Special 307 Special: Drug-Targeting Virosomen – ein wirksames Drug-TargetingSystem für Tumorzellen Ernst Rudolf Waelti, Institut für Pathologie, Universität Bern Wie die Ritter des Mittelalters auf der Suche nach dem heiligen Gral waren, sucht die Pharmaindustrie seit langem Ehrlichs „magic bullet“, um Tumore zu therapieren. Mit den monoklonalen Antikörpern, die tumorassoziierte Antigene erkannten, glaubte man, sie gefunden zu haben. Jedoch klinische Versuche verliefen mit wenigen Ausnahmen meist enttäuschend. Einen Schritt näher ans Ziel gelangte man durch die Entwicklung von Liposomen, in die Arzneistoffe verkapselt werden konnten. Durch diese Wirkstoff-Carrier liessen sich die toxischen Nebenwirkungen von Zytostatika zum Teil verringern. Eine vielversprechende Weiterentwicklung bot die Kombination von Liposomen mit monoklonalen Antikörper (Immunoliposomen), die erlaubte, die Lipidvesikel zielgerichtet an eine bestimmte Zelle zu addressieren, um den Arzneistoff an seinen Wirkungsorte zu bringen. In vielen Fällen wird dieser aber nur im Tumorgewebe deponiert und entfaltet so leider nicht sein ganzes therapeutisches Potential. Es gilt somit ein Vesikel zu entwickeln, das sowohl eine Tumorzelle als Target erkennen als auch nach der Bindung aktiv in ihr Zytoplasma eindringen kann, um dort den Wirkstoff freizusetzen. Um diesem hohen Anforderungsprofil zu genügen, griff man auf die Vorbilder in der Natur zurück. Da Viren über ausgeklügelte Mechanismen verfügen, um in Säugerzellen zu gelangen, baute man diese Fähigkeit in die Liposomen ein und erhielt als elegante Lösung Lipidvesikel, die als Virosomen bezeichnet werden. BIOspektrum · 3/03 · 9. Jahrgang Abb. 1: Modell eine Virosoms mit HA, NA und Fab’ auf der Oberfläche. Im Anschnitt verkapselter Arzneistoff sichtbar. Bau und Struktur der Influenza-Virosomen Virosomen sind sphärische unilamellare Vesikel, deren Hülle aus einer PhospholipidDoppelschicht besteht. Auf der Hülle sind im hier beschriebenen Falle die Oberflächenproteine des Influenzavirus A, nämlich das Hämagglutinin-Trimere (HA) und die tetramere Neuraminidase (NA), aufgesetzt. Im Prinzip lässt sich ein Virosom als eine mit viralen oder synthetischen Phospholipiden rekonstituierte Virus Envelope bezeichnen. Die Grundlage zur Herstellung von Influenza-Virosomen ist das von Stegmann et al.[1] beschriebene Solubilisierungsverfahren mit dem Detergens C12E8, das erlaubt, die Fusionsaktivität der nativen HA bei deren Isolierung zu erhalten. Das Detergens wird darauf aus der Lösung durch Adsorption an hydrophobe Polystyrolpartikel kontrolliert entfernt, wobei es nach Unterschreitung der CMC (critical micelle concentration) zur spontanen Ausformung der Virosomen kommt. Die Methode wurde adaptiert, um für das Drug-Targeting geeignete Virosomen zu erhalten[2, 3]. Der mittlere Durchmesser der Virosomen liegt zwischen 120 – 200 nm und lässt sich mit der Photon-Korrelations-spektroskopie messen. Die elektrische Oberflächenladung der Virosomen lässt sich durch Einbau von negativ wie positiv geladenen Phospholipiden beliebig variieren. So lassen sich durch Einbau von DOTAP oder DOSPER in die Lipid-Doppelschicht kationische Virosomen herstellen, die sich besonders gut für die Verkapselung von Antisense-Oligonukleotiden oder anderem genetischen Material eignen[2]. An die Phospholipide der Virosomenhülle können eine Vielzahl von Biomolekülen gekoppelt werden wie Zytokine, Peptide und monoklonale Antikörper, jenachdem welche Zielzelle addressiert werden soll. Cross-linker mit einem langen Spacerarm sind für die Kopplung nötig, damit die für das Targeting vorgesehenen Biomoleküle die 13.5 nm hohen HA überragen. Der heterofunktionelle Cross-linker Maleinimidopropionyloxy-polyethylenglykol-succinimid (NHS-PEG-MAL) erfüllt diese Anforderungen. Tumorspezifische monoklonale Antikörper-Fragmente Fab’ lassen sich mit ihrer freien Thiolgruppe an die Maleimidgruppe binden, während die Succinimidgruppe an die in der Membran vorhandenen Phosphatidylethanolamin-Moleküle (PE) gekoppelt werden kann. Die lange Poly- Special 308 A B Abb. 2: A: Aufnahme von kationischen Virosomen, die FITC-markierte Antisense-L-mycOligonukleotide enthalten, durch NCI-H209-Zellen unter dem Fluoreszenzmikroskop. B: Aufnahme von FITC-markierte Anti-rNeu-Virosomen (grün) durch rNeu-positive NF 9006-Zellen (rot, mit Rhodamin markiertes F-Actin) im konfokalen Mikroskop. Unteres Segment: XY-Projektion; rechtes seitliches Segment: XZ-Projektion. ethylenglykolkette gewährleistet, dass die antigenische Bindungsaktivität des Fab’ nicht sterisch beeinträchtigt wird. In das Innere der Virosomen lassen sich je nach der gewählten Verpackungsmethode eine Vielzahl von Wirkstoffen, hydrophile wie lipophile Substanzen, verkapseln. Eine größere Bedeutung kommt den zytostatisch wirkenden Antibiotika (Anthracycline) zu, weil sich Virosomen mit Verbindungen wie Doxorubicin, Daunomycin, Minocyclin in einem speziellen Verfahren beladen lassen, bei dem zwischen der Innen- und Außenseite der Virosomen/Liposomen ein Ionengradienten durch Ammoniumsulfat gebildet wird. Die interne Konzentration des Zytostatikums kann dabei seine Löslichkeit in wässrigem Medium mehrfach übersteigen[3, 4]. Die in den hier beschriebenen Experimenten verwendeten Virosomenpräparate enthielten 150 µg/ml Doxorubicin. Funktionsweise der Immunovirosomen: Zweifach andocken und eindringen Fab’-Virosomen werden während ihrer Zirkulation durch ihr tumorspezifisches monoklonales Antikörper-Fragment Fab’ selektiv an die Tumorzellen binden, gleichzeitig adsorbieren dann die HA wie beim virulenten Influenza Virus an die ubiquitären endständigen Neuraminsäuren der Glykoproteine und Glykolipide auf der Zelloberfläche. Dank dieser HA-Bindung nehmen die Tumorzellen die Virosomen durch Endozytose auf. Diese Aufnahme läuft ab, unabhängig davon, welches zelluläre Oberflächenantigen Fab’ erkennt. Eingeschlossen in den Endosomen werden die Virosomen in das Zellinnere transportiert. Während der Reifung des Endosoms senkt sich der pH-Wert im endosomalen Lumen ab, wodurch es zu einer irreversiblen Ände- rung der Konformation der HA kommt. Dabei lagern sich die fusogenen Regionen am aminoterminalen HA2-Fragment in die endosomale Membran ein und es erfolgt die Verschmelzung der beiden Membranen. Die verkapselten Arzneistoffe – im hier beschriebenen Fall Doxorubicin – werden nach der Fusion der endosomalen Membran mit der Virosomenmembran aus den Vesikeln entlassen, gelangen in das Zytoplasma und können dort ihre Wirkung entfalten. Der endosomale Weg der Virosomen ins Zellinnere kann sowohl am Fluoreszenzmikroskop wie mit konfokaler Mikroskopie dargestellt werden[2, 3], wie die Abbildungen 2A und B illustrieren. Bei der konfokalen Darstellung ist zudem deutlich zu erkennen, dass die Virosomen sich im Zellinnern (siehe Querschnittsdarstellung) befinden und nicht nur auf der Oberfläche der Zelle kleben. Anti-rNeu-Fab’-Doxo-Virosomen hemmen das Tumorwachstum Da etwa 30 % der primären Mammakarzinome wie ihre Metastasen eine Überexpression des c-erbB2(HER-2/neu) Onkogens aufweisen und da das exprimierte erbB2-Glykoprotein p185 zudem als ein transmembranen Rezeptor auf der Oberfläche der Tumorzelle vorliegt, bot sich p 185 als antigene Zielstruktur an, um anti-HER2/neu-Immunovirosomen als Targeting System in vivo zu testen. Das Fab’-Fragment des monoklonalen Antikörpers 7.16.4, der den extrazellulären Bereich des Ratten (r)HER-2/neu erkennt, wurde für zielgerichtete Adressierung der Virosomen verwendet[5]. In einer Serie von Experimenten wurden transgene Mäuse mit rNeu-positiven Tumoren (5 mm Durchmesser) jeden Abb. 3: A: Behandlung von Mäusen mit Anti-rNeu-Fab’-Doxo-Virosomen im Vergleich zur Kontrollgruppe und zur mit freiem Doxorubicin behandelten Gruppe. B: Behandlung von Mäusen mit Anti-rNeu-Fab’-Doxo-Virosomen im Vergleich zur Behandlung mit Doxo-Virosomen ohne Targeting. BIOspektrum · 3/03 · 9. Jahrgang Special 310 Literatur [1] Stegmann, T., Morselt, H., Booy, F., van Breemen, J., Scherphof, G., and Wilschut, J. Functional reconstitution of influenza virus envelopes. EMBO J., 6: 2651–2659, 1987. [2] Waelti, E.R., Glueck R. Delivery to cancer cells of antisense L-myc oligonucleotides incorporated in fusogenic, cationic-lipid-reconstitutedn influenza-virus envelopes (cationic virosomes). Int. J. Cancer, 77: 728–733, 1998. [3] Waelti, E.R., Wegmann, N., Schwaninger, R., Wetterwald, A., Wingenfeld, C., RothenRutishauser, B., and Gimmi, C.D. Targeting HER- 2/neu with antirat neu virosomes for cancer therapy. Cancer Res. 62: 437–444, 2002. [4] Haran, G., Cohen, R., Bar, L.K., and Barenholz, Y. Transmembrane ammoniumsulfate gradients in Abb. 4: Behandlung von Mäusen mit Anti-rNeu-Fab’-Doxo-Virosomen. Behandlungsbeginn: 3 – 5 Tage nach subkutaner Injektion der Tumorzellen. dritten bis vierten Tag mit intravenös verabreichten Anti-rNeu-Fab’-Doxo-Virosomen behandelt. Abbildung 3A belegt ihre Wirksamkeit: Das weitere Wachstum der Tumorzellen wurde vollständig unterbunden. Die histologische Untersuchung des Tumorgewebes zeigte, dass die meisten Tumorzellen nekrotisch waren und größtenteils durch Infiltrate von Granulozyten und Eosinophilen ersetzt worden waren. Die Behandlung der Mäuse mit einer gleichen Menge an freiem Doxorubicin beeinflusste das Wachstum dagegen nur geringfügig. Die Behandlung mit Doxo-Virosomen ohne Fab’ für ein Targeting zeigte keine wesentlich bessere Wirkung als die mit freiem Doxorubicin. Damit wird die Wichtigkeit eines Targeting unterstrichen (Abbildung 3B). Leere Anti-rNeu-Fab’-Virosomen vermochten das Wachstum ebenfalls bis zu einem gewissen Grad zu hemmen[3]. Dieses Resultat ist nicht so überraschend, weil der für das Targeting verwendete monoklonale Antikörper 7.16.4 den HER-2/neu-Rezeptor blockiert und somit ähnlich wie der therapeutisch eingesetzte Herceptin-Antikörper wirkt. Eliminierung von Mikrometastasen durch Anti-rNeu-Fab’-Doxo-Virosomen Solide Tumore wie Mammakarzinome werden sich vorläufig nicht durch irgendwelche zytotoxische Trägersysteme mit Targeting entfernen lassen, aber solche Systeme wie die Virosomen können eine wichtige therapeutische Rolle nach einer Mastektomie spielen, um noch vorhandene oder sich neu bildende Mikrometastasen zu vernichten. Um diese Situation einigermassen zu simulieren, wurden transgene Mäuse mit Ratten-Neu-Protein (rNeu) nach einer subku- tanen Injektion von rNeu-positiven Mammakarzinomzellen der Zell-Linie NF 9006 (2 x 105 Zellen) mit Immunovirosomen (Fab’-Doxo-Vir) behandelt. Die Behandlung begann drei bis fünf Tage nach Injektion der Tumorzellen und beinhaltete neun intravenöse Injektionen von Virosomen (150 µg Doxorubicin pro ml Virosomen) während dreier Wochen. Innerhalb vier Wochen entwickelten die unbehandelte Kontrollgruppe der Mäuse und die Gruppen, die mit freiem Doxorubicin und Doxorubicin-Virosomen (Doxo-Vir) ohne Targeting behandelt wurden, Tumore (Abbildung 4). Die Tumorbildung war so ausgeprägt, dass die Tiere geopfert werden mussten. Im Gegensatz dazu blieben 90 % der mit Fab’-Doxo-Vir behandelten Mäuse während der 90-tägigen Beobachtungszeit tumorfrei[3]. liposomes produce efficient and stable entrapment of amphipathic weak bases. Biochim. Biophys. Acta 1151: 201–215, 1993. [5] Drebin, J.A., Link, V.C., Weinberg, R.A., and Greene, M.I. Inhibition of tumor growth by a monoclonal antibody reactve with an oncogene-encoded tumor antigen. Proc. Natl. Acad. Sci. USA, 83:9129–9133, 1986. Korrespondenzadresse: Dr. Ernst R. Waelti Institut für Pathologie Universität Bern Murtenstrasse 31 CH-3010 Bern Tel.: 41-31-632 88 78 Fax: 41-31-381 87 64 [email protected] Zukünftige Entwicklungen Die viel versprechenden Resultate mit Immunovirosomen werden zur Entwicklung von neuen Virosomen führen. In erster Linie wird man versuchen, einen Tumor mit verschiedenen Typen von Virosomen kombiniert anzugreifen. Der zusätzliche Einsatz von VEGF(vascular endothelial growth factor)-Virosomen oder Anti-VEGF-R2-Fab’Virosomen, die die VEGF-Rezeptor2-positiven Endothelzellen in den neu gebildeten Blutkapillaren der Tumore gezielt adressieren können, dürfte die Angiogenese bei Tumoren verhindern und auf diese Weise zu einer vollständigen Tumorrückbildung führen. BIOspektrum · 3/03 · 9. Jahrgang