ALLTAG UND HERRSCHAFT Dom von Florenz

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ALLTAG UND HERRSCHAFT
Dom von Florenz
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SPIEGEL GESCHICHTE
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Bauen wie die Römer –
das war der Ausgangspunkt
einer neuen Architektur,
die sich an den Proportionen
des Körpers orientierte.
Des
Menschen
Maß
Von SUSANNE BEYER
n der Klosterbibliothek von St. Gallen
stieß der Florentiner Gelehrte Gian Francesco Poggio Bracciolini 1416 auf ein
geheimnisvolles Manuskript: Ein Römer
namens Vitruvius Pollio beschrieb in dem
Text aus dem 1. Jahrhundert vor Christus die
ästhetischen Gesetzmäßigkeiten römischer Architektur.
Bracciolini sorgte dafür, dass die Handschrift
einem größeren Kreis bekannt wurde, sie sollte
bald berühmt werden – als Grundlagenwerk für
eine neue, an der Antike orientierten Architekturtheorie. Die Gelehrten des frühen 15. Jahrhunderts
setzten sich leidenschaftlich gern mit der Antike
auseinander und lösten mit ihrer Begeisterung das
aus, was wir heute „Renaissance“ nennen: die Wiedergeburt, die Wiederbelebung der Antike.
Die Römer, so entnahmen die Gelehrten dem
wiederaufgefundenen Text, hatten sich beim Bauen am Maß des Menschen orientiert: die Proportionen einer Säule sollten den Proportionen des
menschlichen Körpers entsprechen. Wenn ein
gut gebauter Mann seine Arme und Beine ausstrecke, so hieß es im Manuskript, berührten die
Enden der Gliedmaßen die Begrenzungslinien
eines Quadrats oder eines Kreises – Quadrat und
Kreis, so die Empfehlung, sollten die Grundmuster der Architektur bilden.
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Diese Ästhetik wollten die Italiener
der frühen Neuzeit überwinden: Gotische Spitzbögen etwa mit ihrem organischen Verlauf sollten durch klare geometrische Formen ersetzt werden.
Vor allem junge florentinische Künstler versuchten den Neuanfang in der Architektur. Ihr Anführer war der Architekt Filippo Brunelleschi, der 1377 als
Sohn eines Notars geboren worden war.
Er war gelernter Goldschmied, aber nun
mit dem Bau der Kathedrale von Florenz beschäftigt. Die Florentiner wollten darauf eine mächtige Kuppel setzen,
die zur größten jemals aus Stein gemauerten Kuppel der Welt werden sollte.
Das Problem aber war, dass kein Baumeister wusste, wie das zu machen sei.
Der Abstand zwischen den Pfeilern,
über 40 Meter, erschien allen zu groß.
Brunelleschi hatte eine Idee:
Wenn das Baugerüst nicht wie üblich
auf dem Boden stehe, sondern als bewegliches Klettergerüst in der noch zu
bauenden Kuppel angebracht würde,
könnten die Bauarbeiter besser in den
Schrägen und Rundungen agieren.
Niemand in der Baukommission
glaubte, dass das funktionieren könnte,
doch Brunelleschi beharrte darauf. Ein
paar Mal musste er aus Sitzungen regel-
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ANDREW AITCHISON / IN PICTURES / CORBIS
Besonders die Italiener waren für alle
Anregungen aus der Antike empfänglich. So zu bauen, wie die Römer gebaut
hatten, damit verbanden sie auch eine
politische Hoffnung: wieder so mächtig
zu werden, wie die Römer es gewesen
waren.
Der Niedergang Roms, so lautete
eine weitverbreitete Ansicht, sei die
Schuld der Germanen gewesen, der Goten und Vandalen, die Architektur dieser angeblich so unrühmlichen Zwischenzeit zwischen Antike und Neuzeit
bezeichneten die Italiener nun als „gotisch“ – was durchaus als Schimpfwort
gemeint war.
Konstruktionszeichnung des Architekten
Filippo Brunelleschi
Innenansicht der
Kuppel im Dom von
Florenz
SCALA / BPK
recht herausgetragen werden, weil er
nicht von allein gehen wollte, bevor er
nicht alle Kommissionsmitglieder von
seinen Plänen überzeugt hatte.
Am 7. August 1420 war es schließlich
so weit. Brunelleschi hatte den Auftrag
doch bekommen und konnte beginnen.
Er entwarf ein Skelett aus 24 Rippen für
die Kuppel, auf dem er zwei Verschalungen aus Ziegelsteinen, eine innere und
eine äußere, anbringen ließ. 16 Jahre
dauerten die Bauarbeiten, und bis zum
Schluss blieben alle, die daran beteiligt
waren, skeptisch, ob das gigantische
Werk je gelingen würde. Aber als die
Kuppel schließlich fertig und schön geworden war, löste sie einen wahren
Boom im Kuppelbau aus. Italiens Kirchen bekamen Kuppeln, im späten 16.
Jahrhundert würde der berühmte Re-
Der Bau der gigantischen Kuppel
dauerte 18 Jahre, ein Meisterwerk.
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naissance-Baumeister Andrea Palladio
dann auf einem Profanbau eine Kuppel
anbringen, auf der Villa Rotonda am
Stadtrand von Vicenza.
Bald hieß es, die Kuppel auf dem florentinischen Dom sei das erste Bauwerk
der Renaissance gewesen – dem antiken
Pantheon in Rom nachempfunden.
Inzwischen ist aber unter Kunsthistorikern umstritten, ob die Kuppel wirklich als Bauwerk der Renaissance oder
nicht doch eher der Gotik einzuschätzen
ist: Die Kuppel sei nämlich nach dem gotischen Prinzip der tragenden Rippen
errichtet. Der Kunsthistoriker Bertrand
Jestaz urteilt: „Die Florentiner Kuppel
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Mithilfe eines Eis demonstriert Brunelleschi
seine Konstruktionsidee Gemälde von Giuseppe Fattori
neue Architektur schaffen, in der die Elemente der klassischen Baukunst frei in
neuer Schönheit und Harmonie verwendet werden konnten“. Das Erstaunliche
an Brunelleschis Leistung sei, dieses Programm restlos zu verwirklichen: „Ein
halbes Jahrtausend lang sind die Architekten Europas und Amerikas seinen
Pfaden gefolgt. Man kann in keine Stadt
und kein Dorf gehen, ohne Bauten zu
finden, an denen antike Formen, Säulen,
Giebel oder Friese verwendet werden.“
Brunelleschi interessierte sich auch
für die Fortschritte in den Wissenschaften, der Mathematik. Aufgrund mathematischer Berechnungen erfand er die
Zentralperspektive, mit der Objekte wie
Brunelleschi soll persönlich nach ein Haus in ihrer räumlichen Tiefe
Rom gereist sein, um die Ruinen alt- zeichnerisch dargestellt werden konnrömischer Tempel und Paläste zu studie- ten.
Brunelleschi war nicht der einzige
ren; belegt sind diese Reisen allerdings
nicht. Und an seinen Gebäuden wird große Erfinder seiner Zeit. Überall proauch deutlich, dass er antike Vorbilder bierten Künstler Neues aus, und das war
keineswegs kopieren wollte – es wäre die eigentliche Sensation, dass sich
ihm auch kaum möglich gewesen, denn Künstler dazu überhaupt aufgerufen
die Bauaufgaben zu seiner Zeit waren fühlten.
Jahrhundertelang hatten sich die
ganz andere. Die frühesten Bauwerke
der Renaissance waren vor allem Kir- Künstler und Gelehrten Europas in eine
chen, ein Bautypus, den es bei den Rö- ähnliche Richtung entwickelt, es ging in
der Kunst und in der Geisteswelt nicht
mern noch gar nicht gegeben hatte.
Brunelleschi wollte, so urteilt der um Neuerung, sondern um die möglichst
Kunsthistoriker Ernst Gombrich, „eine kunstvolle Repetition oder kluge Aus-
ist ein ins Gigantische gesteigertes Spitzbogengewölbe, das als Kuppel getarnt
ist. Nur in den untergeordneten Bauelementen erscheint der Stil Brunelleschis
– und damit Renaissance-Kunst.“
Doch während der Planung und Ausführung der Kuppel begann Brunelleschi schon mit dem Entwurf anderer Gebäude in Florenz, die eindeutig als Renaissance-Gebäude gelten: Der Kirche
San Lorenzo, der erste Zentralbau der
Neuzeit – ein Gebäude mit gleich langen
Achsen. Dann das Findel-Haus mit seiner eleganten Kolonnade. Und die Pazzi-Kapelle mit einer Halbkugel als Kuppel und einer würfelförmigen Sakristei.
Auch Kaufleute wollten in Palästen
wohnen, prächtige Villen entstanden.
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Florenz, Venedig oder Neapel konkurrierten miteinander, jede Stadt wollte
die besten Künstler haben. Die Künstler
schlossen sich zu Zünften zusammen,
damit waren sie gebunden an ihre Zunft,
an die Stadt, in der sie lebten. Aber sie
hatten auch viel davon: Die Zünfte investierten in Kunst, stifteten einen großen Teil ihrer Einnahmen für Kirchenund Repräsentationsbauten. Die wohlhabenden Kaufleute wiederum vergaben Aufträge zum Bau prächtiger Privathäuser: überall Paläste, in denen keine
Könige, keine Adeligen wohnten, sondern vermögende Bürger wie die Medici
in Florenz, die Farnese in Rom, die Sforza in Mailand.
So entstand die Bauform der Villa.
Viele Villen hatten auskragende Dachgesimse, am Erdgeschoss führten steinerne Sitzbänke entlang, auf der Bittsteller warten konnten, bis der Hausherr sie
empfing. Über dem deutlich definierten
Eingangsportal befand sich oft ein Balkon.
Die Florentiner Kaufmannsfamilie
Rucellai ließ sich vom Architekten Leone Battista Alberti ein dreistöckiges
Haus bauen, das unzählige Male nachgeahmt worden ist. Die Fassade des Palazzo Ruccellai war reich mit Pilastern
und vertikalen Wandverstärkungen, sogenannten Lisenen, überzogen. Sie folgten einem streng regelmäßigen Muster,
auch wenn sie nur eine dekorative, keine
tragende Funktion hatten.
Symmetrie war ein Grundprinzip der
Renaissance-Architektur. Es ging nicht
einfach nur darum, einem Gebäude
möglichst viel Dekor anzuhängen – der
Schmuck sollte einen Raum gliedern,
seine Tiefe und Höhe deutlich machen.
Die Säulen, Pilaster, Lisenen, die Bögen und Nischen wurden nach festen
Regeln angebracht, so dass sich immer
zweierlei vermittelte: Pracht und Strenge. Die Grundrisse von Renaissance-Ge-
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legung theologischer Inhalte. Die Theologie war die höchste Wissenschaft, die
Gelehrten des Mittelalters hatten sich
alle auf Latein verständigt, und es war
kein großer Unterschied für sie, ob sie
nun in Padua unterrichtet haben oder in
Paris.
Gegen Ende des Mittelalters aber
waren die Bürger und Kaufleute selbstbewusst geworden und mit ihnen die
Städte, in denen sie lebten. Wichtig
wurde plötzlich die Betonung von Unterschieden – zwischen Städten, Individuen, Denkschulen.
PHOTOAISA / INTERFOTO
Kapelle der Florentiner
Adelsfamilie Pazzi
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SCALA / BPK
Palazzo
Rucellai –
Teilansicht
der Fassade
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Blick über den Arno auf die Uffizien –
ursprünglich ab 1559 für Ämter erbaut, später
dann Museum.
BÜRGERVILLEN
FOTOS: SCALA / ART RESOURCE, NYI
STEINERNE
PRACHT
Zu den imposantesten und besterhaltenen Loggien der Renaissance in Florenz gehört die der
Familie Rucellai an der Via della
Vigna Nuova. Mit dem Palazzo
Rucellai schräg gegenüber und
dessen von Leon Battista Alberti
entworfenen Fassade dominiert
sie den Platz. Eine solche Loggia
war etwa bei Hochzeitsfeiern
„Schauplatz großartiger Prachtentfaltung“, so der Kunsthistoriker Richard Turner. Der reiche
Bankier Giovanni Rucellai dehnte
durch systematischen Grundstückserwerb in der ersten Hälfte
des 15. Jahrhunderts den Familienbesitz immer weiter aus; unregelmäßige Häuserfronten ließ er
durch elegante, vorgeblendete
Fassaden kaschieren, die ein Haus
zum Palazzo machten. Auch auf
der Marmorfassade der Dominikanerkirche Santa Maria Novella,
für die er zahlte, prangt in großen
Buchstaben sein Name.
Wer über höheren Status und
Geld verfügte, trug es öffentlich
und augenfällig zur Schau. Während im 14. Jahrhundert große
Kunstwerke und wichtige Bauten
meist noch von der Kommune
oder der Kirche in Auftrag gegeben wurden, waren es im 15. Jahrhundert zunehmend Privatleute,
die in Kunst investierten.
Catherine Atkinson
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bäuden waren meist rechtwinklig.
Grundriss und Fassade sollten sich bedingen, in logischer Beziehung zueinanderstehen.
Schönste die Grundprinzipien beider
Epochen. Der Ursprungsarchitekt war
Bramante, seinen Entwurf verändert
und große Teile des Doms ausgeführt
hat Michelangelo, vollendet wurde das
imposante Bauwerk unter anderem
durch Giacomo Della Porta, Gian Lorenzo Bernini und Francesco Borromini.
Das markanteste Merkmal dieses
20 000 Menschen fassenden Sakralbaus
ist seine Kuppel – aus zwei verbundenen
Schalen mit Rippen unterteilt. Das
Vorbild: Brunelleschis Domkuppel von
Florenz.
n
Jede Fassade sollte einen klaren
Mittelpunkt haben, der dem Auge als
Anhalts- und Ausgangspunkt diente. Türen waren oft mit quadratischen Innenfeldern verziert, oben auf dem Türrahmen kam regelmäßig ein dreieckiger
Ziergiebel. Auch oberhalb von Fenstern
gab es dreieckige oder halbrunde Ornamente.
Die Renaissance setzte
das Prinzip der Geometrie,
der Symmetrie, der Präzision, der Ordnung und Regelmäßigkeit gegen die
Komplexität und Unregelmäßigkeit der gotischen
Baukunst. Abgelöst aber
wurde die Renaissance
durch den Barock, eine
Bauperiode, in der sich die
Architekten gegen Einheitlichkeit, Ruhe und Maß
wehrten und Überschwang
und Üppigkeit zum Prinzip
erhoben. Dennoch blieb
auch im Barock die antike
Baukunst ein Vorbild: Barock und Renaissance stehen zueinander wie entfernte Verwandte, während Renaissance und Gotik sich kaum ähneln.
Ein berühmtes Gebäude,
dessen Grundsteine in der
Hochzeit der Renaissance
gelegt wurde, war erst im
Barock vollendet, nämlich
1626: der Petersdom in
Rom. Er vereint aufs
Palazzo Davanzati in Florenz
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