Die Republik muss sich wichtig nehmen

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ARCHITEKTUR
„Die Republik muss
sich wichtig nehmen“
Der Berliner Baumeister Axel Schultes über sein neues
Kanzleramt, die Symbolisierung von Macht in der Demokratie und
das schwierige Verhältnis Gerhard Schröders zu seinem Haus
SPIEGEL: Herr Schultes, Architekten bauen
oft kühn für andere, selbst wohnen sie
meistens in sanierten Wassermühlen oder
in Gründerzeithäusern. Würden Sie gern in
Ihr neues Kanzleramt einziehen?
Schultes: Ja, sofort, die Privaträume im 8.
Obergeschoss bieten einen wundervollen
Blick über Berlin. Noch schöner wäre allerdings Mieterschutz, den es nach Lage
der Dinge da leider nicht geben kann.
SPIEGEL: Der Kanzler soll dort auch wohnen, nicht bloß den Ausblick genießen.
Schultes: Sollte er ursprünglich nicht. Das
Gesamtkonzept sah als Residenz die Villa
im Park vor, auf dem Moabiter Werder.
Der Raum im Amt ist eigentlich die Erweiterung des Arbeitszimmers ins Private,
für das Kamingespräch, für ein Diner. Das
Wohnen da oben nimmt das Kanzlerpaar
jetzt tapfer wahr, richtet sich ein, solange
an die Residenz nicht zu denken ist.
SPIEGEL: Würden Sie selbst, wenn Sie zu regieren hätten, dieses Amt gern in diesem
auffälligen Gebäude ausüben?
Schultes: Was denken Sie! Glauben Sie,
wir hängen sieben Jahre Planung an etwas, das eine Zumutung für den Hausherrn
wäre? Eine Anregung für die politische
Einbildungskraft haben wir gebaut, Anregung für die Regierenden, für die Regierten, natürlich auch für die.
SPIEGEL: Sie haben das Problem, dass der,
der jetzt ins Kanzleramt einzieht, ein anderer ist als der, der es in Auftrag gab.
Schultes: Diese Personalisierungen bringen
nichts. „Bauen in der Demokratie“ bindet
viele ein, die Hauptverantwortung aber
trägt der Architekt, solange er nicht zum
Erfüllungsgehilfen degradiert wird. Wir haben unser Konzept durchsetzen können,
mit Hilfe couragierter Berater.
SPIEGEL: Aber Sie haben doch akzeptiert,
dass Kohl Ihnen das so genannte Bürgerforum gestrichen hat – ein Informationsund Ausstellungsgebäude direkt gegenüber
dem Eingangsbereich des Kanzleramts.
Jetzt ist es dort öd und leer, und das Kanzleramt wirkt einsam und mächtig.
Schultes: Wir haben nie verzichtet. Wir
hoffen nach wie vor auf das Forum, auf
seinen eigenständigen Raum, auf seine
Baukanten. Diese Einbindung des Kanzleramts ist von zentraler Bedeutung für
die stimmige Bildsprache der ganzen Anlage. Solitär soll allein der Reichstag sein.
Kohl hat nie etwas gefordert, was wir nicht
hätten aus freien Stücken entwerfen
können.
SPIEGEL: Haben Sie die vielen Änderungen
im Detail etwa freiwillig vorgenommen?
Schultes: Sie meinen das sprichwörtliche
„Fegefeuer der Alternativen“? Wir selbst
Eingangsfassade des Kanzleramts*
„Raumzauber für Staatsathleten“
standen uns mit unseren ersten Formulierungen des Gebäudes im Weg, die große, „interessante“ Diagonale, die Hinwendung zum Reichstag, sperrte sich dem
linearen Fluss der Räume, dem, was wir
das „Band des Bundes“ nennen. Auch das
Raumprogramm gab keine übergreifende
Ordnung, keinen zentralen Ort vor, von
dem aus – wie etwa vom Plenum im
Reichstag – eine Raumidee hätte abgeleitet
werden können.
* Mit der Skulptur „Einheit“ von Eduardo Chillida.
Axel Schultes
ist der Architekt des Bundeskanzleramts, das am 2. Mai eingeweiht werden soll.
Das 25 000 Quadratmeter umfassende Gebäude an der Spree, das Schultes, 57,
gemeinsam mit seiner Kollegin Charlotte Frank, 41, entwarf, ist wegen seiner monumentalen Dimensionen umstritten. In der H-förmigen Anlage sind 370 Büros untergebracht; im so genannten Leitungsbau befinden sich auf acht Etagen neben
Bankett- und Konferenzsälen auch die Büros von Kanzler Gerhard Schröder, von Doris Schröder-Köpf sowie von Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier. Ebenfalls
in diesem Gebäudeteil soll Schröder eine Wohnung beziehen. Von Schultes stammt
auch das Konzept der übrigen Spreebogen-Bebauung, das er „Band des Bundes“
nennt. Nicht alle dafür vorgesehenen Projekte wurden verwirklicht: Noch Schröders
Vorgänger Helmut Kohl sagte etwa den Bau eines Bürgerforums ab. Schultes realisierte in seiner Karriere erst wenige Entwürfe, darunter das Bonner Kunstmuseum
und ein Krematorium in Berlin.
W. MAHLER / OSTKREUZ
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C. FRANK
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arbeitest. Wir wollten ein Gefühl von Offenheit erzeugen.
SPIEGEL: Fenster, Balkone, großzügige Durchgänge gibt es ja auch reichlich. Wie unterscheidet sich diese Offenheit von jener Transparenz, die Günter Behnisch mit seinen
Glasfassaden im Bonner Bundestag angestrebt hat – als Symbole für die Demokratie?
Schultes: Wir wollten den Kanzler nicht
den Neugierigen ausliefern, es gibt Filter
und Abschirmungen, aber es gibt auch eine
gewisse Porosität. Wir sprechen von „Eindringtiefe“. Wir wollten keine platte Glaskistentransparenz, natürlich auch keine
hochmütig abweisenden Fensterreihen. Diese raumintensive, vielfach vertiefte Fassade
ist die diesem Haus gerade noch mögliche
Form von „Öffentlichkeit“.
SPIEGEL: Das Haus ist doch gar nicht für die
Öffentlichkeit bestimmt.
Schultes: Da staune ich aber! Ein gastfreundliches Haus wie dieses hier, hoffentlich, macht sich „öffentlich“, offen für
einen ständigen Fluss von Gästen, geladenen, versteht sich.
SPIEGEL: Was haben Staatsgäste mit der
Öffentlichkeit zu tun? Der Begriff Öffentlichkeit ist hier doch eine Täuschung.
Lehrter
Bahnhof
Inva
BERLIN
Spree
geplantes
Bürgerforum
Paul-LöbeHaus
Kanzlerpark
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Kulturen
der Welt
Bundeskanzleramt
Reichstagsgebäude
T i e r g a r t e n
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Juni
Straße des 17.
Meter
Brandenburger Tor
Kartengrundlage:
Adler & Schmidt
LAUBNER
SPIEGEL: Ein Kanzleramt ist die Machtzentrale dieser Republik, insofern hat das
Haus doch eine klare Funktion.
Schultes: Aber sie ist als solche architektonisch nicht formulierbar, höchstens mit den
abgestandenen Seriositäts- und Würdeformeln eines klassischen Architekturidioms.
Die anzuwenden, ausgerechnet in Berlin,
ausgerechnet im Spreebogen, kam uns keine Sekunde in den Sinn. Die eigentlichen
politischen Geschehnisse aber sind architektonisch nicht auszudrücken. Ich kann
aus einem politisch hoch wichtigen Telefonat keine räumliche Umsetzung machen.
Es wäre auch ein Unding gewesen, wenn
wir das Arbeitszimmer des Kanzlers oder
einen Kabinettsaal ins Zentrum des Regierungssitzes gerückt hätten, das wäre eine
maßlose Überhöhung gewesen.
SPIEGEL: Die gibt es doch so auch. Das Kanzleramt ist immerhin 36 Meter hoch. Wer das
Sagen hat, sitzt eben ein wenig höher. Das
galt schon für Karl den Großen auf seinem
Thron. Und bei Ihnen sitzt der Kanzler hoch
über der Stadt im obersten Geschoss.
Schultes: Sie hausen doch auch nicht im
Souterrain! Wir wollten in diese Räume, in
denen Politik geschieht, die Energie der
Stadt hineinleiten, und wir wollten umgekehrt auch sagen: Wenn du von da mit der
Stadt konfrontiert bist – zum Beispiel durch
großzügige Glaspassagen –, dann ist dies
das beste Signal dafür, wo und für wen du
Kanzleramt mit Bürotrakten: „Fließendes Band des Bundes“
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Kultur
W. MAHLER / OSTKREUZ
SPIEGEL: Ihr prachtvolles Gebäude über-
Zentrale Treppe im Kanzleramt
A. SEILAND / STERN
Erlebnis der Opulenz
Kanzler Schröder auf der Baustelle (2000)
Kritik an der Bürodecke
Schultes: Nur Staatsgäste? Das wäre ja ein
trauriges Amt! Aber ich kann natürlich aus
einem Regierungssitz keine Konzerthalle
machen, auch kein Museum. Ich kann
nicht einmal ein Bundestagsplenum daraus machen. Ich muss mich mit der Exklusivität des Ortes abfinden. Und wie sonst
kann dieses Amt in die Öffentlichkeit wirken, wenn nicht durch den Kontakt zu anderen Menschen, anderen Gruppen, Journalisten, vom SPIEGEL zum Beispiel, die
da ein- und ausgehen? Also entwickelten
wir, wie Schmuggelware, jenseits eines
bloßen Verwaltungsraumprogramms solche Räume, die zur Politikdarstellung genutzt werden.
SPIEGEL: Politikdarstellung?
Schultes: Ja doch, es gibt in diesem Haus
internationale Konferenzen. Dazu kommt,
was über Kanzlerfeste drei-, viermal im
Jahr an Öffentlichkeit ins Haus geholt wird.
Es gibt Tage der offenen Tür. Es gibt, im
feinen Maßstab und in kleineren Räumen
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wie der Skylobby, die Empfänge, die Defilees, die Staatsbankette.
SPIEGEL: Das ist wie bei Hofe: Defilees,
Staatsbankette.
Schultes: Das ist auch wie im Weißen Haus,
ja. Nur dass eine republikanische „Hofhaltung“ anders funktioniert, auf Zeit. Alle
Kanzler der Republik, Hof hin, Hof her, haben das gewusst, haben das durchlitten.
SPIEGEL: Das Raumprogramm erinnert eher
an ein Barockschloss mit seinen opulenten Treppen-Inszenierungen, mit großzügigen Durchgängen, Aufgängen, Durchblicken, Audienzsälen …
Schultes: … wenn wir die Räume, die dazu
wenigstens noch taugen, nicht zu einem
Erlebnis, zum Instrument hätten steigern
dürfen, hätten wir hier gar nicht erst als
Architekten tätig werden sollen. Dann
hätte man eine Verwaltungskiste wie in
Bonn bauen können, die „funktioniert“
ja auch.
SPIEGEL: Sie wollten dagegen eine Bühne
für das Regieren schaffen?
Schultes: Wir wollten endlich heraus aus
dieser zynischen Vernunft, die sagt: Der
Kanzler ist ja auch nur unser erster Angestellter. Die Republik muss sich in so zentralen Bauten wichtig nehmen, sollte
großzügig mit sich sein.
SPIEGEL: Ist Ihre Großzügigkeit nicht etwas
zu vergesslich gegenüber der deutschen
Vergangenheit gerade auch an diesem Ort?
Schultes: Im Spreebogen kann man gar
nicht vergesslich sein. An der Stelle, an der
jetzt das Kanzleramt steht, war nicht nur
ein Kern der Speer-Planung, da war auch
schon der preußische Generalstab. Da hatte sich unter Umständen ein preußischer
König 1849 hingestellt und gesagt: Dieses
Volk finde ich zum Kotzen – dieses Gelände ist geradezu imprägniert mit Gift, historischem Gift.
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spielt die Last des Gewesenen mit grandioser Eleganz.
Schultes: Sollten wir ein Kanzleramt als
schlechtes Gewissen bauen, als bedrohliches
Mahnmal? Das Kanzleramt blickt geradewegs auf den großen Russen an der Straße
des 17. Juni. Ist das etwa keine Erinnerung?
SPIEGEL: Es gibt in diesem Haus geradezu
eine Säulensucht, überall diese mächtigen
Stelen. Nach 1945 hat der Dichter Günter
Eich „Lachreiz vor Säulen“ verspürt. Können Sie das nachempfinden?
Schultes: Durchaus. Aber wir nennen unsere Stelen dicke Kinder, man kann sie
auch weiche Wände nennen. Das Räumliche muss sich nun einmal durch das Schwere bilden. Nur dann bekomme ich einen
Kontrast zwischen dem Schweren und dem
Schwebenden, der in die Seelen der Menschen geht. Die Architektur der klassischen
Moderne hatte oft genug, zu oft, auf das
wichtigste Medium des Bauens verzichtet:
auf suggestive Räumlichkeit. Wir wollten
an diese magere Tradition der Moderne
nicht anknüpfen.
SPIEGEL: Ihre Säulen münden nicht klassisch in einem Kapitell, sondern in einem
Lichtkranz. Heißt das, der Kanzler ist die
Lichtgestalt der Demokratie?
Schultes: Der Kanzler im Strahlenkranz …
Diese Überinterpretation muss ich Ihnen
überlassen. Wir denken nicht als Politikinterpreten, sondern als Architekten.
Schaut doch mal hin! Dieses Haus hat nicht
die Anonymität einer verglasten Kiste mit
endlosen Korridoren wie in Bonn. Es ist ein
weiches Gebilde, ein Fest der bewegten
Räumlichkeit, ein Angebot an Befreiung.
SPIEGEL: Ihr Kollege Günter Behnisch
nennt es Konquistadorenarchitektur.
Schultes: Er spricht auch von Berliner Angeberei. Herrschaft können Sie mit einer
Symbolik an der Oberfläche demonstrieren. Die haben wir nicht. Im Zentrum unserer Architektur lebt der Raum. Das ist alles.
SPIEGEL: Aber Raum kann auch ohne
Machtsymbole einschüchtern.
Schultes: Ja, Raum kann vieles. Er kann
auch heiter stimmen. Sie waren doch gerade mit uns im Neubau: Sie waren in keiner Weise eingeschüchtert. Diese Räume
machen eher Lust und Mut, die Arbeit dieses Hauses mitzutragen …
SPIEGEL: … Mut zur Dominanz oder zum
demokratischen Sichauseinandersetzen?
Schultes: Sehen Sie das Haus doch als ein
Statement, eine Wette gegen die deutsche
Krankheit, die Angst. Daniel Barenboim ...
SPIEGEL: … der israelische Stardirigent …
Schultes: … hat doch Recht: Die Deutschen
haben Angst – vor sich selbst und vor den
anderen. Angst vor dem Risiko, vor dem
Neuen, vor jeder Herausforderung.
SPIEGEL: Geht es auch um die Befreiung
von übergroßen Schuldgefühlen?
Schultes: Da grübeln wir über Fragen, die
uns die anderen gar nicht erst stellen. Die
Frage ist doch selbst schon die Angst.
AP
Schultes: Der Bund hat sich
unmittelbar nach der Entscheidung aus der Planung
zurückgezogen und den
Städtebau der Stadt Berlin
überlassen. Die hatte nichts
Besseres zu tun, als östlich
der Luisenstraße die Wettbewerbsergebnisse zu annullieren. Der Bund ist nicht einmal seiner Verantwortung
gerecht geworden, einen
Masterplan zu initiieren.
Und das Kanzleramt selbst
ist notorisch unterfinanziert.
SPIEGEL: Sie haben doch ohnehin schon mehr ausgegeben als bewilligt.
Schultes: Nein. Wir haben
dieses Haus unmittelbar nach
dem Wettbewerb mit 550
Millionen Mark berechnet. Dann haben wir
es heruntergeplant, zuerst auf 515 Millionen Mark, dann auf 440 Millionen. Da
waren wir absolut am Anschlag. Kohl und
der Haushaltsausschuss haben aber nur 399
Millionen bewilligt. Sie können sich vorstellen, was da alles auf der Strecke geblieben ist.
SPIEGEL: Jetzt wird von 465 Millionen Mark
geredet. Bleibt es dabei?
Schultes: Da sind bereits Rückstellungen
für Prozessrisiken enthalten. Offenbar soll
das alles abgewickelt werden können, ohne
die 465 Millionen Mark zu überschreiten.
SPIEGEL: Kann das Haus in dieser Sparversion noch den Anspruch einlösen, republikanischen Enthusiasmus zu verbreiten?
Schultes: Wir sind keine Materialfetischisten. Aber natürlich bin ich frustriert,
wenn wir eine schöne Abendsonne im
großen Foyer haben und Sie dann merken,
wie miserabel die Decke verputzt ist. Die
Visitenkarte der Republik ist dieses Gebäude in der Ausführung nicht, nicht überall. Es entspricht nicht dem Niveau eines
Gebäudes, das an einen Wendepunkt
deutscher Geschichte erinnern soll – an
den Mauerfall und die Folgen. Diese Defizite schmälern etwas, das sich das Amt
ganz notwendig erwerben muss: populäre
Sympathie.
SPIEGEL: Populär ist es schon jetzt, über das
Kanzleramt Witze zu reißen.
Schultes: Ich glaube, dass dieses Haus
einen besonderen Charakter hat und dass
Terrasse im oberen Teil der Fassade
Kanzleramt kurz vor dem
Bezug: Repräsentieren,
leise Gespräche führen
Arbeitsraum für Mitarbeiter der Minister
SPIEGEL: Dieser Bau steht da, wo Albert
Speer ein Gebäude für den Führer haben
wollte. Das ist nicht irgendein Platz. Sie
inszenieren dort, mit kühner Geste, ein politisches Amt.
Schultes: Das erinnert mich an den Ausspruch von Ludwig Wittgenstein: Wo nichts
zu verherrlichen sei, könne es keine Architektur geben. Aber genau das kann ich
für diesen Ort nicht unterschreiben. Uns
ging es darum, diesen Ort aus einer dumpfen deutschen Nüchternheit herauszuholen, aus einer Charakterlosigkeit in Form
und Raum.
SPIEGEL: Mit einem „Koloss“, wie das
Kanzleramt auch schon genannt wurde?
Schultes: Die Dimension des Amtes steht in
wohl abgewogenem Verhältnis zum Reichstag. Wenn das Bürgerforum gebaut wird,
wird man sehen, dass dieses Amt die vermeintlich übertriebene Dimension gar
nicht hat. Im Gegenteil, man wird froh sein,
dass es sich überhaupt markiert.
SPIEGEL: Architektur kann keine Macht ausdrücken, aber dem Volk „Staat“ zeigen,
haben Sie einmal formuliert. Warum ist
das eine möglich, das andere aber nicht?
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BONN-SEQUENZ
W. MAHLER / OSTKREUZ
Schultes: Wir sind mit
diesem Ausspruch merkwürdig zitiert worden. Er
bezieht sich auf unsere
Erläuterung zum Spreebogenkonzept. In der Ausschreibung war gefordert
worden, es solle urbane
Dichte und ein Café an der
Ecke vom Kanzleramt geben. Dem deutschen Volk
Staat zu zeigen schien
demnach nur möglich in
der Ummantelung durch
das Urbane. Das sollte ein
zweiter Potsdamer Platz
werden. Dagegen haben
wir uns gewehrt. Wir waren der Meinung,
dass man mit diesen sperrigen Nutzungen nicht Stadt in der Stadt simulieren sollte. Wir wollten die Institutionen als bauliche Monumente zeigen. Das war mit
„Staat zeigen“ gemeint. Es ging um die
Ausstrahlung, darum, die Republik manifest zu machen.
SPIEGEL: Sie wollen den Staat generös erscheinen lassen. Hat er sich, als Bauherr,
Ihnen gegenüber generös gezeigt?
Schultes: Nicht immer. Die selbstverständlichsten Dinge wurden nicht angefasst.
SPIEGEL: Zum Beispiel?
Ehemaliges Kanzleramt in Bonn: Verwaltungskisten ohne Ausstrahlung
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FOTOS: W. MAHLER / OSTKREUZ
Berlin Ihre eigene Museumsarchitektur
wieder auferstanden?
Schultes: Ich fände es eher komisch, wenn
wir den Fundus oder die Formensprache,
die wir im Kopf haben, nicht anwenden
würden.
SPIEGEL: Sie betonen den besonderen Ausdruck Ihrer Architektur. Warum unterscheidet sich das Kanzleramt so wenig vom
Bonner Kunstmuseum und von Ihrem Krematorium in Berlin?
Schultes: Wenig? Der Unterschied ist doch
fundamental! Im Krematorium eine Architektur des einen Raums, konzentriert,
versammelt, beruhigend, entlastend; das
Kanzleramt ein Haus der vielen, der fast
viel zu vielen Räume, im Zentrum, im Foyer, in der Skylobby fließend, nach draußen
drängend, wie um das Land hereinzuholen,
Gäste, Gesprächspartner zu animieren.
Galerie des Kanzleramts: Säulensucht als Protest gegen die magere Moderne
SPIEGEL: Sie haben sich viele Gedanken um Empfänge gemacht.
es nicht dabei bleiben wird, Spitznamen
Was ist mit dem Alltag? Die Bürowie „Waschmaschine des Kanzlers“ an ihm
chefin des Kanzlers sitzt nicht in
auszuprobieren. Am Ende wird es „das
derselben Etage wie Schröder.
Kanzleramt“ heißen.
SPIEGEL: Spitznamen enthalten oft Kritik.
Schultes: Es gibt drei Chefetagen
Wie erklären Sie sich diese Kritik?
in diesem Haus. In einer sitzt
die Bürochefin. Es gibt eine MenSchultes: Ich glaube, da spielt die Überge Büros, die möglichst auf eiraschung angesichts einer ungewohnten
ner Ebene unterzubringen sind.
Formulierung von Architektur auch eine
Hätte man das zur Bedingung
Rolle. Manche sagen, es ist ein Quantengemacht, wäre ein ganz anderes
sprung. Manche sagen, man fremdelt.
Haus entstanden.
SPIEGEL: Dabei wollten Sie doch gerade
Barrieren abbauen.
Schultes (M.) beim SPIEGEL-Gespräch*: Kühne Geste SPIEGEL: Stattdessen haben Sie
Plätze geschaffen, an denen sich
Schultes: Wenn der Politiker Adolf Arndt
von Architektur nicht nur eine Strahlkraft über dieses Haus nie in einer persön- der Kanzler gut vor den Fernsehkameras
über die Zeiten gefordert hat, was viel- licheren Weise miteinander gesprochen präsentieren kann.
leicht die schönste seiner Forderungen ist, worden ist, nicht in diesen letzten zwei- Schultes: Es gibt diese Medienwirksamkeit
des Hauses in jeder Hinsicht, nach drinnen
sondern auch, dass sie kollektive Bewusst- einhalb Jahren.
seinsinhalte auszudrücken vermag, halte SPIEGEL: Haben Sie das Gespräch gesucht? wie auch nach draußen. Zur Stadt natürlich
ich das für eine Überforderung der Archi- Schultes: Wir haben das erwartet, selbst- auch als Signet, etwa beim „Bericht aus
tektur. Aber da ist etwas, worauf man sich verständlich. Schröder hatte kein Interes- Berlin“, da flimmert demnächst nicht imfreuen darf: dass über die Jahre, in denen se, sich die Planungen von uns erläutern zu mer nur die Kuppel des Reichstags im Hintergrund politischer Sendungen.
sich dieses Haus mit Geschichte und Poli- lassen.
tik vollsaugen wird, das Ganze immer SPIEGEL: Hat er sich nicht durch das Haus SPIEGEL: Haben Sie sich mit diesem Bau
ein Denkmal gesetzt?
selbstverständlicher wirkt. Wenn die Ar- führen lassen?
Schultes: So denken Architekten nicht, also
chitektur eigenständig genug, der Zauber Schultes: Doch, durch den Rohbau.
die Architekten, die ich für Architekten
der Räume kraftvoll genug ist, wird sie so- SPIEGEL: Was stört den Kanzler konkret?
gar dieses kollektive Bewusstsein in sich Schultes: Die Räume der Chefetagen sind halte. Wir wollten mit diesem Bau auch
hineinnehmen. Wir wollten eine Anregung aufs intensive Gespräch angelegt, nicht die Erinnerung an das Ereignis festhalten,
aufs Repräsentieren; das Großzügig-Hori- das uns Deutschen so schnell verblasst ist:
für die Staatsathleten.
SPIEGEL: Der schreckliche Witz für Sie ist zontale, der Ausblick auf die Stadt macht den Mauerfall. Wenn also Denkmal, dann
doch, dass derjenige, der als Erster einzie- den Wert dieser Orte aus. Da gibt es eine das für den November 1989.
ins Licht, in die Fenster hochschwingen- SPIEGEL: Was kommt als Nächstes? Würhen soll, sich nicht angeregt fühlt.
Schultes: Schrecklich? Witz? Das kommu- de Decke zur Steigerung der Raum- und den Sie gern wieder ein Museum bauen?
nikative Genie, das der Bundeskanzler ja Lichtwirkung, auch einer aufs feine Ohr Schultes: Die Schlossdebatte berührt uns
ist, wird sehr bald merken, wie nützlich eingestellten Akustik zuliebe. Die wird unmittelbar, da ist eine neue räumliche
ihm – und, viel wichtiger, dem Amt – das kritisiert.
Ordnung der Insel greifbar. Und ein MuHaus sein kann, als Instrument der Politik. SPIEGEL: Vielleicht ist das der erzieherische seum bauen? Ja, schon, lieber noch einen
Die Räume sind präzise abgestuft, auf die Effekt Ihrer Architektur. Das Foyer mit der Konzertsaal. Oder eine Moschee. Eine Mounterschiedlichsten Aktionen, vom Big Haupttreppe wirkt so großzügig, dass dem schee, wie sie einst in Córdoba gebaut wurEvent bis zum leisen Gespräch. Diese Kon- Kanzler sein Arbeitszimmer klein vor- de, entfaltet eine ungeheure Raummagie.
traste machen das Amt ja erst lebendig. kommen muss. Ihre Treppe in der Skylob- SPIEGEL: Und ist berühmt für ihren SäuAber Schröder hat große Distanz gehal- by ist wie ein griechisches Theater an- lenhain. Sind Sie doch säulensüchtig?
ten, dem Kohlschen Erbe gegenüber, hat es gelegt, sie erinnert mit ihren Kreisformen Schultes: Die Säule ist nur eine Sondersich nicht einverleibt.
an Ihr Bonner Kunstmuseum. Ist Ihnen in form von Wand. Eigentlich sind wir
wandsüchtig.
SPIEGEL: Sie sind enttäuscht?
Schultes: Das hören Sie richtig heraus. * Mit Redakteuren Mathias Schreiber, Ulrike Knöfel, Jür- SPIEGEL: Herr Schultes, wir danken Ihnen
Da gibt es schon die Enttäuschung, dass gen Leinemann; vorn: Mitarbeiterin des Architekten.
für dieses Gespräch.
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