreis‘. Die Vögel des Hochgebirges – Alpenblaurake und Alpenbraunelle – vereinigen ihre Stimmen mit denen des Dreifarben- Glanzstars (Afrika) und des Baltimore-Trupials (Nordamerika). Was Marimba und Xylorimba zu spielen haben, kontrastiert mit den tiefen Tönen der Kontrabasstuba. Ein massiver akkordischer Satz verkündet die Majestät Christi, ‚Abglanz des Vaters und Abbild seines Wesens‘. Und der Streifenkauz (in den Hörnern) drückt ehrfürchtige Verehrung aus [...] 9 IV. Et ecce apparuerunt Rhythmische Einleitung. Fortsetzung des Evangelientextes als unbegleitetes Rezitativ. 10 V. Quam dilecta tabernacula tua ‚Herr‘, sagte der Apostel Petrus, ‚hier ist gut sein für uns [...]‘ Und Psalm 84 verkündet: ‚Wie lieblich sind deine Wohnungen! Deine Altäre, mein König und mein Gott! [...]‘ Die Männerstimmen zart und sanft, der ganze Chor dann heftiger und lauter. Modale Farben entfalten sich: Gold und Violett, Rot und Purpurviolett, golden und tiefblau gesprenkeltes Graublau, das Grün und das Orange, das Blau und das Gold, das Gelb und das Violett golden und weiß gestreift [...] Das Solo-Violoncello besingt die schlichte Helligkeit des ewigen Lichtes. Das Solo-Klavier fügt die Stimme des amerikanischen Rotkehl-Hüttensängers hinzu, das Solistenensemble lässt den Steinrötel hören (einen Gebirgsvogel mit intensiv orangefarbenem und schieferblauem Gefieder). Zum Schluss summt der Chor rote und goldene Harmonien: schwebender Klangteppich, pianissimo aus weiter Ferne, darüber nachts, im Klavier, die erste Strophe der Nachtigall [...] 11 VI. Candor est lucis aeternae ‚Glanz des ewigen Lichtes’ singen die Frauenstimmen. Mit diesen Worten prophezeit das Buch der Weisheit zugleich den Fleisch gewordenen Sohn und den verklärten Christus. Kontrapunkt aus Vogelstimmen, sehr dicht, die Harmonien vielfarbig. Nach und nach Transformation eines decî-tâla (eines altindischen Rhythmus’) mittels Vergrößerungen und Verkleinerungen. 12 VII. In monte sancto eius Psalm 48 prophezeit jetzt die Größe und die Schönheit unseres Herrn auf dem Berg der Verklärung. Extrem langsamer Choral. Das vierzehnte Stück wird fortissimo enden. Das siebte Stück beschließt das erste Septenarium im pianissimo. Zweites Septenarium VIII. Hic est Filius meus Rhythmische Einleitung (variiert). Fortsetzung des Evangelientextes als Rezitativ. Die leuchtende Wolke wird durch Streicher Glissandi von unterschiedlicher Länge und in unterschiedlichem Tempo wiedergegeben. Die ‚Stimme’ aus der Wolke wird von vielfarbigen TrillerAkkorden begleitet, deren Farben sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegen: die Triller von Triangel und Becken vereinigen sich mit den Streicherflageoletts, um das Erzittern des Lichtes zu unterstreichen [...] IX. Perfecte conscius illius perfectae generationis Entfaltung der Idee der Gotteskindschaft. Sie beginnt mit der Taufe und vollendet sich nach der Auferstehung im Zustand der verklärten Leiber. Sie ist aber nichts als das Abbild der einen Gotteskindschaft, der Abstammung des Sohnes vom Vater. Diese vollkommene Kindschaft begreifen und kennen nur Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die unregelmäßig vergrößerten und verkleinerten Rhythmen von Becken und Gongs, die Pedaltöne der Posaunen, das Tam-tam und die Bass-Stimmen in tiefer Lage versuchen, die Erhabenheit und die Tiefe des Mysteriums zum Ausdruck zu bringen. Zahlreiche Vögel stimmen mit ein: der Pirol, die Alpenbraunelle, der Olivenspötter (Griechenland), der westliche Lerchenstärling (Kanada), die BlaukopfSpottdrossel (Mexiko). Höchst gesangvoller Refrain, dessen Harmonien von grün gestreiftem Blau über Diamant, Smaragd und Purpurviolett bis zu rot und gold geflecktem Schwarz reichen, bei deutlicher Dominanz milchweiß gesprenkelten Oranges. Kadenz der Solisten über den Gesang dreier mexikanischer Vögel: der Trugdrossel, des grauen Saltators und der Tropenspottdrossel. Eine große rhythmische Schichtung überlagert den Rhythmus des Chors mit drei rhythmischen Gruppierungen, bei welchen griechische Versfüße von unterschiedlicher Dauer und indische decîtâlas in rückläufiger Bewegung Verwendung finden. Unisono fortissimo. Eine zweite Strophe nimmt alle diese Elemente wieder auf mit dem Ergebnis einer anderen Musik. Das letzte Unisono schreit die furchtbaren Worte ‚perfectae generationis‘ hinaus. X. Adoptionem filiorum perfectam Die Idee der Gotteskindschaft noch immer. Es geht jetzt um unseren Status als Adoptivkinder: Kinder – soll heißen Erben, Miterben – des Paradieses, des Königreiches Christi. Zu Beginn des Stückes werden Permutationen von Notenwerten einer Klangfarbenmelodie verwendet, wobei dem Solo- Violoncello eine vorherrschende Rolle eingeräumt wird. Lange Kadenz, in der sich die Rhythmen der Schlaginstrumente mit den Vogelgesängen der Solisten mischen: Mönchsgrasmücke (Frankreich) in der Flöte, Weißbart-Grasmücke (Spanien, Griechenland) in der Klarinette, Dreifarben-Glanzstar (Afrika) in der Marimba, Feuertangare, Indigofink und Rosenbrustknacker (Nordamerika) im Solo-Klavier. Einige Soprane und Tenöre singen das Halleluja im pianissimo, Geigenflageoletts, Crotales und Vibraphon begleiten sie mit farbenreichen Akkorden, die zu schillernden Komplexen gebündelt werden. Kontrapunkte der Vogelstimmen in Marimba und Xylorimba (indische Schamadrossel) und im Ensemble der Holzbläser (Wüstengimpel, Diademrotschwanz aus dem Hohen Atlas). XI. Et audientes discipuli Rhythmische Einleitung (verlängert, variiert). Fortsetzung und Schluss des Evangelientextes als Rezitativ und Vokalisen. XII. Terribilis est locus iste Als ich bei klarem Wetter den Mont Blanc, die Jungfrau und die drei Gletscher der Meije in Oisans betrachtete, begriff ich den Unterschied zwischen dem schwachen Glanz des Schnees und der strahlenden Herrlichkeit der Sonne – und konnte mir da auch vorstellen, wie furchterregend der Ort der Verklärung war! [...] Den heiligen Schrecken geben die Pedaltöne der Posaunen und die ClusterTriller in tiefer Lage wieder. Die Kulisse dazu liefern die Schreie der Gebirgsvögel: Wanderfalke, Habichtsadler. Das Licht aus der ‚Höhe‘ erscheint in den Akkorden der Holz- und Blechbläser, die plötzlich ins pianissimo der Geigenflageoletts übergehen: In diesem übernatürlichen Weiß ertönen schaudernd die Pizzicati der Violoncelli und die Akkordfarben des Klaviers, der Glocken und der Crotales. Eine gemeinsame, zwanzigstimmige Vokalise mündet in das Schlusswort ‚terribilis‘. XIII. Tota trinitas apparuit Das ist das am weitesten entwickelte Stück. Die gleiche feierliche Musik veranschaulicht ‚alles, was in der Höhe ist‘: das Gebirge, die ewige Herrlichkeit, die Stimme des Vaters, den Menschen- und Gottes-Sohn, die Heiligkeit des Geistes. XIV. Domine, dilexi decorem domus tuae Extrem langsamer Satz. Fortissimo des ganzen Chors und Orchesters. Dieser letzte Choral beschließt das Werk mit einem Text aus Psalm 26: ‚Ich liebe die Stätte, wo deine Herrlichkeit wohnt!‘ Die Herrlichkeit hat auf dem Berg der Verklärung gewohnt, die Herrlichkeit bewohnt das Heilige Sakrament in unseren Kirchen, die Herrlichkeit wird die Ewigkeit bewohnen. DES CANYONS AUX ÉTOILES … Von den Canyons zu den Sternen … für Klavier, Horn, Xylorimba, Glockenspiel und Orchester Der New Yorker Kunstmäzenin Alice Tully – nach der der exquisite Konzertsaal im Lincoln Center benannt ist – gelang es, Olivier Messiaen zu einer Komposition anlässlich des 200. Geburtstags der USA 1974 zu überreden. Ihr war wohl klar, dass das kein Hymnus auf amerikanische Geschichte und Zivilisation werden würde – Messiaen konnte sich nicht einmal an Wolkenkratzern begeistern –, sondern eine weitere Variante seines „theologischen Regenbogens“. Und er schrieb ein abendfüllendes, wenngleich nur für 44 Musiker konzipiertes Stück: Des Canyons aux étoiles ... reichte, von den (amerikanischen) Canyons bis zu den Sternen. Zuvor hatte er eine Reise zum Bryce Canyon gemacht hatte, zu den Cedar Breaks, zum Zion Park und sich diese unvergleichliche Natur so einverleibt, dass er ebenso die Gesteinsfarben (Orangerot im Bryce Canyon) wie die Gesänge von 52 einheimischen Vogelarten (dazu 14 aus Afrika, fünf aus Australien, je vier aus Hawaii und Japan, zwei aus China, eine aus Indien) vertonen konnte. Und wenn Messiaen im Kommentar zu Satz III darauf verweist, dass er die berühmte Flammenschrift „Menetekel“ vertont hat, ist das ganz wörtlich zu nehmen: Er hatte – für seinen Orgelzyklus Méditation sur le Mystère de la Sainte Trinité – eine „kommunizierbare Sprache“ entwickelt, mit der er das Alphabet in Tonhöhen und - dauern übersetzen konnte. ERSTER TEIL I. Die Wüste Die Wüste ist das Symbol jener Leere der Seele, die ihr gestattet, das innere Gespräch des Geistes zu vernehmen. Ein Hornthema beschwört den Frieden der Wüste. Das Aeolophon (die Windmaschine) erinnert an den Wind, der hier manchmal weht. Eine Vogelstimme ist hier umso kostbarer, als sie von Schweigen umgeben ist: In dieser Stille hört man die Wüstenläuferlerche, eine Sahara-Lerche. Crotales, Piccoloflöte und Violinflageoletts imitieren diese reine, schrille Stimme. ‚Der, den man finden muss, ist unermesslich; man muss von allem frei sein, um ihm die ersten Schritte entgegenzugehen [...] Versenke dich in die Wüste der Wüsten.‘ (Ernest Hello) II. Die Stärlinge Trupiale oder amerikanische Pirole aus dem Westen der USA. Die Mehrzahl von ihnen sind Vögel mit orangefarbenem und schwarzem Gefieder, alle sind ausgezeichnete Sänger. Man hört hier den Weißflügeltrupial im Soloklavier, den Scott-Trupial im Xylorimba, den Lichtenstein-Trupial in Holzbläsern und DTrompete, den Baltimore- Trupial wieder im Klavier, den Goldstern- Trupial erneut im Xylorimba; schließlich den Haubentrupial in Holzbläsern und Glockenspiel. III. Was in den Sternen geschrieben steht … ‚Dies ist die Schrift, die da geschrieben steht: Mene, Tekel, Parsin. Mene: gezählt; Tekel: gewogen; Parsin: geteilt.‘ (Buch des Propheten Daniel, Kap. 5, V. 25 bis 28) Diese Worte gehen zweifellos auf drei orientalische Münzarten zurück und spielen möglicherweise auf die schwindende Macht der babylonischen, medischen und persischen Reiche an. Sie klingen wie ein Erlass göttlichen Rechts. Ich habe davon lediglich die Idee von Zahl, Gewicht und Maß übernommen, um sie auf die Ordnung der Sterne zu übertragen. Die schicksalsschweren Worte werden zunächst mit Hilfe eines Alphabets von Tonhöhen und -dauern gespielt, denen eine gleichbleibende Harmonik zugeordnet ist. Dann kontrastiert ein Blechbläserchoral zu einigen Vogelgesängen. Diese Vögel sind der Klarinettenvogel im Soloklavier, der Berghüttensänger in verschiedenen Instrumenten und drei Vireos: der Braunaugen-Vireo, der SängerVireo und der Weißaugen-Vireo die von Xylorimba, Holzbläsern und Klavier gespielt werden. Außerdem hört man das nordamerikanische Beifußhuhn, dessen durchdringende Schreie in den Beifußstauden von Utah und in der Wüste von Nevada erschallen, und den Canyon-Zaunkönig, dessen besonders charakteristisches AccelerandoRallentando in mehreren Sätzen der Komposition wiederkehrt und immer vom Solohorn vorgetragen wird. Ein letztes Mal werden die Worte gesprochen. ‚Die Hand, die die drei feierlichen Worte an die Wände des verfluchten Festsaals schrieb, hätte sie auch in der Schöpfungs- Stille des siebenten Tages an die Wände des Weltraums schreiben können [...]‘ (Ernest Hello) IV. Der Weißbrauenrötel Ein Stück für Soloklavier. Der Weißbrauenrötel ist ein Vogel aus Südostafrika und ein wunderbarer Sänger. Man wird hier alle Aspekte seines musikalischen Stils wiederfinden: geflötete Strophen, die zweimal, dreimal, sogar bis zu viermal in Folge wiederholt werden – leise und lange Töne mit anschließendem aufsteigendem Crescendo- Accelerando und umgekehrt: lange und laute Töne mit anschließendem absteigendem Accelerando-Decrescendo – außerdem ein tiefes, rollendes Vibrato, das mehr einem Becken- und Maracas-Wirbel (sogar einer fernen großen Trommel) als einem Vogelgesang ähnelt. All dies hat mir erlaubt, für ein ‚Vogel-Klavier‘ zu schreiben, das zugleich ein ‚Orchester-Klavier‘ ist. Für die Accelerandi-Crescendi (oder Decrescendi) habe ich meine ‚Modi mit begrenzten Transpositionsmöglichkeiten‘ verwendet: den Modus sechs 2 (braun, rot, orange, violett), den Modus drei 2 (grau und golden) und die Überlagerung von Modus zwei 3 (grün) und Modus vier 3 (gelb und violett). Was die Klangfarbe der geflöteten, wiederholten Strophen angeht: sie sind Akkorden mit ‚transponierten Umkehrungen‘ und ‚zusammengezogener Resonanz‘ anvertraut, die die Farbpalette noch erweitern. V. Cedar Breaks und die Gabe der Furcht ‚Ersetzt man Angst durch Furcht, so öffnet sich ein Ausblick auf die Anbetung.‘ (Ernest Hello: „Worte Gottes“) Cedar Breaks ist eines der Wunder von Utah. Weniger bedeutend und weniger farbenprächtig als Bryce Canyon, aber doch sehr eindrucksvoll in seiner wilden Schönheit. Es ist ein gewaltiges Amphitheater, das sich zu einem tiefen Abgrund hinabneigt, mit orangefarbenen, gelben, braunen und roten Felsen, stufenförmig ansteigend zu Mauern, Säulen, Türmen, Türmchen und Bergfrieden. Birken, Tannen, ein Rest Schnee, der heftig blasende Wind steigern noch die Großartigkeit der Landschaft. Sie hat in mir ein Gefühl erzeugt, das dem der ‚Furcht‘ entspricht. Die ‚Gabe der Furcht‘ ist eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes, und die Heilige Schrift lehrt uns, dass ‚die Furcht der Anfang der Weisheit‘ sei. Auf der Skala der Empfindungen befindet sich die Angst vor Strafe ziemlich weit unten – die Furcht (die Ehrfurcht vor dem Heiligen, vor der göttlichen Gegenwart) ist erhabener und führt zur Anbetung, die ganz oben steht. INTRODUKTION . Auf die lauten Schreie des Kupferspechts folgt das tiefe Knurren des Auerhahns in Bassposaune und Kontrafagott (Violoncelli und Kontrabass streichen am Rande des Stegs). Der Wind pfeift: die Trompete, nur auf dem Mundstück geblasen, dazu Crescendo-Decrescendo des Aeolophons. STROPHE. Im Tutti, auf dasselbe Alphabet von Klängen und Dauern wie im dritten Satz, erklingen griechische Anrufungsformeln: Hagios o theos (Heiliger, o Gott!), Hagios ischyros (Heiliger und Starker!), Hagios athanatos (Heiliger Unsterblicher!). Darauf die Trompete mit Wa-Wa- Dämpfer, Klänge der Tempelblocks und die schrillen Triller des Weißbrustseglers, der über dem Abgrund fliegt. Ein weiterer Bewohner der Cedar Breaks: der Clark-Taucher, ein grauer Vogel mit Flügeln und Schwanz in Schwarzweiß, der im Wald schreit: Seine gellenden Rufe erklingen in der Flatterzunge der Blechbläser und in der Es-Klarinette (Zähne auf dem Rohrblatt). Dann kommt die Wanderdrossel, ein grauschwarzer Vogel mit ziegelroter Brust, den man überall in den Vereinigten Staaten antrifft (selbst in Cedar Breaks!). Seine fröhlichen ‚torculus‘ und ‚porrectus‘ sind Flöten, Klarinetten und Flageolett-Tremoli des Kontrabasses anvertraut (gespielt mit dem Metallknopf des Bogens). ZWEI ANTISTROPHEN arbeiten mit den gleichen Elementen. EPODE. Eine Durchführung des Windgeräuschs, das dann und wann von Vogelrufen und -gesängen unterbrochen wird: der Rotschwanzbussard in der Trompete und der Fuchsfalke im Xylorimba. CODA. Sie greift die Bestandteile der Introduktion in rückläufiger Reihenfolge wieder auf: den Wind, das Felsengebirgshuhn, die Schreie des Kupferspechts im Tutti. ZWEITER TEIL VI. Interstellarer Ruf ‚Er heilt, die gebrochenen Herzens sind und verbindet ihre Wunden; er zählt die Sterne und ruft sie alle mit Namen.‘ (Psalm 147, V. 3 und 4) ‚Erde, decke mein Blut nicht zu, und mein Klageschrei finde keine Ruhestatt! ‘ (Buch Hiob, Kap. 16, V. 18) Hornsolo: INTRODUKTION mit charakteristischen Effekten: Triller mit gestopften Tönen, Flatterzunge und Schwankungen auf einem langen, fahlen, unwirklichen Ton. Außerdem hört man hier eine kurze Strophe des Hoamy oder Augenbrauenhäherlings, eines chinesischen Vogels. CHANSON , erste Phrase: Dann wird die Stille von Schreien unterbrochen. Glissando mit den Obertönen von D. Accelerando- Rallentando des Canyon-Zaunkönigs, zum zweiten Mal in diesem Werk. Das Horn wechselt zur Griffweise des DHorns über und erinnert sich so seines Ursprungs als Jagdhorn. Seine Rufe werden rauer und heftiger: Keine Antwort! Die Rufe verhallen in der Stille [...] In der Stille gibt es vielleicht eine Antwort: die Anbetung [...] CHANSON , zweite Phrase. CODA, die die Bestandteile der Introduktion in veränderter Reihenfolge wieder aufgreift. VII. Bryce Canyon und die orangeroten Felsen ‚Die zeitlichen Dinge werden nicht ausgelöscht, sondern gehen in die Ewigkeit ein.‘ (Romano Guardini: „Die Messe“, Kap. 26, Zeitlichkeit und Ewigkeit) ‚Völlig zu verstehen, was die Höhe und was die Tiefe ist.‘ (Paulus, Brief an die Epheser, Kap. 3, V. 18) ‚Die Grundsteine der Stadtmauer waren geschmückt mit Edelsteinen: der sechste Grundstein war ein Karneol (rot), der neunte ein Topas (gelborange), der zwölfte ein Amethyst (violett).‘ (Offenbarung des Johannes, Kap. 21, V. 19 und 20) Bryce Canyon ist das größte Wunder von Utah. Es ist ein riesiger Kessel aus roten, orangefarbenen und violetten, fantastisch geformten Felsen: Schlösser, viereckige und dickbäuchige Türme, natürliche Fenster, Brücken, Statuen, Säulen, ganze Städte, dann und wann ein tiefes schwarzes Loch. Man kann diesen Wald aus Stein und versteinertem Sand von oben bewundern (Höhe: etwa 2500 Meter) oder auf den Grund der Schluchten hinabsteigen und in dieser Märchenarchitektur spazieren gehen. Hier lebt ein prachtvoller Vogel, der Diademhäher. Sein Bauch, seine Flügel und sein langer Schwanz sind blau, Kopf und Haube schwarz. Wenn er über den Canyon fliegt, nehmen das Blau seines Gefieders und das Rot der Felsen den Glanz gotischer Kirchenfenster an. Die Musik dieses Satzes versucht, all diese Farben wiederzugeben. Seine Form hat Ähnlichkeit mit griechischen Triaden: Strophe, erste Antistrophe, zweite Antistrophe, Epode (die eine Kadenz des Soloklaviers und eine Coda enthält.) DRITTER TEIL VIII. Die Auferstandenen und der Gesang des Sterns Aldebaran ‚Es unterscheidet sich Stern von Stern durch seinen Glanz. So wird es auch sein mit der Auferstehung der Toten.‘ (Paulus, 1. Brief an die Korinther, Kap. 15, V. 41 und 42) ‚Das Herz Jesu wird der Raum sein, der alle Dinge umfasst [...] Alles wird Klarheit und Licht sein [...] Die Liebe als ewiger Zustand der Schöpfung, die völlige Übereinstimmung von Innerem und Äußerem: Das wird der Himmel sein!‘ (Romano Guardini: „Der Herr“, letztes Kap.) Die Sterne singen. Und das Buch Hiob spricht vom ‚Freudenkonzert der Morgensterne‘ (Buch Hiob, Kap. 38, V. 7). Aldebaran ist der hellste Stern im Sternbild des Stieres. Sein Name geht auf das arabische aldabarân zurück, was ‚Der Folgende‘ bedeutet, weil dieser Stern den Plejaden folgt. Der Paulus-Text bedeutet, dass die ‚verklärten Leiber‘ von den Fesseln der sterblichen Leiber befreit sein werden. Er weist auch auf ihre Eigenschaften hin (Beweglichkeit, Klarheit) und auf die unterschiedlichen Arten ihrer ‚Herrlichkeit‘. Guardinis Text fügt dem die Liebe hinzu, die Frucht der ‚beseligenden Vision‘ des Himmels. Der gesamte Satz besteht aus einer langen Streicherphrase. Die Harmonik verwendet ‚Akkorde mit transponierten Umkehrungen‘, die ‚Modi mit begrenzten Transpositionsmöglichkeiten‘ 2, 3, 4 und 6, vor allem aber den Modus drei 3 und die Tonart ADur, die dem Ganzen eine blaue Klangfarbe gibt: blau wie der Saphir, wie der Chalcanthit, wie bestimmte durchsichtige Flussspate, blau wie der Himmel [...] 2 IX. Die Spottdrossel Der zweite Satz für Klavier solo. Er besteht gänzlich aus Gesängen der Spottdrossel. Sie ist der berühmteste Singvogel der Vereinigten Staaten. Ihr Gesang ist sehr abwechslungsreich. Er besteht aus kurzen Rufformeln, die zwei-, dreimal, ja sogar fünfmal in Folge wiederholt werden; leise Töne, die sich im Crescendo beschleunigen; Triller, Schlagen, lange Wirbel; langsame laute Jamben ebenso wie kurze schnelle Jamben in aufsteigenden Sequenzen. Oft enden die Repetitionen in einem brillanten Lauf, der sieghaft in die Höhe steigt. All dies kommt im Verlauf der vier Strophen vor, die den Satz unterteilen. Einige australische Vögel mischen den wiederholten Gesängen der Spottdrossel eigene melodische und harmonische Farben bei. Dies sind in der ersten und zweiten Strophe: eine kurze Phrase des Goldregenpfeifers, harmonisiert mit Akkorden in ‚transponierten Umkehrungen‘ und ‚zusammengezogener Resonanz‘, und in der dritten Strophe das Abwärtsglissando des Prachtleierschwanzes. In der vierten Strophe endet der Satz, nach einem Schlussgesang der Spottdrossel, mit Rufen dreier neu auftauchender australischer Vögel – des Weißrückenspechts, des Schwarzleierschwanzes und der Scheckendrossel. X. Die Walddrossel ‚Ich will ihm einen weißen Stein geben und, auf den Stein geschrieben, einen neuen Namen, den niemand kennt als der, der ihn empfängt.‘ (Apokalypse des Johannes, Kap. 2, V. 17) ‚Wenn wir in den Zustand der Gnade zurückkehren, erhalten wir vom Heiligen Geist einen neuen Namen, und dies wird ein ewiger Name sein.‘ (Jan van Ruysbroeck: „Der funkelnde Stein“) Die Walddrossel ist feuerrot mit weißer, schwarz-gefleckter Brust. Ihr Gesang ist ein DurArpeggio im Stil des ‚porrectus flexus‘ – von heller, fröhlicher und strahlender Klangfarbe. Gewöhnlich geht ein Auftakt voraus und es folgt ein tieferes Summen. Ich habe diesen Gesang Piccoloflöte und Xylorimba anvertraut, dazu Violinglissandi und Crotales. Er kommt zudem schon von Satzbeginn an in vereinfachter Form im Solohorn vor (mit gestopften Tönen). Diese Originalgestalt soll über die andere triumphieren. Für mich symbolisiert der Gesang der Walddrossel jenen Archetyp, den Gott für uns vorgesehen hat, den wir im Laufe unseres Erdendaseins aber mehr oder weniger entstellen und der sich erst nach der Auferstehung, in unserem himmlischen Leben, ganz verwirklicht. Weitere Drosseln singen an der Seite ihrer Schwester: die Weidendrossel im Klavier und die Einsiedlerdrossel in den Holzbläsern. Dann erklingt das vereinfachte Thema der Walddrossel in Horn und Trompeten mit verschiedenen Dämpfern und in unterschiedlichen Akkordfärbungen. Ein Moment der Verunsicherung entsteht durch die Flöten-Flatterzungen, die hohen Flageoletts des Kontrabasses, im polymodalen Ruf des Carolina-Zaunkönigs im Kretikus- Rhythmus, und nochmals vereinfacht sich das Thema. Es ist ein Liebesgeheimnis zwischen der Seele und Gott: Der neue Name wird in den Stein gemeißelt, das ewige Urbild wiedergefunden. XI. Omao, Leiothrix, Elepaio, Shama Auf den Hawaii-Inseln leben zwei Arten von Vögeln: Solche, die seit je hier heimisch waren, und solche, die aus anderen Ländern importiert wurden. Dieser Satz enthält Gesänge der einen wie der anderen (denen ich weitere fremdländische Vögel zugesellt habe). Er ist aus zwei Elementen gebaut: einem von den Hörnern gespielten Refrain und aus den Vogelgesängen, aus denen die Couplets bestehen [...] XII. Zion Park und die himmlische Stadt Die Menschen, die die Felswände in rosa, weiß, mauve, rot, schwarz, die grünen Bäume und den kristallklaren Fluss des Zion Parks entdeckten, erblickten darin ein Symbol des Paradieses. In Erinnerung daran, dass der Berg Zion ein Synonym für das himmlische Jerusalem ist, bin ich ihnen darin gefolgt. Drei Bestandteile bestimmen dieses Finale: 1. ein Blechbläserchoral im Modus drei 2 (grau und golden) und drei 3 (blau und grün), der sich im Bereich von A-Dur bewegt; 2. ein Carillon; 3. Vogelgesänge, die im Westen der USA und speziell im Zion Park zu hören sind [...] Häufig unterbricht der strahlende und majestätische Blechbläserchoral die Vogelgesänge. Über einem A-Dur-Akkord der Streicher – unveränderlich wie die Ewigkeit – stimmt das Carillon mit seinem Geläut in die Finalfreude ein. LA VILLE D’EN-HAUT Die Stadt dort oben für Klavier, Bläser und Schlagzeug Dieses kurze Klavierkonzert entstand im Auftrag des Pariser Festival d’automne und wurde im November 1989 in der Pariser Salle Pleyel uraufgeführt. Pierre Boulez dirigierte, Yvonne Loriod war die Solistin, ihre Partner waren Musiker des BBC Symphony Orchestra. La Ville d’En-Haut ist ein weiteres Dokument von Messiaens Obsession, ein Klangbild des himmlischen Jerusalem, des jenseitigen Daseins der Erlösten zu entwerfen. Das Stück nimmt von zwei Bibeltexten seinen Ausgang: ‚Strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt‘ (Paulus, Brief an die Kolosser Kap. 3, V. 1) und ‚Ich sah die heilige Stadt, von Gott her aus dem Himmel herabkommen‘ (Offenbarung des Johannes, Kap. 21, V. 2) Der Blechbläserchoral repräsentiert die Herrlichkeit der himmlischen Stadt. Die Vögel in den Xylophonen, im Holz, im Klaviersolo symbolisieren die Freude der Auferstandenen, die sich ihrer Nähe zu Christus gewiss sein können [...] Un Sourire Ein Lächeln für Orchester Messiaen war ein grosser Mozart-Verehrer, der bei seinen berühmten AnalyseKursen am Pariser Conservatoire alle (!) Mozartschen Klavierkonzerte behandelte und in seinem Lehrbuch Traité de Rythme ein Kapitel „Mozart et l’accentuation“ nannte. Als er zu Mozarts 200. Todestag im Jahre 1991 um ein Orchesterstück gebeten wurde, schrieb er Un Sourire –, weil er der Ansicht war, dass „Mozart trotz Schmerzen, Leids, Hunger, Kälte, Unverständnisses und Todesnähe immer noch gelächelt“ habe. Das Stück gibt sich „mozartisch“ schlicht, ist ein kurzes Rondo, das sich auf zwei, stets alternie- rende, Urelemente von Messiaens Klangsprache beschränkt: den Choral und – natürlich – den Gesang der Vögel, in diesem Falle den des südafrikanischen Weißbrauenrötels. ÉCLAIRS SUR L’AU-DELÀ Streiflichter über das Jenseits für Orchester Zur Feier ihres 150-jährigen Bestehens gaben die New Yorker Philharmoniker bei Olivier Messiaen eine Komposition in Auftrag. Es wurde seine letzte. Die Uraufführung unter der Leitung von Zubin Mehta im November 1992 erlebte er nicht mehr – er war am 28. April, 83-jährig, gestorben. Was ihn nach dem Tode erwartete, hatte er ja in zahlreichen Kompositionen vorahnend abzubilden versucht, am ausgiebigsten und anrührendsten in diesem klingenden Vermächtnis, das er Eclairs sur l’Au-Delà nannte – „Streiflichter über das Jenseits“ –, in denen er sich die Herrlichkeiten des himmlischen Jerusalem imaginiert und der „ersehnten Erkenntnis des Unsichtbaren“ näherkommen will. Er bedient sich dabei einer Reihe von Bibeltexten – vornehmlich solchen aus dem letzten Kapitel der Heiligen Schrift, der Offenbarung des Johannes mit ihren Visionen vom Ende der Menschheitsgeschichte –, die er programmatisch den elf Sätzen voranstellt. Messiaen schildert in gewaltigen Bildern den verklär ten Christus und die Erlösten, Sternentänze (und sein eigenes Sternzeichen, das des Schützen) und Himmelsbäume voller exotischer Vögel, darunter der australische Prachtleierschwanz als Symbol der bräutlich geschmückten, ihn, Olivier Messiaen, festlich empfangenden Stadt. I. Erscheinung des verherrlichten Christus ‚Ich […] sah […] einen, der wie ein Mensch aussah; er war bekleidet mit einem Gewand, das bis auf die Füße reichte, und um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold […] Seine Augen (waren) wie Feuerflammen […] und sein Gesicht leuchtete wie die machtvoll strahlende Sonne. […] In seiner Rechten hielt er sieben Sterne.‘ (Offenbarung des Johannes, Kap. 1, V. 12 – 14, 16) Langsamer, feierlicher Choral des Lobpreises, forte gespielt, in den Holz- und Blechbläsern. In der Mitte des Satzes erhebt sich die Melodie und weckt die Erinnerung an gewisse Motive des gregorianischen Chorals aus dem ,Halleluja Christus Rex’. Die Harmonien sind im zweiten und dritten Modus gehalten und zwar in Akkorden mit geballter Resonanz. Das ganze Werk wird von diesen Harmonien beherrscht [...] II. Das Sternbild des Schützen ‚Preiset den Herrn, ihr Sterne am Himmel.‘ (Lobgesang der drei jungen Männer, Daniel, Kap. 3, V. 63) Sterne und Sternnebel im Sternbild des Schützen im Zentrum der Milchstraße. A. Der Satz beginnt mit Rhythmen des indischen Deci-tâla: Candrakalâ und Lakskmîca, fortissimo auf den drei Röhrenglockenspielen [...] B. Drei musikalische Schichten: 1. Solo-Streicher spielen ein ausdrucksvolles Thema, begleitet von Fagotten, Bassklarinette und Hörnern, im zweiten Modus. 2. Rascher Gesang der Alpenbraunelle in den Pikkolos und Flöten. 3. Auf Glockenspiel und Crotales einerseits und auf den drei Röhrenglockenspielen andererseits Cluster im Kanon in unterschiedlichen Rhythmen [...] C. Kurze Glissando-Passage der ersten Violinen in natürlichen Flageoletts, die zweiten Violinen und die Violen steigen an im sechsten Modus in beschleunigtem Rhythmus und crescendo [...] D. Geschichtete Vogelgesänge der sechs Flöten in freien Tempi, das heißt, jede Flöte spielt in einem andern Zeitmaß […]: Orpheusgrasmücke (Griechenland), Tropfenrötel (Kenia), Spottrötel (Lärmrötel), Natalrötel (Südafrika), Braunrückenrötel (Kenia), Flageolett-Zaunkönig (Venezuela), begleitet von einem Pianissimo-Triller auf Triangel und kleiner Zimbel in höchster Höhe. Wiederaufnahme der Strophe A mit anderen indischen Rhythmen: Vijaya, Makaranda, Pratâpacekhara, und anderen Harmonien; Wiederaufnahme der Strophe B mit einem anderen ausdrucksvollen Thema in den Solo-Streichern und mit anderen Rhythmen auf Glockenspiel, Crotales, Triangel und Röhrenglocken; Wiederaufnahme der Strophe C mit ihren Glissandi und ihrem Accelerando in den Streichern; Wiederaufnahme der Strophe D: Vogelgesänge der sechs Flöten in freien Tempi. E. Aufs neue Strophe A mit anderen Hindu- Rhythmen: Simhavikrama und Gajajhampa. Thema in den Violoncelli und Glocken allein. Abschluss durch die SoloStreicher mit Farbharmonien [...] begleitet von Staccati in der Art von Wassertropfen und Stalaktiten (Pikkolo, zwei Flöten, Glockenspiel) [...] III. Der Prachtleierschwanz und die bräutliche Stadt ‚Ich sah die heilige Stadt […] aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat.‘ (Offenbarung des Johannes, Kap. 21, V. 2) Es ist der Gesang des Prachtleierschwanzes. Er symbolisiert den Schmuck der bräutlichen Stadt [...] Der Vogel singt in zahlreichen Variationen; seine Stimme ist weithin hörbar. Man nennt ihn auch ‚Master mimic’, Meister im Nachahmen. Sein mehrere Register umfassender Gesang besteht aus Jamben (kurz-lang), sehr raschen und weit ausholenden Glissandi, Tonwirbeln und in Aufstiegen, die in Tonrepetitionen einmünden [...] Er singt anschwellend. auf einem Halteton, auf welchen ein Schrei folgt, darauf zwei Töne aus der Tiefe in die Höhe; der Vogel ist in der Lage, eine lange Strophe über zwanzig Noten hinweg zu singen und dabei das Register bei jeder Note zu wechseln. Es ist dies ein pfeifender, flötender, kreischender, strahlender, schmetternder und unzusammenhängender Gesang; Wasserrauschen mischt sich unter nachgeahmte Vogelstimmen, dies alles mit unglaublicher Virtuosität und mit einer verschwenderisch reichhaltigen Skala von Artikulationen und Farbnuancen. Wenn drei Leierschwänze zusammen singen, hat man den Eindruck, ein Orchester erfülle den ganzen Wald mit frohen, farbenreichen Klängen [...] Der Satz ist sehr schwer zu spielen, da die Musik in sehr raschem Tempo von den Holzblasinstrumenten auf die Streichinstrumente und von den Xylophonen auf die Blechblasinstrumente überspringt [...] IV. Die mit dem Siegel gekennzeichneten Auserwählten ‚Bis wir den Knechten unseres Gottes das Siegel auf die Stirn gedrückt haben.‘ (Offenbarung des Johannes, Kap. 7, V. 3) Im siebten Kapitel der Offenbarung heißt es: ‚Vier Engel standen an den vier Ecken der Erde. Sie hielten die vier Winde der Erde fest, damit der Wind weder über das Land noch über das Meer wehte […], bis [ein anderer Engel] den Knechten unseres Gottes das Siegel [das Zeichen des Kreuzes] auf die Stirn gedrückt [hat]’. Es handelt sich in diesem Satz nur um dieses Siegel, das den Auserwählten auf die Stirn gedrückt wird. Wir hören drei Schichten symmetrischer Permutationen in dreiundzwanzig SoloStreichern. Jede Tondauer besitzt ihre eigene Harmonie. Röhrenglocken, Gongs und Becken markieren überdies jeden Neubeginn einer solchen rhythmischen Zeilenbildung. ERSTE SCHICHT: Die Violinen spielen zusammen mit dem ersten Satz Röhrenglocken und den hohen Gongs. ZWEITE SCHICHT: Die zweiten Violinen spielen zusammen mit dem zweiten Röhrenglockenspiel und den drei Becken. DRITTE SCHICHT : Die Violen und die Violoncelli spielen zusammen mit dem dritten Satz Röhrenglocken und den tiefen Gongs. Die Harmonien bestehen aus kreisenden Akkorden, Akkorden mit transponierter Umkehrung und Akkorden mit geballter Resonanz. Sie sind ihren Tonfarben entsprechend ausgewählt und sollen den Eindruck der Farbfülle von Kirchenfenstem erwecken. Die drei Röhrenglockenspiele haben im fortissimo eine Resonanzfülle wie Carillons. Die erste Pikkoloflöte, die vier Flöten, die drei Klarinetten und das Xylophon ahmen folgende Vogelstimmen nach: Pomatorhinus hypoleucos (Singapur), Cossypha dichroa (Südafrika), Steinrötel (Griechenland), Cichladusa guttata (Kenia), Pachycephala hyperythrar, Rhipidura Albicollis, Gerygone olivacea (Papua, Neuguinea), Cracticus nigrogularis (Australien). V. Bleiben in der Liebe ‚Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.‘ (1 Johannes, Kap. 4, V. 16) Große melodische Linie voller Zartheit und Anbetung, allein den Streichinstrumenten anvertraut. Sechzehn erste Violinen spielen im Unisono mit Dämpfer die Melodie. Die Harmonien werden – ohne Dämpfer – von je sechs Soli der zweiten Violinen, Violen und Violoncelli ausgeführt. ERSTE PERIODE: Die Melodie beginnt über dem Iieblichen Akkord c-d-fis-a. Dessen C dient in der Folge als Bassnote für eine harmonische ‚Litanei’ und für Akkorde mit transponierter Umkehrung [...] ZWEITE PERIODE: DRITTE PERIODE: Sie ist nur kurz, die Melodie sinkt in die Mittellage ab. Zunächst im dritten Modus; über Akkorden steigt die Melodie auf, die an das siebte Bild in der Oper ‚Saint Francois d’Assise‘ erinnert, wo der Heilige singt: ‚Wir besteigen die Himmelsleiter‘ [...] vierTe periode: Sie greift auf den Anfang zurück, ist aber viel länger, da die Melodie mit großer Intensität bis in den höchsten Diskant emporsteigt, als wäre sie vom Himmel angezogen [...] 6 VI. Die sieben Engel mit den sieben Trompeten ‚Und ich sah: Sieben Engel standen vor Gott; ihnen wurden sieben Posaunen gegeben.‘ (Offenbarung des Johannes, Kap. 8, V. 2) Kraftvolles und mächtiges Thema, von sechs Hörnern, drei Posaunen und drei Fagotten unisono ausgeführt. Die Rhythmen der drei Becken, der drei tiefen Gongs und der drei Tam-tams entfalten sich gemeinsam jeweils in dreimal drei Tondauern: drei Sechzehntel, drei Sechzehntel, drei Sechzehntel. Es folgen vier Sechzehntel, dann fünf, sechs, sieben, sechs, fünf, vier und drei (wie ein sich öffnender und wieder schließender Fächer). Jede dieser Rhythmen wird stets durch eine Tondauer von sieben Sechzehnteln in folgender Weise unterbrochen: ein mächtiger Peitschenschlag im fortissimo (Dauer: eine Sechzehntel) kündet drei gleichmäßige Achtel an, die forte in der großen Trommel erklingen (Dauer: sechs Sechzehntel). Damit kommt die Zahl Sieben zu Ehren: Sieben Engel und sieben Posaunen. VII. Und Gott wird jede Träne von ihren Augen wischen ... ‚Und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird jede Träne von ihren Augen wischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage.‘ (Offenbarung des Johannes, Kap. 21, V. 3 f) ‚Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.‘ (Matthäus, Kap. 5, V. 4) Über einem Klangteppich von Flageolett- Tönen und hohen Trillern der Violinen im pianissimo erfolgt der zweimalige Abstieg eines sehr reinen Themas, von den Holzbläsern in Akkorden mit transponierter Umkehrung im dritten Modus gespielt, der jeweils auf einer Quart und einer Sext in tiefer Lage endet [...] Kurzer, geheimnisvoller Ruf von drei Hörnern mit nachfolgendem Echo in drei Flöten. Vier Solo-Violoncelli übernehmen diesen Akkord pianissimo. Dann beginnt auf dem Xylophon eine kurze Strophe der Kalanderlerche. Ihr antwortet eine Amsel in der Solo-Flöte. Die Lerche singt aufs neue, und zwar gleich zweimal, ihre Kurzstrophe, diesmal von den pianissimo-Trillern der sechs Solo-Streicher begleitet. Wiederaufnahme des Anfangs; die zärtliche Melodiephrase senkt sich noch einmal herab [...] Vision einer regenbogenfarbenen Fülle an Zartheit und eines Lächelns, das durch Tränenschleier hindurchdringt. Man erblickt Gott, wie er Trost spendet und die Tränen in Tautropfen verwandelt [...] ‚Denn das Lamm in der Mitte vor dem Thron wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt.‘ (Offenbarung des Johannes, Kap. 7, V. 17) VIII. Die Sterne und die Herrlichkeit ‚Er leuchtet wie das Licht der Sonne, ein Kranz von Strahlen umgibt ihn.‘ (Habakuk, Kap. 3, V. 4) ‚Froh leuchten die Sterne auf ihren Posten. Ruft er [Gott] sie, so antworten sie: Hier sind wir. Sie leuchten mit Freude für ihren Schöpfer.‘ (Baruch, Kap. 3, V. 34f) ‚Alle Morgensterne jauchzten.‘ (Hiob, Kap. 38, V. 7) ‚Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes.‘ (Psalm 19, V. 2) ‚Verherrlicht ist Gott in der Höhe.‘ (Lukas, Kap. 2, V. 14) Es ist der längste Satz des Werkes. Er ist erfüllt vom Jubel der Sterne, ihrem Strahlen, von allem, was in der Sternenschöpfung an Bewegung, Kreisen und Leuchten waltet. Es liegen zehn Abschnitte vor: 1. Hauptthema: H-F-E-B, bestehend aus zwei verminderten Quinten, angekündigt durch die Kontrabassklarinette und die Kontrabässe im Forte, durch das Tam-tam im pia nissimo – Sternennebel: Luft und Staub – Triller in den tiefen Streichern auf dem zweiten der Akkorde mit geballter Resonanz, dazu leichtes Erzittern des Beckens. Mit Harmonien versehener Gesang des Albertleierschwanzes, [...] dessen Strophenschlüsse immer in E-Dur stehen. 2. Vier musikalische Schichten: Kanon über das Hauptthema in den Blechbläsern – Carillon der drei Röhrenglockenspiele in schichtweise überlagerten, melodischrhythmischen Ostinati: das erste Röhrenglockenspiel zusammen mit dem Glockenspiel; das zweite Röhrenglockenspiel zusammen mit den Tempelblocks; das dritte Röhrenglockenspiel zusammen mit der Xylorimba [...] Hinzu gesellt sich in der Flöte fuori di tempo [außerhalb des Tempos] der Gesang der Gartengrasmücke. 3. Gesang dreier Vögel: Der Kragensittich in den Streichern (wie ein schnelles Ritornell), der Peitschenvogel in den Holzbläsern [...] Ein tiefer, lang gezogener Ton der Posaunen und Hörner trägt den Gesang der Mönchsgrasmücke in der ersten Flöte fuori di tempo vor. 4. Nun singen vier Vögel: Kragensittich, Papuawürgatzel, Schamadrossel in den drei Xylophonen mit den drei Röhrenglokkenspielen, und Flötenwürger. 5. Aufs neue die vier musikalischen Schichten: Dreifacher, jedesmal verstärkter Kanon der Hörner, Trompeten und Posaunen; die drei Röhrenglockenspiele in geschichteten Ostinati; Triller in der Streichern und diesmal der Gesang zweier Gartengrasmücken in zwei Flöten fuori di tempo. 6. Wieder die Vögel von Abschnitt 3 7. Die vier Vögel von Abschnitt 4: Hinzu kommen diesmal Graurücken-Würgatzel, Helmlederkopf, Waldgudilang, Grantpirol, GoldohrHonigfresser (mit Aeolophon), das Kichern des Lachenden Hans, wiedergegeben durch ständig wiederholte Töne im Accelerando crescendo und im Rallentando diminuendo der Blechbläser; schließlich als letzter Vogel Lärmpitta. 8. Von neuem, gleich zweimal, das Hauptthema (vier Noten): sich öffnendes und wieder schließendes Thema. 9. Nun folgt der große Anstieg über dem Hauptthema: Der Rhythmus – zwei Viertelnoten, eine Sechzehntel, eine Viertel – wird den ganzen Satz durchwalten, außer in den Blechbläsern. Wolken interstellaren Staubs. Leuchtende Stellen: Sternhaufen in einem Sternbild. Sehr dichte Harmonien in den Holzbläsern, Cluster in der Mittellage, Akkorde mit kompletter Chromatik, Akkorde von den hohen Stimmen zur Mittellage hinab, von den tiefen Stimmen zur Mittellage hinauf, Simultan-Umkehr, Farbtupfen, Kreisen. Das Hauptthema steigt von den Tiefenlagen in fünf Stufen an und führt alle Streicher, alle Röhrenglockenspiele, die Xylophone und die Schlaginstrumente in einem mächtigen Crescendo mit sich fort [...] 10. Dann sieghaft im fortissimo der Choral: ‚Verherrlicht ist Gott in der Höhe!’ Tutti (homophon über vier Oktaven); die Melodie erhebt sich über dem Hauptthema: steigende, dann fallende verminderte Quinte. 9 IX. Zahlreiche vögel in den Bäumen des Lebens ‚Der Baum des Lebens versinnbildlicht die Menschheit des Ewigen Wortes.‘ (Dom J. de Monléon) ‚Die Auserwählten werden die Früchte dieses wunderbaren Baumes pflücken, und sie werden in seinen Zweigen singen wie die Vögel.‘ (Dom J. de Monléon: „Le sens mystique de l’Apocalypse“). Was könnte für einen Komponisten, der zugleich Ornithologe ist, verlockender sein, als sich das ewige Leben unter dem Bild eines alle Grenzen sprengenden, Christus repräsentierenden ‚Baumes‘ vorzustellen, in dessen ‚Zweigen‘ die Auserwählten wie die Vögel singen und köstliche Früchte pflücken? Diese Früchte sind die Gaben Gottes, vielleicht aber auch die Verdienste der Auserwählten. Gleichzeitig ist dieses Bild ein Symbol für die Ruhe der Heiligen in den Armen Christi. Achtzehn Holzbläser, die alle fuori di tempo spielen, geben hier den Gesang von fünfundzwanzig Vögeln wieder, von denen ein jeder sein eigenes Thema zwitschert und zwar in seinem je eigenen Tempo [...] X. Der Weg des Unsichtbaren ‚Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen? Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.‘ (Johannes, Kap. 14, V. 50 f) Man muss diesen Weg sein ganzes Leben lang gehen. Ans Ziel kommt man erst im Tod. Die Suche nach dem Weg: Die Melodie erhebt sich rasch in den Streichern. Es folgt ein Martelé [ein besonders kräftig auszuführendes Staccato] im fortissimo in kreisenden Harmonien. Die Melodie sinkt in den Holzbläsern im Staccato ab, während sich die Xylophone unregelmäßig zu Worte melden. Eindruck einer Menge im Aufstieg auf einen Berg. Das von den Blechbläsern gespielte Thema setzt sich aus steigenden und fallenden übermäßigen Quarten zusammen. Kein Ruhemoment in diesem musikalischen Satz [...] Der Weg ist lang, der Aufstieg hart. Nur Christus kann Licht auf diesen mühsamen, steinigen Weg bringen, der zum Frieden auf dem Gipfel des lichtüberfluteten Berges führt. XI. Christus, Licht des Paradieses ‚Die Stadt braucht weder Sonne nach Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm.‘ (Offenbarung des Johannes, Kap. 21, V. 23) ‚Seine Knechte werden ihm dienen. Sie werden sein Angesicht schauen, und sein Name ist auf ihre Stirn geschrieben.‘ (Offenbarung des Johannes, Kap. 22, V. 3f) ‚Der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten.‘ (Offenbarung des Johannes, Kap. 22, V. 5) Es ist die endgültige Ankunft, das Glück, das Paradies, das Licht, das Christus selber ist und das die Ewigkeit erleuchtet. Der langsame und zärtlich klingende musikalische Satz wird von den ersten Violinen, mit Dämpfer, ausgeführt und von sechs zweiten Solo-Violinen, sechs SoloViolen und zwei Solo-Violoncelli begleitet [...] Die Triller der drei Triangeln im pianissimo verleihen dem ganzen Stück ein zartes, fernes Vibrieren. Der ebenfalls von den Streichern ausgeführte fünfte Satz ‚Bleiben in der Liebe‘ war ein Hymnus auf die göttliche Liebe und beleuchtete das Mittelstück des zu durchlaufenden Weges. Nun ist dieser letzte, dieser elfte Satz die Vollendung des ganzen Lebens. Die Erde ist weit weg. Die Zeit abgetan. Neues ist angebrochen. Wir stehen in einer Gegenwart des Glücks, das nimmer endet. Die unendliche Liebe Christi lebt in der Seele, die ihn schaut [...]