Kriegsruine wird zum Energiebunker

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Kriegsruine wird zum Energiebunker
Betonbunker in Hamburg umfassend saniert – Umnutzung als Kraftwerk
Holger Kotzan, Erkrath
Um die Bevölkerung vor den ab 1940 stetig zunehmenden Luftangriffen der Alliierten zu schützen und die „Wehrhaftigkeit der Heimatfront“ zu untermauern, ließen die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs in zahlreichen
deutschen Städten Hochbunker-Anlagen bauen. Nach Kriegsende wurden viele der riesigen Betonbauten ihrem
Schicksal überlassen und verfielen zusehends, so auch in Hamburg-Wilhelmsburg. Für den mitten in einem Wohngebiet
gelegenen Flakbunker hat der Bauherr, die IBA Hamburg GmbH, jedoch jetzt eine neue Aufgabe gefunden. Im Kontext
der derzeit in der norddeutschen Metropole stattfindenden Internationalen Bauausstellung 2013 (IBA) wurde der über
siebzig Jahre alte Beton-Koloss für insgesamt ca. 27 Mio. € umfangreich saniert – und in einen weltweit einzigartigen
„Energiebunker“ umgebaut. Ausgerüstet mit einer Solarhülle auf dem Dach und an der Südseite sowie einem
regenerativen Kraftwerk mit Großwärmespeicher, versorgt der ehemalige Bunker nun als Kraftwerk das benachbarte
Wohnviertel mit klimafreundlicher Wärme und speist CO2-neutral erzeugten Strom in das Hamburger Verteilnetz ein.
So steht das dauerhafte Betongebäude heute symbolhaft für den Weg zur autarken Versorgung der Elbinseln mit
erneuerbarer Energie – das „Klimaschutzkonzept Erneuerbares Wilhelmsburg“.
Ausgangssituation
Der 1942 vom Architekten Friedrich
Tamms entworfene Bunker stand seit
Kriegsende 1945 leer und wurde im Zuge
einer gezielten Sprengung durch die britische Besatzungsmacht im Jahr 1947 im
Inneren fast komplett zerstört. Sechs der
acht Etagen stürzten ein, die restlichen
Räume waren nur noch mit größter Vorsicht zu betreten. Zur IBA Hamburg 2013
sollte die Kriegsruine nun einer neuen
Nutzung zugeführt und in eine innovative
„Energiezentrale“ umgewandelt werden.
Gleichzeitig sollte das quartiers-prägende
Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht werden. So sollten Besucher das
im Gebäude anzusiedelnde Café in 30 m
Höhe als Aussichtsplattform nutzen und
sich darüber hinaus in einer objektbezogenen Ausstellung zur Historie des Flakbunkers und die Umwandlung zum Energiebunker informieren können.
Aufgrund des Zustands und der Dimensionen des Gebäudes war das Projekt für
Abb. 1:
Aus der Kriegsruine
wurde ein
Energiebunker für
ca. 3.000 Haushalte
des benachbarten
Wohnviertels
(Foto: BetonBild/
Stephan Falk)
das mit der gesamten Sanierungsplanung
und Umsetzung beauftragte Architekturbüro Hegger Hegger Schleiff (Kassel) eine
besondere Herausforderung. Denn die
Außenwandstärke des Bunkers beträgt
ca. 2 m, die oberste Geschossdecke ist ca.
4 m dick. Auf ca. 30 m Höhe des insgesamt 42 m hohen Bauwerks befindet sich
eine umlaufende Auskragung, die der
Erschließung der obersten Ebenen dient.
Charakteristisch für das Gebäude sind
die vier Gefechtstürme. Am Sockel in 7 m
Abb. 2: Abbrucharbeiten im Juli 2011
(Foto: Hegger Hegger Schleiff, Kassel)
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Abb. 3: Einer der ehemaligen Gefechtstürme
(Foto: Hegger Hegger Schleiff, Kassel)
www.baumaschine.de/Betontechnik + Abbrucharbeiten – BauPortal 1–2/2014
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Höhe hat der Flakbunker die Außenabmessungen von 57 x 57 m. An den vier
Gebäudeecken befindet sich oberhalb der
umlaufenden Kragplatte je ein rund ausgebildeter Gefechtsstand. Bei der Planung
für die Sanierung des denkmalgeschützten Flakbunkers richteten die Architekten
ein besonderes Augenmerk auf die Erhaltung des äußeren Erscheinungsbildes. Projektleiter Guido Höfert erläutert: „Grundlegender Ansatz für Sanierung und Umnutzung war es, den Charakter als Mahnmal mit Identifikationswert für das Quartier zu erhalten. Ziel der architektonischen
Überlegungen war es, mit minimalen Eingriffen die neuen Nutzungen im Gebäude
unterzubringen und nach außen hin sichtbar zu machen.“
Tragwerkssanierung
Kern der Sanierungsmaßnahmen waren
umfangreiche Arbeiten an den Betonfassaden, allen Dachflächen sowie die Instandsetzung des Tragwerks bzw. des
Innern des Bunkers. Durch die nahezu vollständige Zerstörung im Innenbereich
bestand keine vertikale Erschließung des
Gebäudes mehr. Hinzu kam, dass dort insgesamt ca. 25.000 t Schutt von sechs
Geschossebenen, Innenwänden und Stützen aus Stahlbeton lagerten. Um diese riesige Schuttmenge beräumen zu können,
musste zunächst eine ca. 15 x 7 m große
Öffnung aus der Westfassade des Bunkers
herausgebrochen werden.
Anschließend wurde für den vorgesehenen Technikraum, hier sind heute alle
Technologien sowie die komplette Infrastruktur für die Energieversorgung angesiedelt, das Gebäudetragwerk komplett
instandgesetzt. Dabei errichtete das Bauunternehmen Fr. Holst (Hamburg) insgesamt sechs neue je 2 x 2 m starke sowie
zwischen 18 und 28 m hohe Stahlbetonstützen und schloss diese an die bestehenden Stützenstümpfe an. Auch die zehn
monumentalen Wandvorlagen, vier davon
mit einem Querschnitt von 2 x 2 m und
weitere sechs mit Maßen von 2 x 5 m,
mussten aus statischen Gründen komplett neu errichtet werden. Darüberhinaus
wurde, aufbauend auf den im Bestand vorhandenen Baulichkeiten, ein neues Treppenhaus als Sicherheitstreppenraum realisiert. Parallel dazu führt ein Feuerwehraufzug von der Eingangsebene bis in die
oberste Ebene 8.
Abb. 4: Neue Stahlbetonstützen
(Foto: Hegger Hegger Schleiff, Kassel)
damaligen Tarnanstrichs erhalten bleiben,
darüberhinaus waren jedoch umfangreiche Arbeiten notwendig. Neben der
gezielten Behebung einzelner Fehlstellen wurde die gesamte Außenhülle großflächig mit Spritzbeton überzogen. Dabei
dübelten die Spezialisten der Fa. Spesa
Spezialbau und Sanierung (NL Butzbach)
zunächst auf Abstand Betonmatten auf
den vorhandenen Beton. Dann wurde die
komplette Fläche mit einer 8 cm starken
Spritzbetonschale versehen und anschließend mit einem speziellen Igelbrett abgerieben, um ein homogenes Oberflächenbild zu erhalten.
Um die ursprüngliche Betonstruktur zu
erhalten, wurden außerdem die Denk-
Abb. 5: Neues Treppenhaus als
Sicherheitsttreppenraum (Foto: BetonBild/Stephan Falk)
malfenster als ausgesparte Bereiche mit
Stahlrahmen eingefasst und mit einem
unauffälligen Schutznetz aus Edelstahl
versehen. So passen sie sich harmonisch in
die Gesamtfassade ein. Die markanteste
Veränderung an der Fassade stellt jedoch
die für die Schuttabfuhr aus dem Inneren
aufgebrochene Westfassade dar, die sich
heute großflächig verglast präsentiert.
Besonders auffällig ist die neue Solarthermie- und eine Photovoltaik-Anlage
des Energiebunkers, die an Dach und
Südfassade als Stahlbau ausgebildet ist.
Architekt Guido Höfert erläutert die
Fassadensanierung: „Die monolithische
Überformung der alten Betonfassade mit
Spritzbeton wurde notwendig, um die
Abb. 6 und 7: Sanierungsarbeiten an der Fassade (Fotos: Hegger Hegger Schleiff, Kassel)
Sanierung der Außenhülle
Ein weiterer Projekt-Schwerpunkt war die
Sanierung der über 70 Jahre alten Betonfassade. Hier sollten einige Ausschnitte
der Originalfassade einschließlich des
BauPortal 1–2/2014 – www.baumaschine.de/Betontechnik + Abbrucharbeiten
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Abb. 8: Café mit Ausblick (Foto: BetonBild/Stephan Falk)
Bausubstanz als Ganzes zu erhalten. Die
ursprüngliche Wehrhaftigkeit ist nunmehr
durch die Verglasung der Westfassade und
die sichtbar gemachten Elemente der
Energieversorgung gebrochen, dadurch
wird die zivile Nutzung deutlich gemacht.
Die prägnante Kontur des Gebäudes bleibt
aber deutlich erkennbar.“
Durch umfangreiche Abbruchmaßnahmen
ist auf der Ebene 08 des Bunkers in einem
der vier ehemaligen Gefechtstürme Raum
für ein öffentliches Café entstanden, das
einen, gemäß der ursprünglichen Schutzfunktion nicht gewünschten, Außenkontakt herstellt. Eine gläserne Öffnung bietet
Ausblick und Aufenthaltsqualität und
signalisiert deutlich die zivile Umnutzung
des Bunkers. Von der 30 m hohen Kragplatte aus ist ein fantastischer Rundblick
über ganz Hamburg möglich.
Technikzentrale
im Innern
Die heute im 28 m hohen Bunker-Innenraum angesiedelte Technikzentrale versorgt 3.000 Haushalte mit überwiegend
regenerativ erzeugter Wärme, u.a. unterstützt durch Industrieabwärme eines benachbarten Betriebs, und 1.000 Haushalte
mit Strom. Karsten Wessel, Projektkoordinator beim Bauherrn IBA Hamburg GmbH,
erklärt: „Kern der Anlage ist ein 2.000 m3
Wasser fassender Wärmespeicher, der zwischen vier der insgesamt sechs neu errichteten Stahlbetonstützen steht.
Durch die Verknüpfung der Energieerzeugung aus Solarenergie, Biogas, Holzhackschnitzeln und Abwärme aus einem
benachbarten Industriebetrieb wird der
Energiebunker zukünftig einen Großteil
des benachbarten Wohnviertels mit überwiegend regenerativ erzeugter Wärme
versorgen und gleichzeitig klimaneutral
erzeugten Strom in das Stromnetz einspeisen. Im Endausbau wird der Energiebunker ca. 22.500 MWh Wärme und fast
3.000 MWh Strom erzeugen und dabei
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Abb. 9: Technikraum
Abb. 10: Photovoltaik-Anlage auf dem Dach
des Energiebunkers als Stahlbau ausgebildet
(Foto: BetonBild/Stephan Falk)
(Foto: BetonBild/Stephan Falk)
im Vergleich zur Bestandssituation 95 %
weniger CO2 erzeugen. Das vom Energiebunker versorgte Reiherstiegviertel wird
damit auf den Klimaschutzstandard von
2050 gebracht.“
Anhand des weltweit bisher einmaligen
Projekts sollen zukünftig Erkenntnisse
über die Praxistauglichkeit der eingesetzten Regel- und Hydrauliktechnologien gesammelt werden. Auch an einer Erweiterung des Projektes wird im Rahmen des
Förderprogramms EnEff:Stadt bereits geforscht.
Der Energiebunker und die Ausstellung
sind auch nach der Präsentation zur IBA
außer Montags und Dienstags täglich
geöffnet. Weitere Informationen unter
www.iba-hamburg.de und www.beton.org
Autor:
Holger Kotzan
BetonMarketing Deutschland GmbH
Objekt:
Flakbunker Hamburg-Wilhelmsburg
Bauherren:
IBA Hamburg GmbH (Gebäude)
Hamburg Energie (Energieversorgung)
Architekt (Ursprungsbau):
Friedrich Tamms
Architekt (Umnutzung):
Hegger Hegger Schleiff (Kassel) und
Bollinger + Grohmann Ingenieure (Solare Hülle)
Sanierungsplanung:
Hegger Hegger Schleiff (Kassel) und
EHS beratende Ingenieure für
Bauwesen GmbH (Kassel-Lohfelden)
Tragwerksplanung:
Ing. Büro Prof. Bartram und Partner
(Ottersberg-Fischerhude)
Anlagentechnik Energiezentrale:
Averdung Ingenieurgesellschaft mbH (Hamburg)
Gebäudetechnik:
IHS Intelligent House Solution (Hamburg)
Betonsanierung Innenraum:
Fr. Holst GmbH & Co. KG (Hamburg)
Betonsanierung Fassade:
Spesa Spezialbau und Sanierung (NL Butzbach)
Betonsanierung Dachflächen:
Eurovia Beton GmbH (Berlin)
Sanierungszeitraum:
Mai 2010 bis März 2013
Sanierungs-, Umbau-,
Netz- und Technikkosten:
27 Mio. €
www.baumaschine.de/Betontechnik + Abbrucharbeiten – BauPortal 1–2/2014
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