Hartmut Höll Trauerrede für Prof. Dr. Siegfried Schmalzriedt 16. Dezember 2008 Sehr geehrter, lieber Herr Ostermann, sehr geehrte Familie Schmalzriedt, liebe Trauergemeinde, als Siegfried Schmalzriedt vor zwei Jahren seine Abschiedsvorlesung über Maurice Ravel im Velte-Saal der Hochschule für Musik Karlsruhe hielt, hat keiner von uns ahnen können, dass wir uns heute schon für immer von ihm verabschieden müssen. Wir können es kaum fassen, dass er nur 67 Jahre alt geworden ist. In großer Zahl sind heute Dozenten, Studierende und Mitarbeiter der Verwaltung hier versammelt, um Siegfried Schmalzriedt die letzte Ehre zu erweisen, um sich an ihn zu erinnern und die Trauer um ihn mit seinem Lebensgefährten und seinen beiden Brüdern und deren Familien zu teilen. Prof. Dr. Siegfried Schmalzriedt hat unserer Hochschule 23 Jahre angehört. Von 1986 bis 1990 und von 1992 bis 1996 trug er Verantwortung als Prorektor in enger Zusammenarbeit mit Frau Prof. Dr. h.c. Solter. Von 2001 bis 2004 war er Prorektor im Team von Prof. Wolfgang Meyer. Siegfried Schmalzriedt hat das erreicht, was der eigentliche Wunsch aller Künstler und Wissenschaftler, wahrscheinlich all derer ist, die lebendig leben, die im Wissen von Tradition Gegenwart gestalten, um Zukunft zu ermöglichen: Er hat unverwischbare Spuren hinterlassen. Seine Visionen haben animiert, seine Gestaltungskraft hat begeistert. Seine Bereitschaft, Verantwortung zu leben und sich für unsere Hochschule unermüdlich einzusetzen, hat auf einzigartige Weise jenes Fundament bereitet, auf dem allein höchste Qualität entstehen kann. Siegfried Schmalzriedt kam 1983 an unser Haus. Studiert hatte er Musikwissenschaft, Romanistik, Literaturwissenschaft in Tübingen, wo er 1969 auch promovierte. Mit der französischen Sprache war er auch durch die Musik verbunden: Debussy und besonders Ravel waren seine liebsten Komponisten. Und in Italien hat er nicht nur studiert, sondern viele Jahre dort Sommerurlaube verbracht – ein mediterran geprägtes Leben voller Lebenslust und Leichtigkeit, und doch auch bodenständiger Tiefe, Verlässlichkeit und Genauigkeit. Ihm ging es in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Musik nie um trockene Theorie, sondern er fühlte sich immer der Musiklehre, also dem lebendigen wissenden Musizieren verpflichtet. Von Anbeginn an war er im Vorstand der Händel-Akademie Karlsruhe, einige Jahre der erste Vorsitzender der Händel-Gesellschaft. Er war Heraus- geber der »Karlsruher Beiträge zur Musikwissenschaft«. Und mit seinem Gutachten über das Max-Reger-Institut hat Siegfried Schmalzriedt die Übernahme dieser für Forschung und Aufführung wichtigen Einrichtung durch die Stadt Karlsruhe und das Land Baden-Württemberg entscheidend befördert. Von 1983 bis 2006 war er Leiter des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Fridericiana Karlsruhe. Mit großem Geschick und persönlichem Engagement brachte er die Musikwissenschaft von der Universität an unser Haus - eine Tat, die unserer Hochschule enorme Möglichkeiten des Austauschs eröffnete zwischen Theorie und Praxis, Interpretation und Aufführung. Eine Chance, um die uns heute viele andere beneiden. Als Prorektor war er gerne zuständig für die Gesangs- und Operabteilung unserer Hochschule, war ihm vokale Musik doch auch persönliche Leidenschaft. So hat er tatkräftig bei der Gründung des Instituts für Musiktheater mitgewirkt. Er war Vorsitzender vieler Berufungskommissionen und hat damit in der Umsetzung des Ausbauplans von 1988 unser Haus für Jahrzehnte entscheidend mitgeprägt. Fany Solter und später Wolfgang Meyer war er im Rektorat ein verlässlich treuer Mitarbeiter und eine wichtige Stütze. Humor zeichnete ihn aus, Herzenswärme, Begeisterung für musikalische Leidenschaft, ebenso auch tief persönliches Verstehen und Zuwendung. In seiner ihm ureigenen Bescheidenheit stellte Siegfried Schmalzriedt persönliche Interessen und auch sein eigenes Wohlbefinden immer ganz hinten an. Oft genug bedurfte es weder eines Zeichens noch einer Bitte, dass er sich für die Belange anderer einsetzte: er erspürte Notwendigkeiten intuitiv, früher und sensibler als viele andere, und er kämpfte für diese Belange, als seien es seine eigenen. Siegfried Schmalzriedt war ein geselliger Mensch, er lebte gerne und bewusst, er war ein brillanter Erzähler, dem man gebannt zuhörte. Er fühlte sich wohl im Kreise seiner Freunde, er konnte genießen und liebte es, sein Wohlbefinden mit seinen Nächsten zu teilen. Wenn es anderen gut ging, war er zufrieden. Ein erstaunlicher Charakter, ein einzigartiger Mensch. Sein Tod ist ein unersetzlicher Verlust für uns alle. Ja, Siegfried Schmalzriedt ist tot. Wir können seine fröhliche Stimme, seine mitreißende Freude nicht mehr hören. Auch seine Einwendungen, seine kritische Schärfe, sein zuweilen ironischer Unterton sind verstummt. Wir haben einen wunderbaren Freund verloren. Eingangs sprach ich davon, dass wir hier versammelt sind, um die Trauer um Siegfried Schmalzriedt mit seinem Lebensgefährten und seinen beiden Brüdern und deren Familien zu teilen. Und solches Teilen bedeutet viel mehr als nur Mitgefühl. Es heißt auch Teilhaben und teilhaben Lassen an der Erinnerung an einen guten Menschen. Wir alle wissen nicht, was nach dem Tode sein wird. Das ist eine Sache des Glaubens, wie es jeder für sich selbst entscheiden muss. Doch leben wir alle in unseren Werken und Taten weiter, in den Spuren, die wir hinterlassen, Spuren, die wir Nachfolgenden brauchen, die wir dankbar aufnehmen, Spuren, von denen wir Nachfolgenden uns Wege weisen lassen, Spuren, aus denen wir Sicherheit und Richtung gewinnen. Siegfried Schmalzriedt hat in der Tat tiefe Spuren hinterlassen, sichtbare und unsichtbare. Wir sind dankbar für alles, was er uns geschenkt hat. Ein Gedicht von Rose Ausländer, das mir selbst sehr wichtig ist, das mich durch die letzten Jahre geleitet und mir oftmals Kraft gegeben hat, möchte ich dem Verstorbenen, möchte ich Siegfried Schmalzriedt nachrufen, möchte ich uns allen zum Bedenken geben. Es ist dies ein Gedicht, das in wundervoller Weise Leben und Tod in sich verschränkt. Es steht unter dem Titel »Teilhaben« Mit neuen Gedanken alt werden Jung bleiben An uralten Gedanken Teilhaben am unsterblichen Leben unsterblichen Sterben