Der Wandel der Fassade und ihrer Funktionen im 20. Jh.

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Der Wandel der Fassade und ihrer Funktionen im 20. Jh.
[ Abstract Dissertation, Technische Universität Ostrava (Tschechien), Fakultät
Bauingenieurwesen, Nr.: FAST16V/2006, Nov. 2005 ]
Inhalt
Einleitung
Vorgehensweise der Untersuchung
Ergebnisse
Ausblick
Einleitung
Betrachtet man die Gesamtheit der gebauten Umwelt, so wird deutlich, dass sich der
Wandel des Erscheinungsbildes unserer Städte im Laufe der Jahrhunderte nicht allein
als eine Abfolge immer neuer Architekturmoden erklären lässt. Eine Vielzahl von
Faktoren nimmt Einfluss auf die Gestalt und Bauweise der Gebäude. Prägend für das
äußere Erscheinungsbild sind vor allem die Fassaden. Die Fassade trennt zwischen
privatem und öffentlichem Raum, zwischen Innenraum und Außenraum. Ihr kommt als
Schnittstelle des inneren Systems eines Gebäudes mit dem umgebenden System eine
entscheidende Bedeutung zu.
Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts lässt sich - u.a. ausgelöst durch die erste
Energiekrise 1973 - eine deutliche Zunahme der Funktionen der Fassade beobachten.
Dies wird in der vorliegenden Arbeit zum Anlass genommen, die Funktion der Fassade
in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen. An der Funktion der Fassade
manifestieren sich die verschiedenen Auslöse- und Einflussfaktoren, die zu einer
Veränderung der Konstruktion und Gestaltung führen. Der Begriff Funktion wird nicht
eingeengt auf die klassischen, technisch messbaren Funktionen - wie z.B. statische
Belastbarkeit oder Wärmedurchgangswiderstand - verstanden, sondern umfassend.
Mithin wird in die Betrachtung beispielsweise auch der mit einer entsprechend
gestalteten Fassade angestrebte Image- bzw. Prestigegewinn als Einflussfaktor auf die
Fassadengestaltung in die Untersuchung einbezogen. Ziel dieser Arbeit ist das
Erkennen der komplexen Wirkungszusammenhänge, die für den Wandel der
Fassadengestaltung verantwortlich sind.
Vorgehensweise der Untersuchung
Die Untersuchung wird in drei Schritten vollzogen. Ausgangsbasis ist die Untersuchung
der Auslöse- und Einflussfaktoren, die zu einer Veränderung der Fassadenkonstruktion
bzw. -gestalt geführt haben. Hierbei wird zwischen unmittelbaren Auslösefaktoren,
mittelbaren Auslösefaktoren, externen Einflussfaktoren und limitierenden
Einflussfaktoren unterschieden. Unmittelbare Auslösefaktoren sind z.B. die
Widrigkeiten der Natur (Wind, Regen, Kälte). Mittelbare Auslösefaktoren sind
beispielsweise wirtschaftliche Interessen und gestalterische Präferenzen. Zu den
externen Einflussfaktoren gehören kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen
sowie Katastrophen und Kriege. Unter den limitierenden Einflussfaktoren werden
Faktoren verstanden, die die Entwicklung neuer Fassadensysteme einschränken bzw.
begrenzen. Zu nennen sind hier z.B. Gesetze und Normen. Gesetze können technische
Neuerungen auslösen, wenn sie durch ihre restriktive Formulierung einen
Innovationsdruck auf die Bauindustrie ausüben.
Als zweiter Schritt - nach der Analyse der Auslöse- und Einflussfaktoren - folgt eine
Darstellung der Funktionen, die die Fassade erfüllt. Die Funktionen der Fassade werden
von den Auslösefaktoren abgeleitet, mithin ist die Funktion der Fassade als Antwort auf
die Auslöse- bzw. Einflussfaktoren zu verstehen.
In einem dritten Schritt wird anhand von ausgesuchten Beispielen der Zusammenhang
zwischen dem Wandel der Fassadenfunktionen im Laufe des 20. Jahrhunderts und der
Änderung der äußeren Gestalt untersucht. Die Kausalkette zwischen Auslösefaktoren,
angestrebter Funktionalität und gewählter Konstruktion und Gestalt wird mit Hilfe der
Beispiele nachgezeichnet. Die Untersuchung beschränkt sich auf Wohn- und
Geschäftshäuser, die beispielhaft für das Erscheinungsbild der Städte sind.
Ergebnisse
Die Konstruktion und Gestalt der Fassade hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts
dramatisch gewandelt. Zu Beginn des Jahrhunderts war die Fassade in ihrer
Materialität und Konstruktion durch Massivität und Monumentalität gekennzeichnet, am
Ende des Jahrhunderts emanzipierte sie sich von der tragenden Funktion und wurde zu
einer leichten und flexiblen dritten Hülle des Menschen.
Der Wandlungsprozess ist durch einige grundlegende Entwicklungen im Bauwesen und
in der Gesellschaft maßgeblich beeinflusst. Folgende Einzelaspekte werden in der
Arbeit näher erörtert: Der Einfluss der wachsenden Städte und der zunehmenden
Globalisierung, die Entwicklung der Bautechnik und der Planungsverfahren im 20.
Jahrhundert, die Rolle des Architekten im Wandlungsprozess sowie grundlegende
Mechanismen des Wandlungsprozesses.
Der Wandel der Bedeutung einzelner Funktionen der Fassade im Laufe des 20.
Jahrhunderts und die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Gestaltung werden
anhand von acht signifikanten Funktionen näher untersucht. Diese sind:
- Schutz vor naturbedingten Widrigkeiten
- Schutz vor zivilisationsbedingten Widrigkeiten
- Sicherstellung elementarer Wohnanforderungen
(Luftwechsel, Belichtung, Raumklima)
- Herstellungskosten
- Betriebskosten
- Imagewert
- Kulturelle und gesellschaftliche Identität
- Nachhaltigkeit
Schutz vor naturbedingten Widrigkeiten
Die Bemühungen die Wärmeverluste zu minimieren, führten zu einer entscheidenden
Verbesserung der Fassadenkonstruktion im 20. Jahrhundert. Bis Anfang der 70er Jahre
wurde der Dämmung von Gebäuden nur eine geringe Bedeutung zugebilligt. Während
des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit zwangen die ökonomischen
Verhältnisse zu äußerst sparsamer Bauweise, die Wanddicken waren im Allgemeinen
geringer als dies noch Anfang des 20. Jahrhunderts der Fall war. Die Einführung einer
Energieeinsparverordnung und die Verschärfung der Verordnung im Laufe der Jahre
führte zu stetig ansteigenden Dämmschichtdicken. Die Außenwand wandelte sich von
einem weitgehend homogenen Bauteil zu einem hoch spezialisierten Schichtsystem.
Schutz vor zivilisationsbedingten Widrigkeiten
Die wesentlichen zivilisationsbedingten Widrigkeiten, mit denen der Mensch im 20.
Jahrhundert zu kämpfen hatte und die sich auf die Konstruktion der Gebäude
auswirkten, waren die erhöhte Brandgefahr und die Zunahme des Verkehrs.
Das Wachstum der Großstädte erforderte eine ständige Verschärfung der
Anforderungen, die an den Brandschutz der Gebäude gestellt wurden. Mit der
Erforschung des Brandverlaufs traten neue Verordnungen in Kraft, beispielsweise
musste ein Brandüberschlag zwischen zwei Geschossen durch konstruktive
Maßnahmen an der Fassade verhindert werden. Auch die Sicherstellung eines zweiten
Fluchtweges und die Verwendung nichtbrennbarer bzw. schwerentflammbarer
Materialien zeitigten Auswirkungen auf die Fassade.
In den achtziger und neunziger Jahren nahm die Lärmbelastung durch den
Straßenverkehr erheblich zu. Dies führte zu der Entwicklung von Doppelfassaden, bei
der die äußerste Schicht - meist Glas - die Funktion des Schallschutzes übernahm.
Eine zweite Schicht hatte zudem den Vorteil, dass die Staub- und
Schmutzpartikelbelastung sowie die Belastung durch giftige Abgase gesenkt werden
konnte.
Sicherstellung elementarer Nutzungsanforderungen
Die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entstandenen Gründerzeithäuser prägten
auch noch Anfang des 20. Jahrhunderts das Bild vieler europäischer Städte. Der
Wohlstand des Großbürgertums ließ Gebäude mit hohen Decken und großen Fenstern
entstehen. Im Vergleich zu der traditionellen Bauweise verbesserte sich die Belichtung
und Belüftung erheblich.
Die mit der zunehmenden Industrialisierung stattfindende Landflucht führte jedoch
auch zu einer engen Hinterhofbebauung, hier war die Belichtungs- und
Belüftungssituation deutlich schlechter.
Entscheidend für die Belichtungssituation waren die verbesserten Verfahren der
Glasherstellung, insbesondere die Erfindung von maschinengezogenem Flachglas und
die Erfindung des Floatglases, bei dem ein flüssiges Zinnbad ein nachträgliches
Schleifen der Oberflächen entbehrlich macht. Diese Innovationen ermöglichten die
industrielle Fertigung großflächiger Fenster.
Die dichtere Bebauung und die Zunahme des Verkehrs in den Großstädten und die
dadurch verursachte Abgasbelastung erschwerten eine natürlich Belüftung. Die
Fensterlüftung wurde im Büro- und Geschäftshausbau weitgehend durch Klimaanlagen
ersetzt. Erst in jüngster Zeit wurden Konzepte entwickelt, die wieder eine direkte
Belüftung erlauben.
Herstellungskosten
Die Wirtschaftlichkeit war seit Anbeginn der Architekturgeschichte eine der wichtigsten
Funktionen der Gebäude. Aufwand und Nutzen wurden stets in Relation gesetzt. Auch
bei der großbürgerlichen Bauweise am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde darauf
geachtet, dass beim Bau der Gebäude keine Mittel verschwendet wurden. Die
Herstellungskosten waren aber nicht das wichtigste Kriterium. Es überwog das
Bedürfnis, das neu erlangte Selbstbewusstsein, den eigenen Wohlstand und den
zunehmenden Einfluss in der Gesellschaft durch eine aufwendige Fassadengestaltung
zum Ausdruck zu bringen. Der Erste Weltkrieg, die Hyperinflation in Deutschland und
die wirtschaftliche Rezession in den dreißiger Jahren bremsten diesen Enthusiasmus.
Mehr und mehr wurden die aufwendigen Verzierungen durch billige in Serie
hergestellte Formgussteile ersetzt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Herstellungskosten zum alles entscheidenden
Kriterium, gespart wurde am Material, an der Dekoration und am Standard. Es ging vor
allem darum, Wohnraum zu schaffen. Die Kostenersparnis einer Serienproduktion
wurde intensiv genutzt.
Erst in jüngster Zeit traten Zweifel am Primat der Herstellungskosten auf. Die
Verslumung von Vorstädten in Ballungsgebieten sowie unbewältigte gesellschaftliche
Probleme führten zu einem Umdenken. Die auf Kostenminimierung zielende
Unterbringung der Menschen in Hochhäusern wurde zugunsten einer maßstäblicheren,
menschlicheren und abwechslungsreicheren Architektur verworfen.
Betriebskosten
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wandelten sich die Determinanten der
Wirtschaftlichkeit. Die weltweite Energiekrise Anfang der siebziger Jahre und die damit
verbundene Verteuerung der Heizenergie rückten die Betriebskosten in den Fokus der
Wirtschaftlichkeitsüberlegungen. Nicht mehr die Herstellungskosten, sondern die
Baunutzungskosten, zu denen die Betriebskosten zählen, waren für die
Investitionsentscheidungen der Bauherren ausschlaggebend. Verstärkt wurde diese
Entwicklung durch den Umstand, dass der Bau einer Immobilie zunehmend als
Investition betrachtet wurde, die sich ebenso verzinsen musste wie andere
Kapitalanlagen auch. Mit diesem Wandel fand auch das betriebswirtschaftliche
Instrumentarium Einzug in die Bauwirtschaft. Mit Hilfe der Kapitalwertmethode
konnten die Einnahme- und Ausgabeströme über den gesamten Lebenszyklus des
Gebäudes kapitalisiert werden. Es wurde deutlich, dass die kumulierten Ausgaben für
den Betrieb des Gebäudes ein Vielfaches der Herstellungskosten betragen.
Die Bedeutung der Betriebskosten für die Rentabilität setzte eine Reihe von
Neuentwicklungen im Fassadenbereich in Gang. Die angestrebte Energieeinsparung
ließ sich nur noch durch einen schichtweisen Aufbau der Fassade realisieren, bei der
jede Schicht eine hoch spezialisierte Funktion übernahm.
Heute wird nach Lösungen gesucht, die Betriebskosten eines Gebäudes nicht nur durch
passive Maßnahmen zu senken, sondern die Fassade aktiv für die Energiegewinnung zu
nutzen.
Imagewert
Die Funktion der äußeren Hülle menschlicher Behausungen beschränkte sich nie auf
den Schutz vor Widrigkeiten der Natur, stets hatte sie auch einen schmückenden
Charakter und traf eine Aussage über die Bewohner bzw. den Besitzer. Ein Gebäude
wird von der Öffentlichkeit in erster Linie von Außen wahrgenommen, die Fassade
entscheidet über die Repräsentativität, die Ästhetik und die Akzeptanz eines Gebäudes,
sie ist ein wesentlicher Bestandteil des Image- und Vermarktungswertes.
Die Anfang des 20. Jahrhunderts vom Baustil der Gründerzeit geprägte Architektur
hatte einen hohen Imagewert. Die Fassaden sollten vom Wohlstand, Selbstbewusstsein
und Kunstsinn der Bauherrn und Nutzer verkünden. Die zunehmenden wirtschaftlichen
Zwänge, die durch den Ersten Weltkrieg und die weltweite Rezession verursacht
wurden, veränderten die Architektur. Nach und nach wurden die in Handarbeit
hergestellten Gesimse und Pilaster durch Formgussteile ersetzt. Der Schein, der
aufrechterhalten werden sollte, stand zunehmend im Widerspruch zu den
wirtschaftlichen Anforderungen und den modernen Konstruktionsmethoden. Die
Glaubwürdigkeit der Gebäude im historischen Stil begann zu schwinden. Ihr Imagewert
nahm ab.
Die große Not und schwierige wirtschaftliche Lage nach dem Zweiten Weltkrieg führten
zu einer Vernachlässigung der gestalterischen und dekorativen Aspekte. Gefragt waren
pragmatische und vor allem ökonomische Lösungen. Dabei wurde verkannt, welche
essentielle Bedeutung die kleidende Funktion der Fassade für den Menschen hat. Erst
mit zunehmendem Wohlstand trat das unterdrückte Bedürfnis, sich durch die dritte
Hülle (nach der Kleidung) als Individuum zu profilieren, wieder stärker in den
Vordergrund. Heute ist eine vorsichtige Renaissance der schmückenden Funktion der
Fassade zu beobachten. Die Entlastung der Fassade von der tragenden Funktion
ermöglicht dabei neue Wege der Gestaltung.
Eine Sonderstellung bezüglich des Imagewertes stellt die Moderne dar. Die mit dem
historischen Fassadenstil verbundene Entkoppelung der kleidenden Hülle von den
inneren Werten des Gebäudes war einer der wesentlichen Auslösefaktoren für diesen
Architekturstil. Es wurde eine Einheit von Innen und Außen angestrebt. Den Reizen des
äußeren Scheins wurde die Überzeugungskraft einer Identität und Authentizität
gegenübergestellt. Der durch die Moderne eingeleitete Wertewandel zu mehr
Ehrlichkeit bei der Fassadengestaltung hält bis heute an.
Kulturelle und gesellschaftliche Identität
Architektur hatte immer eine übergeordnete Funktion für die Menschheit, sie diente als
kulturelles Gedächtnis, stabilisierte die Gesellschaft und förderte das
Zusammengehörigkeitsgefühl. Die kulturelle und gesellschaftliche Identität der
Menschen hängt in entscheidendem Maße von der gebauten Umwelt ab. Wie groß die
Sehnsucht der Menschen nach Identifikationspunkten im Stadtgefüge ist, zeigt das
Beispiel der Frauenkirche in Dresden. Mit Hilfe zahlreicher privater Spenden aus dem
In- und Ausland wurde dieses Wahrzeichen der Stadt wieder aufgebaut.
Der historisierende Stil am Anfang des 20. Jahrhunderts knüpfte an die über
Jahrhunderte gewachsene kulturelle Identität der Gesellschaft an, dies führte zu einer
breiten Akzeptanz dieses Stils. Dennoch ist zu hinterfragen, ob ein derart heterogener
und rückwärtsgewandter Stil wie der Historismus, bei dem verschiedene Stilepochen
zum Teil wahllos miteinander kombiniert wurden, tatsächlich zu einer echten
kulturellen und gesellschaftlichen Identität führen kann.
Die Moderne ging einen anderen Weg, sie versuchte eine neue Form von Identität zu
entwickeln. Die Architekten der Moderne passten ein Gebäude nicht an den Stil der
benachbarten Bebauung an, sondern gaben jedem Gebäude einen individuellen - dem
Genius loci entsprechenden - Charakter. Die Bauwerke standen im Dialog mit der
Umgebung, mitunter entwickelten sie auch eine oppositionelle Haltung. Mit der
Moderne wurde der Versuch unternommen, eine ehrlichere Architektursprache zu
entwickeln. Mietswohnhäuser sollten nicht länger als Renaissancepaläste und Fabriken
nicht als Schlösser verkleidet werden. Der Zweck der Gebäude sollte ohne
verschleierndes Dekor deutlich werden. Dieser radikale, revolutionäre Wandel der
Architektur führte bei einem Großteil der Bevölkerung zu Akzeptanzproblemen. Eine
Identität der Bewohner mit ihrer gebauten Umwelt konnte so nicht erreicht werden.
Eine schleichende Entfremdung der Menschen von der Architektur nahm ihren Anfang.
In der Nachkriegszeit führten die zunehmende Kommerzialisierung und Banalisierung
der Architektur dazu, dass eine gemeinsame, verbindende kulturelle und
gesellschaftliche Identität mit der gebauten Umwelt kaum noch vorhanden war. Das
traditionelle Bauen, das durch überlieferte Konstruktionsmethoden und
Gestaltungsmerkmale zu einem harmonischen Stadtbild beitrug, musste der
Rationalität des industriellen Zeilenbaus weichen.
Die asketische Zeit der Nachkriegsmoderne ist heute überwunden. Es ist eine neue
Lust am Gestalten der Oberfläche zu spüren. Die jüngsten Beispiele von
Fassadenkonstruktionen überraschen durch ihren experimentellen und phantasievollen
Umgang mit Form, Farbe und Material. Die Betonung emotionaler Elemente in der
Architektur versöhnt die Menschen mit der gebauten Umwelt und schafft eine neue
Identität.
Nachhaltigkeit
Die Achtung der Natur, die untrennbar mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit
verbunden ist, begleitete den Menschen seit Anbeginn. Doch es gab immer wieder
Phasen in der Menschheitsgeschichte, in denen die Belange der Natur eine
untergeordnete Rolle spielten, teils aus der Not heraus, teils aufgrund eines
ungezügelten Gewinnstrebens, teils aufgrund einer dominierenden
Technikbegeisterung.
Der Gedanke der Nachhaltigkeit spielte erst im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts
wieder eine Rolle. Die beiden Ölkrisen 1973/74 und 1977 verursachten ein Umdenken.
Der Gesetzgeber reagierte in Deutschland mit einer Wärmeschutzverordnung, die im
Laufe der Jahre ständig verschärft wurde. Hierdurch wurde die Entwicklung neuer bzw.
verbesserter Fassadentechniken angeregt. Beispiele hierfür sind Wände mit
transparenter Wärmedämmung, Vakuum-Röhren-kollektoren und photovoltaische
Anlagen.
Ausblick
Ein Schwerpunkt zukünftiger Fassadenentwicklung wird die energieeffiziente und
nachhaltige Fassadenbauweise sein. Die Rentabilität eines Gebäudes hängt
entscheidend von der Höhe der Energiekosten für Klimatisierung und Beleuchtung ab.
Die Bemühung diese Kosten zu senken übt einen starken Innovationsdruck auf die
Fassadenindustrie aus. Die reinen Herstellungskosten rücken bei
Investitionsentscheidungen mehr und mehr in den Hintergrund. Durch die
Energieverteuerung haben sich die ökologischen und wirtschaftlichen Ziele einander
angenähert. In Zukunft ist hier mit deutlich geringeren Zielkonflikten als in der
Vergangenheit zu rechnen.
Die jüngste Architekturgeschichte ist von einer Bedeutungszunahme des Images eines
Gebäudes geprägt. Der wachsende Profilierungsdruck in den pluralistischen und
multikulturellen westlichen Gesellschaften verstärkt den Drang, individuelle Merkmale
herauszubilden, um sich von der Masse zu unterscheiden.
In Zeiten eines unkontrollierten Städtewachstums, eines dominierenden Kapitalismus
und einer latenten Demokratiemüdigkeit wächst die Sehnsucht der Menschen nach
Kristallisationspunkten einer gemeinsamen verbindenden Identität. Die Architektur
befindet sich in einem Dilemma, einerseits ist die Funktion der Architektur als
generationsübergreifendes Speichermedium der menschlichen Kultur wichtiger denn je,
andererseits entwickelt sich die Fassade zunehmend zum Imageträger und LifestyleAccessoire und ist damit dem schnell wandelnden Zeitgeschmack unterworfen. Hier
wird es in Zukunft darauf ankommen, dass die Gesellschaft trotz der Heterogenität der
Architektur zu einem gesamtgesellschaftlichen Konsens findet. Ansätze hierfür sind
heute schon erkennbar. Museen, Konzerthallen und Kulturzentren tragen die
individuelle Handschrift der Architekten und bereichern das Stadtbild gerade durch ihre
polarisierende Wirkung. Das Guggenheim Museum in Bilbao von Frank O. Gehry, das
Centre Pompidou in Paris von Richard Rogers und Renzo Piano und das Opernhaus in
Sydney von Jörn Utzon sind Beispiele für die identitätsstiftende Wirkung individueller
Bauwerke in den Brennpunkten der Städte.
Nur wenn sich die am Planungs- und Bauprozess Beteiligten über die Vielzahl der
Funktionen, die eine moderne Fassade zu erfüllen hat im Klaren sind – dazu gehören
neben den technischen und wirtschaftlichen insbesondere auch die gesellschaftlichen
Funktionen – kann das Risiko einer Fehleinschätzung der Marktchancen eines neu
entwickelten Fassadensystems minimiert werden. Die in dieser Arbeit aufgezeigten
komplexen Wirkungszusammenhänge, die für Änderungsprozesse in der Architektur
verantwortlich sind, stellen eine Grundlage für die Entwicklung neuer Verfahren zur
Chancen- und Risikoabschätzung von Fassadensystemen dar.
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