01 Energiebunker_BauPortal 22.01.14 15:14 Seite 2 Kriegsruine wird zum Energiebunker Betonbunker in Hamburg umfassend saniert – Umnutzung als Kraftwerk Holger Kotzan, Erkrath Um die Bevölkerung vor den ab 1940 stetig zunehmenden Luftangriffen der Alliierten zu schützen und die „Wehrhaftigkeit der Heimatfront“ zu untermauern, ließen die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs in zahlreichen deutschen Städten Hochbunker-Anlagen bauen. Nach Kriegsende wurden viele der riesigen Betonbauten ihrem Schicksal überlassen und verfielen zusehends, so auch in Hamburg-Wilhelmsburg. Für den mitten in einem Wohngebiet gelegenen Flakbunker hat der Bauherr, die IBA Hamburg GmbH, jedoch jetzt eine neue Aufgabe gefunden. Im Kontext der derzeit in der norddeutschen Metropole stattfindenden Internationalen Bauausstellung 2013 (IBA) wurde der über siebzig Jahre alte Beton-Koloss für insgesamt ca. 27 Mio. € umfangreich saniert – und in einen weltweit einzigartigen „Energiebunker“ umgebaut. Ausgerüstet mit einer Solarhülle auf dem Dach und an der Südseite sowie einem regenerativen Kraftwerk mit Großwärmespeicher, versorgt der ehemalige Bunker nun als Kraftwerk das benachbarte Wohnviertel mit klimafreundlicher Wärme und speist CO2-neutral erzeugten Strom in das Hamburger Verteilnetz ein. So steht das dauerhafte Betongebäude heute symbolhaft für den Weg zur autarken Versorgung der Elbinseln mit erneuerbarer Energie – das „Klimaschutzkonzept Erneuerbares Wilhelmsburg“. Ausgangssituation Der 1942 vom Architekten Friedrich Tamms entworfene Bunker stand seit Kriegsende 1945 leer und wurde im Zuge einer gezielten Sprengung durch die britische Besatzungsmacht im Jahr 1947 im Inneren fast komplett zerstört. Sechs der acht Etagen stürzten ein, die restlichen Räume waren nur noch mit größter Vorsicht zu betreten. Zur IBA Hamburg 2013 sollte die Kriegsruine nun einer neuen Nutzung zugeführt und in eine innovative „Energiezentrale“ umgewandelt werden. Gleichzeitig sollte das quartiers-prägende Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. So sollten Besucher das im Gebäude anzusiedelnde Café in 30 m Höhe als Aussichtsplattform nutzen und sich darüber hinaus in einer objektbezogenen Ausstellung zur Historie des Flakbunkers und die Umwandlung zum Energiebunker informieren können. Aufgrund des Zustands und der Dimensionen des Gebäudes war das Projekt für Abb. 1: Aus der Kriegsruine wurde ein Energiebunker für ca. 3.000 Haushalte des benachbarten Wohnviertels (Foto: BetonBild/ Stephan Falk) das mit der gesamten Sanierungsplanung und Umsetzung beauftragte Architekturbüro Hegger Hegger Schleiff (Kassel) eine besondere Herausforderung. Denn die Außenwandstärke des Bunkers beträgt ca. 2 m, die oberste Geschossdecke ist ca. 4 m dick. Auf ca. 30 m Höhe des insgesamt 42 m hohen Bauwerks befindet sich eine umlaufende Auskragung, die der Erschließung der obersten Ebenen dient. Charakteristisch für das Gebäude sind die vier Gefechtstürme. Am Sockel in 7 m Abb. 2: Abbrucharbeiten im Juli 2011 (Foto: Hegger Hegger Schleiff, Kassel) 2 Abb. 3: Einer der ehemaligen Gefechtstürme (Foto: Hegger Hegger Schleiff, Kassel) www.baumaschine.de/Betontechnik + Abbrucharbeiten – BauPortal 1–2/2014 01 Energiebunker_BauPortal 22.01.14 15:14 Seite 3 Höhe hat der Flakbunker die Außenabmessungen von 57 x 57 m. An den vier Gebäudeecken befindet sich oberhalb der umlaufenden Kragplatte je ein rund ausgebildeter Gefechtsstand. Bei der Planung für die Sanierung des denkmalgeschützten Flakbunkers richteten die Architekten ein besonderes Augenmerk auf die Erhaltung des äußeren Erscheinungsbildes. Projektleiter Guido Höfert erläutert: „Grundlegender Ansatz für Sanierung und Umnutzung war es, den Charakter als Mahnmal mit Identifikationswert für das Quartier zu erhalten. Ziel der architektonischen Überlegungen war es, mit minimalen Eingriffen die neuen Nutzungen im Gebäude unterzubringen und nach außen hin sichtbar zu machen.“ Tragwerkssanierung Kern der Sanierungsmaßnahmen waren umfangreiche Arbeiten an den Betonfassaden, allen Dachflächen sowie die Instandsetzung des Tragwerks bzw. des Innern des Bunkers. Durch die nahezu vollständige Zerstörung im Innenbereich bestand keine vertikale Erschließung des Gebäudes mehr. Hinzu kam, dass dort insgesamt ca. 25.000 t Schutt von sechs Geschossebenen, Innenwänden und Stützen aus Stahlbeton lagerten. Um diese riesige Schuttmenge beräumen zu können, musste zunächst eine ca. 15 x 7 m große Öffnung aus der Westfassade des Bunkers herausgebrochen werden. Anschließend wurde für den vorgesehenen Technikraum, hier sind heute alle Technologien sowie die komplette Infrastruktur für die Energieversorgung angesiedelt, das Gebäudetragwerk komplett instandgesetzt. Dabei errichtete das Bauunternehmen Fr. Holst (Hamburg) insgesamt sechs neue je 2 x 2 m starke sowie zwischen 18 und 28 m hohe Stahlbetonstützen und schloss diese an die bestehenden Stützenstümpfe an. Auch die zehn monumentalen Wandvorlagen, vier davon mit einem Querschnitt von 2 x 2 m und weitere sechs mit Maßen von 2 x 5 m, mussten aus statischen Gründen komplett neu errichtet werden. Darüberhinaus wurde, aufbauend auf den im Bestand vorhandenen Baulichkeiten, ein neues Treppenhaus als Sicherheitstreppenraum realisiert. Parallel dazu führt ein Feuerwehraufzug von der Eingangsebene bis in die oberste Ebene 8. Abb. 4: Neue Stahlbetonstützen (Foto: Hegger Hegger Schleiff, Kassel) damaligen Tarnanstrichs erhalten bleiben, darüberhinaus waren jedoch umfangreiche Arbeiten notwendig. Neben der gezielten Behebung einzelner Fehlstellen wurde die gesamte Außenhülle großflächig mit Spritzbeton überzogen. Dabei dübelten die Spezialisten der Fa. Spesa Spezialbau und Sanierung (NL Butzbach) zunächst auf Abstand Betonmatten auf den vorhandenen Beton. Dann wurde die komplette Fläche mit einer 8 cm starken Spritzbetonschale versehen und anschließend mit einem speziellen Igelbrett abgerieben, um ein homogenes Oberflächenbild zu erhalten. Um die ursprüngliche Betonstruktur zu erhalten, wurden außerdem die Denk- Abb. 5: Neues Treppenhaus als Sicherheitsttreppenraum (Foto: BetonBild/Stephan Falk) malfenster als ausgesparte Bereiche mit Stahlrahmen eingefasst und mit einem unauffälligen Schutznetz aus Edelstahl versehen. So passen sie sich harmonisch in die Gesamtfassade ein. Die markanteste Veränderung an der Fassade stellt jedoch die für die Schuttabfuhr aus dem Inneren aufgebrochene Westfassade dar, die sich heute großflächig verglast präsentiert. Besonders auffällig ist die neue Solarthermie- und eine Photovoltaik-Anlage des Energiebunkers, die an Dach und Südfassade als Stahlbau ausgebildet ist. Architekt Guido Höfert erläutert die Fassadensanierung: „Die monolithische Überformung der alten Betonfassade mit Spritzbeton wurde notwendig, um die Abb. 6 und 7: Sanierungsarbeiten an der Fassade (Fotos: Hegger Hegger Schleiff, Kassel) Sanierung der Außenhülle Ein weiterer Projekt-Schwerpunkt war die Sanierung der über 70 Jahre alten Betonfassade. Hier sollten einige Ausschnitte der Originalfassade einschließlich des BauPortal 1–2/2014 – www.baumaschine.de/Betontechnik + Abbrucharbeiten 3 01 Energiebunker_BauPortal 22.01.14 15:14 Seite 4 Abb. 8: Café mit Ausblick (Foto: BetonBild/Stephan Falk) Bausubstanz als Ganzes zu erhalten. Die ursprüngliche Wehrhaftigkeit ist nunmehr durch die Verglasung der Westfassade und die sichtbar gemachten Elemente der Energieversorgung gebrochen, dadurch wird die zivile Nutzung deutlich gemacht. Die prägnante Kontur des Gebäudes bleibt aber deutlich erkennbar.“ Durch umfangreiche Abbruchmaßnahmen ist auf der Ebene 08 des Bunkers in einem der vier ehemaligen Gefechtstürme Raum für ein öffentliches Café entstanden, das einen, gemäß der ursprünglichen Schutzfunktion nicht gewünschten, Außenkontakt herstellt. Eine gläserne Öffnung bietet Ausblick und Aufenthaltsqualität und signalisiert deutlich die zivile Umnutzung des Bunkers. Von der 30 m hohen Kragplatte aus ist ein fantastischer Rundblick über ganz Hamburg möglich. Technikzentrale im Innern Die heute im 28 m hohen Bunker-Innenraum angesiedelte Technikzentrale versorgt 3.000 Haushalte mit überwiegend regenerativ erzeugter Wärme, u.a. unterstützt durch Industrieabwärme eines benachbarten Betriebs, und 1.000 Haushalte mit Strom. Karsten Wessel, Projektkoordinator beim Bauherrn IBA Hamburg GmbH, erklärt: „Kern der Anlage ist ein 2.000 m3 Wasser fassender Wärmespeicher, der zwischen vier der insgesamt sechs neu errichteten Stahlbetonstützen steht. Durch die Verknüpfung der Energieerzeugung aus Solarenergie, Biogas, Holzhackschnitzeln und Abwärme aus einem benachbarten Industriebetrieb wird der Energiebunker zukünftig einen Großteil des benachbarten Wohnviertels mit überwiegend regenerativ erzeugter Wärme versorgen und gleichzeitig klimaneutral erzeugten Strom in das Stromnetz einspeisen. Im Endausbau wird der Energiebunker ca. 22.500 MWh Wärme und fast 3.000 MWh Strom erzeugen und dabei 4 Abb. 9: Technikraum Abb. 10: Photovoltaik-Anlage auf dem Dach des Energiebunkers als Stahlbau ausgebildet (Foto: BetonBild/Stephan Falk) (Foto: BetonBild/Stephan Falk) im Vergleich zur Bestandssituation 95 % weniger CO2 erzeugen. Das vom Energiebunker versorgte Reiherstiegviertel wird damit auf den Klimaschutzstandard von 2050 gebracht.“ Anhand des weltweit bisher einmaligen Projekts sollen zukünftig Erkenntnisse über die Praxistauglichkeit der eingesetzten Regel- und Hydrauliktechnologien gesammelt werden. Auch an einer Erweiterung des Projektes wird im Rahmen des Förderprogramms EnEff:Stadt bereits geforscht. Der Energiebunker und die Ausstellung sind auch nach der Präsentation zur IBA außer Montags und Dienstags täglich geöffnet. Weitere Informationen unter www.iba-hamburg.de und www.beton.org Autor: Holger Kotzan BetonMarketing Deutschland GmbH Objekt: Flakbunker Hamburg-Wilhelmsburg Bauherren: IBA Hamburg GmbH (Gebäude) Hamburg Energie (Energieversorgung) Architekt (Ursprungsbau): Friedrich Tamms Architekt (Umnutzung): Hegger Hegger Schleiff (Kassel) und Bollinger + Grohmann Ingenieure (Solare Hülle) Sanierungsplanung: Hegger Hegger Schleiff (Kassel) und EHS beratende Ingenieure für Bauwesen GmbH (Kassel-Lohfelden) Tragwerksplanung: Ing. Büro Prof. Bartram und Partner (Ottersberg-Fischerhude) Anlagentechnik Energiezentrale: Averdung Ingenieurgesellschaft mbH (Hamburg) Gebäudetechnik: IHS Intelligent House Solution (Hamburg) Betonsanierung Innenraum: Fr. Holst GmbH & Co. KG (Hamburg) Betonsanierung Fassade: Spesa Spezialbau und Sanierung (NL Butzbach) Betonsanierung Dachflächen: Eurovia Beton GmbH (Berlin) Sanierungszeitraum: Mai 2010 bis März 2013 Sanierungs-, Umbau-, Netz- und Technikkosten: 27 Mio. € www.baumaschine.de/Betontechnik + Abbrucharbeiten – BauPortal 1–2/2014