Kultur ARCHITEKTUR „Die Republik muss sich wichtig nehmen“ Der Berliner Baumeister Axel Schultes über sein neues Kanzleramt, die Symbolisierung von Macht in der Demokratie und das schwierige Verhältnis Gerhard Schröders zu seinem Haus SPIEGEL: Herr Schultes, Architekten bauen oft kühn für andere, selbst wohnen sie meistens in sanierten Wassermühlen oder in Gründerzeithäusern. Würden Sie gern in Ihr neues Kanzleramt einziehen? Schultes: Ja, sofort, die Privaträume im 8. Obergeschoss bieten einen wundervollen Blick über Berlin. Noch schöner wäre allerdings Mieterschutz, den es nach Lage der Dinge da leider nicht geben kann. SPIEGEL: Der Kanzler soll dort auch wohnen, nicht bloß den Ausblick genießen. Schultes: Sollte er ursprünglich nicht. Das Gesamtkonzept sah als Residenz die Villa im Park vor, auf dem Moabiter Werder. Der Raum im Amt ist eigentlich die Erweiterung des Arbeitszimmers ins Private, für das Kamingespräch, für ein Diner. Das Wohnen da oben nimmt das Kanzlerpaar jetzt tapfer wahr, richtet sich ein, solange an die Residenz nicht zu denken ist. SPIEGEL: Würden Sie selbst, wenn Sie zu regieren hätten, dieses Amt gern in diesem auffälligen Gebäude ausüben? Schultes: Was denken Sie! Glauben Sie, wir hängen sieben Jahre Planung an etwas, das eine Zumutung für den Hausherrn wäre? Eine Anregung für die politische Einbildungskraft haben wir gebaut, Anregung für die Regierenden, für die Regierten, natürlich auch für die. SPIEGEL: Sie haben das Problem, dass der, der jetzt ins Kanzleramt einzieht, ein anderer ist als der, der es in Auftrag gab. Schultes: Diese Personalisierungen bringen nichts. „Bauen in der Demokratie“ bindet viele ein, die Hauptverantwortung aber trägt der Architekt, solange er nicht zum Erfüllungsgehilfen degradiert wird. Wir haben unser Konzept durchsetzen können, mit Hilfe couragierter Berater. SPIEGEL: Aber Sie haben doch akzeptiert, dass Kohl Ihnen das so genannte Bürgerforum gestrichen hat – ein Informationsund Ausstellungsgebäude direkt gegenüber dem Eingangsbereich des Kanzleramts. Jetzt ist es dort öd und leer, und das Kanzleramt wirkt einsam und mächtig. Schultes: Wir haben nie verzichtet. Wir hoffen nach wie vor auf das Forum, auf seinen eigenständigen Raum, auf seine Baukanten. Diese Einbindung des Kanzleramts ist von zentraler Bedeutung für die stimmige Bildsprache der ganzen Anlage. Solitär soll allein der Reichstag sein. Kohl hat nie etwas gefordert, was wir nicht hätten aus freien Stücken entwerfen können. SPIEGEL: Haben Sie die vielen Änderungen im Detail etwa freiwillig vorgenommen? Schultes: Sie meinen das sprichwörtliche „Fegefeuer der Alternativen“? Wir selbst Eingangsfassade des Kanzleramts* „Raumzauber für Staatsathleten“ standen uns mit unseren ersten Formulierungen des Gebäudes im Weg, die große, „interessante“ Diagonale, die Hinwendung zum Reichstag, sperrte sich dem linearen Fluss der Räume, dem, was wir das „Band des Bundes“ nennen. Auch das Raumprogramm gab keine übergreifende Ordnung, keinen zentralen Ort vor, von dem aus – wie etwa vom Plenum im Reichstag – eine Raumidee hätte abgeleitet werden können. * Mit der Skulptur „Einheit“ von Eduardo Chillida. Axel Schultes ist der Architekt des Bundeskanzleramts, das am 2. Mai eingeweiht werden soll. Das 25 000 Quadratmeter umfassende Gebäude an der Spree, das Schultes, 57, gemeinsam mit seiner Kollegin Charlotte Frank, 41, entwarf, ist wegen seiner monumentalen Dimensionen umstritten. In der H-förmigen Anlage sind 370 Büros untergebracht; im so genannten Leitungsbau befinden sich auf acht Etagen neben Bankett- und Konferenzsälen auch die Büros von Kanzler Gerhard Schröder, von Doris Schröder-Köpf sowie von Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier. Ebenfalls in diesem Gebäudeteil soll Schröder eine Wohnung beziehen. Von Schultes stammt auch das Konzept der übrigen Spreebogen-Bebauung, das er „Band des Bundes“ nennt. Nicht alle dafür vorgesehenen Projekte wurden verwirklicht: Noch Schröders Vorgänger Helmut Kohl sagte etwa den Bau eines Bürgerforums ab. Schultes realisierte in seiner Karriere erst wenige Entwürfe, darunter das Bonner Kunstmuseum und ein Krematorium in Berlin. W. MAHLER / OSTKREUZ 200 d e r s p i e g e l 17 / 2 0 0 1 C. FRANK e traß ns lide arbeitest. Wir wollten ein Gefühl von Offenheit erzeugen. SPIEGEL: Fenster, Balkone, großzügige Durchgänge gibt es ja auch reichlich. Wie unterscheidet sich diese Offenheit von jener Transparenz, die Günter Behnisch mit seinen Glasfassaden im Bonner Bundestag angestrebt hat – als Symbole für die Demokratie? Schultes: Wir wollten den Kanzler nicht den Neugierigen ausliefern, es gibt Filter und Abschirmungen, aber es gibt auch eine gewisse Porosität. Wir sprechen von „Eindringtiefe“. Wir wollten keine platte Glaskistentransparenz, natürlich auch keine hochmütig abweisenden Fensterreihen. Diese raumintensive, vielfach vertiefte Fassade ist die diesem Haus gerade noch mögliche Form von „Öffentlichkeit“. SPIEGEL: Das Haus ist doch gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Schultes: Da staune ich aber! Ein gastfreundliches Haus wie dieses hier, hoffentlich, macht sich „öffentlich“, offen für einen ständigen Fluss von Gästen, geladenen, versteht sich. SPIEGEL: Was haben Staatsgäste mit der Öffentlichkeit zu tun? Der Begriff Öffentlichkeit ist hier doch eine Täuschung. Lehrter Bahnhof Inva BERLIN Spree geplantes Bürgerforum Paul-LöbeHaus Kanzlerpark e re Haus der p S Kulturen der Welt Bundeskanzleramt Reichstagsgebäude T i e r g a r t e n 0 200 Juni Straße des 17. Meter Brandenburger Tor Kartengrundlage: Adler & Schmidt LAUBNER SPIEGEL: Ein Kanzleramt ist die Machtzentrale dieser Republik, insofern hat das Haus doch eine klare Funktion. Schultes: Aber sie ist als solche architektonisch nicht formulierbar, höchstens mit den abgestandenen Seriositäts- und Würdeformeln eines klassischen Architekturidioms. Die anzuwenden, ausgerechnet in Berlin, ausgerechnet im Spreebogen, kam uns keine Sekunde in den Sinn. Die eigentlichen politischen Geschehnisse aber sind architektonisch nicht auszudrücken. Ich kann aus einem politisch hoch wichtigen Telefonat keine räumliche Umsetzung machen. Es wäre auch ein Unding gewesen, wenn wir das Arbeitszimmer des Kanzlers oder einen Kabinettsaal ins Zentrum des Regierungssitzes gerückt hätten, das wäre eine maßlose Überhöhung gewesen. SPIEGEL: Die gibt es doch so auch. Das Kanzleramt ist immerhin 36 Meter hoch. Wer das Sagen hat, sitzt eben ein wenig höher. Das galt schon für Karl den Großen auf seinem Thron. Und bei Ihnen sitzt der Kanzler hoch über der Stadt im obersten Geschoss. Schultes: Sie hausen doch auch nicht im Souterrain! Wir wollten in diese Räume, in denen Politik geschieht, die Energie der Stadt hineinleiten, und wir wollten umgekehrt auch sagen: Wenn du von da mit der Stadt konfrontiert bist – zum Beispiel durch großzügige Glaspassagen –, dann ist dies das beste Signal dafür, wo und für wen du Kanzleramt mit Bürotrakten: „Fließendes Band des Bundes“ d e r s p i e g e l 17 / 2 0 0 1 201 Kultur W. MAHLER / OSTKREUZ SPIEGEL: Ihr prachtvolles Gebäude über- Zentrale Treppe im Kanzleramt A. SEILAND / STERN Erlebnis der Opulenz Kanzler Schröder auf der Baustelle (2000) Kritik an der Bürodecke Schultes: Nur Staatsgäste? Das wäre ja ein trauriges Amt! Aber ich kann natürlich aus einem Regierungssitz keine Konzerthalle machen, auch kein Museum. Ich kann nicht einmal ein Bundestagsplenum daraus machen. Ich muss mich mit der Exklusivität des Ortes abfinden. Und wie sonst kann dieses Amt in die Öffentlichkeit wirken, wenn nicht durch den Kontakt zu anderen Menschen, anderen Gruppen, Journalisten, vom SPIEGEL zum Beispiel, die da ein- und ausgehen? Also entwickelten wir, wie Schmuggelware, jenseits eines bloßen Verwaltungsraumprogramms solche Räume, die zur Politikdarstellung genutzt werden. SPIEGEL: Politikdarstellung? Schultes: Ja doch, es gibt in diesem Haus internationale Konferenzen. Dazu kommt, was über Kanzlerfeste drei-, viermal im Jahr an Öffentlichkeit ins Haus geholt wird. Es gibt Tage der offenen Tür. Es gibt, im feinen Maßstab und in kleineren Räumen 202 wie der Skylobby, die Empfänge, die Defilees, die Staatsbankette. SPIEGEL: Das ist wie bei Hofe: Defilees, Staatsbankette. Schultes: Das ist auch wie im Weißen Haus, ja. Nur dass eine republikanische „Hofhaltung“ anders funktioniert, auf Zeit. Alle Kanzler der Republik, Hof hin, Hof her, haben das gewusst, haben das durchlitten. SPIEGEL: Das Raumprogramm erinnert eher an ein Barockschloss mit seinen opulenten Treppen-Inszenierungen, mit großzügigen Durchgängen, Aufgängen, Durchblicken, Audienzsälen … Schultes: … wenn wir die Räume, die dazu wenigstens noch taugen, nicht zu einem Erlebnis, zum Instrument hätten steigern dürfen, hätten wir hier gar nicht erst als Architekten tätig werden sollen. Dann hätte man eine Verwaltungskiste wie in Bonn bauen können, die „funktioniert“ ja auch. SPIEGEL: Sie wollten dagegen eine Bühne für das Regieren schaffen? Schultes: Wir wollten endlich heraus aus dieser zynischen Vernunft, die sagt: Der Kanzler ist ja auch nur unser erster Angestellter. Die Republik muss sich in so zentralen Bauten wichtig nehmen, sollte großzügig mit sich sein. SPIEGEL: Ist Ihre Großzügigkeit nicht etwas zu vergesslich gegenüber der deutschen Vergangenheit gerade auch an diesem Ort? Schultes: Im Spreebogen kann man gar nicht vergesslich sein. An der Stelle, an der jetzt das Kanzleramt steht, war nicht nur ein Kern der Speer-Planung, da war auch schon der preußische Generalstab. Da hatte sich unter Umständen ein preußischer König 1849 hingestellt und gesagt: Dieses Volk finde ich zum Kotzen – dieses Gelände ist geradezu imprägniert mit Gift, historischem Gift. d e r s p i e g e l 17 / 2 0 0 1 spielt die Last des Gewesenen mit grandioser Eleganz. Schultes: Sollten wir ein Kanzleramt als schlechtes Gewissen bauen, als bedrohliches Mahnmal? Das Kanzleramt blickt geradewegs auf den großen Russen an der Straße des 17. Juni. Ist das etwa keine Erinnerung? SPIEGEL: Es gibt in diesem Haus geradezu eine Säulensucht, überall diese mächtigen Stelen. Nach 1945 hat der Dichter Günter Eich „Lachreiz vor Säulen“ verspürt. Können Sie das nachempfinden? Schultes: Durchaus. Aber wir nennen unsere Stelen dicke Kinder, man kann sie auch weiche Wände nennen. Das Räumliche muss sich nun einmal durch das Schwere bilden. Nur dann bekomme ich einen Kontrast zwischen dem Schweren und dem Schwebenden, der in die Seelen der Menschen geht. Die Architektur der klassischen Moderne hatte oft genug, zu oft, auf das wichtigste Medium des Bauens verzichtet: auf suggestive Räumlichkeit. Wir wollten an diese magere Tradition der Moderne nicht anknüpfen. SPIEGEL: Ihre Säulen münden nicht klassisch in einem Kapitell, sondern in einem Lichtkranz. Heißt das, der Kanzler ist die Lichtgestalt der Demokratie? Schultes: Der Kanzler im Strahlenkranz … Diese Überinterpretation muss ich Ihnen überlassen. Wir denken nicht als Politikinterpreten, sondern als Architekten. Schaut doch mal hin! Dieses Haus hat nicht die Anonymität einer verglasten Kiste mit endlosen Korridoren wie in Bonn. Es ist ein weiches Gebilde, ein Fest der bewegten Räumlichkeit, ein Angebot an Befreiung. SPIEGEL: Ihr Kollege Günter Behnisch nennt es Konquistadorenarchitektur. Schultes: Er spricht auch von Berliner Angeberei. Herrschaft können Sie mit einer Symbolik an der Oberfläche demonstrieren. Die haben wir nicht. Im Zentrum unserer Architektur lebt der Raum. Das ist alles. SPIEGEL: Aber Raum kann auch ohne Machtsymbole einschüchtern. Schultes: Ja, Raum kann vieles. Er kann auch heiter stimmen. Sie waren doch gerade mit uns im Neubau: Sie waren in keiner Weise eingeschüchtert. Diese Räume machen eher Lust und Mut, die Arbeit dieses Hauses mitzutragen … SPIEGEL: … Mut zur Dominanz oder zum demokratischen Sichauseinandersetzen? Schultes: Sehen Sie das Haus doch als ein Statement, eine Wette gegen die deutsche Krankheit, die Angst. Daniel Barenboim ... SPIEGEL: … der israelische Stardirigent … Schultes: … hat doch Recht: Die Deutschen haben Angst – vor sich selbst und vor den anderen. Angst vor dem Risiko, vor dem Neuen, vor jeder Herausforderung. SPIEGEL: Geht es auch um die Befreiung von übergroßen Schuldgefühlen? Schultes: Da grübeln wir über Fragen, die uns die anderen gar nicht erst stellen. Die Frage ist doch selbst schon die Angst. AP Schultes: Der Bund hat sich unmittelbar nach der Entscheidung aus der Planung zurückgezogen und den Städtebau der Stadt Berlin überlassen. Die hatte nichts Besseres zu tun, als östlich der Luisenstraße die Wettbewerbsergebnisse zu annullieren. Der Bund ist nicht einmal seiner Verantwortung gerecht geworden, einen Masterplan zu initiieren. Und das Kanzleramt selbst ist notorisch unterfinanziert. SPIEGEL: Sie haben doch ohnehin schon mehr ausgegeben als bewilligt. Schultes: Nein. Wir haben dieses Haus unmittelbar nach dem Wettbewerb mit 550 Millionen Mark berechnet. Dann haben wir es heruntergeplant, zuerst auf 515 Millionen Mark, dann auf 440 Millionen. Da waren wir absolut am Anschlag. Kohl und der Haushaltsausschuss haben aber nur 399 Millionen bewilligt. Sie können sich vorstellen, was da alles auf der Strecke geblieben ist. SPIEGEL: Jetzt wird von 465 Millionen Mark geredet. Bleibt es dabei? Schultes: Da sind bereits Rückstellungen für Prozessrisiken enthalten. Offenbar soll das alles abgewickelt werden können, ohne die 465 Millionen Mark zu überschreiten. SPIEGEL: Kann das Haus in dieser Sparversion noch den Anspruch einlösen, republikanischen Enthusiasmus zu verbreiten? Schultes: Wir sind keine Materialfetischisten. Aber natürlich bin ich frustriert, wenn wir eine schöne Abendsonne im großen Foyer haben und Sie dann merken, wie miserabel die Decke verputzt ist. Die Visitenkarte der Republik ist dieses Gebäude in der Ausführung nicht, nicht überall. Es entspricht nicht dem Niveau eines Gebäudes, das an einen Wendepunkt deutscher Geschichte erinnern soll – an den Mauerfall und die Folgen. Diese Defizite schmälern etwas, das sich das Amt ganz notwendig erwerben muss: populäre Sympathie. SPIEGEL: Populär ist es schon jetzt, über das Kanzleramt Witze zu reißen. Schultes: Ich glaube, dass dieses Haus einen besonderen Charakter hat und dass Terrasse im oberen Teil der Fassade Kanzleramt kurz vor dem Bezug: Repräsentieren, leise Gespräche führen Arbeitsraum für Mitarbeiter der Minister SPIEGEL: Dieser Bau steht da, wo Albert Speer ein Gebäude für den Führer haben wollte. Das ist nicht irgendein Platz. Sie inszenieren dort, mit kühner Geste, ein politisches Amt. Schultes: Das erinnert mich an den Ausspruch von Ludwig Wittgenstein: Wo nichts zu verherrlichen sei, könne es keine Architektur geben. Aber genau das kann ich für diesen Ort nicht unterschreiben. Uns ging es darum, diesen Ort aus einer dumpfen deutschen Nüchternheit herauszuholen, aus einer Charakterlosigkeit in Form und Raum. SPIEGEL: Mit einem „Koloss“, wie das Kanzleramt auch schon genannt wurde? Schultes: Die Dimension des Amtes steht in wohl abgewogenem Verhältnis zum Reichstag. Wenn das Bürgerforum gebaut wird, wird man sehen, dass dieses Amt die vermeintlich übertriebene Dimension gar nicht hat. Im Gegenteil, man wird froh sein, dass es sich überhaupt markiert. SPIEGEL: Architektur kann keine Macht ausdrücken, aber dem Volk „Staat“ zeigen, haben Sie einmal formuliert. Warum ist das eine möglich, das andere aber nicht? 204 BONN-SEQUENZ W. MAHLER / OSTKREUZ Schultes: Wir sind mit diesem Ausspruch merkwürdig zitiert worden. Er bezieht sich auf unsere Erläuterung zum Spreebogenkonzept. In der Ausschreibung war gefordert worden, es solle urbane Dichte und ein Café an der Ecke vom Kanzleramt geben. Dem deutschen Volk Staat zu zeigen schien demnach nur möglich in der Ummantelung durch das Urbane. Das sollte ein zweiter Potsdamer Platz werden. Dagegen haben wir uns gewehrt. Wir waren der Meinung, dass man mit diesen sperrigen Nutzungen nicht Stadt in der Stadt simulieren sollte. Wir wollten die Institutionen als bauliche Monumente zeigen. Das war mit „Staat zeigen“ gemeint. Es ging um die Ausstrahlung, darum, die Republik manifest zu machen. SPIEGEL: Sie wollen den Staat generös erscheinen lassen. Hat er sich, als Bauherr, Ihnen gegenüber generös gezeigt? Schultes: Nicht immer. Die selbstverständlichsten Dinge wurden nicht angefasst. SPIEGEL: Zum Beispiel? Ehemaliges Kanzleramt in Bonn: Verwaltungskisten ohne Ausstrahlung d e r s p i e g e l 17 / 2 0 0 1 FOTOS: W. MAHLER / OSTKREUZ Berlin Ihre eigene Museumsarchitektur wieder auferstanden? Schultes: Ich fände es eher komisch, wenn wir den Fundus oder die Formensprache, die wir im Kopf haben, nicht anwenden würden. SPIEGEL: Sie betonen den besonderen Ausdruck Ihrer Architektur. Warum unterscheidet sich das Kanzleramt so wenig vom Bonner Kunstmuseum und von Ihrem Krematorium in Berlin? Schultes: Wenig? Der Unterschied ist doch fundamental! Im Krematorium eine Architektur des einen Raums, konzentriert, versammelt, beruhigend, entlastend; das Kanzleramt ein Haus der vielen, der fast viel zu vielen Räume, im Zentrum, im Foyer, in der Skylobby fließend, nach draußen drängend, wie um das Land hereinzuholen, Gäste, Gesprächspartner zu animieren. Galerie des Kanzleramts: Säulensucht als Protest gegen die magere Moderne SPIEGEL: Sie haben sich viele Gedanken um Empfänge gemacht. es nicht dabei bleiben wird, Spitznamen Was ist mit dem Alltag? Die Bürowie „Waschmaschine des Kanzlers“ an ihm chefin des Kanzlers sitzt nicht in auszuprobieren. Am Ende wird es „das derselben Etage wie Schröder. Kanzleramt“ heißen. SPIEGEL: Spitznamen enthalten oft Kritik. Schultes: Es gibt drei Chefetagen Wie erklären Sie sich diese Kritik? in diesem Haus. In einer sitzt die Bürochefin. Es gibt eine MenSchultes: Ich glaube, da spielt die Überge Büros, die möglichst auf eiraschung angesichts einer ungewohnten ner Ebene unterzubringen sind. Formulierung von Architektur auch eine Hätte man das zur Bedingung Rolle. Manche sagen, es ist ein Quantengemacht, wäre ein ganz anderes sprung. Manche sagen, man fremdelt. Haus entstanden. SPIEGEL: Dabei wollten Sie doch gerade Barrieren abbauen. Schultes (M.) beim SPIEGEL-Gespräch*: Kühne Geste SPIEGEL: Stattdessen haben Sie Plätze geschaffen, an denen sich Schultes: Wenn der Politiker Adolf Arndt von Architektur nicht nur eine Strahlkraft über dieses Haus nie in einer persön- der Kanzler gut vor den Fernsehkameras über die Zeiten gefordert hat, was viel- licheren Weise miteinander gesprochen präsentieren kann. leicht die schönste seiner Forderungen ist, worden ist, nicht in diesen letzten zwei- Schultes: Es gibt diese Medienwirksamkeit des Hauses in jeder Hinsicht, nach drinnen sondern auch, dass sie kollektive Bewusst- einhalb Jahren. seinsinhalte auszudrücken vermag, halte SPIEGEL: Haben Sie das Gespräch gesucht? wie auch nach draußen. Zur Stadt natürlich ich das für eine Überforderung der Archi- Schultes: Wir haben das erwartet, selbst- auch als Signet, etwa beim „Bericht aus tektur. Aber da ist etwas, worauf man sich verständlich. Schröder hatte kein Interes- Berlin“, da flimmert demnächst nicht imfreuen darf: dass über die Jahre, in denen se, sich die Planungen von uns erläutern zu mer nur die Kuppel des Reichstags im Hintergrund politischer Sendungen. sich dieses Haus mit Geschichte und Poli- lassen. tik vollsaugen wird, das Ganze immer SPIEGEL: Hat er sich nicht durch das Haus SPIEGEL: Haben Sie sich mit diesem Bau ein Denkmal gesetzt? selbstverständlicher wirkt. Wenn die Ar- führen lassen? Schultes: So denken Architekten nicht, also chitektur eigenständig genug, der Zauber Schultes: Doch, durch den Rohbau. die Architekten, die ich für Architekten der Räume kraftvoll genug ist, wird sie so- SPIEGEL: Was stört den Kanzler konkret? gar dieses kollektive Bewusstsein in sich Schultes: Die Räume der Chefetagen sind halte. Wir wollten mit diesem Bau auch hineinnehmen. Wir wollten eine Anregung aufs intensive Gespräch angelegt, nicht die Erinnerung an das Ereignis festhalten, aufs Repräsentieren; das Großzügig-Hori- das uns Deutschen so schnell verblasst ist: für die Staatsathleten. SPIEGEL: Der schreckliche Witz für Sie ist zontale, der Ausblick auf die Stadt macht den Mauerfall. Wenn also Denkmal, dann doch, dass derjenige, der als Erster einzie- den Wert dieser Orte aus. Da gibt es eine das für den November 1989. ins Licht, in die Fenster hochschwingen- SPIEGEL: Was kommt als Nächstes? Würhen soll, sich nicht angeregt fühlt. Schultes: Schrecklich? Witz? Das kommu- de Decke zur Steigerung der Raum- und den Sie gern wieder ein Museum bauen? nikative Genie, das der Bundeskanzler ja Lichtwirkung, auch einer aufs feine Ohr Schultes: Die Schlossdebatte berührt uns ist, wird sehr bald merken, wie nützlich eingestellten Akustik zuliebe. Die wird unmittelbar, da ist eine neue räumliche ihm – und, viel wichtiger, dem Amt – das kritisiert. Ordnung der Insel greifbar. Und ein MuHaus sein kann, als Instrument der Politik. SPIEGEL: Vielleicht ist das der erzieherische seum bauen? Ja, schon, lieber noch einen Die Räume sind präzise abgestuft, auf die Effekt Ihrer Architektur. Das Foyer mit der Konzertsaal. Oder eine Moschee. Eine Mounterschiedlichsten Aktionen, vom Big Haupttreppe wirkt so großzügig, dass dem schee, wie sie einst in Córdoba gebaut wurEvent bis zum leisen Gespräch. Diese Kon- Kanzler sein Arbeitszimmer klein vor- de, entfaltet eine ungeheure Raummagie. traste machen das Amt ja erst lebendig. kommen muss. Ihre Treppe in der Skylob- SPIEGEL: Und ist berühmt für ihren SäuAber Schröder hat große Distanz gehal- by ist wie ein griechisches Theater an- lenhain. Sind Sie doch säulensüchtig? ten, dem Kohlschen Erbe gegenüber, hat es gelegt, sie erinnert mit ihren Kreisformen Schultes: Die Säule ist nur eine Sondersich nicht einverleibt. an Ihr Bonner Kunstmuseum. Ist Ihnen in form von Wand. Eigentlich sind wir wandsüchtig. SPIEGEL: Sie sind enttäuscht? Schultes: Das hören Sie richtig heraus. * Mit Redakteuren Mathias Schreiber, Ulrike Knöfel, Jür- SPIEGEL: Herr Schultes, wir danken Ihnen Da gibt es schon die Enttäuschung, dass gen Leinemann; vorn: Mitarbeiterin des Architekten. für dieses Gespräch. 206 d e r s p i e g e l 17 / 2 0 0 1