Schlaglicht 174 Myristyl-Schalter in der neuronalen Signaltransduktion Oliver H. Weiergräber1 und Karl-Wilhelm Koch2 1Institut für Biologische Informationsverarbeitung (IBI-2, Biologische Strukturforschung), Forschungszentrum Jülich, 2AG Biochemie, Universität Oldenburg Neuronale Calcium-Sensor(NCS)-Proteine Die NCS-Proteine bilden eine eigene Proteinfamilie, die sich aufgrund von Sequenzhomologien in fünf Subfamilien einteilen lässt[1]. Ein gemeinsames Merkmal der NCS-Proteine ist das Vorhandensein von vier EF-Hand-Motiven, die aus einer Loop- Die erste Modellvorstellung eines Calcium-Myristyl-Schalters im Recoverin wurde von Zozulya und Stryer vorgeschlagen[5]. Dieser Mechanismus ist durch eine Reihe struktureller und biochemischer Arbeiten sehr gut dokumentiert worden[6–11]. Die Calcium-Bindung an den beiden funktionalen EF-Hand-Strukturen EF-2 Abb. 1: Illustration des Calcium-Myristyl-Schalters im Recoverin anhand der NMR-Strukturen des Proteins im calciumfreien Zustand (a, PDB-Code 1IKU) sowie nach Bindung des ersten (b, 1LA3) und zweiten (c, 1JSA) Calcium-Ions. Die funktionellen EF-Hand-Motive (EF-2 und EF-3) sind blau gefärbt, die nicht funktionellen (EF-1 und EF-4) grün. CalciumIonen sind als dunkelgraue Kugeln, die N-terminale Myristylgruppe als Stabmodell in Gelb dargestellt. Zu weiteren Details siehe Text. region mit 12 Aminosäuren und zwei flankierenden α-Helices aufgebaut sind[2]. Typischerweise binden EF-Hand-Strukturen Calciumionen; im Falle der NCS-Proteine sind allerdings eine oder zwei der vier EFHände durch Substitutionen an kritischen Positionen inaktiviert. Fast alle NCS-Proteine besitzen am N-Terminus eine Konsensussequenz für eine cotranslationale Myristylierung und in den meisten Fällen konnte das Vorhandensein einer Myristylgruppe auch nachgewiesen werden. Prototyp der NCS-Proteinfamilie ist Recoverin, das überwiegend in den Sehzellen der Wirbeltiernetzhaut vorkommt[3]. Calcium-Myristyl-Schalter im Recoverin Recoverin wird als 23-kDa-Protein exprimiert und cotranslational am N-Terminus acyliert, wobei der vorherrschende Rest eine Myristylgruppe (C14:0) ist[4]. und EF-3 zeigt einen hohen Grad an Kooperativität (Hill-Koeffizient = 1,5) mit einer apparenten Dissoziationskonstanten von ca. 17 µM. Die Verfügbarkeit der NMRStrukturen des myristylierten Recoverins im calciumfreien und calciumgebundenen Zustand[6, 7] sowie einer Mutante mit inaktivierter EF-2 (E85Q)[9] hat wesentliche Einblicke in die zugrunde liegenden Mechanismen gestattet (Abb. 1). In der calciumfreien Struktur (a) ist die Myristylgruppe tief in der N-terminalen Domäne verborgen und ist Bestandteil des hydrophoben Kernbereichs des Proteins. Nach Bindung von Calcium an EF-3 werden u.a. Änderungen in der relativen Anordnung der EF-3- und EF4-Helices beobachtet. Letzteres hat eine Rotation der gesamten N-terminalen Domäne um ca. 45° relativ zum C-terminalen Anteil zur Folge (b). Die Bindung von Calcium an EF-2 schließlich induziert eine ausgedehnte Konformationsänderung innerhalb der N- terminalen Domäne, deren auffälligster Ausdruck eine Rotation der ersten EF-1-Helix gegenüber der zweiten um ca. 90° darstellt (c). Dabei bewegen sich die N-terminale Helix und die Myristylkette mit, letztere wird dadurch endgültig aus dem hydrophoben Kernbereich entlassen. Ein Vergleich der Kristallstruktur der nicht myristylierten E85Q-Mutante[10] mit der NMR-Struktur des myristylierten Pendants, jeweils mit Calcium in EF-3 (Abb. 2), lässt den Effekt der N-terminalen Modifikation unmittelbar erkennen. Die Faltung der C-terminalen Domänen und auch die Orientierung der Domänen zueinander sind erwartungsgemäß sehr ähnlich. Jedoch entspricht die Topologie der N-terminalen Domäne im Falle der myristylierten Mutante derjenigen des calciumfreien Proteins, während sie im nicht myristylierten Fall eher an die des calciumgesättigten Proteins erinnert. Offenbar übt die Acylgruppe durch ihre Einbettung in den hydrophoben Kernbereich erheblichen Einfluss auf die Konformation der N-terminalen Domäne aus[10]. Auch das Zusammenspiel benachbarter EF-Hand-Motive innerhalb einer Domäne ist von großer Bedeutung für den geschilderten Konformationsübergang des Recoverins. Es finden sich enge Wechselwirkungen nicht nur zwischen den involvierten Helices, sondern auch zwischen den EF-HandLoops, die ein kurzes zweisträngiges antiparalleles β-Faltblatt bilden. Experimentelle Befunde deuten darauf hin, dass die Konformationsänderung der C-terminalen Domäne durch Calcium-Bindung entweder an Abb. 2: Schematische Überlagerung der Strukturen der nicht myristylierten (blau, 1OMV) und der myristylierten E85Q-Mutante (grau, 1LA3) des Recoverins. Die EF-Hand-Motive sind von I bis IV nummeriert, a bezeichnet dabei jeweils die erste und b die zweite Helix. BIOspektrum · 2/05 · 11. Jahrgang Schlaglicht 175 Abb. 3: terminaler Abschnitt des NCS-1 (1G8I) mit dem Wasserstoffbrücken-Netzwerk, welches vermutlich die Ausrichtung der N-terminalen Helix fixiert und damit zu einer Calcium-unabhängigen Exposition der Myristylgruppe führt. EF-3 oder an eine durch Punktmutationen reaktivierte EF-4 angetrieben werden kann[11]. Myristylgruppen erhöhen die Diversifizierung NCS-Proteine variieren in ihrer biologischen Funktion (soweit bekannt) sehr stark. Die bisher beschriebenen Vertreter haben ein spezifisches Expressionsmuster und wahrscheinlich eine maßgeschneiderte Zielerkennung und Regulationsaufgabe. Auch der beim Recoverin gefundene Calcium-Myristyl-Schaltmechanismus findet sich nicht bei allen NCS-Proteinen, die myristyliert sind. Bei manchen Vertretern übernimmt die Myristylgruppe stattdessen andere Funktionen. Ein gutes Beispiel hierfür sind GCAP-1 und GCAP-2, die in Photorezeptorzellen der Wirbeltiernetzhaut die Aktivitäten membranständiger Guanylatzyklasen regulieren. Beide GCAPs zeigen keinen klassischen Calcium-Myristyl-Schalter, sondern die Myristylgruppe verstärkt die vorhandenen Unterschiede in den Eigenschaften beider Proteine: • Die Calcium-Sensitivität von GCAP-1, nicht aber die von GCAP-2, wird durch die Myristylgruppe beeinflusst[12]. • Die katalytische Effizienz der Guanylatzyklase, der Wert kcat/Vmax, wird unterschiedlich durch GCAP-1 und GCAP-2 reguliert. Auch hierbei ist der Einfluss der Myristylgruppe bei GCAP-1 größer als bei GCAP-2[13]. O’Callaghan und Burgoyne haben in ihren Arbeiten ein anderes Beispiel gut untersucht. NCS-1 ist zwar myristyliert, zeigt aber keinen Calcium-Myristyl-Schaltvorgang und ist konstitutiv mit den Membranen assoziiert[14]. Die Autoren konnten einige strukturelle Determinanten bestimmen, die bei NCS-1 die Operation eines Calcium-MyrisBIOspektrum · 2/05 · 11. Jahrgang tyl-Schalters verhindern. Von besonderer Bedeutung scheint das Sequenzmotiv EELTRK im N-Terminus von NCS-1 zu sein. Die Kristallstruktur des humanen NCS-1 zeigt, dass die beiden sauren Aminosäuren E14 und E15 und die beiden basischen Aminosäuren R18 und K19 auf der Oberfläche der N-terminalen Helix exponiert sind (Abb. 3). Dies ermöglicht wahrscheinlich Wasserstoffbrückenbindungen, die den N-Terminus in eine starre Konformation zwingen und zur dauerhaften Exposition der Myristylgruppe führen[14]. Proteine, die einen klassischen Calcium-MyristylSchalter zeigen, besitzen kein entsprechendes Motiv in ihrem N-Terminus. Im GCAP1 und GCAP-2 ist das für NCS-1 beschriebene Muster geladener Aminosäuren am NTerminus zwar nicht konserviert, jedoch sind auch hier ähnliche Cluster vorhanden. mational transition in recoverin. J. Biol. Chem. 278: 22972–22979. [11] Senin, I. I. Vaganova, S. A. Weiergräber, O. H., Ergonov, N. S., Philippov, P. P., und Koch, K.W. (2003): Functional restoration of the Ca2+-myristoyl switch in a recoverin mutant. J. Mol. Biol. 330: 409–418. [12] Hwang, J.-Y., und Koch, K.-W. 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