Die Kunst und das Ende der Besatzung Die Mauer in Bethlehem (Foto: Christian Schelbert 2012) Was hat denn Kunst mit dem Ende der Besatzung der Palästinensischen Gebiete zu tun? Dazu braucht es doch andere Mittel, oder? Nach Boykott, Sanktionen und Desinvestition schreien die einen. Andere protestieren lautstark, gehen auf die Strasse und verteilen Flugblätter. Extreme greifen nach den Waffen, um den Feind zu erledigen oder ihn zumindest zum Abzug zu bewegen. Die Strategien sind so vielfältig wie die Personen, die sich am „Kampf“ gegen die Besatzung beteiligen, welche eine Bürde für die palästinensische - aber auch für die israelische Bevölkerung ist. Jean Ziegler hätte in der (dann doch von den Veranstaltern abgesagten) Eröffnungsrede an den Salzburger Festspielen Folgendes gesagt („Der Aufstand des Gewissens“ - zu finden auf YouTube): „Die Musik, das Theater, die Poesie, die Dichtung - kurz: die Kunst transportiert die Menschen jenseits ihrer Selbst. Die Kunst hat Waffen, welche die analytische Vernunft, die Soziologie usw. nicht haben. Sie wühlt den Zuhörer, Zuschauer in seinem Innersten auf, durchdringt auch die dickste Betondecke des Egoismus, der Entfremdung und auch der Entfernung. Theater, Poesie, Musik, Dichtung, auch Malerei haben diese unglaubliche Kraft der Veränderung. Sie treffen den Menschen in seinem Innersten. Bewegen in ihm ungeahnte Emotionen – und plötzlich bricht der Defensivmechanismus seiner Selbstgerechtigkeit zusammen; der neoliberale Profitwahn zerfällt in Schutt und Asche. Ins Bewusstsein dringt die Realität der sterbenden Kinder. Wunder könnten in Salzburg geschehen. Das Erwachen der Herren der Welt. Der Aufstand des Gewissens!“ Die Kraft der Veränderung, von der Jean Ziegler spricht, ist im israelisch-palästinensischen Konflikt dringend nötig. Denn: Nach vier Jahrzehnten des Versagens der Versuche, der Besatzung ein Ende zu setzten, sind kreative Herangehensweisen gefragt! Neue Wege müssen eingeschlagen werden um dem eingerosteten Thema „Nahost-Konflikt“ neues Leben einzuhauchen – und die Dringlichkeit einer Lösung aufzuzeigen. Die Welt erblickt heute (zu Recht) den Arabischen Frühling. Doch dabei bleibt der Fokus auf Palästina und Israel, welcher Jahrzehnte lang die westliche Berichterstattung über den Nahen Osten beherrschte, auf der Strecke. Die Widerstandsbewegungen in Arabien werden nicht umsonst „die Facebook-Revolutionen“ genannt. Die neuen Medien und Netzwerke im Internet bieten gute Voraussetzungen, um Texte, Fotos und Videos zu verbreiten. In der Cloud wird niemand erschossen. In einer gewissen Anonymität kann nach Informationen und „Freunden“ gesucht werden. Man kann aber auch mit seinen Feinden eine Skype-Konversation starten – wenn es jemandem dann doch zu viel wird, kann er sich wieder wegklicken. Die ferne Welt rückt etwas näher. Die Zensurbehörden der Mächtigen versuchen das Internet zu unterjochen. Bis jetzt zum Glück mit bescheidenem Erfolg. Wie die Online-Kommunikation, geniesst auch die Kunst eine gewisse Narrenfreiheit. Wie der dänische Karikaturist Kurt Westergaard 2005 bewies, kann der Bogen in der muslimischen Welt zwar auch überspannt werden. Seine Zeichnungen, die zum Beispiel Mohamed mit einer Bombe im Turban zeigten, lösten weltweit Proteste aus. Es kam sogar zu Gewaltakten mit mehr als 100 Toten. Das kontrovers gehandhabte „Bildnisverbot“ führt in der Welt des Islams immer wieder zu Unstimmigkeiten. Dafür muss es jedoch nicht gleich Mohamed mit der Bombe sein: In Marjane Satrapis Film „Persepolis“ erscheint ihr als Kind Allah in Form eines alten bärtigen Mannes. Nach der Ausstrahlung im tunesischen Fernsehen folgten postwendend die Demonstrationen auf den Strassen von Tunis. Eine Möglichkeit der Intervention durch Kunst ist in Bethlehem zu sehen. Die gewaltige Mauer, welche die palästinensische Bevölkerung der Reisefreiheit beraubt, ist eine einzigartige Kunstgalerie. Lokale, aber auch internationale Künstler bis hin zu Berühmtheiten der Street Art Szene (wie z. B. Banksy) haben auf dem Grau ihr Statement hinterlassen. Auf meinem Blog (http://barrierahead.posterous.com/tag/streetart) sind Fotos der Kunstwerke zu finden. Viele Leute reisen nach Bethlehem um die Graffitis zu geniessen. Bei meinem Besuch habe ich einen Sprayer während der Arbeit getroffen. Er scherzte, dass die Pilger der Kunst entlang der Mauer schon fast die Pilger in der Jesus Geburtskirche überträfen. In Richtung Bild-Kunst bewegte sich auch Joe Sacco: Er ist ein Journalist, der nebenbei Comics zeichnete. Irgendwann hatte er dann die Schnauze voll vom klassischen Journalismus und der Art, wie dieser die Wahrheit konstruierte. Er machte sich auf, um als Comics-Journalist neue Wege der Berichterstattung zu finden. Seine Bücher „Palästina“ und „Gaza“ sind eine Parteinahme für Palästinenserinnen und Palästinenser und zeichnen (im wahrsten Sinn des Wortes) das vielschichtige Leben in den Besetzten Palästinensischen Gebieten nach. Das Pendant dazu liefert Sahra Gildden im Comics „Israel verstehen“. Nach einem Besuch in Israel wird das Selbst- und Israelbild der Amerikanerin auf eine harte Probe gestellt. Ich selbst habe die Idee, eine Schwarzweiss-Fotoausstellung über meinen Aufenthalt als Menschrechtsbeobachter zu machen. In Restaurants oder Bibliotheken sollen Besucher indirekt mit dem Thema konfrontiert werden. Dazu sollen neben politischen Bildern auch Bilder aus dem Alltagsleben gezeigt werden. Über die Kunst werde ich versuchen, einen anderen Zugang als Mainstream-Medien zum Thema zu schaffen. Ein Beispiel, wie das aussehen könnte, findet sich ganz am Anfang des Textes. Christian Schelbert aus Yanoun, August 2012, Blog http://barrier-ahead.posterous.com/