die suche nach dem helden

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EROICA I Eine musiktheatralische Inszenierung der 3. Symphonie Ludwig van Beethovens
DIE SUCHE NACH
DEM HELDEN
LUDWIG
Theater Marie und argovia philharmonic
pretation die Wahrnehmung, das Denken und
wagen ein ungewöhnliches Experiment:
Fühlen des Publikums. «Ich nenne die Bear-
Gemeinsam bringen sie Beethovens
beitung, die ich für die szenische Aufführung
«Eroica» in einer komponierten Inter-
des Werkes vornehmen darf, eine kompo-
pretation als szenische Fantasie auf die
nierte Interpretation», meint der aus Wattwil
Bühne der Alten Reithalle Aarau. Die Mu-
stammende Musiker und Performer Bo Wiget,
sik als Motor und szenisches Element im
der die «Eroica» für neun Interpretierende ein-
Theaterraum, wahrlich eine spannende
gerichtet hat. Zu den obligaten fünf Streichin-
Ausgangslage.
strumenten gesellen sich eine Querflöte, eine
Oboe, ein Horn und drei Tasteninstrumente.
Von Dr. Verena Naegele
Mit der Beethovenschen Musik geht Wiget
zum Teil sehr frei um.
Das differenzierte Erfahrbar-Machen von
Raum und Musik ist eine Art der Kulturpro-
Dazu erfindet das Theater Marie mit den Ex-
duktion, die im Moment Urstände feiert. In
ponenten Patric Bachmann (Dramaturgie)
der Saison 2015/16 machte sich das argovia
und Olivier Keller (Regie) eine Szenerie, die
philharmonic gemeinsam mit Walter Küng auf
gleichermassen irritieren wie inspirieren soll.
«Die Suche nach dem Paradies». Im alten, ver-
Doch, so die Frage, kann man eine derart be-
lassenen Hotel Verenahof in Baden stand da-
rühmte Symphonie wie die «Eroica», die dazu
bei das Erkunden von historischen Räumen
noch zu den markantesten Werken der abso-
und neuen akustischen Erlebnissen im Mittel-
luten Musik gehört, als Theater inszenieren?
punkt. Nach diesem Grosserfolg gilt die Auf-
Das Theater Marie definiert sein Vorhaben
merksamkeit nun der «Eroica», neu gedacht in
wie folgt: «Wir wollen mit dem Theaterabend
Musik, Arrangement und Aussage.
EROICA eine experimentierfreudige Form von
Konzerterlebnis kreieren und unsere Theater-
«Wir wollen eine experimentierfreudige
Form von Konzerterlebnis kreieren.»
sprache herausfordern, indem nicht Worte,
sondern Töne im Zentrum stehen.»
Rezitierende Schauspieler und Schauspielerin-
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Beim EROICA-Projekt bleibt Beethovens Mu-
nen und einen normalen Szenenablauf wird es
sik zumindest in den Grundzügen erhalten,
also nicht geben, das erzählende Element soll
die vier Sätze der Symphonie bilden die innere
beim Orchester bleiben. Dafür gibt es zwan-
Struktur. Dafür verschiebt die Aufführungssi-
zig Laiendarstellerinnen und -darsteller, die als
tuation und die musikalisch-szenische Inter-
Bewegungschor agieren. Im Fokus stehen die
Der Bewegungschor in Aktion bei den Proben im Theater Marie.
Die Musikerinnen und Musiker des argovia philharmonic um Bo Wiget (Violoncello).
Ein Teil des Produktionsteams am Bühnenbildmodell.
v. r. n. l. : Jonas Egloff, Olivier Keller, Bo Wiget, Patric Bachmann
Im Fokus stehen die Botschaften,
die Beethoven in seinem symphonischen Monumentalwerk vermittelt
haben könnte.
Zur Idee für das Projekt meint Dramaturg Patric Bachmann: «Wir hatten den Wunsch, klassische Musik als Theater zu begreifen.» Deshalb werde die traditionelle Konzertsituation,
Botschaften, die Beethoven in seinem sym-
wie sie das argovia philharmonic Jahr für Jahr
phonischen Monumentalwerk vermittelt haben
anbietet, mit «hier das Orchester» und «da das
könnte. Dies gilt sowohl für die musikalische,
Publikum, das andächtig zuhört», hinterfragt
wie auch für die szenische Einrichtung.
und neu gedeutet. Theater heisst immer auch
Szene, optische Elemente, Bilder, Kostüme
Beethoven hat seinem Werk ursprünglich den
und damit Aktion. Es braucht einen Raum, der
Untertitel «Heldensymphonie, um das Anden-
die dramaturgischen Ideen transponiert, bild-
ken an einen grossen Mann zu feiern» gege-
lich erfahrbar macht. Dafür ist Andreas Bächli
ben. «Helden», was verstand Beethoven dar-
als Szenograf zuständig, der zusammen mit
unter, gibt es diese in unserer Zeit überhaupt
Studierenden des Instituts für Innenarchitektur
noch, und wie hat sich der Begriff allenfalls
und Szenografie verschiedene Ideen ausgear-
verändert? Auf dieser Heldenfrage baut das
beitet hat.
Konzept von Theater Marie auf, und es beschäftigt auch die Kostümbildnerin Tatjana
Die Alte Reithalle wird für EROICA in einen
Kautsch: «Mich interessiert besonders die Rei-
musikalischen Theaterraum mit verschiedenen
bung, die entsteht, wenn ein über sechzigjähri-
Spielflächen verwandelt, in dem agiert und ge-
ger Mensch Kleidung trägt, die für makel- und
spielt wird: Da gibt es eine konventionell an-
alterslose Superhelden gedacht ist. Gleichzei-
mutende Konzertsituation mit Podest und brav
tig ist es auch interessant, sich dieser Materia-
aufgestellten Stuhlreihen, und dann eine Arena
lien und Schnitte zu bedienen und sie in einen
nach antikem Vorbild, wo Akteure und Musi-
neuen Kontext zu setzen.»
kerpersonal mit dem Publikum vermischt wer-
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Bühnenbildmodelle zu EROICA von Tobias Maurer. (Fotos: Tobias Maurer)
den. In der Mitte hängen Projektionsflächen
wendung der Tasteninstrumente Klavier, Har-
für Bilder und Videos.
monium und Melodica. Doch anders als das
berühmte Vorbild hält sich Wiget nicht akri-
Die übliche Konzertsituation ist also aufgeho-
bisch an die Vorlage des Komponisten, in dei-
ben; erst recht, wenn das Publikum von einem
sem Fall Beethoven.
Ort zum anderen wandelt, auf der Suche nach
der Musik und nach dem Beethovenschen
Im Gegenteil. Wiget erlaubt sich viele Freihei-
Heldentum. Bo Wiget hat dafür zwischen den
ten, harmonische Verzerrungen, aber auch irri-
Symphoniesätzen «musikalische Inseln» kom-
tierende Verlangsamungen und 12-Ton-Entglei-
poniert, die losgelöst von einem Zeitraster so-
sungen gehören dazu. Am freiesten verfährt
wohl als Backgroundsound funktionieren, als
er mit dem dritten Satz, ein Potpourri musika-
auch Freiraum für spontanes Verhalten von
lischer Zitate heldischer Musik: «Also sprach
Musikerinnen, Publikum und Bewegungsak-
Zaratustra» von Richard Strauss ist da ebenso
teuren schafft. Ist die erste «Insel» eine aus
dabei wie Rossinis «Guillaume Tell» oder Mah-
dem die Symphonie eröffnenden Es-Dur-
lers 1. Symphonie, genannt «Der Titan». Auch
Akkord entwickelte Endlosschlaufe, so ist die
«Walküren» gibt es zu hören, und es darf auch
zweite ein auf den Scherzo-Satz der Sympho-
mal gewalzert werden. Kurz und gut, wer keine
nie hinführendes Staccato.
Berührungsängste hat und sich gerne auf Experimente einlässt, wird in der Alten Reithalle
Überhaupt, die Musik hat es in sich. Wiget ist
Aarau sicherlich auf seine Kosten kommen.
ein wahrer Musikakrobat, der virtuos mit Beethovens «Eroica» spielt. Die Instrumentation ist
von Arnold Schönbergs bewährter Methode
für die «Musikalischen Privataufführungen» in
Wien um 1900 inspiriert, daher auch die Ver16
TERMINE
siehe Seite 13
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