Prof. Dr. Gerhard Robbers Sommersemester 2008 Klausurenkurs im Öffentlichen Recht Klausur vom 19. 03. 2008, 14-19 Uhr, HS 4 Rückgabe am 02. 05. 2008, 16 s.t.-17.30 Uhr, HS 4 Sachverhalt Erster Teil Acht Tage vor der letzten Bundestagswahl fand im Bundeskanzleramt in Berlin ein „Tag der offenen Tür“ statt. Der Bundeskanzler B lud hierzu in einem Faltblatt mit folgenden Worten ein: „Unter dem Motto ´Zu Gast im Bundeskanzleramt´ haben Sie an diesem Tag Gelegenheit, einen ´Blick hinter die Kulissen´ zu werfen. Vielfältige Informationen und Präsentationen geben Ihnen einen Einblick in die Arbeit, die Ziele und Projekte des Bundeskanzleramtes. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen Sie durch unser Haus. Besichtigen Sie den Kabinettsaal und informieren Sie sich über die Aufgaben des Kabinetts. Selbstverständlich ist auch mein Zimmer an diesem Tag für Sie geöffnet.“ Diesem Einladungstext folgte ein Hinweis auf das umfangreiche Programmangebot, wozu musikalische Unterhaltung, ein Bühnen-Liveprogramm mit einem Radiosender, Lesungen, Gespräche und Interviews an Infoständen, Gewinnspiele und ein Kinderprogramm mit Hüpfburg und Malwettbewerben gehörten. Drei Tage später veröffentlichte eine Reihe von Tages- und Wochenzeitungen sowie Zeitschriften im Auftrag der Bundesregierung großformatige Anzeigenserien, in denen Leistungs- und Erfolgsberichte der Bundesregierung enthalten waren. Zudem wurde an die Öffentlichkeit eine große Menge von Broschüren verteilt, in denen exzessiv von der Arbeit der Bundesregierung berichtet und die Qualitäten der einzelnen Mitglieder der Bundesregierung hervorgehoben wurden. Die Bundesregierung warb darin ausdrücklich auch für „ihre Wiederwahl“. Ein Teil dieser Broschüren wurde von der Bundesregierung der Regierungspartei M überlassen, die sie ihrerseits an die Bürger verteilte. Für diese Maßnahmen, die nicht auf einem aktuellen Anlass beruhten, hatte die Bundesregierung 4 Mio. € aus dem Haushaltstitel „Öffentlichkeitsarbeit“ aufgewendet. Zur gleichen Zeit erschien in einigen Tageszeitungen eine Anzeigenserie des Bundesumweltministeriums. Diese Anzeigenserie enthielt in zwölf Folgen (angefangen vor über 3 Monaten bis zu einem Tag vor der Bundestagswahl) verschiedene Hinweise an die Bürger zur Müllvermeidung und zur Wiederverwertung von Abfall unter der Bezeichnung „Müllspartipps“ und endet jeweils mit der Formulierung „…rät der Bundesumweltminister“. Die Gesamtausgaben beliefen sich auf 1,5 Mio. €. Die S-Partei, die im Deutschen Bundestag in Fraktionsstärke vertreten ist, rechnet laut Prognosen zwei Wochen vor der Bundestagswahl damit, ihre Position weiter auszubauen. Angesichts der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung und des Bundesumweltministeriums sieht sie diesen Erfolg allerdings in Gefahr. Die Bundesregierung und das Bundesumweltministerium betrieben auf Kosten der öffentlichen Haushalte eine „exzessive“ Öffentlichkeitsarbeit. Der S-Partei stünden die finanziellen Mittel für die Wahlwerbung nicht zur Verfügung, mit deren Hilfe die Bundesregierung und das Bundesumweltministerium die Wähler beeinflussten. In Wahlkämpfen treffe die öffentliche Gewalt eine Pflicht zur Zurückhaltung, die hier nicht eingehalten worden sei. Dadurch seien das Demokratieprinzip und ihr Recht auf Chancengleichheit verletzt worden. Da die Wähler allerdings durch die Öffentlichkeitsarbeit bereits massiv beeinflusst seien, gehe es ihr nicht um die kurzfristige Unterbindung des Verhaltens der Bundesregierung und des Bundesumweltministeriums. Vielmehr möchte sie die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Vorgehensweise für die Zukunft vom Bundesverfassungsgericht geklärt wissen. Aufgabe 1: Prüfen Sie die Erfolgsaussichten des von der S-Partei beim Bundesverfassungsgericht eingereichten Antrags. Zweiter Teil A ist Mitglied der Oppositionspartei (O-Partei) und Abgeordneter des rheinland-pfälzischen Landtages. Eine Vertreterversammlung der O-Partei wählte ihn als Bewerber des Wahlkreises T für die bevorstehende Landtagswahl. In einigen, im Wahlkreis T weit verbreiteten Lokalzeitungen erschien im Auftrag des Landesumweltministeriums eine Anzeigenserie mit dem gleichen Inhalt der Anzeigenserie des Bundesumweltministeriums (siehe oben). Die Anzeigenserie sorgte insbesondere im Wahlkreis T für eine positive Resonanz zu Gunsten des Landesumweltministers L. Die Gesamtausgaben für diese Maßnahme beliefen sich auf 200.000,- €. A hält die Öffentlichkeitsarbeit des Landesumweltministeriums für eine unzulässige Parteien- und Wahlwerbung. Sie verschlechtere seine Chancen bei der bevorstehenden Landtagswahl. Um seine Rechtsauffassung durchzusetzen, erhob er bei zuständigen Verwaltungsgerichten eine Klage mit dem Inhalt, dem Landesumweltministerium zu untersagen, seine Öffentlichkeitsarbeit fortzuführen. Die Klage wurde letztinstanzlich abgewiesen. Die letztinstanzliche Entscheidung wurde dem A am Montag, dem 11. Februar 2008, zugestellt. Daraufhin beauftragte A seinen Rechtsanwalt M, einen Antrag beim Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz zu stellen. Am Montag, dem 10. März 2008 bat M seine zuverlässige und stets sorgfältig arbeitende Gehilfin G, den von ihm verfassten Schriftsatz per Fax an das Landesverfassungsgericht zu senden. Dabei klärte er sie über die Bedeutung der Fristeinhaltung auf. G verließ am Nachmittag die Kanzlei, ohne zuvor den Schriftsatz an das Landesverfassungsgericht übermittelt zu haben. Als M dies am 19. März 2008 bemerkte, sendete er den Schriftsatz noch am gleichen Tag – eigenhändig unterschrieben – per Fax an das Landesverfassungsgericht. Eine Woche später erfolgte die postalische Übersendung des Schriftsatzes. Aufgabe 2: Prüfen Sie die Zulässigkeit der statthaften Verfahrensart vor dem rheinland-pfälzischen Landesverfassungsgericht. Bearbeitungshinweise: • Gehen Sie bei Ihrer Bearbeitung umfassend auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Rechtsfragen ein. • Es ist davon auszugehen, dass der Bundesumweltminister Angehöriger der Regierungspartei M ist. • Gehen Sie bei der Aufgabe 2 davon aus, dass A keinen fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen hat. Mögliche Überlegungen zum einstweiligen Rechtsschutz sind auszublenden. • Der Landesumweltminister L ist Mitglied der Regierungspartei R, die die rheinland-pfälzische Landesregierung stellt. Lösung der Aufgabe 1: A. Vorüberlegungen: Welche prozessualen Möglichkeiten stehen zur Verfügung? In Betracht kommen hier drei prozessuale Möglichkeiten: I. Einstweiliger Rechtsschutz vor dem BVerfG II. Verfassungsbeschwerde oder Organstreitverfahren Zu I: Einstweiliger Rechtsschutz vor dem BVerfG: Zwar naheliegend, da unmittelbare Vorwahlzeit Aber: Klare Aussage im Sachverhalt, dass es der S-Partei nicht um die kurzfristige Unterbindung der Vorgehensweise der Bundesregierung und des Bundesumweltministeriums geht Der einstweilige Rechtsschutz würde spätestens im Punkt „Anordnungsgrund“ ausscheiden: hierfür wird keine Dringlichkeit geltend gemacht Zu II: Verfassungsbeschwerde - Organstreitverfahren Bei Verletzung von Rechten einer politischen Partei durch Verwaltungsbehörden => herkömmliche Rechtsmittel, vgl. § 3 PartG Bei Verletzung von Rechten einer politischen Partei durch eine Handlung oder Unterlassen eines Verfassungsorgans => Organstreitverfahren vor dem BVerfG Hier: Bundesregierung ist hier nicht in Funktion einer Verwaltungsbehörde tätig; sie ist ein Bundesorgan i. S. d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, somit ein Verfassungsorgan Rüge der Verletzung des verfassungsrechtlichen Status der politischen Partei und der S-Fraktion (Recht der politischen Partei auf Chancengleichheit) nicht im Wege der Verfassungsbeschwerde, sondern im Wege des Organstreitverfahrens Ö Organstreitverfahren statthaft B. Erfolgsaussichten des Organstreitverfahrens I. Zulässigkeit des Organstreitverfahrens 1. Verfahrensart Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG i. V. m. §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG => Feststellung der Verletzung verfassungsmäßiger Rechte und Pflichten; hier: Feststellung der Verletzung des Rechts der SPartei auf Chancengleichheit 2. Parteifähigkeit P1: Verhältnis des § 63 BVerfGG zu Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG Art. 93Abs. 1 Nr. 1 GG => Parteifähig sind die oberste Bundesorgane sowie andere Beteiligte, die durch das GG oder in einer Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. § 63 spricht verengend lediglich von Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und die im GG oder in den Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestattete Teile dieser Organe. Ö Es gibt auch andere obersten Bundesorgane; Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG ist weiter gefasst als § 63 BVerfGG und hat Vorrang vor der einfachgesetzlichen Bestimmung P2: Parteifähigkeit einer politischen Partei Nach der ständigen Rechtsprechung: Eine politische Partei ist parteifähig im Organstreitverfahren, soweit sie eine Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status nach Art. 21 GG rügt. Da hier Rüge der Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit => S-Partei im Organstreitverfahren parteifähig. Ö Die politischen Parteien werden zwar nicht vom § 63 BVerfGG, aber von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG erfasst. Die enge Fassung des § 63 BVerfGG wird also von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG ergänzt. 3. Antragsgegner, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG Bundesregierung, vgl. § 63 BVerfGG 4. Streitgegenstand § 64 Abs. 1 BVerfGG: Streit über die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung von Rechten und Pflichten des Antragsstellers durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners Maßnahme: Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung Recht des Antragstellers: Recht der S-Partei auf Chancengleichheit 5. Antragsbefugnis Schlüssige Behauptung des Antragsstellers erforderlich, dass er und der Antragsgegner an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis beteiligt sind und der Antragsgegner durch die beanstandete Maßnahme die Rechte des Antragsstellers verletzt oder unmittelbar gefährdet hat (es genügt die substantiierte Behauptung nach der Möglichkeitstheorie) Die S-Partei nimmt an den nächsten Bundestagswahlen teil. Indem die mit Geldern der öffentlichen Haushalte finanzierte Öffentlichkeitsarbeit der Regierungspartei M zugute kommt, während die S-Partei davon nicht profitieren kann, liegt die Annahme nahe, dass die Bundesregierung mit ihren Öffentlichkeitsmaßnahmen die Grenze zur parteiergreifenden Wahlwerbung überschritten und die Regierungspartei im Vergleich zu anderen politischen Parteien bevorzugt hat. Ö Es ist nicht ausgeschlossen, dass durch die Maßnahmen der Bundesregierung das Recht der S-Partei auf Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1, 3 i. V. m. Art. 21 Abs.1, Art. 38 Abs. 1 sowie Art. 20 Abs. 2 GG) verletzt ist. 6. Rechtsschutzbedürfnis Wird durch die Antragsstellung indiziert, es sei denn, er hätte die gerügte Verletzung durch eigenes politisches Handeln verhindern können 7. Frist Keine Angaben, daher zu unterstellen II. Begründetheit des Organstreitverfahrens 1. Prüfungsumfang Nur Überprüfung der vom Antragssteller geltend gemachten Verletzung in eigenen Rechten, keine allgemeine verfassungsrechtliche Überprüfung 2. Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 (Demokratieprinzip) i. V. m. dem Grundsatz der Chancengleichheit Vorüberlegung: Erforderlich ist folgende differenzierte Betrachtung der Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit: „Tag der offenen Tür“ im Bundeskanzleramt Anzeigenserie der Bundesregierung Anzeigenserie des Bundesumweltministeriums a. Art. 20 Abs. 2 GG Art. 20 Abs. 2 GG: Staatsgewalt geht vom Volke aus, in Wahlen und Abstimmung sowie durch Organe der Legislative, Exekutive und Judikative Konkretisierung u.a. in Art. 38 Abs. 1 GG: Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG: Mitwirkung der politischen Parteien an der politischen Willensbildung Wahlen verleihen den politischen Staatsorganen demokratische Legitimation; allerdings nur dann, wenn die Wahlen frei sind (=> Freiheit der Wahl indiziert einen offenen und freien Prozess der politischen Auseinandersetzung) Herausragende Bedeutung der politischen Parteien im Rahmen dieser politischen Auseinandersetzung (verfassungsrechtlicher Status der politischen Parteien => dieser Status sichert nicht nur die Gewährleistung der freien Gründung und Mitwirkung an der politischen Mitwirkung des Volkes, sondern auch die Einhaltung von Regeln, die den Parteien gleiche Rechte und Chancen gewähren) Der Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien => verfassungsrechtliche Verpflichtung der Staatsorgane, von jedweder Identifikation mit politischen Parteien Abstand zu nehmen; Verbot der Unterstützung oder Bekämpfung von politischen Parteien mit staatlichen Mitteln; Verbot der Beeinflussung der Wählerentscheidung durch Werbung Bundestag und Bundesregierung haben nach der Verfassung einen zeitlich begrenzten Auftrag => Erfordernis der Erneuerung dieses Auftrags in Form von Wahlen Ö Widerspruch zu diesem Prinzip, wenn sich die Bundesregierung zur Wahl stellt und dafür wirbt Ö Unberührt davon bleibt die Möglichkeit und das Recht der Mitglieder der Bundesregierung außerhalb ihrer amtlichen Funktion für eine Partei in den Wahlkampf einzugreifen Zusammenfassung: Die Staatsorgane habe eine Pflicht zur Neutralität im Wahlkampf. Hiermit ist es nicht vereinbar, wenn die Staatsorgane zu Gunsten oder zu Lasten einzelner im Wahlkampf beteiligten politischen Parteien oder Bewerber auf die Entscheidung der Wähler im Sinne einer Parteiergreifung einwirken. b. Grundsatz der Chancengleichheit Möglichkeit der Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit der politischen Parteien bei einer parteiergreifenden Handlung der Staatsorgane Den Minderheiten muss die Möglichkeit gegeben werden, zu Mehrheiten zu werden => Notwendigkeit gleicher Rechte und grds. gleicher Chancen im politischen Wettbewerb wegen herausragender Bedeutung der politischen Parteien als verfassungsrechtliche Institutionen, vgl. Art. 21 GG Bei Wahlkämpfen: Chancengleichheit unter dem Vorbehalt des Möglichen zur Gewährleistung der Freiheit der Wahlentscheidung => Verpflichtung der öffentlichen Gewalt zur Gleichbehandlung aller politischen Parteien, es sei denn, Ungleichbehandlung aus einem zwingenden Grund gerechtfertigt Gleichbehandlung nicht nur in Bezug auf Wahlvorgang, sondern auch die Wahlvorbereitung, Wahlwerbung Hinweis: Grenzen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit leiten sich unmittelbar aus dem Demokratieprinzip ab. Ob ihre Verletzung auch eine Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit? => jedenfalls ergeben sich aus dem Letzteren keine weitergehenden rechtlichen Anforderungen. c. Vom BVerfG entwickelte Grundsätze: aa. Zulässigkeit und Notwendigkeit der Öffentlichkeitsarbeit (zulässiger Aufgabenund Zuständigkeitsbereich) bb. Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit aaa. Gebot parteipolitischer Neutralität bbb. Weitergehende Zurückhaltung in der Vorwahlzeit d. Anwendung auf den Fall: aa. „Tag der offenen Tür“ Bloße Information und Präsentation der Arbeit der Bundesregierung (zulässiger Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich) Notwendigkeit der Öffentlichkeitsarbeit Bestehen dieser Notwendigkeit auch in der Vorwahlzeit Beachtung des Neutralitätsgebots; Grenze dort, wo Parteien- und Wahlwerbung beginnt Weitergehende Zurückhaltung in der Vorwahlzeit Ö Tritt der informative Gehalt der Öffentlichkeitsarbeit hinter der reklamehaften Werbung zurück, so ist die Grenze zur unzulässigen Parteien- und Wahlwerbung überschritten. Ö Hier nicht der Fall; beim „Tag der offenen Tür“ steht die Information im Vordergrund Ö Sachverhalt lässt nicht erkennen, dass die Maßnahmen am „Tag der offenen Tür“ reklamehafte Züge zu Gunsten einer bestimmten politischen Partei tragen bb. Anzeigenserie der Bundesregierung Großformatige Anzeigenserien in Tages- und Wochenzeitungen sowie Zeitschriften eine große Menge an Broschüren Überlassen der Broschüre an die Regierungspartei zum Weiterverteilen an die Bürger Werbung für die „Wiederwahl“ der Bundesregierung (Dabei ist zu beachten, dass es nicht um die Wahl der Bundesregierung, sondern um die Wahl Partei und Mitglieder dieser Partei geht, die Mitglieder der Bundesregierung sind) Werbung zu Gunsten der Mitglieder der Bundesregierung Hohe Summe für die Öffentlichkeitsarbeit Zeitliche Nähe zu den Bundestagswahlen Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit ohne aktuellen Anlass Ö Hier ist das Neutralitäts- und Zurückhaltungsgebot nicht eingehalten: vielmehr gezielte Werbung für die Mitglieder der Bundesregierung und somit der Regierungspartei cc. Anzeigenserie des Bundesumweltministeriums Bundesumweltminister als Mitglied der Bundesregierung; insofern gelten auch hier die gleichen Grundsätze Sachliche Information an die Bürger Zwar erheblicher Umfang der Anzeigen, aber keine Anzeichen einer politischen Einflussnahme Beginn der Veröffentlichung schon drei Monate vor den Wahlen Insgesamt: Informativer Charakter der Anzeigen stehen im Vordergrund; lediglich der Passus „..rät der Bundesumweltminister.“ böte Anlass für eine Parteiergreifung. Dies ist aber vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer sachlich-informativen Öffentlichkeitsarbeit durch die zuständigen Stellen zu sehen => die Grenze zur Parteiergreifung ist nicht erreicht. Zwischenergebnis: Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung verletzt das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit, soweit sie die Anzeigenserie und die Broschüren der Bundesregierung betrifft. „Tag der offenen Tür“ sowie die Anzeigenserie des Bundesumweltministeriums halten sich im Rahmen der verfassungsrechtlich zulässigen Öffentlichkeitsarbeit. 3. Verletzung der Rechte der S-Partei Die Bundesregierung hat in Form der Öffentlichkeitsarbeit auf den politischen Meinungsbildungsprozess im unmittelbaren Vorfeld der Bundestagswahlen eingewirkt und somit – siehe oben – den Grundsatz der Chancengleichheit durch Parteiergreifung zu Gunsten der Regierungspartei verletzt, die mit der S-Partei im politischen Wettbewerb steht. Daraus ergibt sich die Rechtsverletzung der S-Partei. III. Ergebnis Nur soweit die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung unzulässig ist, ist das zulässige Organstreitverfahren auch begründet. Lösung der Aufgabe2: Zulässigkeit der statthaften Verfahrensart vor dem rh.-pf. Landesverfassungsgericht 0. Vorüberlegungen zur Verfahrensart Hinweis: In Rheinland-Pfalz heißt das Organstreitverfahren „Verfassungsstreit“ (vgl. Art. 130 Abs. 1, 135 Abs. 1 Nr. 2 LV Rh.-Pf.; §§ 2 Nr. 1 a, 23 ff. VerfGHG Rh.-Pf.) P: In Betracht kommen das Verfassungsstreitverfahren und die Verfassungsbeschwerde Zwei Aspekte spielen eine wesentliche Rolle: 1) Geht es um Rechte, die dem verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten entstammen? 2) Wer ist der Antragsgegner? => Verfassungsstreitverfahren verfassungsrechtlichen statthaft, Status als wenn der Abgeordnete Abgeordneter kämpft, um seinen andernfalls Verfassungsbeschwerde => Ist der Antragsgegner kein Landesorgan oder anderer Beteiligter Art. 130 Abs. 1 S. 1 LV Rh.-Pf., scheidet ein Verfassungsstreitverfahren aus. Hier: A kämpft nicht um seinen verfassungsrechtlichen Status als Abgeordneter, sondern greift als Wahlbewerber für die bevorstehende Landtagswahl Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Landesumweltministeriums an, mit der Behauptung, durch sie in seinem passiven Wahlrecht verletzt zu sein. Für diese Rüge ist die Verfassungsbeschwerde statthaft. Für die Landesverfassungsbeschwerde sind folgende Vorschriften des Landesrechts maßgeblich: Art. 130a LV Rh.-Pf. Und §§ 44 ff. VerfGHG Rh.-Pf. 1. Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz Sie ergibt sich auf Art. 135 Abs. 1 Nr. 4 LV Rh.-Pf. 2. Beschwerdefähigkeit, Art. 130 a LV, § 44 Abs. 1 VerfGHG Art. 130a LV: „Jeder kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes in einem seiner in dieser Verfassung enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben.“’(§ 44 Abs. 1 VerfGHG hat denselben Wortlaut) „jeder“: A ist natürliche Person => Beschwerdefähigkeit unproblematisch gegeben 3. Prozessfähigkeit unproblematisch 4. Postulationsfähigkeit unproblematisch 5. Beschwerdegegenstand, § 44 Abs. 1 S. 1 VerfGHG Behauptung, der Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt => Maßnahmen des Landesumweltministeriums im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit sind geeignet, Wirkungen zu entfalten, die das verfassungsmäßige Recht der davon nachteilig Betroffenen auf Chancengleichheit bei Wahlen zu verletzen. 6. Beschwerdebefugnis a. Selbst (+), als Bewerber des Wahlkreises, in dem die Anzeigen erschienen sind b. Unmittelbar (+), ohne Dazwischentreten eines zusätzlichen Aktes c. Gegenwärtig (+) weder nur in der Vergangenheit, noch in der Zukunft d. Möglichkeitstheorie: Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Anzeigenserie Einflüsse auf das Wahlverhalten der Wähler entfaltet, die sich zu Ungunsten des A entwickeln können. 7. Rechtswegerschöpfung, § 44 Abs. 3 VerfGHG A hat den fachgerichtlichen Rechtsschutz durchlaufen; eine letztinstanzliche Entscheidung liegt vor; daher: der Rechtsweg ist erschöpft. 8. Form und Frist,§§ 23, 46 VerfGHG a) Form P: Problem: Beschwerdeeinlegung per Fax - Schriftformerfordernis: Es besteht keine ausdrückliche Regelung bzgl. der Form einer Landesverfassungsbeschwerde; § 23 VerfGHG bezieht sich nur auf das Verfassungsstreitverfahren. Allerdings kann man hier an zwei Aspekte denken: (1) Herleitung aus dem Begründungserfordernis des § 46 Abs. 1 S. 1 VerfGHG, da sonst keine hinreichend verlässliche Grundlage besteht (2) Analogie zu § 23 Abs. 2 S. 1 VerfGHG => Schriftformerfordernis ist zu bejahen. - Zweifel, ob Schriftlichkeit i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB erforderlich; bei Übersendung per Fax wird jedoch nur eine Kopie übersandt; die eigenhändige Unterschrift erreicht den Empfänger nicht - aufgrund immensen Fortschritts elektronischer Kommunikationsmitteln, Sinn und Zweck des Schriftformerfordernisses - Nunmehr ist es in allen Gerichtszweigen und auch beim BVerfG anerkannt, dass eine Übermittlung per Fax dem Schriftformerfordernis genügt, wenn die Urschrift postalisch nachgereicht wird Ö Beschwerdeeinlegung per Fax ist ordnungsgemäß, sofern der Schriftsatz das Gericht postalisch in angemessener Zeit erreicht Ö Problem: Angemessene Zeit : Fraglich, ob das Fristerfordernis eingehalten b. Frist, § 46 VerfGHG Monatsfrist ( § 46 Abs. 1 S. 1 VerfGHG i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB nicht eingehalten, da zwischen der Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung und der Beschwerdeeinlegung über 5 Wochen liegen => Verfristung? Aber: Einlegung der Verfassungsbeschwerde war noch innerhalb der Monatsfrist, daher: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 44 Abs. 2 VerfGHG denkbar: P: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Verschulden des Rechtsanwaltsgehilfen (1) Voraussetzung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand a) Antrag (-) Wenn kein Antrag gestellt, dann ist § 44 Abs. 2 S. 4 VerfGHG einschlägig, wenn die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt wird. Sinn: Vermeidung bloßer Förmelei Hier wird, wenn die versäumte Rechtshandlung vorgenommen ist entgegen dem Wortlaut (..„kann“..) nach einhelliger Auffassung eine Verpflichtung des Gerichts zur Gewährung der Wiedereinsetzung auch ohne entsprechenden Antrag angenommen. b) Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 S. 1 VerfGHG o Einhaltung der Frist unmöglich Hier muss ein Umstand vorliegen, der die Einhaltung der Frist unmöglich oder zumindest unzumutbar gemacht hat. Im Zeitpunkt des Fristablaufs glaubte RA M, seine Gehilfin habe den Auftrag bereits erledigt, sodass er keine Veranlassung hatte, die Einhaltung der Frist zu überprüfen. Insofern war sie ihm nicht zumutbar. o Ohne Verschulden (Hier ist davon auszugehen, dass es aufgrund des zwischen dem A und dem RA M bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrages das Verschulden des RA M dem A gem. § 278 BGB zugerechnet wird). War RA M ohne Verschulden daran gehindert, die Frist einzuhalten? Schuldhaft versäumt ist die Frist nur dann, wenn sie aufgrund fahrlässigen oder vorsätzlichen Verhaltens nicht eingehalten werden konnte. Bereits leichte Fahrlässigkeit ist schädlich. Anknüpfungspunkt für das Verschulden des RA M: Ausschöpfen der Frist bis zum vorletzten Tag (-), die vollständige Ausnutzung der Frist bewegt sich im Rahmen der gesetzlichen Gewährleistung. Soweit das Gesetz eine Frist vorsieht, darf sie auch bis zu ihrem Ende ausgenutzt werden. Anknüpfungspunkt für das Verschulden des RA M: Auswahl-, Organisations- oder Aufsichtsverschulden (-), da die Gehilfin zuverlässig ist und stets sorgfältig arbeitet, kann dem RA M kein Verschulden vorgeworfen werden. Zwischenergebnis: Die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen vor. c) Nachholen der versäumten Rechtshandlung nach § 44 Abs. 2 S. 4 VerfGHG Versäumte Rechtshandlung im Sinne dieser Vorschrift ist hier die Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde. Dies ist am 19. März 2008 geschehen => ZweiWochen-Frist eingehalten 9. Rechtsschutzbedürfnis im Sachverhalt sind keine Angaben über den Wahltermin enthalten; selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellen würde, wegen des Zurückliegens des Wahltermins Erledigung anzunehmen, kann das LVerfG über die Verfassungsbeschwerde trotzdem unter folgenden Gesichtspunkten entscheiden: o Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung o Besonders schwer belastender Eingriff durch die Maßnahme der öffentlichen Gewalt Ergebnis: Die Verfassungsbeschwerde des A ist zulässig.