Manuskript radioWissen Hatschepsut - Der erste weibliche Pharao AUTOR: Christian Feldmann REDAKTION: Brigitte Reimer Zuspielung Sylvia Schoske: "Ein Zahn alleine nach dreitausend Jahren…" Erzähler: Alles hing an diesem Zahn. Einem gut erhaltenen Backenzahn, 2006 in einem Kellerraum des Ägyptischen Museums von Kairo in einer unscheinbaren Holzkiste entdeckt. Das Kästchen kannte man schon seit 1881, es stammte aus einer Felskammer, wo die Mumien mehrerer unbekannter Pharaonen Schutz vor Grabräubern gefunden hatten. Die Kiste trug das Siegel der geheimnisvollen Königin Hatschepsut. In Tonkrügen ganz in der Nähe fand man Reste von inneren Organen: Lunge, Leber, Nieren, die bei der Einbalsamierung entnommen und hier separat beigesetzt worden waren. Viel war nach dreieinhalb Jahrtausenden nicht mehr übrig. Den Backenzahn hatte man 1881 schlicht übersehen. Erzählerin: In einer anderen Grabkammer im Tal der Könige hatte etwa um dieselbe Zeit der legendäre Howard Carter, der Entdecker von Tutanchamun, ein paar ausgestopfte Gänse und eine unbekannte Frauenmumie gefunden – und nicht weiter beachtet. Erst 1989 nahm der amerikanische Ägyptologe Donald Ryan die Tote genauer unter die Lupe. Sie lag nackt auf dem Boden, ohne Sarkophag, ohne Schmuck, ohne prächtige Grabbeigaben – aber mit angewinkeltem linken Arm, die Hand über der Brust zur Faust geballt. Ryan stutzte: Das war die Körperhaltung, in der Angehörige von Pharaonenfamilien bestattet wurden. Und in einer Ecke der Grabkammer, unter Staub und Schutt, kamen Bruchstücke eines goldenen Totenschreins zum Vorschein. Erzähler: Als siebzehn Jahre später, 2006, der Backenzahn in dem Kästchen mit dem Siegel der Pharaonin Hatschepsut auftauchte, erinnerten sich die Forscher an die unbekannte Frauenmumie aus dem Tal der Könige. Das Problem: Hätte man in ihrem Mund nach einer Zahnlücke gesucht, so wäre der Kiefer zu Staub zerfallen. Erzählerin: Zahi Hawass, erfahrener Ägyptologe und Präsident der Altertumsbehörde in Kairo, hatte die rettende Idee: Behutsam schob man die Mumie in die Röhre eines Computertomographen. Beim Scannen des Kopfes zeigte sich eine Lücke im Unterkiefer. Der Zahn aus der Kiste passte auf den Millimeter genau. Auch die DNA-Analyse der Organreste und der Vergleich mit den – erhaltenen – Mumien von Hatschepsuts Vater, Halbbruder und Stiefsohn legten eine Übereinstimmung nahe. „Wir sind zu 100 Prozent sicher“, triumphierte Zahi Hawass. „Die Mumie ist die Pharaonin Hatschepsut!“ Erzähler: Hawass und sein Team behaupteten auch, man wisse nun, dass die Pharaonin Übergewicht und Diabetes gehabt habe und fünfzigjährig an Leberkrebs gestorben sei. Gut möglich, bestätigten Bonner Pharmazeuten: In einem Flakon, das laut Inschrift der Königin gehörte, entdeckten sie Reste einer Salbe, die die Herrscherin gegen 2 Schuppenflechte oder Ekzeme verwendet haben könnte und die Teer und Benzopyren enthielt: krebserregende Substanzen. Mumienexperten und Molekularbiologen warnen allerdings vor schnellen Schlüssen: Mit DNA-Proben, die älter als 50 Jahre seien, könne man nur bedingt sichere Ergebnisse erzielen. Der chemische Prozess der Mumifizierung zerstöre ohnehin das Erbgut. Die Münchner Kollegin von Zahi Hawass, Sylvia Schoske – sie leitet hier das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst -, äußert sich mit verhaltenem Optimismus: Zuspielung Sylvia Schoske: "Ein Zahn alleine nach dreitausend Jahren ... vermutlich würde da jeder Zahn reinpassen. Gut, dass genau an dieser Stelle dann auch eine Zahnlücke ist, das ist wieder ein Schritt hin, aber jeder Krimigucker im Fernsehen weiß, was Indizien sind. Sagen wir so: Wir sind der Identifizierung einen großen Schritt näher gekommen. Wir haben ja die Untersuchungen von Hinterlassenschaften, also von Organen beziehungsweise von Körperteilen; ich würde mal sagen, hundertprozentige Sicherheit wird man nie haben, aber es wäre doch ein sehr großer Zufall, wenn nun hier gerade so viele Unbekannte sich zu etwas völlig Neuem fügen würden, und deswegen kann man eigentlich schon davon ausgehen, dass diese Zuweisung nun tatsächlich auch richtig ist." Erzähler: Hatschepsut, wörtlich übersetzt „die erste der Damen“, gilt als kraftvollste Herrscherin der ägyptischen Geschichte, bedeutender als Nofretete und Kleopatra. In mehr als zwanzig Jahren Regierungszeit bescherte sie ihrem Land eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte, freilich auch einen Skandal: Sie beschränkte sich nicht darauf, für ihren unmündigen Stiefsohn die Regierungsgeschäfte zu führen; sie erklärte sich selbst zur Pharaonin und behauptete, von Gott Amun höchstpersönlich gezeugt, auserwählt und gekrönt worden zu sein. Seit dreieinhalbtausend Jahren geistert sie als machtgieriges Mannweib oder als verantwortungsbewusste Friedenskönigin durch die Geschichte. Gleich drei Wissenschaftlerteams, Amerikaner, Franzosen und Polen, Archäologen, Kunsthistoriker, Architekten, Steinmetze, versuchen neuerdings das Bild dieser faszinierenden Frau zu rekonstruieren. Erzählerin: Kurz bevor diese Hatschepsut, die „Erste der Damen“, ins Licht der Weltgeschichte trat, ging in Ägypten die schreckliche Zeit der Fremdherrschaft zu Ende, die Ära der Hyksos. Sie waren aus Palästina eingefallen und hatten den Norden des Landes mehr als hundert Jahre regiert. Obwohl, so schrecklich war diese Zeit gar nicht. Unter den Hyksos löste sich Ägypten aus seiner traditionellen Isolation und knüpfte lukrative Handelsbeziehungen zu etlichen Königreichen des Nahen Ostens. Die Folge waren Neuerungen bei der Bronzeverarbeitung, der Keramikherstellung und in der Landwirtschaft. Erzähler: Doch Besatzer sind nie beliebt, auch wenn man von ihnen lernen kann. Im 16. Jahrhundert vor Christus fand Ägypten zur alten Stärke zurück; der möglicherweise aus Nubien stammende Pharao Ahmose I. verjagte die Hyksos und vereinigte Ober- und Unterägypten wieder zu einem Großreich. Aber sein Sohn Amenophis I. starb ohne männlichen Thronfolger, die Dynastie der Ahmosiden war damit erloschen, die Macht übernahm Thutmosis I., wie Ahmose unbekannter Herkunft und höchstwahrscheinlich Sohn einer „Bürgerlichen“. Was es nötig machte, die Legitimität der neuen Dynastie durch den erfinderischen Einsatz rechtfertigender Mythen und Rituale zu begründen. Entsprechend verwickelt klingt die Familiengeschichte der sogenannten Thutmosiden: Erzählerin: Weil Amenophis keine Söhne hinterließ, heiratete seine Tochter ihren Halbbruder Thutmosis, dessen Mutter eine Dienerin des Pharao war – oder auch nicht. Thutmosis I. zeugte zwei Töchter – eine von ihnen Hatschepsut – und fünf Söhne. 3 Eine solide Basis für das Weiterbestehen der Dynastie, doch alle fünf Söhne und die jüngere Tochter starben früh und es starb auch Thutmosis I. Um das königliche Blut rein zu halten, wie es die Ideologie will, musste Hatschepsut, die Erstgeborene, mit zwölf Jahren einen Halbbruder heiraten, der als Pharao Thutmosis II. aber nur kurze Zeit regierte. Als er nach drei Jahren starb, hinterließ er eine legitime Tochter und einen unehelichen Sohn von einer Zweit- oder Drittfrau. Für dieses Söhnchen, den künftigen Pharao Thutmosis III., übernahm die mittlerweile fünfzehnjährige Königinwitwe Hatschepsut die Regentschaft. Erzähler: So wird das in Ägypten immer wieder gemacht, um das Aussterben einer Dynastie oder den Streit ums Erbe zu vermeiden. Hatschepsut scheint Willensstärke besessen zu haben, politischen Durchblick und die Fähigkeit, Seilschaften um sich aufzubauen – nicht zu vergessen eine solide Bildung: Erzählerin: Wir sind auf Mutmaßungen oder Schlussfolgerungen angewiesen …. es gibt keine Briefe, Tagebücher oder Memoiren der Regentin, auch keine Aufzeichnungen intriganter Höflinge. Wir wissen nur, wie lange sie die Macht ausübte, erfolgreich und unangefochten. Erzähler: Wie mag sie ausgesehen haben? Was von den zerhackten Reliefs und Standbildern übrig blieb, zeigt eine typische Frau der Oberschicht mit schön geschminkten Augen, schmalem Schädel, dunklem welligem Haar und schlanker Taille – idealisiert wie alle Darstellungen ägyptischer Königinnen. Erzählerin: Hatschepsut wusste, dass ihre Position als Königsgemahlin beziehungsweise Königswitwe nicht ausreichte, um zur Ausübung der vollen Herrschaft legitimiert zu sein. „Gottesgemahlin“ musste sie sein, das war ein verhältnismäßig junges Konstrukt aus ehrwürdigen religiösen Vorstellungen und knallharten familienpolitischen Interessen, um den Fortbestand der Dynastie zu sichern und den Verlust des Throns etwa durch einen Militärputsch zu verhindern: Zuspielung Sylvia Schoske: "So wie im göttlichen Bereich immer die Entsprechung durch das andere Geschlecht erforderlich ist, so gehört die große königliche Gemahlin als Entsprechung an die Seite Pharaos. Und das konnte je nachdem durchaus auch mit wirklichem Einfluss, mit einer politischen Bedeutung versehen sein. Nun ist Hatschepsut aufgewachsen in einem absolut, man möchte fast sagen hundertfünfzigprozentigen königlichen Umfeld, sie ist die Tochter eines Königs gewesen, von Thutmosis I., sie ist mit einem König verheiratet gewesen, mit Thutmosis II., und ganz offensichtlich ist sie ein intelligentes Mädchen gewesen, das in die ganzen Fragestellungen ihrer Zeit eingebunden gewesen ist, und so wächst sie eigentlich in diese Rolle hinein, für ihren noch unmündigen Stiefsohn und Neffen – er ist ja beides zugleich – die Regentschaft zu übernehmen." Erzähler: Als Hatschepsut ihren Halbbruder Thutmosis II. heiratete, waren beide noch Kinder; als er starb und sie die Regentschaft für seinen Sohn Thutmosis III. übernahm, verfügte sie über eine immense Machtfülle – und über die Klugheit, sie dezent zu benutzen und sich als Dienerin ihres Volkes zu präsentieren, nicht als Tyrannin. Zitator: "Die Gottesgemahlin Hatschepsut sorgte für das Land, die beiden Länder Ägyptens lebten nach ihren Plänen –" 4 Erzähler: - notiert der gebildete Soldat Ineni, dessen Autobiographie Aufschluss über jene Ära gibt. Zitator: "Der vortreffliche Same des Gottes, der aus ihm kam, (...) war sie, eine Herrin des Befehlens, deren Pläne vortrefflich waren, die die beiden Länder [Ober- und Unterägypten] beruhigte, wenn sie redete." Erzählerin: Eine Stele, die man heute im Ägyptischen Museum Berlin bewundern kann, zeigt den Pharao Thutmosis II. mit seiner Mutter, der Königinwitwe Ahmose, die einen prächtigen Kopfschmuck trägt. Hinter den beiden steht Königsgemahlin Hatschepsut, in einem schlichten Futteralkleid, mit einer fast unauffälligen Krone. In den historischen Überlieferungen gibt es kein Anzeichen, dass sie sich zunächst nicht mit ihrer traditionellen Rolle als Repräsentantin und als Hausherrin zufrieden gegeben hätte. Auch ein ziemlich bescheidenes Grab begann sie damals für sich zu bauen, verborgen in einer Felsschlucht, mit einem schönen Blick über das Niltal. Auf ihren Sargdeckel ließ sie ein Gebet an die Himmelsgöttin Nut meißeln: Zitatorin: "Die Gottesgemahlin Hatschepsut sagt: O meine Mutter Nut, strecke dich aus über mich, damit du mich unter die unvergänglichen Sterne aufnehmen kannst, die in dir sind, und damit ich nicht sterbe." Erzähler: Als Vormund oder Mitregentin ihres Neffen Thutmosis III. versuchte Hatschepsut nicht, den jungen König zu verstecken oder in die Bedeutungslosigkeit zu drängen. Sie sorgte für seine Ausbildung als Heerführer – was nicht ohne Risiko war, denn in der Armee fand er Freunde, die durchaus auf den Gedanken kommen konnten, zu putschen. Erzählerin: Warum ihr die Position der Regentin eines Tages nicht mehr genügte, warum sie nach der ganzen Macht griff und in die Rolle des männlichen Pharao schlüpfte, wissen wir nicht. Vielleicht hatte sie auf ihre Tochter Neferure oder Nofrure gesetzt, die sie schon als Kind zur „Gottesgemahlin“ erklärte; wollte sie das Mädchen zu ihrer Nachfolgerin machen und damit den legitimen Thronfolger Thutmosis übergehen? Sylvia Schoske gewinnt dieser Theorie einiges ab: Zuspielung Sylvia Schoske: "Wenn der König weiblichen Geschlechtes ist, fehlt die weiblich besetzte Rolle der Großen königlichen Gemahlin. Das scheint Hatschepsut klar geworden zu sein, weil sie nämlich noch versucht hat, ihre kleine Tochter zur Großen königlichen Gemahlin zu ernennen. Das Ganze ist ja dann daran gescheitert, dass die kleine Prinzessin Nofrure noch als Kind gestorben ist. Es wäre faszinierend, herauszubekommen, wie sich dieses Experiment weiter entwickelt hat." Erzähler: Irgendwann, wahrscheinlich sieben Jahre nach der Übernahme der Regentschaft für Thutmosis, war es so weit: Hatschepsut proklamierte sich selbst zum Pharao, mit allen traditionellen Titeln: „Goldhorus“ hieß sie jetzt, „Herrin beider Länder“, „Maatkare Chnemet-Amun Hatschepsut“, Tochter des Re, mit Amun vereinigt. „Ich“ sagt sie von jetzt an ziemlich oft in ihren Erlassen und Inschriften und bringt so einen neuen, individuellen Ton in die immer gleichen offiziellen Texte. Das ist etwas anderes als die gewohnte Regentschaft für einen unmündigen Sohn oder Neffen – und das Erstaunlichste: Es gibt so gut wie keine Opposition, keine Kritik, keine Putschpläne. Der junge Thutmosis – warum muckt er nicht auf? Warum greift er nicht nach der Alleinherrschaft? 5 Zuspielung Sylvia Schoske: "Er ist ja zum Pharao ernannt worden mit allem Drum und Dran, und das Interessante ist, dass wir für eine bestimmte Anzahl von Jahren – es sind gar nicht mal so wenige – nun zwei Könige haben, die parallel regieren. Dies ist nichts Außergewöhnliches, sondern es wird ein Modell aufgegriffen, das wir vor allem aus dem Mittleren Reich kennen, und das ist mit einem Begriff der Ägyptologie die sogenannte „Koregenz“. Wobei die Aufgabenverteilung so gewesen ist, dass der Seniorchef eher für die Innenpolitik zuständig gewesen ist und der Junior für die Außenpolitik und damit für das Heer. Und deswegen glaube ich, dass diese oft kolportierte Feindschaft überhaupt nicht existiert hat: Er hatte das Heer hinter sich. Wenn er hätte putschen wollen, dann hätte er das schon sehr, sehr viel früher tun können." Erzählerin: So etwas wie ein schlechtes Gewissen scheint sie trotzdem geplagt zu haben. Während Hatschepsut auf ihren Granitstatuen anfangs noch ein Kleid trägt und ihre Brüste zeigt, präsentiert sie sich im Lauf der Jahre immer mehr als Mann, mit breiten Schultern, harten Gesichtszügen und dem falschen Kinnbart der Pharaonen. Natürlich weiß jeder in ihrer Umgebung, dass sie eine Frau ist, man tuschelt über ihre Beziehung zum Architekten und Vermögensverwalter Senenmut – aber man hat offenbar keine Probleme, sie als Pharao zu akzeptieren. Vielleicht hält man Thutmosis für noch zu jung, um die Macht zu übernehmen, vielleicht zweifelt man an seiner königlichen Abstammung, die für ägyptisches Denken so enorm wichtig ist. Erzähler: Warum sollte man ihr auch Widerstand entgegensetzen? Ägypten ging es gut unter ihrer Herrschaft. Hatschepsut bescherte dem Land ein goldenes Zeitalter des Friedens und des Wohlstands. Die Getreidespeicher waren voll, überall wurde gebaut und saniert – Tempel, Monumente, Obelisken, ganze Städte -, es gab keinen Krieg, nur ein paar Scharmützel, um den Nachbarn Respekt beizubringen. Hatschepsut führte Ägypten weiter aus seiner Isolation heraus, intensivierte die Wirtschaftsbeziehungen mit den vorderasiatischen Staaten – eine Entwicklung, die in der Forschung mittlerweile auch kritisch gesehen wird, weil sie die Kraft des verhältnismäßig kleinen Landes auf Dauer überstieg. Sie schickte Handelsmissionen zum Sinai, zur Ausbeutung von Kupfer- und Türkisminen, und nach Phönizien, um Holz für den Schiffsbau zu bekommen. Erzählerin: Doch auch ein Genie macht einmal einen Fehler. Um ihre Alleinherrschaft ideologisch abzusichern, verfiel Hatschepsut auf einen ausgeklügelten Mythos, der jede kritische Frage im Keim ersticken sollte – und gerade diesen Mythos verzieh man ihr nicht. Die Botschaft, die sie bei allen großen Festen verkünden und in einprägsamen Bildern auf die Tempelwände und Obelisken meißeln ließ, beschrieb ihre Zeugung, Erwählung, Beauftragung und Krönung durch den obersten Gott Amun höchstpersönlich. Erzähler: Amun, der Götterkönig, entbrennt in Liebe zu ihrer Mutter: Zitator: "Sie lächelte angesichts seiner Majestät. Da ging er sogleich zu ihr und wurde heiß gegen sie (...), er gab sein Herz in sie, (...) seine Liebe ging ein in ihren Leib. [Und er sagte:] „Die Amun umarmt, die Erste der Damen, Hatschepsut“ ist der Name dieses deines Sohnes, den ich in deinen Leib gepflanzt habe. (...) Meine Krone wird ihr gehören. Sie ist es, die die beiden Länder beherrschen wird, indem sie alle Lebenden leitet. (...) Ich bin dein Vater, der dich liebt, (...) du mögest leben wie der Gott ewiglich." Erzählerin: Seinen Sohn nennt er das Mädchen Hatschepsut! Alle Götter versammeln sich um Amun und freuen sich mit ihm: 6 Zitator: "Diese deine Tochter, wir sind zufrieden mit ihr (...). Du hast sie ja gemacht als dein weibliches Seitenstück. (...) Wir geben ihr alles Leben und Glück von unserer Seite." Erzählerin: Und Hatschepsut verspricht stolz: Zitatorin: "Ich will den, der mich zeugte, reich machen (...). Ich will seine Opfer prächtig machen (...). Mein Herz ist willig, zu tun, was er angeordnet hat. Ich bin sein Sonnenglanz des Thrones (...). Ich bin ein Gott, der bestimmt, und es geschieht!" Erzähler: Damit hatte Hatschepsut den Bogen überspannt. Es gab zwar weder eine Palastrevolution noch einen Volksaufstand, Thutmosis schickte seine ehrgeizige Tante nicht ins Exil, brachte sie auch nicht um, wie in zahllosen Hatschepsut-Romanen zu lesen ist. Vermutlich starb sie friedlich um das Jahr 1458 vor Christus, und wurde in ihrem Totentempel in Deir el-Bahari beigesetzt. Erzählerin: Aber irgendwann in den folgenden Jahren fiel die Frau, die sich selbst zum Gott gemacht hatte, einer furchtbaren Rache zum Opfer. Ihre Monumente wurden entweiht, ihr Name aus den Inschriften getilgt, ihr Bild aus Reliefs herausgekratzt, ihre Statuen zertrümmert. Das war deshalb so schrecklich, weil das Weiterleben im Totenreich für eine Ägypterin an das Andenken auf der Erde geknüpft war. Thutmosis III., der nach ihrem Tod Herrscher wurde und sich als hervorragender Feldherr und glänzender Politiker erwies, war dafür kaum verantwortlich, meint Sylvia Schoske: Zuspielung Sylvia Schoske: "Diese Zerstörung erfolgte erstaunlich spät, also nicht direkt nach ihrem Tode, und sie erfolgte auch erstaunlich inkonsequent. Es ist ja nicht so gewesen, dass man auf diesen oberflächlich abgehackten Bildern nicht mehr erkennen würde, wer dargestellt war. Es sieht eigentlich so aus, als ob die geforderte Ordnung – Pharao männlich mit Großer Königlicher Gemahlin – wiederhergestellt worden ist. Man hat gewartet fast eine Generation lang, bis man eigentlich annehmen konnte, dass die Menschen, die Hatschepsut nahe gestanden haben, die nun auch tatsächlich sie gekannt haben, die für sie gearbeitet haben, dass die eigentlich gar nicht mehr am Leben gewesen sind, also man hat das Andenken eigentlich geschont." Erzähler: Es sind tatsächlich eine Menge Schriftzüge, Reliefbilder, Granitköpfe übrig geblieben, nicht nur in ihrem Totentempel, auch im Amun-Heiligtum von Karnak. Vor allem aber haben sich einige Schreiber in den Tempelbibliotheken und Priesterschulen nicht an das Verdikt gehalten. Hatschepsuts Namen und Taten überlebten als Legende, als Mythos. Und Mythen sind bekanntlich unsterblich. -stopp-