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TA-DT 31/2002
Document de travail
Partizipative Technikfolgenabschätzung
als ethisches Erfordernis
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Barbara Skorupinski, Konrad Ott
Diese Reihe der TA-Publikationen enthält die Ergebnisse der Studien, die im Auftrag des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung (Technology Assessment TA) beim Schweizerischen
Wissenschafts- und Technologierat (SWTR) durchgeführt wurden.
TA hat zum Ziel, die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien möglichst umfassend zu
untersuchen. Es geht darum, die allfälligen
positiven und negativen Einflüsse der Technologie
auf soziale, politische, wirtschaftliche und ökologische Systeme und Abläufe abzuschätzen.
Um diese Aufgabe zu erfüllen, setzt der SWTR
einen TA-Leitungsausschuss aus Fachleuten von
Wissenschaft, Industrie, Politik und NGO’s
(Nichtstaatliche Organisationen) ein, welcher die
massgeblichen Themen und Fragen definiert, die
es im Zentrum für TA zu behandeln gilt.
Nach einer Pilotphase von vier Jahren haben der
Bundesrat und das Parlament den SWTR beauftragt, die TA-Aktivitäten für die Periode 1996 bis
1999 weiterzuführen. Ende 1999 wurde vom
Parlament beschlossen, die TechnologiefolgenAbschätzung zu institutionalisieren. Dies ist im
Bundesgesetz über die Forschung vom 8. Oktober
1999 festgehalten.
Cette série des publications TA contient les résultats des projets menés dans le cadre du Centre
d’évaluation des choix technologiques (Technology Assessment), auprès du Conseil Suisse de la
science et de la technologie (CSST).
Sous la dénomination TA, on comprend les projets visant à cerner, de la manière la plus approfondie possible, les effets des nouvelles
technologies sur la société. Il s’agit là des influences potentielles, aussi bien positives que négatives, que la technologie peut avoir sur des
procédures et des systèmes sociaux, politiques,
économiques et écologiques.Pour répondre à cette demande, le CSST a nommé un Comité Directeur composé de scientifiques, de spécialistes
des domaines industriel et politique ainsi que des
représentants des organisations non gouvernementales (NGO).
Après une phase-pilote de quatre années, le
Conseil fédéral et le Parlement ont chargé le
CSST de poursuivre les activités du programme
TA pour la période 1996-1999. Le Parlement a décidé fin 1999 d’institutionnaliser les activités
d’évaluation des choix technologiques. Cette décision est consignée dans la loi fédérale sur la recherche du 8 octobre 1999.
Die materielle Verantwortung für den Bericht liegt
bei den Autorinnen und Autoren.
Ce rapport n’engage que son (ses) auteur(s).
Herausgeber
Editeur
TA-SWISS
Zentrum für TechnologiefolgenAbschätzung
Birkenweg 61
CH-3003 Bern
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Centre d’évaluation
des choix technologiques
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Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung
beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat
Centre d’évaluation des choix technologiques
auprès du Conseil suisse de la science et de la technologie
Centro per la valutaz ione delle scelte tecnologiche
presso il Consiglio svizzero della scienza e della tecnologia
Centre for Technology Assessment
at the Swiss Science and Technology Council
TA-SWISS
ZENTRUM FÜR TECHNOLOGIEFOLGEN-ABSCHÄTZUNG
und
SCHWEIZERISCHE NATIONALFONDS SNF
Partizipative Technikfolgenabschätzung
als ethisches Erfordernis
Warum das Urteil der Bürger/innen unverzichtbar ist
Barbara Skorupinski, Institut für Sozialethik, Universität Zürich
Konrad Ott, Professur für Umweltethik, Universität Greifswald
Journalistische Bearbeitung:
Lisbeth Herger, Zürich
Mai 2002
www.ta -swiss.ch
Vorbemerkung:
Das Nationalfonds-Projekt „Technikfolgenabschätzung und Ethik“ wurde von
1995 bis 2000 am Institut für Sozialethik der Universität Zürich durchgeführt. Im
Rahmen dieses Projektes wurde das Verhältnis von Technikfolgenabschätzung
(TA) und Ethik systematisch untersucht und eine vergleichende Analyse von
sieben TA-Verfahren zu Bio- und Gentechnologie aus vier europäischen
Ländern vorgenommen. Ein Ergebnis dieser Forschung ist die Erarbeitung
eines umfassenden Konzepts von TA, das in der vorliegenden Broschüre in
Kurzform
präsentiert
wird.
Der
ausführliche
Forschungsbericht
„Technikfolgenabschätzung – eine Verhältnisbestimmung in Theorie und
Praxis“ ist 2000 im vdf-Verlag, Zürich, erschienen.
Wir danken Michael Martig für seine Vorarbeiten zum Kapitel „Mehr als
Abstimmen - Warum partizipative Technikfolgenabschätzung in der Schweiz
sinnvoll ist“
Vorwort
Wer sich mit neuen Technologien auseinandersetzt, wird der ethischen Frage schwerlich ausweichen können. Ob die neuen Entdeckungen aus dem Bereich der Biotechnologie, der
Informatik oder der Physik stammen – sie erschüttern die Art und Weise, wie unsere
Gesellschaft denkt und wälzen unsere Werte und Konzepte um. Die TechnologiefolgenAbschätzung darf die ethische Auseinandersetzung also nicht ausblenden.
Die Ethik ist allerdings eine vielschichtige Disziplin. Und wenn wir auch alle gewissen
Werten und einer bestimmten Moral verpflichtet sind, ist die Ethik dennoch nicht für alle
zugänglich. Um die ethische Dimension der Technologiefolgen-Abschätzung auszuloten, sind
die Arbeiten aus Hochschulinstituten und Universitäten eine grosse Hilfe. Die hier als auch
für Laien verständliche Zusammenfassung publizierte Analyse von Barbara Skorupinski und
Konrad Ott beleuchtet, inwiefern sich die ethische Forderung stellt, Bürgerinnen und Bürger
in die Diskussion über Chancen und Risiken neuer Technologien mit einzubeziehen. Die
Autorin und der Autor stellen dabei ein Modell der Technologiefolgen-Abschätzung vor,
welches diesen Anspruch zu erfüllen gestattet.
Das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung teilt die Auffassung, dass Mitwirkung der
Bürgerinnen und Bürger bei der Debatte über technische Neuerungen unabdingbar ist. Anders
aber als die Autorin und der Autor, welche im vorliegenden Werk ein einzelnes und relativ
streng strukturiertes Modell der Technologiefolgen-Abschätzung vorstellen, sind wir der
Ansicht, dass Mitwirkung je nach Thema und Zielsetzung unterschiedliche Formen annehmen
wird. Mitwirkung wird in gewissen Fällen im Rahmen eines klar definierten Ablaufs
stattfinden (wie er insbesondere für PubliForen und publifocus-Veranstaltungen
kennzeichnend ist1 ). Bei anderer Gelegenheit wird sie spontan vonstatten gehen, etwa
getragen durch politische Bewegungen oder die Medien. Bisweilen wird sie darauf abzielen,
eine "ideale Zukunft" zu ergründen, gelegentlich wird es darum gehen, über bereits bekannte
Optionen zu debattieren, und wieder in anderen Fällen sollen Auswege aus einer verfahrenen
Situation gefunden werden. Viele weitere Möglichkeiten sind vorstellbar.
Zwischen theoretischer Reflexion und praktischer Realität treten also gewisse Spannungen
zutage. Doch wenn auch die Spezialisten der Technologiefolgen-Abschätzung gezwungen
sind, den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten besondere
Aufmerksamkeit zu schenken, so sind sie doch auch dazu angehalten, sich regelmässig der
abstrakteren, idealeren Reflexion hinzugeben. Der vorliegende Bericht bietet Gelegenheit zur
anrege nden Konfrontation und zeigt auf, wie wichtig es aus Sicht der Ethik ist, dass
Bürgerinnen und Bürger an der Technologiefolgen-Abschätzung teilhaben können.
Danielle Bütschi
TA-SWISS
Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung
1
Vgl. www.ta-swiss.ch und www.publiforum.ch
1
2
Inhalt
Vorwort ................................................................................................................................... 1
Einführung............................................................................................................................... 5
Was ist und wozu braucht man Technikfolgenabschätzung ................................................ 5
Technikfolgenabschätzung in der Schweiz ............................................................................. 5
Von der Idee zur Institution ................................................................................................. 5
Technikfolgenabschätzung und Ethik ..................................................................................... 6
Warum sich Politikberatung nicht von ethischen Fragen trennen lässt .............................. 6
Partizipative Technikfolgenabschätzung................................................................................. 8
Warum Bürger und Bürgerinnen gefragt werden sollen ..................................................... 8
Bürger/innen beurteilen Technologien.................................................................................... 9
Warum Bürger/innen nicht auf ihr Gärtchen fixiert sind .................................................... 9
Ein Konzept für ein umfassendes TA-Verfahren.................................................................. 10
Was zu beachten ist ............................................................................................................ 10
Mehr als Abstimmen............................................................................................................. 16
Warum partizipative Technikfolgenabschätzung in der Schweiz sinnvoll ist .................... 16
Schlussfolgerungen ............................................................................................................... 18
Wie es weitergehen soll ..................................................................................................... 18
3
4
Partizipative Technikfolgenabschätzung als ethisches Erfordernis
Warum das Urteil der Bürger/innen unverzichtbar ist
Einführung
Was ist und wozu braucht man Technikfolgenabschätzung
Das wachsende Wissen um die Ambivalenzen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts
führte in den letzten Jahrzehnten dazu, dass der Ruf nach transparenten Risikoerwägungen
und Steuerungsmöglichkeiten laut wurde und inzwischen weitgehend anerkannt ist.
Wünschenswert schien eine Institution, die eine möglichst umfassende und zuverlässige
Erforschung der Folgen technischer Entwicklungen versuchen soll. Deshalb entwickelte man
die Technikfolgenabschätzung (TA) als systematisches Bemühen, rechtzeitig die
Möglichkeiten, Folgen und Nebenwirkungen von solchen technischen Entwicklungen zu
erforschen. Technikfolgenabschätzung ist als politikberatende Institution gedacht, die sich
verpflichtet, Wissen zu liefern, das verantwortliche Technikgestaltung ermöglicht. Vor
dreissig Jahren wurde das erste Büro für TA beim amerikanischen Kongress mit der Absicht
eingerichtet, die Wissensbasis der Parlamentarier/innen gegenüber der Regierung zu stärken –
und aufgrund eines konservativen Wechsels im Repräsentatenhaus inzwischen wieder
geschlossen. Im Mittelpunkt des Interesses standen damals Technologien kurz vor ihrer
Einführung. TA wurde also technik-induziert durchgeführt. Das bedeutet, erst wurde eine
Technik entwickelt und dann die Frage nach ihren Folgen und Nebenwirkungen gestellt.
Informationen darüber sollten möglichst objektiv zuhanden des Parlaments geliefert werden.
Seither wurde TA in den meisten europäischen Ländern institutionalisiert. Kanada,
Australien, Japan und die Länder des ehemaligen Ostblocks ziehen nach. In diesen letzten
dreissig Jahren wurden unterschiedliche Konzepte für die TA entwickelt. Generell lässt sich
dabei ein Trend weg von der reinen Technikfolgenforschung hin zu einer Bewertung der
ermittelten Folgenszenarien feststellen. Die Frage, welche technologischen Optionen oder
‚Technikpfade‘ denn künftig wünschenswert seien, gewinnt zunehmend an Gewicht. Diese
Verschiebung auf Fragen der Wünschbarkeit technologischer Entwicklungen und ihrer
Folgen legt einen problem-orientierten Ansatz in der TA nahe. TA würde demnach von einer
gesellschaftlichen Problemkonstellation ausgehen und fragen, welche technologische Option
zur Lösung dieses Problems zu bevorzugen sei. 2
Technikfolgenabschätzung in der Schweiz
Von der Idee zur Institution
Im Jahre 1992 wurde das schweizerische Programm für Technologiefolgen-Abschätzung
(TA-Programm Schweiz) ins Leben gerufen. In seiner Botschaft über die Förderung der
wissenschaftlichen Forschung in den Jahren 1992 bis 1995 schlug der Bundesrat vor, der
Schweizerische Wissenschaftsrat (SWR) solle während einer vierjährigen Probezeit ein auf
die Schweiz abgestimmtes System der TA aufbauen.
Im deutschsprachigen Raum gibt es parallel zueinander zwei Sprachregelungen. Man spricht sowohl von Technikfolgenabschätzung als auch
von Technologiefolgen-Abschätzung. Gemeint ist das Gleiche. Da diese Broschüre Ergebnisse eines Nationalfondsprojekts mit dem Titel
„Technikfolgenabschätzung und Ethik“ berichtet wird, wird im folgenden ebenfalls die Bezeichnung Technikfolgenabschätzung verwendet.
2
5
Der neuen Stelle wurden die Aufgaben zugeteilt, die Bemühungen zusammenzufassen, die
von Seiten der Wissenschaft und der Industrie bereits in Sachen TA unternommen wurden,
eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu schlagen und schliesslich das
Instrument TA methodisch korrekt anzuwenden. Während der Probephase 1992-1995 waren
die TA-Studien thematisch an die nationalen Schwerpunktprogramme des Schweizerischen
Nationalfonds gebunden. Dies waren die Bereiche Elektronik und Informatik, Biotechnologie,
Optik, Werkstoffforschung und Umwelt. In den ersten sechs Jahren seines Bestehens hat das
Programm TA mehr als 40 Berichte veröffentlicht. Zu Beginn der zweiten Phase von 1996 bis
1999 wurde die inhaltliche Bindung des Programm TA an die nationalen
Forschungsschwerpunkte aufgehoben, die Themenfindung konnte sich nun besser an
aktuellen politischen Fragen orientieren. Neben dem Instrument der TA-Studien, die an eine/n
oder mehrere externe Expert/innen vergeben wurden, wurde mit den PubliForen (Dabei
handelt es sich um ein Verfahren der Laienbeteiligung, das in Anlehnung an das dänische
Modell der Konsensus-Konferenzen entwickelt wurde) partizipative Verfahren ins
Methodenarsenal des TA-Programms aufgenommen.
Seit 2000 ist das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung beim Schweizerischen
Wissenschafts- und Technologierat institutionalisiert. Seine Aufgaben sind gemäss der
Botschaft über die Förderung von Bildung, Forschung und Technologie in den Jahren 2000 –
2003:
- der Öffentlichkeit und dem Parlament, aber auch den Forscherinnen und Forschern
Entscheidungshilfen für die Beurteilung der Auswirkungen wissenschaftlicher Forschung
und technologischer Entwicklungen bereitstellen,
- vom Bund geförderte Forschung unter den Aspekten von TA begleiten,
- die gesellschaftliche Diskussion über die Folgen wissenschaftlicher Forschung und
technologischer Entwicklungen versachlichen,
- Kontakt- und Clearingstelle zu verwandten und ähnlichen Institutionen im In- und
Ausland sein.
Technikfolgenabschätzung und Ethik
Warum sich Politikberatung nicht von ethischen Fragen trennen lässt
Ein übliches Verständnis von TA bindet diese an die Aufgabe der Beratung von
Politiker/innen. Politikberatung durch TA ist also - im Unterschied zum Lobbyismus - durch
einen expliziten politischen Auftrag legitimiert. Diese Aufgabe ist nun aber unweigerlich mit
ethischen Fragen verknüpft. Schon die Rede davon, TA solle verantwortliche politische
Entsche idungen in der Technikgestaltung ermöglichen, setzt eine Vorstellung von Politik
voraus, in der ethisch fundierte Ideen wie die der Vorsorge, der Sorge um die Wohlfahrt der
Gesellschaft und die Vermeidung von schädlichen Auswirkungen einen Platz haben. Um
überhaupt sinnvolle Aussagen darüber machen zu können, wieweit Vorsorge gehen, was
Wohlfahrt für eine Gesellschaft meinen kann oder aber, ab welchem Punkt man eine
Auswirkung als schädlich bewerten soll, benötigt man Bewertungskriterien, wie sie in der
Ethik entwickelt und kritisch reflektiert werden.
Ethik kommt bereits dann ins Spiel, wenn es um die Funktionen von TA geht. TA soll
rechtzeitig eingesetzt werden, sie soll der Frühwarnung dienen. Damit soll verhindert werden,
dass durch grosse Investitionen Sachzwänge entstehen, denen gegenüber die Kosten im Fall
eines Verzichts - d.h. eines Verbots oder einer eingeschränkten Nutzung der betreffenden
Technologie - oder die Wahl einer alternativen Technologie unzumutbar scheinen. Nun
bedeutet warnen aber immer auch bewerten. Manche der möglichen Folgen werden als
6
unerwünscht bewertet, diese gilt es zu vermeiden. Zudem kann man gar nicht warnen, ohne
ein wohlwo llendes Verhältnis zu dem Gewarnten zu haben, ohne ihn schützen zu wollen. Eine
Frühwarnung kommt also nicht ohne Wertsetzungen aus, und auch nicht ohne den
moralischen Impetus des Wohlwollens. Beides hat mit Ethik zu tun. Man kann nicht warnen,
wenn einem das Wohl des Gewarnten gleichgültig ist.
Ebenso wie die Warnung setzt auch der Rat voraus, im besten Sinne und mit guten Gründen
gegeben worden zu sein. Ein absichtlich schlechter Rat ist unmoralisch. Wer Politikberatung
betreibt, muss seine Ratschläge begründen können. Es geht ja um Ratschläge für politisch
verantwortliches Handeln. Dabei sind nicht nur Sachfragen betroffen, sondern es kommen
auch Normen und Kriterien ins Spiel, anhand derer die Folgen und Nebenwirkungen einer
Technik bewertet werden können. Wenn zum Beispiel davon die Rede ist, dass eine neue
Technik auf ihre Umwelt- oder Sozialverträglichkeit hin zu prüfen sei, dann ist dies nicht
möglich ohne Vorstellungen davon, welche Segmente der natürlichen Umwelt aus welchen
Gründen schützenswert sind und welches die besten Mittel dafür sind, bzw. was einem
politischen Gemeinwesen dabei zugemutet werden kann. Solche Normen und Kriterien zu
entwickeln und zu begründen, ist das Geschäft der Ethik bzw. der Umweltethik.
TA soll die Rationalität und Legitimität von politischen Entscheidungen erhöhen. Die
stillschweigende Voraussetzung, dass Fortschritt immer gut sei und entstehende Probleme mit
noch mehr Technik in den Griff zu bekommen seien, kann nicht mehr beanspruchen, in jedem
einzelnen Fall per se rational zu sein. Vielmehr ist technische Entwicklung mit ambivalenten
Folgewirkungen behaftet, die verantwortet werden und nicht als Preis für technischen
Fortschritt in Kauf genommen werden müssen. Gefordert sind schwierige Güterabwägungen
in komplexen Problemlagen und – in aller Regel – unter Ungewissheit.
Technikfolgenabschätzung soll deshalb möglichst umfassend sein, alle Folgen sind zu
berücksichtigen. Ein derart umfassender Einbezug möglicher Folgen erhöht dann auch die
Legitimität technikpolitischer Entscheidungen. Natürlich stellt sich hier zentral die Frage,
wessen Stimme im Vorfeld einer technikpolitischen Entscheidung gehört werden soll. Eine
Erhöhung der Legitimität erwartet man von einer Bürgerbeteiligung in der TA. Warum diese
Erwartung berechtigt ist, soll im folgenden Kapitel ausführlich begründet werden.
Aus all diesen verschiedenen Funktio nen von TA wird offensichtlich, dass TA von ethischen
Fragen nicht ablösbar ist. Wann immer aus TA-Verfahren Ratschläge an politische
Entscheidungsträger hervorgehen, in denen technologische Entwicklungen und Risiken als
wünschenswert bzw. unerwünscht qualifiziert werden, werden Werturteile abgegeben. Auf
diese berufen sich allenfalls spätere juristische Regelungen, wie etwa ein Verbot oder eine bedingte - Erlaubnis. Um Werturteile abzugeben, benötigt man ethisch begründete Normen
und Kriterien. TA kommt deshalb – will sie ihrem Auftrag nachkommen und beratend tätig
sein – an der Technikbewertung nicht vorbei. Sie geht damit über die Technikfolgenforschung,
die innerwissenschaftliche Prognostik, hinaus. Weil TA die Technikfolgenforschung und die
Technikbewertung umfasst benötigt sie – um ihren Bewertungsaufgaben gerecht zu werden –
ethische Expertise oder sie geht selbst in Ethik über.
Unter Ethik versteht man die akademische Disziplin, in der - methodisch angeleitet – Normen
und Kriterien zur Beurteilung des guten und richtigen Handelns entwickelt und begründet
werden. Zugleich findet Ethik bzw. ethische Reflexion immer dann statt, wenn einzelne oder
Gruppen bislang für ihre moralischen Entscheidungen gültige Normen und Kriterien
hinterfragen, neu reflektieren oder angesichts neuer Problemlagen nach Orientierung suchen,
wie das gute und richtige Handeln zu begründen sei. Für einzelne ist dies ein Prozess der
reflexiven Selbstverständigung – des Nachdenkens. Für eine ganze Gesellschaft jedoch findet
7
diese Verständigung in diskursiver Auseinandersetzung innerhalb von Gruppen statt. Dies
kann innerhalb einer kritischen Fachöffentlichkeit geschehen und/oder unter interessierten
Laien.
Wenn im folgenden davon die Rede ist, dass Technikbewertung in der TA im Rahmen von
Bewertungsdiskursen erfolgen soll, dann ist genau von diesem Aspekt ethischer Reflexion als
Praxis die Rede.
Partizipative Technikfolgenabschätzung
Warum Bürger und Bürgerinnen gefragt werden sollen
In Debatten um die Wünschbarkeit technischer Optionen und ihrer möglichen Folgen mischen
sich Sach- und Bewertungsfragen. Auf der einen Seite geht es um wissenschaftliche
Prognostik. Die Erreichbarkeit angestrebter bzw. proklamierter Ziele muss untersucht,
Szenarien mö glicher Folgen müssen entwickelt und Alternativen zum Vergleich
herangezogen werden. Dies wird - im Rahmen der Technikfolgenforschung - von (natur-)
wissenschaftlichen Expert/innen für die jeweiligen Forschungsfragen geleistet. Auf der
anderen Seite steht die Bewertung allfälliger technischer Entwicklungen, die
Technikbewertung. Sind Folgen und Nebenwirkungen wünschbar oder unerwünscht, sollen
Technikanwendungen geboten, erlaubt, verboten oder nur unter Bedingungen erlaubt sein?
Für die Bewertung von Zielen, Zwecken und Folgen von Forschung und Technik hinsichtlich
ihrer Wünschbarkeit oder Zumutbarkeit besitzen Wissenschaftler/innen keineswegs mehr
Kompetenz als andere Bürger/innen. Wissenschaftliche und moralische Kompetenz dürfen
nicht gleichgesetzt werden.
In der Ethik spricht man vo n ‚gemischten Urteilen‘, wenn sich in einer begründeten
Stellungnahme Sach- und Bewertungsdimension verschränken. Solche Urteile finden wir
auch in den Empfehlungen jener TA-Verfahren, die die Technikbewertung mit einschliessen.
Man kann sich nun fragen, ob es nicht ausreichend ist, in TA-Verfahren einfach die
professionellen Ethiker/innen einzubeziehen, also diejenigen Wissenschaftler/innen, die sich
akademisch mit dem guten und richtigen Handeln auseinandersetzen. Oder, ob man die
Fragen der Technikbewertung nicht besser direkt und ausschliesslich an Ethikkommissionen
delegiert. Es sind hauptsächlich zwei Gründe, die für eine Unverzichtbarkeit des
Bürger/innenvotums in der TA sprechen und belegen, dass dieses nicht etwa durch
professionelle Ethiker/innen ersetzt werden kann.
Erstens sind Entscheidungen für oder gegen technische Optionen in der Regel Entscheidungen
unter Risiko bzw. unter Ungewissheit. D.h. Prognosen über mögliche Folgen können nur in
Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt werden oder aber das Wissen über mögliche Folgen reicht
nicht aus für eine solide Prognose. Im letzteren Fall kann es sich um prinzipielle Ungewissheit
(‚Nicht-Wissbarkeit‘) oder um einen Mangel an den für die Prognostik nötigen Daten handeln
(‚Noch-Nicht-Wissen‘). Wenn man vo n einer Entscheidung unter Risiko spricht, geht man
aber bereits davon aus, dass hier jemand - ausgestattet mit den nötigen Informationen freiwillig einem Risiko zustimmt. Ohne die Möglichkeit dieser freien und informierten
Zustimmung geht man nämlich nicht etwa ein Risiko ein, sondern man wird einer Gefahr
ausgesetzt. Das heisst, Entscheidungen unter Risiko sind notwendig an die Perspektive der
Betroffenen gebunden. Ohne ihre Beteiligung kann im Grunde nicht von einer
Risikoentscheidung gesprochen werden.
Zweitens hängen die Fragen, die in der TA gestellt, und die Risiken, die untersucht werden,
unmittelbar von der Problembeschreibung zu Beginn eines TA-Verfahrens ab.
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Problembeschreibungen sind nie unabhängig von der Perspektive der Betroffenen möglich.
Die Bürger/innen selbst sind am besten in der Lage, ihre Problemwahrnehmungen, Wünsche
und Wertvorstellungen zu vertreten. Ihre Stimme kann nicht ersetzt werden.
Die Beteiligung von Bürger/innen im Rahmen partizipativer TA erweist sich daher als
unabdingbar.
Bürger/innen beurteilen Technologien
Warum Bürger/innen nicht auf ihr Gärtchen fixiert sind
Was kann man nun von ‚echten Laien‘, von Bürger/innen in der TA erwarten? Manch einer
mag meinen, komplexe Themen wie etwa eine verantwortungsvolle Gestaltung forschungsund technikpolitischer Entscheidungen in den ‚Life Sciences‘, den ständig an Bedeutung
zunehmenden Lebenswissenschaften, seien Bürger/innen gar nicht zuzumuten. Nicht nur der
Umgang mit wissenschaftlichen Fragestellungen – und mit wissenscha ftlicher Ungewissheit –
würde wissenschaftliche Laien vor unlösbare Probleme stellen. Vielmehr wären die
Einschätzungen von Laien notorisch subjektiv, gefühlsbetont und in einem grossen Masse
bestimmt von ihren persönlichen Interessen, z.B. hoher individue ller Lebensqualität bei tiefen
Verbraucherpreisen. Ihr Blick wäre geprägt von der Perspektive auf den persönlichen
Nahbereich, so dass ihr Urteil für gesamtgesellschaftliche politische Entscheidungen nicht
mehr bieten könne als das, was durch Meinungsumfragen ohnehin zu ermitteln sei.
Nun zeigt die Erfahrung mit partizipativer TA in Westeuropa - gerade bei hochkomplexen
Fragen wie etwa solchen aus der Bio- und Gentechnologie - , dass das Gegenteil der Fall ist.
Wissenschaftliche Laien, die in diskursiven Verfahren in der TA über technikpolitische
Optionen beraten, tun dies nicht nur sachkompetent, sondern auch Gemeinwohl-orientiert. Die
in diskursiven Auseinandersetzungen erworbenen Urteile sind belastbar und beruhen auf
einem rationalen Meinungsbildungsprozess. Im Ergebnis erhält man differenzierte
Bürgergutachten auf hohem argumentativen Niveau, die an politische Entscheidungsträger
weitergeleitet werden. Es erweist sich, dass Bürger/innen im diskursiven TA-Verfahren die
Perspektive des ‚Bourgeois‘, des Besitzbürgers, der auf seinen Privatbesitz und seine
Interessen konzentriert ist verlassen und zur Perspektive des ‚Citoyen‘ wechseln. Sie nehmen
daher die Rolle eines Staatsbürgers ein, der in seinen Überlegungen das Gemeinwohl und
nicht Privatinteressen ins Zentrum rückt.
Für diesen Perspektivenwechsel ist es jedoch unerlässlich, dass partizipative TA-Verfahren
auf einer diskursiven Auseinandersetzung beruhen. Echte Diskurse sind seltene Ereignisse im
Verhältnis zu den üblichen Formen alltäglicher Verständigung. Bildlich gesprochen kann man
sie als Inseln argumentativer und rationaler Auseinandersetzung im Meer der
Alltagskommunikation bezeichnen. In Diskursen der TA werden Argumente in der Sach- und
in der Bewertungsdimension geprüft und gewogen, vorgefasste Meinungen ändern sich,
Zwischenergebnisse werden formuliert und im Lichte weiterer Einsichten wieder kritisiert, bis
am Ende das wohlerwogene Bürgervotum steht. Weil unter den Bürger/innen niemand ist, der
sich als Vertreter bestimmter Interessen versteht, sind keine interessensbasierten
Verhandlungen zu erwarten. Im Gegenteil, der diskursive Rahmen verhindert gerade den
Durchgriff bestimmter, partikularer Interessen. Dazu kommt die besondere Rolle der
Teilnehmer/innen als politische Berater/innen. Weil ihr Bürgervotum für die Politikberatung
erarbeitet wird, stehen sie in einer ganz besonderen Verantwortung. Umgekehrt verlangt das
politische Mandat des Bürge rforums auch von den politischen Entscheidungsträgern einen
sorgfältigen Umgang mit den Ergebnissen partizipativer TA-Verfahren.
9
In vielen europäischen Ländern werden mit partizipativen TA-Verfahren positive Erfahrungen
gemacht. Und zwar nicht nur bei Entscheidungen von kleinräumiger Bedeutung (etwa die
Ansiedlung einer Müllverbrennungsanlage oder –deponie), sondern auch bei
gesamtgesellschaftlich relevanten Inhalten von nationaler Reichweite. In der Schweiz
arbeitete man bisher dreimal mit dem Instrument des PubliForums: Im PubliForum ‚Strom
und Gesellschaft‘ ging es um die energiepolitische Zukunft, bei „Gentechnik und Ernährung“
um die Anwendung der Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, und bei
„Transplantationsmedizin“ um die Möglichkeiten und Grenzen moderner Medizin.
Ein Konzept für ein umfassendes TA-Verfahren
Was zu beachten ist
TA-Verfahren sollen legitimationserzeugende Kraft entfalten. Durch TA sollen
technologiepolitische Entscheidungen legitimiert werden. Zugleich müssen TA-Verfahren
durch Qualität überzeugen, um von politischen Entscheidungsträgern als handlungsle itend
anerkannt zu werden.
Ein wichtiges Kriterium für die Qualität eines TA-Verfahrens ist die Vollständigkeit in der
Dimension der relevanten Fakten. Es dürfen keine wichtigen Aspekte ausgelassen werden.
Wenn bestimmte Fragen nicht untersucht werden, so muss dies begründet werden, z.B. damit,
dass zu genau diesem Aspekt schon einmal ein TA-Verfahren an anderer Stelle durchgeführt
wurde. Was die Bewertung angeht, so hängt die Qualität eines TA-Verfahrens und seine
legitimitätserzeugende Kraft davon ab, wie der Bewertungsdiskurs gestaltet ist. Ein echter
Bewertungsdiskurs in kommunikativer Grundeinstellung - die notwendigen Bedingungen
dafür werden weiter unten näher beschrieben – hat normativen Charakter. Das bedeutet, dass
ein partizipatives TA-Verfahren weit mehr ist, als eine Spiegelung von Befindlichkeiten. TAEmpfehlungen als blosse Informationsquellen für die Politik zu betrachten, wäre eine
Verkennung der ethischen Qualität (Verbindlichkeit) der Bewertungsdiskurse.
Wichtig ist zudem, dass sich jedes TA-Verfahren zwei übergreifenden Qualitätskriterien
unterordnet: dem Kriterium des richtigen ‚Zeitfensters‘, das grundsätzlich jedes TAVerfahren betrifft und dem Kriterium der Verfahrensgerechtigkeit. Dieses betrifft
partizipative und diskursive TA.
1. Das Kriterium des richtigen ‚Zeitfensters‘
Das Thema eines TA-Verfahrens muss im richtigen Zeitfenster aufgegriffen werden. TAVerfahren können zu früh oder zu spät kommen. Zudem bestimmt der Zeitpunkt des
Verfahrens die Wahl der Methode. Ein problem-induziertes Verfahren ist dann sinnvoll, wenn
verschiedene (Technik-)Pfade prinzipiell offen sind, d.h. also, bevor Festlegungen durch
Investitionen oder Förderungsprogramme in grösserem Masse stattgefunden haben. Da hier
die Wünschbarkeit von (technischen) Optionen und Zukunftsszenarien thematisiert wird,
sollten Expert/innen und wissenschaftliche Laien - möglichst frühzeitig – beteiligt werden.
Technik-induzierte TA-Verfahren sind dann angeraten, wenn wissenschaftliche Forschungen
und technische Vorarbeiten zu einer bestimmten Technikvariante bereits stattgefunden haben
und eine gesellschaftliche Diskussion über Für und Wider im Gange ist. Zu diesem Zeitpunkt
ist es in der Regel auch leichter, interessierte Teilnehmer/innen für ein partizipatives TAVerfahren zu gewinnen. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass hier eine Gefahr liegt, dass
TA zu spät kommt. Aufwändige Verfahren mit Bürgerbeteiligung, bei denen Voten
abgegeben werden können, die aufgrund der Entwicklung der Technik politisch längst nicht
10
mehr umsetzbar sind, verfehlen ihren Zweck. Sie setzen sich dem Vorwurf des
‚Sandkastenspiels‘ aus. Und für Entscheidungsträger haben sie bestenfalls noch mahnenden
Charakter.
2. Das Kriterium der Verfahrensgerechtigkeit
Die Verfahrensgerechtigkeit ist die wichtigste Bedingung jedes diskursiven und partizipativen
TA-Verfahrens. Um Verfahrensgerechtigkeit zu gewährleisten, ist dringend darauf zu achten,
dass die Rollen (Rechte und Pflichten) aller Beteiligten zu Beginn des Verfahrens - bei der
Einführungsveranstaltung oder bereits im Vorfeld - präzise festgelegt werden. Zentral ist, dass
Änderungen am Konzept während des Verfahrens von allen Beteiligten akzeptiert werden
müssen.
Von grösster Bedeutung für die Verfahrensgerechtigkeit ist die Rolle der Moderation und der
Verfahrensleitung. Dem Moderator/der Moderatorin fällt die Rolle zu, elementare Regeln des
Diskurses und der Argumentation zu überwachen. Er/sie darf selber keine Argumente
vorbringen, sondern nur zur Reflexion der Argumente anregen. Selbstverständlich sind
Moderation und Verfahrensleitung während des ganzen Verfahrens strikt der Neutralität
verpflichtet. Es gehört zu den Aufgaben der Moderation, Entscheidungen durch Abstimmen
zu verhindern, weil dann wichtige Argumente und Prozesse der Urteilsbildung intransparent
gemacht werden. Die Moderation sorgt dafür, dass der Expert/innen-Laien-Dialog in einer für
die Bürger/innen verständlichen Sprache geführt wird und dass Redechancen gerecht zugeteilt
werden.
Unmittelbar mit der Verfahrensgerechtigkeit verbunden und ebenfalls unbedingt notwendig
für den Erfolg eines TA-Verfahrens ist seine Ergebnisoffenheit. Ein TA-Verfahren büsst seine
Glaubwürdigkeit ein, wenn Ergebnisse im Vorfeld, z.B. mit der Fragestellung, bereits
vorgegeben sind. Dies wirkt negativ auf die TA-Institution zurück.
3. Bausteine für ein umfassendes TA-Verfahren
Im NF-Projekt „Technikfolgenabschätzung und Ethik“ haben wir ein Konzept für ein
umfassendes TA-Verfahren entwickelt. Nachdem wir nachgewiesen haben, dass TA nicht von
ethischen Fragen ablösbar ist, und dass TA, wenn sie die Technikbewertung umfasst,
Partizipation zwingend erfordert, können wir nun in diesem Konzept die Bedingungen
angeben, die für Qualität und legitimationserzeugende Kraft von TA-Verfahren entscheidend
sind.
Das Konzept ist in zwölf Bausteine (Module) gegliedert. Wir unterscheiden solche Module,
die unbedingt notwendig sind (‚must‘) und andere, die sinnvoll, aber nicht unbedingt
notwendig sind (‚nice to have‘). Manche der Module enthalten beides, unbedingt notwendige
und ‚nur‘ sinnvolle Elemente. In einem umfassenden TA-Verfahren werden die Module von
Modul 1 bis Modul 12 der Reihe nach durchlaufen. Die Module 1 bis 4 beziehen sich auf den
Aspekt der Technikfolgenforschung, wobei begründet wird, warum auch dieser –
expert/innenzentrierte Teil an einer Stelle (Modul 2) durch ein partizipatives Element
aufgebrochen werden kann. Die Module 5 bis 12 beziehen sich auf den Bewertungsdiskurs,
die partizipative TA. Es ist möglich, ein TA-Verfahren auf die Module 1 bis 4 zu
beschränken, d.h. der Aspekt der Technikbewertung bleibt ausgespart. Ebenso ist es möglich,
lediglich ein partizipatives TA-Verfahren (Module 5 bis 12) durchzuführen, wenn z.B.
wissenschaftliche Prognostik und Expert/innendiskurse bereits an anderer Stelle hinreichend
durchgeführt und dokumentiert sind und umfassend in die Bewertung einbezogen werden.
11
A.
Initialisierung
Modul 1:
Themenfindung
Modul 2:
Problembeschreibung
(1) Jedes Verfahren in der TA beginnt damit, dass eine derzeit in Forschung und/oder
Entwicklung befindliche Fragestellung als so brisant wahrgenommen wird, dass sie zum
Thema gemacht wird. Man kann die Themenfindung in der TA als Pendant zum ‚Whistleblowing‘ verstehen, welches aus der Ingenieursethik bekannt ist. ‚Whistle-blowers‘ sind
diejenigen Mitarbeiter/innen, die sich angesichts einer als moralisch problematisch erkannten
Praxis als erste an die Öffentlichkeit wenden. Auch dies ist eine Art Frühwarnung. Für
Arbeitne hmer/innen hat dies häufig weitgreifende Konsequenzen, bis hin zum Verlust des
Arbeitsplatzes. ‚Whistle-blowing‘ kann daher moralisch nicht verpflichtend gefordert werden.
Anders ist dies bei Mitarbeiter/innen von TA-Institutionen. Für sie ist Frühwarnung als
entscheidender Sinngehalt von TA verpflichtend. Dieser Prozess der Themenfindung ist
Aufgabe von Modul 1.
(2) In einem zweiten Schritt gilt es, das gewählte Problem genauer zu umschreiben und zu
konturieren. Damit wird dem Verfahren Richtung und Ziel gegeben. Ein Problem zu
beschreiben, ist im Bereich umstrittener neuer Technologien nicht möglich ohne Bewertungen
vorzunehmen. Somit kommen ethische Fragen ins Spiel. Die Problembeschreibung sollte
daher partizipativ durchgeführt werden. Es ist wünschenswert, Bürger/innen bereits in dieser
Phase mitwirken zu lassen, in der entschieden wird, welchen Fragen die
Technikfolgenforschung (Modul 3) nachgehen soll. Die Problembeschreibung nennen wir
Modul 2.
B.
Technikfolgenforschung (TFF)
Modul 3:
Technikfolgenforschung
Modul 4:
Expert/innendiskurs
(3) Ausgehend von der Problembeschreibung wird nun die Technikfolgenforschung (Modul 3)
vorgenommen. Die Technikfolgenforschung geschieht in der Regel von Gutachter/innen im
Auftragsverhältnis. Die Fragestellungen der Gutachten sind durch die Problembeschreibungen
wie durch einen Rahmen bestimmt und notwendig interdisziplinär. Angesichts vielfältiger
wissenschaftlicher Kontroversen und Dissense ist es - um den Anspruch der Vollständigkeit
zu erfüllen - notwendig, mit dem Mittel von Gutachten und Gegengutachten zu arbeiten.
(4) Es ist sinnvoll, aber nicht unbedingt notwendig, dass sich die Expert/innen untereinander
mit den Inhalten ihrer Gutachten auseinandersetzen. Der Diskurs unter Expert/innen gehört in
den Rahmen der Technikfolgenforschung. Er ist auf der Sachebene angesiedelt,
Kompromissbildungen und Abstimmungen scheiden daher als Lösungen aus.
Expert/innendiskurse dienen der Bereitstellung von Wissen, sie sind nicht der Ort für die
12
Technikbewertung. Dass heisst nicht, dass den Expert/innen Bewertungen grundsätzlich
verboten wären. Wenn aber Wertungen vorgenommen werden, müssen diese als solche
deklariert sein. Auch wenn offenen Fragen als vernachlässigenswert bezeichnet werden, ist
dies eine Bewertung und fällt nicht unter die Expert/innenkompetenz. Den
Expert/innendiskurs nennen wir (Modul 4).
Das von den Expert/innen bereitgestellte Wissen bildet die empirische Grundlage für den
Bewertungsdiskurs. Immer dann, wenn Ergebnisse von TA über eine reine Präsentation von
Möglichkeiten hinausgehen, wenn bestimmte technische Optionen und ihre Folgen als mehr
oder weniger wünschenswert gekennzeichnet und Empfehlungen an politische
Entscheidungsträger abgegeben werden sollen, kommt man ohne Bewertungsdiskurs nicht
aus.
Auch wenn TA-Verfahren sich auf die partizipative Technikbewertung beschränken, tauchen
die Aufgaben von Modul 1 (Themenfindung) und Modul 2 (Problembeschreibung) hier
wieder auf. Die Themenfindung wird sich möglicherweise mehr an der politischen Agenda
orientieren, als an aufkeimenden Problemen wissenschaftlichen Fortschritts mit ethischer
Relevanz. Die Problembeschreibung, so zeigen unsere empirischen Untersuchungen an
partizipativen TA-Verfahren, machen sich die beteiligten Bürger/innen erst zur Aufgabe. Alle
von uns untersuchten TA-Verfahren beginnen mit einem technik- induzierten und technikorientierten Ansatz. Die Bürger/innen sind es, die ein Interesse daran haben, die Fragestellung
neu zu fassen, Alternativen einzubeziehen und nicht-technische Problemlösungen ins Spiel zu
bringen.
Innerhalb des Bewertungsdiskurses lassen sich wiederum verschiedene Module
unterscheiden.
C.
Technik(folgen)bewertung (TB)
Modul 5:
Meinungsumfragen
Modul 6:
Repräsentant/innendiskurs
Modul 8:
Modul 9:
Modul 10:
Modul 11:
Modul 12:
Modul 7:
Laienbeteiligung
Argumentationsraum
Szenarienbildung
Argumentationslage
Ergebnisfindung
Präsentation der Ergebnisse
(5) Möglich ist der Rückgriff auf Meinungsumfragen (Modul 5). Wegen ihres ausschliesslich
beschreibenden Charakters sind diese im Rahmen von TA-Verfahren wenig aussagekräftig.
Dieses Modul ist vergleichsweise entbehrlich.
(6) Bewertungsdiskurse, zu denen Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen eingeladen
werden, haben verschiedene Vor- und Nachteile. Vorteile liegen darin, dass diese sich in den
zur Debatte stehenden Sach- und Bewertungsfragen bereits gut auskennen. Sie benötigen
keine Informationsphase durch wissenschaftliche Expertisen. Nachteilig ist jedoch, dass
Repräsentanten sich primär als Mandatsträger verstehen. Sie weichen nicht von der Position
13
ihrer Interessengruppe ab. Wegen der bestehenden Erfahrungen mit der ‚Unbeweglichkeit‘
von Repräsentanten kann der Repräsentantendiskurs als nützlich und sinnvoll empfohlen,
nicht aber als unbedingt notwendig bezeichnet werden. Diese Einschätzung würde sich
ändern, wenn sich Repräsentanten tatsächlich auf den Diskurs einlassen würden. Der Ertrag
eines wirklichen Diskurses zwischen Repräsentanten könnte dann in deren Organisation
einfliessen und dort Wirkung entfalten. Den Repräsentatendiskurs bezeichnen wir als Modul
6.
(7) Die Beteiligung von wissenschaftlichen Laien an Bewertungsdiskursen ist dagegen
unbedingt erforderlich. Wir haben im NF-Projekt „TA und Ethik“ TA-Verfahren in vier
europäischen Ländern verglichen. Unter diesen lassen sich zwei Typen von diskursiven
Verfahren für die Bürgerbeteiligung unterscheiden: die Konsensus-Konferenz, an der sich
auch die schweizerischen PubliForen orientieren, und das Bürgerforum. Der Ablauf der
beiden Verfahren lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Konsensus-Konferenzen sind öffentliche Veranstaltungen von drei bis vier Tagen. Ein
Laienpanel beruft Expert/innen und befragt diese während zwei Tagen. Danach wird - unter
Ausschluss der Öffentlichkeit - ein Bürgervotum formuliert und schliesslich der Presse und
der Öffentlichkeit präsentiert. Vorbereitet wird diese Konferenz in zwei
Einführungswochene nden und mit entsprechender Literatur. Bürgerforen dauern vier Tage
und sind geschlossene Veranstaltungen. Diese vier Tage sind nach einer von den
Organisatoren vorge geben Struktur der Vermittlung von Informationen durch die
Organisatoren und Expert/innen, der Diskussion in wechselnden Kleingruppen und im
Plenum und um die Formulierung von Zwischenergebnissen gewidmet. Am letzten Tag
werden die Ergebnisse öffentlich präsentiert.
Zentral ist, dass an den Laienforen keine Interessenvertreter/innen teilnehmen, die bereits auf
eine Position festgelegt sind und nur diese durchsetzen wollen. Deshalb ist streng darauf zu
achten, dass potentielle Teilnehmer/innen weder beruflich noch ehrenamtlich - z.B. in
betroffenen Interessengruppen - engagiert sind. Mitgliedschaft in bestimmten Verbänden und
Organisationen ist ein eindeutiges Ausschlusskriterium.
Eine weitere Voraussetzung für Bewertungsdiskurse mit Laien ist deren gründliche
Information. Dies bedeutet auch, die Laien mit den Grenzen wissenschaftlicher Prognostik
und mit divergierenden Expertisen zu konfrontieren. Es ist darauf zu achten, dass für die
Information der Bürger/innen die verschiedenen Positionen wissenschaftlicher Dissense
vertreten sind. Wichtig ist auch, die Bedeutung des Unterschieds zwischen Sach- und
Bewertungsfragen zu vermitteln. Die Bürger/innen müssen ausreichend Gelegenheit erhalten,
die Expert/innen zu befragen. Zwischen Bürger/innen und Expert/innen sollte ein echter
Dialog möglich werden.
(8) Das erste Ziel des Bewertungsdiskurses ist es, einen gemeinsamen Argumentationsraum
herzustellen. Alle Argumente, die von Teilnehmer/innen für die Bewertung der fraglichen
Technik und ihrer Alternativen als wichtig erachtet werden, werden in den Diskurs
eingebracht. Um eine gemeinsame Diskussion zu ermöglichen und zu erleichtern, ist es nötig,
die Argumente zu strukturieren, d.h. in eine übersichtliche Anordnung zu bringen. Der
Argumentationsraum (Modul 8) dient nur der Herstellung von Übersichtlichkeit, die
eigentlichen Bewertungen jedoch werde später (Modul 10) vorgenommen. Dieser Schritt ist
unbedingt erforderlich.
(9) Wenn dem Projekt TA die Aufgabe zugewiesen wird, Aussagen über wünschenswerte
Zukunftsoptionen zu machen, so kann dies im Grunde nicht anders erfolgen, als dass man
unterschiedliche Zukunftsszenarien entwirft und vergleichend bewertet. Die Szenarienbildung
(Modul 9) ist so anzulegen, dass ein Set von Zukunftsszenarien von der TA-Organisation
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vorgegeben wird. Die Teilnehmer/innen können dann entweder zwischen Szenarien wählen
oder selbst kombinatorisch Szenarien entwerfen. Von diesem Modul wird in der Praxis
partizipativer TA viel zu wenig Gebrauch gemacht.
(10) Der schwierigste und anspruchsvollste Schritt ist es, von einem Argumentationsraum, in
dem alle Argumente nur versammelt sind, zu einer Argumentationslage zu kommen, die dann
bereits auf ein Ergebnis hinweist. Dieser Schritt ist selbstverständlich unumgänglich. Hier
geht es um Prüfung vorgebrachter Gründe, um Gewichtungen, Abwägungen, Priorisierungen
und um Annäherung der Standpunkte. Diese Prüfung soll von den Teilnehmer/innen im
Diskurs vorgenommen werden. Dazu ist es nötig, dass ausreichend Zeit für Diskussionen
vorgesehen ist, bevor ma n in die Phase der Schlussfolgerungen und Ergebnisfindung eintritt.
Beispielhaft hierfür sind die Bürgerforen, in denen in jeder thematischen Einheit eine Phase
des Diskurses vorgesehen ist, nach der schriftlich Zwischenergebnisse festgehalten werden,
bevor man am Ende der Veranstaltung zur Ergebnisfindung kommt. Problematisch dagegen
ist der unmittelbare Übergang von der Informationsaufnahme zur Formulierung eines Urteils,
wie er zum Konzept der dänischen Konsensus-Konferenzen gehört. Die PubliForen des
Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung stellen demgegenüber eine Weiterentwicklung
dar, da sie einen Tag für Diskussion - und Ergebnisfindung - vorsehen.
Es muss die Möglichkeit bestehen, Zwischenergebnisse festzuhalten, sich daran zu orientieren
und sie ggf. noch einmal zu hinterfragen. In Modul 10, der Herstellung der
Argumentationslage, ist die Rolle der Moderation, wie sie oben eingeführt wurde, von
entscheidender Bedeutung. Von ihr hängt wesentlich ab, ob ein echter Diskurs stattfindet, d.h.
ob
interessensbasierte
Verhandlungen
ausgeschlossen
sind,
und
ob
der
Meinungsbildungsprozess frei von jeglichen Manipulationen, und unbehelligt von äusseren,
d.h. diskursexternen Restriktionen (externer Macht) durchgeführt wird.
(11) Schliesslich gilt es, im Ausgang von der Argumentationslage zu einem Ergebnis zu
kommen. Den Schritt der Ergebnisfindung soll Modul 11 leisten. Die Ergebnisse unseres NFProjekts zeigen, dass auch aus von allen akzeptierten Argumentationslagen unterschiedliche
Schlussfolgerungen gezogen werden können. Gerade in komplexen Problemlagen, wie sie
forschungs- und technologiepolitische Entscheidungen darstellen, besteht eine Vielfalt von
Möglichkeiten, eingebrachte Argumente zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Zwar
ist der Konsens, die einmütige Ergebnisfindung nach wie vor etwas Anzustrebendes. Er wird
aber nicht in allen Fällen zu erreichen sein. Daraus jedoch auf das Scheitern eines diskursiven
Verfahrens zu schliessen, wäre verfehlt.
Wenn ein Konsens nicht zu erreichen ist, empfiehlt sich die sorgfältige Herausarbeitung von
Konsensbereichen und Dissenszonen. So konnte ein Vergleich zwischen verschiedenen
Ländern zeigen, dass bei partizipativen TA-Verfahren bestimmte Konsense sich
überschneiden. Es ging dabei um die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter
Lebensmittel, um die kostenlose Nutzung von patentierten Organismen durch sog.
Drittweltländer und um die Forderung nach strengen Regulierungen und einer Orientierung
politischer Entscheidungsträger am Prinzip der Vorsorge. Argumente, die ausschliesslich auf
wirtschaftliche Vorteile abzielen, werden eher nicht zur Grundlage von Entscheidungen
gemacht. Häufig wird von der Formulierung eines Mehrheits- und eines Minderheitsvotums
Gebrauch gemacht. Beide müssen selbstverständlich im Endbericht wiedergegeben werden.
Eine Ergebnisfindung durch Abstimmung ist unzulässig, weil TA-Verfahren als Prozesse der
Urteils- und Willensbildung und als Politikberatung gedacht ist. Bei einer Abstimmung
werden diese Prozesse mit ihren Argumentationslagen intransparent gemacht.
(12) Die Präsentation der Ergebnisse (Modul 12) vor den politischen Entscheidungsträgern
und vor der Öffentlichkeit bildet den Abschluss eines TA-Verfahrens. Sie ist
15
selbstverständlich unbedingt notwendig. Dabei werden die Ergebnisse sämtlicher Module
vorgestellt und diskutiert. Nun können sich auch die Expert/innen – als Staatsbürger/innen – n
die Debatte einschalten, und natürlich auch die Vertreter/innen der Medien, der Öffentlichkeit
und des politischen Systems. Bei der Präsentation der Ergebnisse sollte die entscheidende
Phase der Urteilsbildung noch einmal transparent gemacht werden.
Mehr als Abstimmen
Warum partizipative Technikfolgenabschätzung in der Schweiz sinnvoll ist
Die Schweiz gilt als Spitzenreiterin der Direktdemokratie in den demokratischen
Verfassungsstaaten. In keinem anderen Land gibt es eine solche Vielzahl von
direktdemokratischen Mitsprachemöglichkeiten. Die Mitsprache- und Eingriffsmöglichkeiten
der Repräsentierten sind durch entscheidende Mittel gesichert. Auf nationaler Ebene sind es
zwei wesentliche Instrumente: Mit der Volksinitiative kann eine Gruppe von
Stimmbürger/innen eine Verfassungsänderung beantragen; und mit dem Referendum kann
verlangt werden, dass eine von den Volksvertreter/innen bereits gutgeheissene Vorlage noch
dem gesamten Stimmvolk vo rgelegt werden muss.
Die Konkordanzdemokratie versucht, alle grossen politischen Gruppierungen in die
Regierungsverantwortung einzubinden. Dies ist sinnvoll, weil die Macht von Regierung und
Parla ment durch die direkten Mitsprachemöglichkeiten der Bevölkerung - auch in Sachfragen
- deutlich eingeschränkt ist. In der politischen Alltagsarbeit bedeutet dies, eine möglichst
weitgehende Harmonisierung der unterschiedlichen Positionen herbeizuführen zu versuchen.
Mit der Fähigkeit, unterschiedliche Gruppierungen zu integrieren - man denke an die vier
Sprachregionen in der Schweiz - fördert das System der Konkordanzdemokratie die politische
Stabilität. Als zweites Standbein der schweizerischen Stabilität hat sich der Föderalismus
bewährt.
Sind nun aber – mit Blick auf diese Möglichkeiten direktdemokratischer Mitsprache partizipative und diskursive Verfahren der TA in der Schweiz deplaziert oder zumindest
überflüssig?
Gerade bei Fragen der technikpolitischen Gestaltung entspricht die Festlegung auf eine Jaoder Nein-Antwort oft nicht den komplexen Sachverhalten. Unabhängig davon, wie der
Meinungsbildungsprozess in der Gesellschaft verlaufen ist, ob sich die Stimmbürger/innen
eigenhändig ein fundiertes Urteil erarbeitet oder sich an den Parolen der Parteien orientiert
haben, unabhängig auch davon, ob sie voll und ganz zustimmen oder nur mit Vorbehalten das Resultat ist immer eine Mehrheit für eine von zwei Wahlmöglichkeiten. Differenzierte
Überlegungen und Abwägungen werden dabei immer der Ja- oder Nein-Entscheidung
untergeordnet. Entsprechend gestaltet sich das Vorfeld von Abstimmungen, der
‚Abstimmungskampf‘. Mit zögerlichem Abwägen von wichtigen Argumenten kann man
keine Abstimmung gewinnen, meist wird von stark vereinfachenden Schlagworte Gebrauch
gemacht. Die Lösung dieser Probleme liegt jedoch nicht in einer differenzierteren
Stimmabgabe, denn dann dürfte eine Auswertung unmöglich werden. Erfolgversprechender
ist die Forderung, eine differenzierte Diskussion bereits in die Phase der
Entscheidungsvorbereitung zu legen. Welche besondere Rolle können also partizipative TAVerfahren im Umfeld der direkten Demokratie spielen?
1. Der Gewinn der direktdemokratischen Entscheidungen durch partizipative TA-Verfahren
liegt auf der qualitativen, nicht der quantitativen Ebene. Im Rahmen dieser Verfahren
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werden solide und differenzierte Urteile über technologische Optionen erarbeitet. Sie
können eine konstruktive Mitsprache bei der Vorbereitung einer Vorlage ermöglichen und
für die Entscheidungsvorbereitung von grosser Relevanz sein. Die diskursive Erarbeitung
von Vorlagen für politische Entscheidungen, auch im Vorfeld von ‚Ja oder NeinEntscheidungen‘ könnte zumindest ein Beitrag dazu sein, die Bildung von destruk tiven
‚Nein-Fronten‘ zu vermeiden. Dies ist eine Chance, der ‚Demokratie-Müdigkeit‘
entgegenzuwirken.
2. Über den konkreten Einzelfall hinaus können partizipative und diskursive TA-Verfahren
das politische Klima positiv beeinflussen, weil hier öffentlich glaubhaft argumentiert und
nach Lösungen gesucht und nicht lediglich – oft nur in ‚Scheingefechten‘ - verhandelt
wird. Interessierte Bürger/innen, die nicht vorgängig in Interessensgruppen engagiert sind,
übernehmen Verantwortung und bringen ihre Kompetenz und ihre Phantasie ein.
3. Schliesslich gibt es die Möglichkeit, dass alle Beteiligten im Rahmen eines solchen
Verfahrens lernen und diese Erfahrungen in ihr gesellschaftliches Umfeld hineintragen.
Das könnte differenziertere Diskussionen in der Politik erwirken.
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Schlussfolgerungen
Wie es weitergehen soll
Die Schweiz hat ihr politisches System in den letzten 150 Jahren stets durch langsamen
Wandel den Umständen angepasst. Das Aufdecken von Mängeln und das sorgfältige Suchen
nach
Verbesserungen
gehören
zu
dieser
Tradition.
Eine
differenziertere
Mitsprachemöglichkeit im Rahmen diskursiver und partizipativer TA-Verfahren passt gut in
die institutionell auf Konsensfindung angelegte Konkordanzdemokratie.
Partizipative und diskursive TA-Verfahren können dauerhaft in das Prozedere
technikpolitischer Entscheidungen in der Schweiz integriert werden. Politikberatung durch
partizipative TA ist nützlich und sinnvoll in bezug auf regionale und lokale Entscheidungen,
aber auch in bezug auf nationale Entscheidungen mit gesamtgesellschaftlicher Tragweite. Sie
ist ein notwendiges, ethisch begründetes Erfordernis, da das Urteil der Bürger/innen nicht
durch wissenschaftliche Expertise substituierbar ist. D.h., das hier dargestellte Konzept sagt,
im Sinne einer begründeten ethischen Verpflichtung, wie man es machen soll.
Partizipative TA darf nicht zum ‚Sandkastenspiel‘ werden. Wenn die Ergebnisse von
partizipativer TA in politischen Entscheidungen spürbar und wiederholt ignoriert werden,
fragt man sich zu Recht, ob sich finanzieller Aufwand und persönlicher Einsatz aller
Beteiligten lohnen. Ad absurdum geführt wird ein TA-Verfahren dann, wenn während des
Verfahrens politische Entscheidungen getroffen werden, die sich auf die Ergebnisse des
Verfahrens hätten stützen müssen. Selbstverständlich sind politische Entscheidungen nicht
zwingend den Ergebnissen von TA verpflichtet, schliesslich ist TA eine Institution der
Politikberatung, keine vierte Gewalt im Staat.
TA braucht ihre Zeit. Ein umfassendes TA-Verfahren, dass von der Themenfindung, der
möglicherweise partizipativ durchgeführten Problembeschreibung über die wissenschaftliche
Prognostik im Rahmen der Technikfolgenforschung zur partizipativen Technikbewertung
fortschreitet, beansprucht zeitliche und finanzielle Ressourcen. Dieser Zeitbedarf steht in
einem spannungsreichen Verhältnis zur Zeitlogik wissenschaftlichen Fortschritts und
wirtschaftlicher Entwicklung. Beidem ist Rechnung zu tragen, der einen Seite dadurch das
den Schritten des TA-Verfahrens der nötigen Zeitraum gewährt wird, der anderen Seite
dadurch, dass dieser Zeitrahmen unbedingt verlässlich ist und so Planungssicherheit zulässt.
Je umfassender ein TA-Verfahren angelegt ist, um so grösser werden die Begründungslasten,
von dem Ergebnis bzw. vom Mehrheitsvotum eines TA-Verfahrens abzuweichen. In der
Praxis gibt es hier viele Interpretationsmöglichkeiten. Wir schlagen vor, dass Parlament oder
Regierung im Voraus ihre Bereitschaft erklären, die Ergebnisse eines TA-Verfahrens
angemessen zu berücksichtigen. Sollten politische Entscheidungen diese Ergebnisse nicht
berücksichtigen oder ihnen zuwiderlaufen, so ist dies ausführlich zu begründen.
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