Musik wird sichtbar

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Die Entwicklung der Notenschrift ist zugleich eine Geschichte der abendländischen Musik
Tipp zum Lesen des Textes:
Die unterstrichenen Wörter sind Hyperlinks. Wenn du diese anklickst, hörst du zum
Text passende Musikbeispiele.
as Vieles deutet darauf hin, dass die Ägypter bereits seit dem 3. Jahrtausend v. Chr.
eine Notenschrift kannten. Auch in China, Japan und Indien entwickelten sich Notationssysteme. Die Melodie wurde häufig neben oder über dem gesungenen Text in
kleineren Schriftzeichen notiert. Rhythmische Freiheiten blieben offen.
Diese Schrift diente vorwiegend als Erinnerungsstütze.
Die älteste und heute vollständig entzifferte Notenschrift ist die griechische Notation.
Diese Notenschrift verwendete für die Tonhöhe Buchstaben, meist nach den Saiten der Kithara benannt, und markierte mit darüber geschriebenen Symbolen die Tondauer.
Das älteste, vollständig erhaltene Zeugnis dieser Notenschrift ist das Seikilos-Epitaph. Dieses wurde im 2. Jahrhundert vor Chr. in der Nähe von Ephesus in einen Grabstein gemeisselt.
Muse mit Kithara
Übersetzt könnte das heissen:
Ich bin ein Bild in Stein;
Seikilos stellte mich hier auf,
wo ich auf ewig bleibe,
als Symbol zeitloser Erinnerung.
Solange du lebst, tritt auch in Erscheinung.
Traure über nichts zu viel.
Eine kurze Frist bleibt zum Leben.
Das Ende bringt die Zeit von selbst.
Hörbeispiel
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In Europa gingen die Kenntnisse der griechischen Notation mit dem Zerfall des Römischen Reiches verloren. Die spätere Entzifferung wurde erst mit Hilfe römischer
musiktheoretischer Schriften aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. möglich. Wie schnell die
Notenschrift in Vergessenheit geraten kann, zeigt die Äusserung eines Kirchenvaters
um 625. Dieser behauptete, es sei unmöglich Musik zu notieren.
Während vielen Jahrhunderten wurde Musik in unserem Kulturkreis nicht aufgeschrieben.
Mönche und Minnesänger sangen ihre Gesänge auswendig, auch Spielleute musizierten ohne Noten. Melodien und Liedtexte wurden von Generation zu Generation
mündlich überliefert. Dabei veränderte sich der Inhalt über die Zeit hinweg. Für den
freien und improvisierten Umgang bestand wenig Bedarf, Musik exakt zu notieren.
Politische Veränderungen haben die die Entwicklung der Notenschrift angekurbelt.
Nachdem Karl der Grosse von Papst Leo in Rom um 800 zum Kaiser gekrönt wurde,
wollte er die Musik in allen Kirchen seines weitreichenden Reiches in West- Südund Mitteleuropa vereinheitlichen. Ihm war bewusst, dass er Macht und Einfluss nur
sichern konnte, wenn er auch bestimmte, was in den Kirchen verkündet würde. Texte und Gesang mussten deshalb verbindlich aufgeschrieben werden. Der Gottesdienst, die sogenannte Liturgie, folgte einer bestimmten Abfolge von Gebeten, Lesungen und Gesängen.
In europäischen Klöstern entwickelten sich im 9. Jahrhundert symbolhafte Zeichen.
Diese standen über dem zu singenden Text und dienten den Sängern als Gedächtnisstütze. Die sogenannten Neumen (griechisch neuma = Wink) bildeten die melodischen Figuren der Gregorianischen Choräle mit kleinen Häkchen, Punkten, Bogen
und Strichen ab. Damit die Sänger gemeinsam singen konnten, zeigte eine Person
mit der Hand (Wink) den Weg der Melodie. Eine einzelne Neume stand für eine bestimmte melodische Floskel. Die Melodien der Gregorianischen Gesänge wurden der
Sprache nachempfunden. Bekam jede Silbe eine eigene Note, nannte man den Gesang syllabisch. Es gab aber auch Wörter, die über viele Noten gestreckt wurden. Wir
kennen das heute aus dem Fussballstadion, „Heeeeoeheoheee!“ Wird eine Silbe mit
verschiedenen Tönen gesungen, heisst das melismatisch. Die Texte der Gesänge
wurden auf den Gottesdienst abgestimmt. Neben Lobpreisungen wurden auch Jahreszeiten, einzelne Wochentage, oder die Feiertage der Kirche besungen. Der einstimmige liturgische Gesang wurde ohne Begleitung und in lateinischer Sprache gesungen.
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Später wurden auch Melodien ausserhalb der Liturgie, sogenannte weltliche Melodien, mit Neumen aufgezeichnet. Zu dieser Zeit bestand ein grosser Bruch zwischen
liturgischer und weltlicher Musik.
Übrigens: Neumen sind noch heute im Gebrauch. Aus Neumen haben sich z.B. in der
französischen Sprache die Akzente (´ ` ^) entwickelt.
Im 9. Jahrhundert entstanden die Neumen zur Aufzeichnung einstimmiger Gesänge
Die Neumen bildeten die Musik sehr ungenau ab, sie stellten keine genauen Tonhöhen dar, zudem wurden in verschiedenen Regionen und Klöstern unterschiedliche
Zeichen verwendet. Die Sänger mussten deshalb die Melodien genau im Kopf behalten. Das Repertoire der Gesänge wurde über Jahre hinweg in zahlreichen Chorproben eingeübt.
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Bereits im 9. Jahrhundert gab es Versuche mehrstimmig zu singen. Ein Teil des Chores sang die Melodie, der andere Teil der Sänger markierte dazu einen langen Halteton, entweder mit dem Grundton der jeweiligen Tonart oder der reinen Quinte. Der
Begleitton begrenzte den grossen Hall in den höher werdenden Kirchen, somit konnten Text und Gesang deutlicher vernommen werden.
Später übernahm ein Teil des Chores die führende Stimme (vox principalis), der andere Teil sang die gleiche Melodie vier Töne höher (vox organalis) oder setzte, ähnlich wie wir es alle vom Kanon kennen, etwas später ein. Diese Mehrstimmigkeit
nannte man Organum (=Werkzeug).
Die Neumen genügten den neuen Anforderungen für das gewünschte Zusammenspiel nicht mehr. Es war nicht einfach, für das Problem der verbindlichen Notenhöhe
und Notenlänge eine Lösung zu finden. Bis ins 11. Jahrhundert tüftelten die Mönche
nach einer Notenschrift.
Die Lösung: Der linienlosen Neumennotation wurden allmählich Linien zugefügt,
zunächst zwei farbige Notenlinien für die Töne f und c, um die Halbtonschritte e-f
und h-c zu markieren. Um auch die Tonschritte zwischen den Linien genauer zu erfassen, fügte der Benediktinermönch Guido von Arezzo zwischen die F- und C-Linie
eine dritte Linie ein. Er empfahl auch, je nach Gebrauch über oder unter die drei Linien eine vierte Linie zu setzen. Somit benutzte Guido von Arezzo als erster vier Linien im Terzabstand.
Guido von Arezzo lebte von ca. 992 bis 1050 in Italien in einem Benediktinerkloster
Damit die Gesänge wirklich in allen Kirchen gleich klangen, wie dies Karl der Grosse
gefordert hatte, legte Arezzo Tonhöhen für jede Linie fest. Anstelle der farbigen Linie
setzte er am Anfang des Systems die Buchstaben C oder F um die Halbtonpositionen
zu markieren und so die absolute Tonhöhe zu bestimmen. Damit war auch der
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Notenschlüssel erfunden. Der Rest ergab sich wie von selbst, die Neumen wurden
auf die Linien gesetzt. Später ersetzte man die Zeichen mit kleinen Vierecken.
C-Bezeichnung / C-Schlüssel
F-Bezeichnung / F-Schlüssel
Obschon die F-Bezeichnung zur damaligen Zeit eher selten verwendet wurde, ist der
F- oder Bassschlüssel bis heute im Gebrauch (v.a. Klavier und tiefe Instrumente).
Vier Notenlinien reichten vollkommen aus. Dies lag nicht allein am geringen Tonumfang der Melodien, sondern vor allem an den verschiedenen, flexibel eingesetzten
Notenschlüsseln. Damit können unterschiedliche Stimmlagen ins Liniensystem eingepasst werden, ohne dass unübersichtliche Hilfslinien gesetzt werden müssen.
Das fixierte F wurde zum heutigen F- oder Bassschlüssel
Alt- und Tenorschlüssel fixieren das C
Der Altschlüssel, bekannt als Bratschenschlüssel, wird heute vorwiegend für die Viola (=Bratsche) eingesetzt. Er legt das c‘ auf der dritten Notenlinie fest. Daraus können
alle andern Töne abgeleitet werden.
Achtung: Notenlinien immer von unten zählen!
Der Altschlüssel ist aber auch für Blechbläser nützlich. Werden
Stimmen in einem Ensemble mit andern Instrumenten gespielt als
ursprünglich geplant, kann das Übertragen der Noten auf ein
anderes Instrument einfach und schnell erfolgen. So könnte eine Stimme für hohe
Posaune von einem Horn oder einer Trompete übernommen werden.
Auch der Tenorschlüssel ist bis heute aktuell, z.B.
für Posaunen oder tiefere Streichinstrumente wie
Cello oder Gambe. Die Gambe ist älter als das Cello
und hat je nach Grösse und Ausführung 5 - 7 Saiten.
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Guido von Arezzo machte eine weitere bedeutende Erfindung. Als Gesangslehrer
wollte er die lange Lehrzeit zum Aufbau des Repertoires der Gregorianischen Choräle verkürzen. Ein Mönch benötigte über zehn Jahre, ehe er alle Choräle singen konnte, die Melodien mussten mehr oder weniger auswendig gelernt werden. Guido von
Arezzo bezeichnete deshalb die Quadrate auf den Notenlinien mit Namen. Dabei
war es ihm wichtig, dass sich diese Namen auch gut singen liessen. Er nannte sie Ut,
Re, Mi, Fa oder Sol. Der Abstand zwischen mi und fa blieb immer ein Halbton, der
Abstand zwischen den übrigen Tonstufen jeweils ein ganzer Ton. Die gleich bleibenden Tonabstände konnten leichter eingeprägt werden. Einer von Arezzos Schülern
machte sogar den Vorschlag, sich die Silben auf die Hand zu malen. So konnte der
Dirigent dem Chor allein mit seinen Fingern den richtigen Verlauf der Melodie zeigen. Mit diesem System (Solmisation) verkürzte sich die Lehrzeit der Choralschule
angeblich auf ein Jahr.
Die Solmisation wird bis heute angewendet, damit lässt sich jede Melodie im tonalen
Raum singen.
Fast 600 Jahre lang bezeichneten die Silben keine festen Tonhöhen, sondern bestimmte Orte und Funktionen im Tonsystem. Nach heutigem Sprachgebrauch sind das die
„relativen“ Tonhöhen.
Um 1600 allerdings begannen französische Musiker, die Silben auf feste Tonhöhen
anzuwenden – ut entsprach dem c, re dem d, usw. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts
wurde die Silbe ut allmählich durch do ersetzt. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts
zeichnete sich in der Musikpädagogik eine Renaissance der relativen Solmisation ab.
Blattlesen und Gehörbildung (Solfège) werden vielerorts nach diesem Prinzip gelehrt
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und gelernt. Die absolute Bezeichnung der Notensilben (Do statt C, Mi statt D, usw.)
wird in Frankreich und der Französischen Schweiz noch heute benutzt.
Handzeichen zur Solmisation nach John Curwen (1816-1880)
Die Bezeichnung Quadratnotation kommt von der vorwiegend quadratischen Form
der Notenzeichen. Durch die Benutzung von Federkielen erhielten die Noten ihre
charakteristische Form. Quadrate waren damit einfacher zu schreiben als Kreise oder
andere Formen.
.
Quadratnotation aus dem 12. Jahrhundert
Mit der Quadratnotation hatte man jetzt erstmals die Möglichkeit, durch genaues
Untereinanderstellen der Zeichen zumindest den gleichzeitigen Eintritt von Tönen in
verschiedenen Stimmen anzugeben. Das neue Organum konnte jetzt aufgezeichnet,
komponiert und gesungen werden.
In modernen römisch-liturgischen Chorbüchern wird bis heute bewusst die Quadratnotation mit vier Notenlinien verwendet.
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Die Notenschriften aus dem Mittelalter wurden zum Teil auf Pergament (ungegerbte
Tierhäute neugeborener Ziegen und Lämmer) geschrieben und reich verziert. Viele
der kostbaren Dokumente sind in Bibliotheken ausgestellt und öffentlich zugänglich,
u.a. in der Stiftsbibliothek St. Gallen. Notker Balbulos (ca. 840-912) war einer der bedeutendsten Schreiber und Dichter des Klosters St. Gallen.
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Die Notre-Dame-Epoche bildete einen ersten Höhepunkt in der Geschichte der
Mehrstimmigkeit. Die berühmte Sängerschule in Paris fällt zeitlich zusammen mit
dem Bau der Kathedrale Notre Dame (1163) und dauert bis Mitte 13. Jahrhundert.
Pérotin (*zwischen 1150 und 1165 – ca. 1225) war der bekannteste Komponist der
Notre-Dame-Schule. Er entwickelte das Organum zu drei- und vierstimmigen Organa (Quadruplum). Mit einer dritten und vierten Stimme war die bis jetzt übliche freie
Rhythmik nicht mehr anwendbar. Um ein geordnetes Zusammenspiel zu ermöglichen, mussten deshalb die einzelnen Stimmen rhythmisch genauer festgelegt werden. Dazu verwendete Pérotin den sogenannten Modalrhythmus. Dieser Rhythmus
basiert nicht auf einzelnen Schlägen im Taktgefüge, sondern auf sechs Elementarrhythmen (Modi), die sich im Verlaufe eines Stückes regelmässig wiederholen.
Jeder Modus wurde durch eine sogenannte Ligatur in Quadratnotation aufgeschrieben. Eine Ligatur ist eine mit Balken verbundene Notengruppe zu 2-4 Noten. Das
Muster der Abfolge von Ligaturen und Einzelnoten bezeichnet den Modus, in dem
ein Stück gesungen wird.
Beispiel für eine 2 stimmige Ligatur
Ein Viereck mit Hals bedeutet in diesem Fall eine lange Note (longa), eine Viereck
ohne Hals ist eine kurze Note (brevis). Ein Viereck, das mit der Spitze nach unten
zeigt, ist eine mittellange Note (semibrevis).
Longa —
Brevis —
Semibrevis
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Allerdings gibt es hier einen deutlichen Unterschied zur heutigen Notenschrift:
Eine lange Note war gemäss Modalnotation dreimal so lang wie eine kürzere Note.
Die Dreiteilung wurde von den Mönchen als „perfekte Form“ verstanden, denn im
Mittelalter glaubte man an eine spezielle Ordnung der Welt, die sich in drei geheimnisvollen Zahlen offenbarte. Die Drei spielte dabei die wichtigste Rolle, die Dreifaltigkeit, also der Glaube an Gott den Vater, seinen Sohn Jesus Christus und an den
Heiligen Geist. Eine weitere wichtige Zahl war die Vier. Sie umfasste alle Eigenschaften der Welt: die vier Himmelsrichtungen, die vier Jahreszeiten, vier Temperamente
oder Launen des Menschen. Die Aufteilung der Welt in Drei und Vier war logisch,
da drei mal vier zwölf ergibt. Jesus hatte zwölf Jünger und es gibt zwölf Monate. In
der Zahl zwölf verschmelzen sich Glaube und Welt. Auf dem Klavier gibt es übrigens innerhalb einer Oktave zwölf verschiedene Tasten. Auch die Baumeister des
Mittelalters haben in ihrer Architektur auf die Masse drei, vier und zwölf vertraut.
Wenn du eine alte Kirche anschaust, achte mal, wie viele Säulen kannst du zählen?
Die komponierten Männerstimmen von Pérotin bewegen sich im hohen Bereich im
Modalrhythmus. Im Mittelalter wurden helle, durchsichtige, lineare Klänge bevorzugt.
Da die Modalnotation nur eine festgelegte Anzahl an verschiedenen Rhythmen zuliess, ergab sich bald die Notwendigkeit einer Reform. Die zunehmende Komplexität,
vor allem zur Notation von Motetten (mehrstimmige Vokalmusik mit Text / mot)
und instrumentaler Musik, verlangte nach einer Festlegung von einzelnen Notenwerten. Der Komponist Philippe de Vitry (1291-1361) schrieb im 14. Jahrhundert ein
Buch mit dem Titel „Ars nova“ (= neue Kunst). Darin löste er die Dreiteilung der Notenlängen auf und ersetzte diese durch die Zweiteilung. Das Aufschreiben der komplizierter werdenden Musik wurde dadurch erheblich erleichtert, aber löste gleichzeitig einen Glaubenskrieg aus. Papst Johannes XXII wollte bei der alten Dreiteilung
bleiben, konnte sich aber nicht durchsetzen.
Diese weisse Mensuralnotation blieb bis ca. 1600 im Gebrauch
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Die Mensuralnotation ermöglichte jetzt eine vielfältigere und klarere Aufteilung der
Rhythmen. Die unterschiedliche Dauer der Noten wurde jetzt erstmals anhand unterschiedlicher Notenformen veranschaulicht. Neben der perfekten dreiteiligen Mensur entstanden nun auch Kompositionen mit geraden Taktarten. Das genaue Verhältnis hing von dem Wert der Nachbarnote(n) ab. Ab jetzt wurden Systeme mit fünf
Linien verwendet.
Notenschrift aus dem frühen 16. Jahrhundert
Da in der Ars Nova als nächst kleinerer Notenwert die Minima
hinzutrat, musste
nun auch die Länge der Semibrevis bestimmt werden.
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Vor der Erfindung des Buchdrucks hatten Chöre meist nur ein einzelnes handschriftliches Exemplar eines Werkes zur Verfügung. Bedingt durch die Vergrösserung der
Chöre wurden die Noten immer grösser geschrieben, damit jeder Sänger aus dem
Chorbuch lesen konnte. Im 15. Jahrhundert wurde das Ausfüllen der grossen Notenköpfe zu aufwendig. Tinte war kostbar und ausserdem war das verwendete Papier
dünner als Pergament und konnte leichter reissen wenn es feucht war. So entstand
die sogenannte weisse Mensuralnotation. Die Schwärzung erfolgte nur noch zur
Kennzeichnung besonders kleiner Notenwerte. Diese Schrift ist der heutigen Notenschrift bereits sehr ähnlich.
Im 15. Jahrhundert begann man, Notensysteme mit Hilfe vertikaler Linien, den sogenannten Mensurstrichen, in Abschnitte zu teilen.
Diese Linien waren noch keine Taktstriche im modernen Sinne, sondern eher eine Art Zäsur.
Die Musik jener Zeit zeigte noch unregelmässige
Muster, die Striche wurden zu Hilfe genommen um
in Partituren anzuzeigen, an welchen Stellen die verschiedenen Stimmen gleichzeitig abzusetzen, einzusetzen oder zu atmen hatten.
Die Mensuralnotation blieb bis ca. 1600 im Gebrauch. Mit dem Einzug tänzerischer
Formen im 16./17. Jahrhundert, setzte die bis heute gebräuchliche Notation ein. Dabei wurden die kleinsten Notenwerte der weissen Mensuralnotation übernommen
und die Taktarten mit den Taktstrichen eingeführt. Die Notenzeichen blieben bis
heute erhalten: Aus der Semibrevis wurde die ganze Note, aus der Minima die Halbe,
usw. Zudem finden die Brevis als Doppelganze und seltener auch die Longa als Vierfachganze heute noch Verwendung, z.B. in langen Schlussakkorden.
Aus der Geschichte der Notation zeigt sich, dass ihre Entwicklung hauptsächlich aus
den Bedürfnissen der gesungenen Musik entstand. Seit der Forderung Karl des
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Grossen, die Liturgie der Kirchen zu vereinheitlichen, wurden grossartige Lösungen
gefunden. Mit der Musik aus dem 16. Jahrhundert stand ein Notensystem, das wir
noch heute benutzen.
Handschrift aus dem 17. Jahrhundert
Heute werden die Noten kaum noch in Handschrift notiert. Die ersten Experimente,
Computer für den Notendruck einzusetzen, fanden ab 1960 statt. Ernst zu nehmende
Ergebnisse gibt es seit ca. 1990. Neben Notensatzprogrammen wie z.B. Finale, Sibelius oder capella, gibt es auch Open-Source Lösungen wie z.B. MuseScore, LilyPond,
MusiXTeX.

Hier findest du eine Seite zum Surfen mit Spielanweisungen zur allgemein gebräuchlichen Notenschrift.

Hast du Mühe mit Notenlesen? Eine umfassende Einführung in das Notenlesen
anhand von klingenden Partituren und Arbeitsmaterialien findest du in „Partitur
entdecken“.
Eine Partitur ist eine Zusammenstellung aller Einzelstimmen einer Komposition, so
dass der Dirigent das musikalische Geschehen auf einen Blick überschauen kann.
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
Durch An- und Abschalten einzelner Stimmen kannst du in der "Gläsernen
Partitur" das Zusammenspiel genauer untersuchen und entdecken.
Für gewisse Spezialgebiete gibt es alternative Notenschriften.
Blindenschrift
Der blinde Franzose Louis Braille (1809 – 1852) spielte selber Klavier und Orgel und
erfand 1830 eine Notenschrift für Blinde. Unter Verwendung derselben Zeichen wie
in seiner Blindenschrift, erfand er ein ausgeklügeltes System von Noten-, Oktav-,
Harmonie- und Zusatzsymbolen.
Zur Verdeutlichung des Grundmusters der Brailleschrift stelle man sich die Sechs auf
einem Spielwürfel vor. Mit den 63 möglichen Punktkombinationen werden alle
Schriften dargestellt (inkl. verschiedene Sprachen, Mathematik- und Chemieschrift).
Die Braille-Notenschrift ist bis heute weltweit in Gebrauch.
Die verschiedenen Hände beim Klavier werden meistens abschnittweise untereinander gesetzt. Da der blinde Musiker die Noten auswendig lernt, und die Musikstücke
so übersichtlich wie möglich aufgeschrieben werden müssen, bietet die BrailleNotenschrift auch Abkürzungsmöglichkeiten für die Wiederholung einzelner Takte
oder Taktteile. Mit der Braille-Notenschrift ist es kaum möglich vom Blatt zu spielen,
weil eine Hand Zeichen für Zeichen durchgehen muss um den Zusammenhang zu
erkennen.
Für den Tastsinn ist die Braille-Notenschrift eine Herausforderung. Um die 63 Formen sicher und schnell voneinander zu unterscheiden, braucht es viel Zeit und
Übung. In einer Vielzahl von zusätzlichen Kennzeichnungen, die dem Musikstück
vorangestellt sind, werden Stimmen, Oktavlage, Rhythmus, Akkorde, Tempo, Dynamik, usw. bezeichnet.
Musikwerke sind sehr umfangreiche Niederschriften und weisen auf dem Papier oft
mehrere Notenzeilen parallel auf. In Blindennotenschrift kann man diese nur nacheinander notieren. Die Braille-Notenschrift erfordert von blinden Musikern deshalb
sehr viel Kopf- und Gedächtnisarbeit.
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Als Beispiel das Lied "Alle meine Entchen" in Musikbraille:
Dies ist nur eine vereinfachte Darstellung, da weitere Zeichen zu Dynamik, Harmonie, Pausen, Oktaven, Bindungen, Stimmen und mehr dazu kommen.
Tabulaturen
Diese Notenschrift beruht auf einer uralten Tradition.
Die Lautenisten spielten nicht nach Noten, sondern nach Tabulaturen. Diese Notationsform bildet das Griffbrett der Laute (Linie = Saiten) und die Position der Finger
ab. Die Tabulatur wird wie die Notenschrift von links nach rechts gelesen. In der
zeitgenössischen Musik wird sie zum Teil auch heute benutzt.
Kurzschriften für Akkorde
In der Tradition des Generalbasses wird eine Bassstimme mit Ziffern versehen, aus
denen sich der über dem Basston zu spielende Akkord ableiten lässt.
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Viele Komponisten benutzten die Bezifferung aber auch,
um rasch den harmonischen Verlauf eines Werkes skizzieren zu können. So konnte
sich Franz Xavier Süssmayr bei seiner Vollendung von Mozarts Requiem auf einige
bezifferte Bässe stützen, die Mozart noch selbst notiert hatte. Die Abbildung zeigt
einen einfachen Generalbass, im oberen System ist eine mögliche Ausführung der
Bezifferung ausgeschrieben.
Melodien mit Akkorden
Eine andere Richtung verfolgen die heute vor allem im Jazz und in der Popularmusik
üblichen Akkordsymbole, die neben dem Notennamen des Akkord-Grundtons einen
Code aus Buchstaben und Ziffern aufweisen, mit dem die Art der Harmonie beschrieben wird. Dieses System, kommt ganz ohne Notenlinien aus. Es gibt auch
Sammlungen, in denen lediglich Text und Akkordsymbole eines Liedes abgedruckt
sind, weil die Melodie als bekannt vorausgesetzt wird.
Grafische Notation
Im 20. Jahrhundert wollten sich viele Komponisten vom Notenbild lösen. Da sie dieses ungeeignet und zu konkret für ihre Musik fanden, begannen sie mit grafischer
Notation zu experimentieren, um der eigenen Inspiration und der Kreativität der
ausführenden Musiker mehr Platz zu geben.
Oder wie würdest du die Musik von George Crumb aufschreiben?
Zusätzlich zu den herkömmlichen Elementen der Notenschrift oder anstelle derselben, werden andere Symbole und Texte verwendet, teilweise auch Farben, um die
Ausführung eines Musikstücks zu beschreiben. Sie wird seit dem 20. Jahrhundert in
der Moderne verwendet, wo die traditionelle Notation nicht ausreicht, um Inhalte
und Spontanität einer musikalischen Idee zu vermitteln.
Der Cluster (engl. Gruppe, Haufen, Traube) steht für einen Klang, dessen Töne nahe
beieinander liegen. Auf Tasteninstrumenten werden mehrere Nachbartasten gleich16
zeitig angeschlagen, entweder mit den Fingern, der Faust, der Handfläche oder dem
Unterarm. Der amerikanische Komponist Henry Cowell hat erstmals 1912 in seinem
Klavierstück „The Tides of Manaunaun“ Cluster verwendet.
Die gebräuchlichste modernere Notationsform sieht so aus:
Aber auch der Komponist György Ligeti (1923 – 2006) setzte in seiner Orchestermusik Atmosphères Cluster ein. Ligeti gilt als innovativer Erneuerer der Neuen Musik.
Hier einige gebräuchliche Zeichen für rhythmische Bezeichnungen:
Strich oder punkt als Symbol der Tondauer
Abstände der Tonfolge dem optischen Bild entsprechend
schneller werden
langsamer werden
unregelmässige Tonfolge
Kurze Fermate
lange Fermate
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Ausschnitt aus der Partitur „Atmosphères“ von György Ligeti
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Komponisten, die grafische Notation verwenden, sind u.a. Christian Wolff, John
Cage, Luciano Berio.
Ein Beispiel für grafische Notation, das heisst eine Zeichnung, die unmittelbar zu
musikalischer Umsetzung auffordert, ist Mäandros von Anestis Logothesis. Die Leserichtung sowie ein Zeitraster sind vorgegeben.
Grafische Notation ist oft eine freie, vieldeutige Notationsart, deren Zeichen und Lesearten in einer Legende oder einem Textkommentar erklärt werden.
Die musikalische Grafik hingegen hat einen ästhetischen Eigenwert als visuelle
Kunst und muss nicht durch ihre Übersetzbarkeit in Musik definiert werden. Wie
Bildpartituren, also Bilder statt Grafiken, ist die musikalische Grafik ohne Darstellungsabsicht einer konkreten Musik entworfen worden, kann aber in Musik übersetzt werden.
Schau doch mal: erSCHAUTE KLÄNGE von Anestis Logothetis
Eine Adresse zum Surfen über Grafische Notation und Musikalische Grafik.
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