SE IT E 18 · D I E N S TAG , 4 . O K T O B E R 2 0 1 1 · N R . 2 3 0 Unternehmen Unternehmen Klinikum Aachen beginnt ein Experiment in der Laborwelt Großkrankenhaus lagert sein Zentrallabor komplett aus hpa. AACHEN, 3. Oktober. Gleichgültig, ob es um Routineuntersuchungen von Blut oder um den Kampf gegen ein bis dato unbekanntes Virus geht, das Gesundheitssystem ist auf hochwertige und schnelle Labordienstleistungen angewiesen. Rund 6,4 Milliarden Euro werden laut Fachleuten auf dem deutschen Labormarkt jährlich umgesetzt, und alle erwarten, dass der Bedarf besonders im medizinischen Bereich weiter wachsen wird, weil die Menschen älter werden und damit auch die Zahl der Laboruntersuchungen steigt. Zugleich ist der Kostendruck enorm, was dazu geführt hat, dass die Zahl der kleinen Labore immer weiter zurückgeht. Rund ein halbes Dutzend großer Laborketten, zum Teil in der Hand von Finanzinvestoren, sind heute schon für den größten Teil der medizinischen Tests verantwortlich, die sowohl für niedergelassene Ärzte als auch für kleinere Krankenhäuser durchgeführt werden. Die Universitätskliniken allerdings waren bislang eine Bastion, die sich einer Öffnung für private Laborbetreiber verwehrt haben. In diesen Großkliniken, wo Forschung, Lehre und Krankenversorgung vereint werden und täglich ein besonders hoher Testbedarf entsteht, will man die Regie über die Labore eigentlich nicht aus der Hand geben. Der Sparzwang Experimentierfreudiges Klinikum Foto dpa in den Krankenhäusern zwingt jedoch auch die Universitätskliniken zum Nachdenken. Denn profitabel, so sagen Fachleute, sind diese Zentrallabors nirgends. Im Klinikum Aachen wurde der Druck schließlich so groß, dass man sich vor gut zwei Jahren entschloss, das Zentrallabor (klinische Chemie und Mikrobiologie) auszuschreiben. Ein Projekt, das sowohl unter den Professoren, als auch in der Belegschaft zunächst auf erhebliche Widerstände stieß, wie Heike Zimmermann, die stellvertretende Kaufmännische Direktorin des Klinikums sagt. „Wir mussten Neuland betreten.“ Den Zuschlag für das neu zu gründende Labordiagnostische Zentrum (LDZ) erhielt nach langen Verhandlungen die Mönchengladbacher Laborgruppe Dr. Stein + Kollegen, die mit einem Jahresumsatz von gut 50 Millionen Euro wiederum ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Marktführers, der Limbach-Gruppe, ist. Einsparungen von rund 3 Millionen Euro im Jahr erwartet sich die Aachener Klinikführung durch die Auslagerung, während die Stein-Gruppe zunächst das Ziel hat, den Laborbetrieb des Uniklinikums „auf eine schwarze Null zu bringen“, wie der Unternehmensgründer Theo Stein erläutert. Auf den ersten Blick mag das wenig ambitioniert erscheinen, aber für Stein hat das Aachener Zentrallabor einen besonderen Reiz. Denn für ein halbes Dutzend Krankenhäuser sowie rund 300 niedergelassene Ärzte in der Umgebung ist die Laborgruppe ohnehin schon Vertragspartner. Jetzt sollen diese Dienste nach und nach am Universitätsklinikum zentralisiert werden. Auch für Labore gilt: Je besser die Maschinen ausgelastet sind, desto mehr lohnt sich das Geschäft. „Zudem können wir erheblich Transportkosten einsparen“, sagt Stein. Ginge es nach ihm, wird Aachen kein Einzelfall bleiben. „Ich würde das gerne auch in Düsseldorf machen“, sagt er. Funktioniert das LDZ, „dann wird sich dieses Modell auch an anderen Unikliniken durchsetzen“, prognostiziert Peter Borges, Chef der auf das Gesundheitswesen spezialisierten Beratungsgesellschaft Aktiva. Denn die privaten Betreiber „können die Laborstrukturen besser organisieren als eine Klinik“, sagt er. Allerdings kamen in Aachen auch einige hilfreiche Umstände hinzu, die die Veränderung erst möglich machten, fügt Heike Zimmermann an – unter anderem, dass die beiden Lehrstühle der Labormedizin gerade neu besetzt werden mussten. Durch die Ausgliederung werden auch die beiden Lehrstühle aus Sicht der Ärzte abgewertet, was einem amtierenden Professor wohl kaum vermittelbar gewesen wäre. Zudem scheiterte der Plan, die Gründung des LDZ durch einen Betriebsübergang zu organisieren, an den heftigen Protesten der Beschäftigten und der Gewerkschaft Verdi. Stattdessen arbeiten nun knapp 70 Beschäftigte in Form der Personalgestellung für die Stein-Gruppe, bleiben aber an der Universität angestellt. Von den einst 80 Vollzeitstellen des Zentrallabors muss Stein 55 als Mindestquote garantieren, und es darf beim Abbau keine betriebsbedingten Kündigungen geben, erläutert Zimmermann. In der Laborbranche wird das Experiment Aachen mit großem Interesse verfolgt. „Das Einsparpotential in Unikliniken ist insbesondere bei Standarduntersuchungen groß, das macht den Reiz dieses Modells aus“, sagt Bartl Wimmer, der Geschäftsführer der Laborgruppe Synlab, die mehrheitlich dem Finanzinvestor BC Partners gehört. Generell sieht Wimmer den Labormarkt vor weiteren Übernahmen und Konsolidierungen, allerdings schaut Synlab, wie auch viele Wettbewerber, dabei mehr über die deutschen Grenzen hinweg. Zugekauft hat der Konzern zuletzt vor allem kleinere Laborbetriebe in Italien, was Synlab in diesem Jahr an die Umsatzmarke von 600 Millionen Euro heranführen wird, wie Wimmer sagt. In anderen Feldern der Laborbranche, etwa Umwelt- und Lebensmitteltests, wird die Konsolidierung sogar noch stärker ausfallen als im medizinischen Bereich, weil die Zahl der kleinen, inhabergeführten Umweltlabors in diesem Bereich noch um ein Vielfaches höher ist. Auch hier gilt: „Das Laborgeschäft hängt von großen Stückzahlen der Tests ab, weil die Geräte teuer sind und die Vergütungen seit 25 Jahren nur sinken“, sagt Paul Wimmer, Gründer der Agrolab-Gruppe, die mit rund 80 Millionen Euro Umsatz schon eines der größten Laborunternehmen in diesem Feld ist. Früher habe man für einen Dioxintest mehr als 1000 Mark verlangen können, heute seien es noch 200 bis 300 Euro. „Geld verdient man da nur mit Größe“, sagt Wimmer. Auch er hatte zeitweise einen Finanzinvestor, die Hannover Finanz, als Partner, um sein Wachstum finanzieren zu können. „Der Labormarkt hat den Vorteil, dass das Geschäft weniger schwankend ist als andere Branchen und die Cashflows damit relativ verlässlich sind“, sagt der Agrolab-Chef. Die Margen allerdings liegen laut Fachleuten besonders im Medizinbereich merklich unter den üblichen Erwartungen von Finanzinvestoren. Ob die Private-Equity-Häuser die zum Teil sehr hohen Kaufpreise für Laborketten daher tatsächlich mit einer guten Verzinsung wieder erwirtschaften können, gilt in der Branche als fraglich. SEC kritisiert Ratingagenturen Amerikanische Börsenaufsicht sieht Interessenkonflikte WASHINGTON, 3. Oktober (dapd). Die amerikanische Börsenaufsicht (SEC) hat den Ratingagenturen des Landes ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. In einem am Freitagabend veröffentlichten Bericht kritisiert die SEC unter anderem eine mangelnde Kontrolle von Interessenkonflikten der Mitarbeiter. In einigen Fällen würden nicht einmal selbst aufgestellte Regeln befolgt, hieß es. Die Prüfung, die jährlich wiederholt werden soll, war Teil einer im vergangenen Jahr verabschiedeten Reform zur besseren Überwachung der Finanzmärkte. Die SEC untersuchte zehn Agenturen, darunter die drei größten: Moody’s, Standard & Poor’s (S&P) und Fitch. Bei welchen Agenturen die Probleme am schwerwiegendsten seien, wurde nicht mitgeteilt. Unter anderem wird den Unternehmen vorgeworfen, ungeeignete Richtlinien für den Fall zu haben, dass Analysten und Angestellte Aktien der Unternehmen besit- zen, die sie bewerten. In zwei der drei großen Agenturen gebe es darüber hinaus keine Regelung für den Umgang mit Interessenkonflikten, wenn ein bewertetes Unternehmen Teilhaber der Agentur ist. Den drei großen Agenturen ist zuvor mehrfach vorgeworfen worden, eine Mitschuld an der Finanzkrise von 2008 zu tragen, weil sie riskanten Anlagen eine hohe Sicherheit bescheinigten. Nach dem Platzen der Immobilienblase waren diese Anlagen wertlos. S&P hatte kürzlich berichtet, dass die SEC zudem eine Zivilklage gegen deren Rating eines Angebots für eine Hypothekenschuld aus dem Jahr 2007 erwäge (F.A.Z. vom 27. September). Das könnte der Startschuss für eine Reihe von Klagen gegen amerikanische Ratingagenturen sein. Im aktuellen Bericht erklärte die SEC, dass es gegenüber einer früheren Überprüfung 2008 Fortschritte gegeben habe, bei allen Agenturen jedoch noch Probleme zu verzeichnen seien. F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G Netzwirtschaft Amazons Browser bringt das mobile Internet auf Trab Mit „Silk“ und einer Zwischenspeicherung von Inhalten in der Cloud sollen Internetseiten künftig viel schneller angezeigt werden. ht. FRANKFURT, 3. Oktober. Amazon ist als weltgrößter Online-Händler bekannt. Amazon ist aber auch einer der führenden Anbieter für Cloud Computing, verfügt also über riesige Rechenzentren, in denen viele Unternehmen ihre Internetseiten speichern. „Elastic Cloud Computing“, kurz EC2, heißt die Datenwolke, mit der Amazon nun zum Überholen im mobilen Internet ansetzen will. Dafür hat das Unternehmen einen neuen Browser names Silk erfunden, der im Zusammenspiel mit der Cloud die Internetseiten viel schneller anzeigen soll als herkömmliche Browser. Damit sollen die beschränkten Rechenleistungen der mobilen Geräte und die zuweilen geringen Bandbreiten im mobilen Internet gleichermaßen überwunden werden. Der Silk-Browser wird erstmals auf dem neuen Amazon-Tabletcomputer Kindle Fire eingesetzt, der von November an für 199 Dollar in Amerika verkauft wird. Neben dem günstigen Preis soll der neue schnelle Browser die Kunden anlocken. „Browser sind in den vergangenen 15 oder 20 Jahren auf dieselbe Weise gebaut worden, ohne neue Architektur-Ansätze“, sagt Jon Jenkins, der bei Amazon als Direktor Softwareentwickler für Silk verantwortlich ist. „Wir haben einen fundamental anderen Blick auf den WebBrowser geworfen; nämlich, wie man einen Browser im Zeitalter des Cloud-Computings baut“, sagte Jenkins. Denn Silk ruft die Internetseiten nicht direkt ab, sondern greift auf die zwischengespeicherten Versionen dieser Seiten zu, die in der Amazon-Cloud zum Abruf bereitstehen. Dort wird der Großteil der nötigen Rechenarbeit zur Darstellung der Seiten erledigt. Anschließend werden die Daten noch komprimiert, so dass der Transfer der Dateien auf den Kindle Fire weniger Bandbreite benötigt und entsprechend schneller gehen soll. „Statt einer 3 Megabit Bilddatei im Jpg-Format übertragen wir nur eine Datei mit 50 Kilobit“, sagte Peter Vosshall, Software-Ingenieur bei Amazon. Das entspricht einer Reduktion der übertragenen Datenmenge zwischen Cloud und Tablet um den Faktor 60. Zudem will Amazon aus dem Nutzerverhalten lernen und Seiten, die besonders häufig aufgerufen werden, schon im Hintergrund laden. Surfen viele Leser der „New York Times“ von der Startseite be- In der Cloud: Amazon-Gründer Jeff Bezos sonders häufig ins Wirtschaftsressort, wird diese Seite also schon einmal versorglich für den Abruf vorbereitet, lautet ein Beispiel von Amazon. „Ein typischer Browser basiert auf den Designs aus der Mitte der neunziger Jahre. Damals war das Web aber viel einfacher, und es gab noch nicht die mobilen Geräte, wie wir sie heute kennen“, sagte Peter Vosshall, Software-Ingenieur bei Amazon. Mit dem neuen Browser, der die Aufgaben zwischen dem Tabletcomputer und der Cloud aufteilt, ändere man nun das Spiel, meint Vosshall. Nun wird im Internet auch heute schon häufig mit sogenannten Proxy-Servern gearbeitet, die Seiten lokal zwischenspeichern, um einen schnellen Zugriff zu ermöglichen. Der Amazon-Ansatz spielt aber erstmals die Größenvorteile des Cloud-Computings aus, faktisch alle populären Seiten in seinen Rechenzentren vorzuhalten. Denn die Rechenzentren sind mit extrem schnellen Leitungen mit dem Internet verknüpft und können so ständig ein Abbild des Webs speichern. Allerdings ist in der Technikwelt auch schon einige Kritik laut geworden. „Der Silk-Browser hat das Potential, das mobile Web dramatisch zu verbessern – aber sein Design birgt aber auch zwei Probleme in sich“, schreibt Stephan Shankland vom Branchendienst Cnet. Problem Nummer eins: Der Browser sei entwickelt worden, weil der Kindle Fire nicht über ausreichend Rechenkraft verfüge. Neue, populäre Web-Applikationen wie das Spiel Foto AFP Angrybirds benötigen allerdings ausreichend Rechenkraft auf dem Gerät, damit sie funktionieren. Solche Apps seien mit der Silk-Architektur nicht vereinbar, kritisiert Shankland. Das zweite Problem sei der Datenschutz. Amazon als „Mann in der Mitte“ könne nun genau mitverfolgen, welche Menschen welche Internetseiten anschauen. Diese Informationen will Amazon nach eigenen Angaben nach 30 Tagen löschen, doch das Unternehmen erfährt zum Beispiel genau, nach welchen Produkten ein Nutzer sucht. Diese Informationen können auch für maßgeschneiderte Angebote genutzt werden, denn Amazon ist ja auch der weltgrößte Online-Händler. Amazon will die Daten allerdings anonym speichern. „Die Nutzungsdaten werden anonym gesammelt und in einer aggregierten Form gespeichert, die keinen Rückschluss auf die einzelnen Nutzer zulässt“, sagte ein Amazon-Sprecher. Auf einen dritten Aspekt weist das Sicherheitsunternehmen Sophos hin: Eine gesicherte Verbindung, zum Beispiel zur Bank, werde in den Amazon-Rechenzentren durch eine andere Art der Verschlüsselung ersetzt. Streit um die Haftung im Fall eines Diebstahls beim Online-Banking könnten die Folge sein. Die Käufer des Fire können die neue Browser-Funktion auch komplett ausschalten. Die amerikanische Datenschutz-Organisation Electronic FrontierFoundation (EFF) hat schon angekündigt, den Silk-Browser genau beobachten zu wollen. Auf dem Tabletmarkt könnte der Einstieg von Amazon deutlich schärferen Wettbewerb für das iPad von Apple bringen. Bisher haben die Konkurrenzprodukte von Samsung, HTC, Research in Motion oder Asus dem iPad nur etwa 30 Prozent des Marktes abnehmen können. Kindle Fire hat schon erste Preissenkungen ausgelöst und wird den Einstiegspreis für viele Tablets auf 200 Dollar senken. Da Apple voraussichtlich seinen Einstiegspreis von 500 Dollar beibehalten wird, könnte das untere Marktsegment, in dem sich vorwiegend Geräte mit dem Google-Betriebssystem Android tummeln, nun schnell wachsen. Allerdings schaut auch Google besorgt in Richtung Amazon. Denn das Unternehmen nutzt zwar das Android-System, ist aber nicht als Partner zu verstehen. Amazon hat seinen eigenen App-Store für Android-Apps und nutzt keinen Google-Browser. Inzwischen gibt es sogar Gerüchte, Amazon sei am Erwerb der HP-Tochtergesellschaft Palm interessiert, die das Betriebssystem WebOS entwickelt hat. Mit WebOS könnte Amazon sein eigenes Betriebssystem nach eigenen Wünschen anpassen und sich nach Belieben von der Android-Konkurrenz unterscheiden. Der Kauf des WebOS könnte für Amazon auch den Einstieg in den Smartphone-Markt bedeuten, um seine Vertriebsplattform für digitale Inhalte weiter auszubauen. Dann wäre Amazon eindeutig ein Konkurrent für Google. Im Gespräch: Henrique de Castro, Präsident Mobile, Medien und Plattformen bei Google „Wir sehen im TV eine Entwicklung wie im Mobilfunk“ von Google zu bilden. In der Branche wird spekuliert, Google habe Admeld einfach vom Markt weggekauft, um einen Konkurrenten loszuwerden. Lassen Sie mich klarstellen: Wir wollen Verlagen helfen, ihren Umsatz zu maximieren. Das bedeutet, den besten Preis für Werbung herauszuholen oder Werbung zu verkaufen, die vorher nicht verkauft werden konnte. Admeld passt perfekt in diese Strategie, denn das Unternehmen kann den Verlagen sagen, wie sie ihre Premium-Werbeflächen bestmöglich verkaufen können. Nur wenn wir den Verlagen den bestmöglichen Umsatz bringen, möchten sie mit Google zusammenarbeiten. Google will Werbung auf Personalcomputern, Handys und Fernsehern verkaufen. Das Ziel ist immer gleich: Erst wenn Werbung relevant und persönlich ist, funktioniert sie. Den Namen Google verbindet man meist mit dem Personalcomputer. Welches Gerät wird das wichtigste für Googles Geschäft in drei Jahren sein: PC, Fernsehen oder Mobiltelefon? Google ist stark auf dem Desktop; das mobile Geschäft wächst und das Fernsehen wird transformiert. Am Ende werden alle drei Geräte zu einer einzigen Plattform konvergieren – Inhalte und Funktionen sind dann über gleich. Wie kann man sich Google auf dem Fernseher vorstellen? Und welche Rolle wird die Google-Werbung auf dem Fernseher spielen? Das Fernsehen wird digital und das bringt die Trennung von Inhalt und Werbung mit sich. Heute werden in einer Werbepause für alle Zuschauer die gleichen Werbespots gezeigt. Das wird sich ändern. Aus der linearen Lieferung wird ein Parallelvertrieb – und dann lässt sich die Werbung individuell aussteuern. Unser Ansatz ist, auf dem Fernseher nur die Werbung auszuliefern, die relevant für die Nutzer ist. Bedeutet das für Google doch Investitionen in Inhalte? Nein, wir sind und bleiben eine Distributionsplattform. Die Inhaltebesitzer können unsere Plattform nutzen, um Zuschauer zu erreichen. Das Internet-Fernsehen ist hart umkämpft. Die Kabelnetzbetreiber, die Gerätehersteller und die Internet-Dienstleister wie die Deutsche Telekom wollen in den Markt. Google und Apple kommen noch dazu. Wer wird gewinnen? Derjenige, der die Inhalte am besten aggregieren kann. Es geht nicht nur darum, wer die besten Inhalte durch die Leitung schicken kann, sondern auch darum, wer die relevanten Inhalte für die Nutzer am besten zusammenstellen kann. Die meisten Menschen in der Industrie fokussieren sich aber nur auf die Wird es Werbung auf Google+ geben? Denken Sie an das Targeting. Es gibt Umfeld-Signale, also wo bin ich. Es gibt Absichts-Signale, also was habe ich vor. Dann gibt es Kontext-Signale und soziale Signale. Je besser diese Signale sind, desto besser funktioniert das Targeting. Henrique de Castro Inhalte und deren Lieferung, nicht auf die Nutzererfahrung. Das gleiche Problem gibt es in der Werbung. Die Werbung auf dem Fernseher muss relevant für den Zuschauer sein – sonst bringt sie wenig. Apple wird nachgesagt, bald ein Fernsehgerät auf den Markt zu bringen. Ist das auch eine Option für Google? Google konzentriert sich darauf, die Software für das Fernsehen zu verbessern. Die Konkurrenten schauen mehr auf die Hardware. Aber am Ende werden Hardware und Software in einem Gerät verschmelzen. Das Ende der Set-Top-Boxen? Ja. Warum sollen die Menschen für zwei Distributionskanäle zahlen? Für den Fernseher, für die Box, und die Wartung zweier Geräte? Die Menschen wollen ein Gerät für alles. Google TV war aber bisher kein Erfolg. Nun, wir sind in der Variante 1.0. Wir werden im Fernsehen eine ähnliche Entwicklung sehen wie im Mobilfunk. Aus den klobigen Geräten sind innerhalb von 15 Jahren sehr leistungsfähige Smartphones geworden. Auch die Fernseher werden smart – und dabei wird Google mithelfen. Foto Holger Schmidt Werbung auf Mobiltelefonen gilt als Zukunftsmarkt, auf den Google große Hoffnungen setzt. Wie funktioniert mobile Werbung? Werbetreibende Unternehmen haben nun eine Plattform, um die Verbraucher auf ihrem Weg zu begleiten und dabei mit ihnen zu kommunizieren. Das gab es vorher nicht. Wer bisher eine Fernsehwerbung geschaltet hatte, musste hoffen, dass sich der Verbraucher später, wenn er im Geschäft ist, an seine Werbung erinnert. Nun können die Unternehmen auch am Point of Sale mit dem Kunden kommunizieren. Für welches Medium werden die werbetreibenden Unternehmen künftig zuerst ihre Werbung produzieren? Bisher war dies das Fernsehen. Doch es funktioniert nicht länger, einen 30-Sekunden-Werbespot für das Fernsehen zu produzieren und daraus ein angepasstes 10-Sekunden-Video für das Internet zu machen. Die Werbung wird künftig von Anfang an cross-medial produziert. Google hat das Werbeunternehmen Admeld übernommen, das sich auf die Fahnen geschrieben hatte, die Werbeflächen großer Verlage zu kombinieren, um ein Gegengewicht zur Marktmacht Das heißt? Das Ziel von Google+ ist die Gewinnung sozialer Signale, um unser Targeting zu verbessern. Ob es jemals Werbung auf Google+ geben wird, kann ich heute nicht sagen. Auf die allermeisten Werbebanner im Internet klickt kein Mensch. Funktioniert Online-Werbung eigentlich auch ohne Klick? Natürlich. Online-Werbung vermittelt viele Botschaften, die nicht mit Klicks gemessen werden können, zum Beispiel Aufmerksamkeit erzeugen oder Kaufabsichten festigen für Produkte, die nicht im Internet gekauft werden können. Zusammen mit der Gesellschaft für Konsumforschung versuchen wir gerade herauszufinden, welche Werbung den höchsten Effekt hat – über verschiedene Medien hinweg. Wir sehen eine große Werbewirkung über den Klick hinaus, zum Beispiel für die Markenbildung. In der Display-Werbung gab es eine starke Fokussierung auf Transaktionen, also zum Beispiel direkte Käufe eines Produktes. Die Leute in der Industrie dachten, der Klick sei der heilige Gral. Das war richtig für die Leute, die auf Transaktionen aus waren. Für die Markenbildung und die Festigung der Kaufabsicht ist der Klick nicht die richtige Währung. Das Gespräch führte Holger Schmidt.