GERONTO SPEZIAL Frontotemporale Demenz G. Nelles, Köln Fallbeispiel Herr XYZ, 65 Jahre Unter Arbeitsbelastung zunehmende Gedächtnisstörungen. Herr XYZ berichtet, dass er in letzter Zeit häufig nach Wörtern suche, Namen nicht erinnere. Seine Frau wolle nun, dass er sich wegen Demenz untersuchen lassen solle. Selbständige Tätigkeit, Verantwortung für 5 Mitarbeiter. Seit ca. 6 Wochen sei das Gedächtnis schlechter geworden. Fremdanamnese (durch Ehefrau) prämorbid hohes kognitives Leistungsniveau und kontaktfreudig („rhetorisch versiert“) vor ca. 6 Wochen erstmals starke Schwankungen der Artikulationsfähigkeit und Wortfindung „Er weiß dann nicht, was er sagen wollte“. Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses Keine Überforderung bei Erledigung anderer Arbeiten, einschließlich Führen des Geschäftes, insbesondere Zahlenverarbeitung nicht beeinträchtigt Verlasse die Wohnung nur noch in Begleitung (fühle sich dann sicherer) Neurologischer und psychischer Befund Wach, zu allen Qualitäten orientiert leichte Konzentrationsstörung leichte Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen Störungen von Wortfluss und Wortfindung, sonst kein fokal-neurologisches Defizit Gedankengang verlangsamt, umständlich, zum Teil perseverierend, kein Wahn, keine Sinnestäuschungen, keine Ich- Störungen, Stimmung leicht deprimiert Zusatzdiagnostik - Labor Labor: Normales BB, klinische Chemie. incl. TSH, Vitamin-B12 und Folsäure, unauffällig. Liquordiagnostik: Zellzahl 2, Eiweiß 775 mg/L, keine lokale IgG-Synthese Zusatzdiagnostik – Bildgebung MRT Ausgeprägte Volumenminderung des linken vorderen Temporallappens unter Einbeziehung der Hippokampusformation. Neuropsychologische Testung 08.01.2007 Mini-Mental-Status-Test: 25 von 30 Punkten Defizite bei verbalem Gedächtnis, Benennen, Nachsprechen, Aufforderung befolgen Demtect: 7/18 Punkten Defizite bei Wortliste, Zahlenumwandeln, Supermarktaufgabe. DEMTECT: 08.01.2007 Neuropsychologische Testung 08.01.2007 Uhrentest nach Shulmann: Score 3 (fehlerhafte Uhrzeit bei erhaltener visuell-räumlicher Darstellung der Uhr) Testung der Sprachfunktionen: 08.01.2007 Token-Test: Leichte Störung Nachsprechen: Normal Schriftsprache: Minimal gestört Benennen: Schwer gestört Sprachverständnis Minimal gestört Testdiagnostisches Ergebnis: Amnestische Aphasie Aachener Aphasie Test Neuropsychologische Testung 27.04.2007 Mini-Mental-Status-Test: 22 von 30 Punkten. Geringe Störung der zeitl. Orientierung, Defizite bei verbalem Gedächtnis, Benennen, Nachsprechen, Satz schreiben. Uhrentest nach Shulmann: Score von 3 Neuropsychologische Testung 27.04.2007 ADAS-Cog 50/70 Punkten Defizite bei verbaler Lernfähigkeit, Orientierung, Ausführen einer verbalen Handlungsaufforderung, Wiedererkennen von Wörtern Keine Defizite beim Zeichnen, keine Apraxie. Neuropsychologische Testung 12.11.2007 Mini-Mental-Status-Test: Unveränderter Befund: 22 von 30 Punkten. Geringe Störung der zeitl. Orientierung, Defizite bei verbalem Gedächtnis, Benennen, Nachsprechen, Satz schreiben. Uhrentest nach Shulmann: Score von 3 Sprechen und Sprache Die Sprachstörung ist gekennzeichnet durch Leicht unflüssige Sprache durch vermehrtes Suchverhalten Ausgeprägte Schwierigkeiten beim Wortabruf Benennstörung Syntax intakt Benennstörungen werden durch Umschreibungen kompensiert (möglicherweise Effekt der logopädischen Behandlung) Einzelne phonematische und semantische Paraphasien Sprachverständnis intakt. Diagnose: Frontotemporale Demenz mit (semantische Demenz, DD primär progressive Aphasie) FTD - 3 klinische Erscheinungsformen Frontale/frontotemporale Verlaufsform mit führender Wesensänderung (Haupttyp) Primär-progressive (nichtflüssige) Aphasie (führende Aphasie und linkstemporale Atrophie) Semantische Demenz (führende bitemporale Atrophie; Defizit des Wissens über Wortbedeutungen, Defizit des "Weltwissens" zu allgemeinen Fakten, visuell-gnostische Störung). Subtypen der PPA Agrammatisch unflüssig Semantisch logopenisch Gorno-Tempini et al. Ann Neurol. 2004;5:335; Rogalski u. Mesulam. Curr. Neurol. Neurosc. Rep. 2007;7:338 Primär-progressive (nichtflüssige) Aphasie Grundlegende klinische Merkmale (beide zu erfüllen) A. Schleichender Beginn und allmähliche Progredienz B. Nichtflüssige Aphasie mit mehr als einem dieser Symptome: Agrammatismus, Paraphasien, Benennstörung Stützende Kriterien A) Sprechen und Sprache (1) Stottern oder Sprechapraxie (2) Nachsprechen beeinträchtigt (3) Alexie, Agraphie (4) Frühstadium: Wortbedeutung erhalten (5) Spätstadium: Mutismus B) Verhalten (1) Frühstadium: Soziale Fertigkeiten erhalten (2) Spätstadium: ähnliche Verhaltensänderungen wie bei FTD C) Physische Merkmale (1) Spät: kontralateral primitive Reflexe (2) Akinesie, Rigidität, Tremor Therapie: Symptomatische Therapie bei Verhaltensstörungen Sprachtherapie Keine Indikation für Acetylcholinesterase-Hemmer Zusammenfassung Progredient fortschreitende Sprachstörung Weitgehend intakte Gedächtnisfunktionen Sprachstörung bedingt eine Störung der Alltagskompetenz Verlaufsbeobachtung von 2 Jahren ist für die Differenzialdiagnose wichtig Gegenwärtig keine medikamentöse Therapie verfügbar Bei Verhaltensstörungen Einsatz von SSRI Keine etablierte Therapie.