Vom Testprofil zur Diagnose! Fallbeispiele aus der klinischen Praxis Thomas Duning Andreas Johnen Klinik für Allgemeine Neurologie Department für Neurologie Westfälische Wilhelms-Universität Münster Klinische Typen der Demenzen Kortikale Demenz: Teilleistungsstörungen („Werkzeugstörungen“) - Aphasie, Apraxie, mnestische Defizite, gestörte Visuokonstruktion Subkortikale Demenz: - Störungen des Antriebs, psychomotorische Verlangsamung, Aufmerksamkeitsstörungen Klinische Typen der Demenzen Kortikale Demenz: Teilleistungsstörungen („Werkzeugstörungen“) - Aphasie, Apraxie, mnestische Defizite, gestörte Visuokonstruktion Subkortikale Demenz: - Störungen des Antriebs, psychomotorische Verlangsamung, Aufmerksamkeitsstörungen Frontale Demenz: Verhaltensveränderungen, planerisches Handeln, Störungen des Sozialverhaltens, disinhibiert, exekutive Funktionsstörungen Terminologie Morbus Pick Frontotemporale Demenz Pick-Atrophie Frontotemporale Lobärdegeneration Frontalhirndemenz Frontale lobäre Degeneration Frontotemporale Lobärdegenerationen Klinische Unterscheidung von zwei Subtypen: 1. Frontale- oder Verhaltensvariante 2. Sprachvarianten (PPA) Nicht-flüssige Aphasie: Angestrengtes, stockendes Sprechen, Sprechapraxie, Störung der Prosodie, zunächst erhaltenes Sprachverständnis, Agrammatismus Flüssige, semantische Aphasie (Semantische Demenz): Semantische Aphasie, Wortfindungsstörungen, gestörtes Benennen, Paraphasien, umständl. Umschreiben von Begriffen, erhaltene Sprachproduktion Hypothesengeleitete Diagnostik AD? MCI? Anamnese und klinische Beobachtung Hypothesenbildung Testauswahl & Testdurchführung Welche Tests setzen Sie ein um die Hypothese(n) zu prüfen? Wiederholung Neurokognitive Domänen nach DSM-V 16 Visuokonstruktivperzeptuelle Fähigkeit Sprache Expressive Sprache (inkl. Benennen, Fluenz, Syntax), rezeptive Sprache Zeichnen, visuelle Perzeption Neurokognitive Störung Exekutive Funktionen Planen, Entscheiden, Arbeitsgedächtnis, Fehlerkontrolle, mentale Flexibilität, etc. Komplexe Aufmerksamkeit Vigilanz, selektive A., geteilte A., Verarbeitungsgeschwindigkeit Lernen und Gedächtnis Immediatgedächtnis, Kurz/Langzeitgedächtnis (inkl. freier Abruf, Hinweise, Wiedererkennen) Soziale Kognition Emotionen erkennen, "theory of mind", Verhaltenskontrolle American Psychiatric Association. DSM-5 2013. Author. Minimaldiagnostik bei Verhaltensauffälligkeiten • Ausschluss ausgeprägter Neugedächtnisstörung (z.B. MoCA) • Ausschluss ausgeprägter „kortikaler“ Defizite – Aphasie? (z.B. „Cookie Theft“ + Boston-Naming Test 15) – Visuoperzeptive oder – konstruktive Störung? (z.B. Uhrentest) • Untersuchung der Exekutivfunktionen – Screening FAB-D (Disinhition?) – Wortflüssigkeit (1 Minute S-Wörter nennen lassen) • Standardisierte Fremdanamnese (z.B. FBI + B-ADL) Weitere Maße zur Stützung der Diagnose? • Elaborierte Testung der Exekutivfunktionen (z.B. BADS, 5-Punkte Test) • Testung der sozialen Kognition (z.B. Mini-SEA) • Testung der bukkofazialen Praxie (z.b. DATE) Hierdurch i.d.R. gute Abgrenzung von anderen neurodegenerativen und primär-psychiatrischen Erkrankungen möglich! behaviorale frontotemporale Demenz (bvFTD) Kern häufig • • • • Impulsivität, Hyperoralität, Exzessivität Apathie, Trägheit, Verlust von Empathie Emotionale Gleichgültigkeit Eher variable kognitive Einschränkungen, häufig massive Defizite in exekutiven Funktionsbereichen (Verhaltenskontrolle) • • • • • • Früher Beginn (45-65 Jahre) Männer : Frauen (50 : 50) Störungen in der sozialen Kognition Veränderung im Essverhalten („sweet tooth“) bukkofaziale Apraxien Stereotypien in Sprache und Motorik • Ca. 15% entwickelnd Symptome einer ALS Frontotemporale Lobärdegenerationen Klinische Unterscheidung von zwei Subtypen: 1. Frontale- oder Verhaltensvariante 2. Sprachvarianten (PPA) Nicht-flüssige Aphasie Flüssige, semantische Aphasie (Semantische Demenz) Logopenische Aphasie: Grammatikalisch korrekt, Benennen und Wortbedeutung gut, V.a. unkorrektes Nachsprechen Ätiologie: verbale anterograde Amnesie Primär-Progressive Aphasien? 1. Andere primär1. Klinische neurodegenerative Leitsymptomatik einer Erkrankung erklärt die Sprachstörung… Symptome besser. 2. …welche der Hauptgrund 2. Andere nicht primärfür alltagsrelevante neurodegenerative Defizite (ADL) ist… Erkrankung erklärt die 3. …und als initiales Symptome besser (insb. Symptom aufgetreten Stroke, entzündliche ist. Genese, Tumor) Gorno-Tempini et al., 2011, Mesulam et al., 2001 Hypothesengeleitete Diagnostik AD? MCI? Anamnese und klinische Beobachtung Hypothesenbildung Testauswahl & Testdurchführung Welche Tests setzen Sie ein um die Hypothese(n) zu prüfen? Problem: Typische Tests wie MMSE sind nicht valide bei PPA Patienten! Minimaldiagnostik bei Sprachstörungen • Standardisierte Fremdanamnese (z.B. FBI + B-ADL) • Ausschluss führender Nicht-Sprachlicher Defizite – Sprachfreier Gedächtnistest (z.B. Benton-Test, DCS-II) – Visuoperzeptive und –konstruktive Funktionen (z.B. Rey-Complex Test) • Ausführliche Untersuchung der Sprache CAVE: Eingeschränkte – Spontansprache („Cookie-Theft“) Validität bei ALLEN – Benennen (Boston-Naming Test 15) sprachbezogenen Maßen – Überprüfung des semantischen Weltwissens beachten – Nachsprechen mehrsilbiger Wörter – Schreiben & Lesen (Dysgraphie? Dyslexie?) Standardisierte Überprüfung der Spontansprache Differenzierung aphasischer Störungen Vorschlag – Klinisch-neurologische Untersuchung I Spontansprache Nicht-flüssig? II Sprechapraxie? Nicht-flüssige Variante FTLD III Agrammatismus? Spontansprache Flüssig? Nachsprechen? Logopenische Variante, a.e. Alzheimerpathologie Anterograde Amnesie? Benennen? Semantische Variante FTLD Gestörtes Objektwissen? Dyslexie? Dysgraphie? Minimaldiagnostik bei visueller Verarbeitungsstörung • Standardisierte Fremdanamnese (z.B. B-ADL) • Ausschluss führender nicht-visueller Defizite – Verbaler Gedächtnistest (z.B. VLMT) – Sprache • Ausführliche Diagnostik von Agnosien und Neglect – – – – Simultanagnosie (z.B. “Cookie Theft“ Beschreibung) Benenntest (z.B. Boston-Naming Test) Dysgraphie? Dyslexie? Neglect Test (z.B. Star Cancellation Test) Visuoperzeptive und –konstruktive Störungen - Star Cancellation Test - Judgment of Line-Orientation Test - Rey-Osterrieth Complex Figure Test Posteriore kortikale Atrophie • • • • • Zentrale Verarbeitungsstörung visueller Informationen Wichtigste Variante der Demenz vom Typ Alzheimer Bálint-Syndrom - Optische Ataxie: Unfähigkeit zielgerichteter Hand- bzw. GreifBewegungen unter Kontrolle der Augen. - Okuläre Apraxie: Unfähigkeit zielgerichteter Blickbewegungen mit den Augen. - Simultanagnosie: Extreme Einengung der visuellen Aufmerksamkeit auf einzelne Teilaspekte komplexer Bilder, sodass diese nicht im Ganzen aufgefasst werden können Oft präsenile Patienten (Ø Erkrankungsalter 58 J.) Zuerst nur leichte mnestische Symptome → Im Verlauf Übergang in eine Alzheimer Demenz Fazit 1. Ihre klinische Einschätzung ist wichtig! „kortikal“ „subkortikal“ „frontal“? 2. Gezielte Fremdanamnese zu initialen Symptomen! 3. Neuropsychologische Untersuchung mit gezielter Fragestellung! 4. Interpretation der testpsychologischen Befunde im Gesamtkontext (eingeschränkte Validität bei Aphasie und visuellen Störungen) 5. Zum Ausschluss konkurrierender Ursachen weiterführende Diagnostik (MRT und Laborchemie, ggf. FDG-PET und LP) 6. Bei nicht eindeutigen Befunden: Verlaufsuntersuchungen! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Vortrag ab Montag auf der Homepage abrufbar! [email protected] [email protected]