37 Melodramatische Motive im Film Metropolis (1927) von Fritz Lang CHIKA YAMADA Fritz Langs Film Metropolis gilt heute neben Robert Wienes Das Kabinett des Doktor Caligari als einer der beliebtesten deutschen Stummfilme des Expressionismus. Er ist denn auch vielfach erforscht. Metropolis wird einerseits filmgeschichtlich als Vorläufer des ScienceFiction-Films betrachtet, andererseits gilt dieser Film kulturgeschichtlich als ein wichtiges Dokument für die Weimarer Kultur. Mit anderen Worten: es gibt zwei Forschungsansätze. Der eine behandelt die Dreh-Technik unter ästhetischem Aspekt, und der andere untersucht vor allem ‚inhaltliche’ Elemente unter sozialen und politischen Gesichtspunkten. Die Ästhetik der Bilder und die Aufnahmetechnik wurden von den zeitgenössischen Kritikern schon kurz nach der Uraufführung bis in die 30er Jahre hochgeschätzt. Aber dieser positiven Einschätzung steht eine heftige Kritik zentraler Motive gegenüber. Dieser Zwiespalt prägt die gesamte Debatte über Langs Film. Die Kritik, die von dem gesellschaftlichen bzw. gesellschaftstheoretischen Standpunkt aus seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts an diesem Film geübt wurde, war vernichtend. So wurde z.B. behauptet, dass die zentralen Motive des Films das durch die NSDAP bereitete Ende der Weimarer Republik assoziieren lassen, und gleichsam als Symptom der Weimarer Malaise zu lesen sind. Siegfried Kracauers These, der Film nehme das Staatssystem des Nationalsozialismus vorweg, fand nach dem Zweiten Weltkrieg breiten Zuspruch. In der langen Rezeptionsgeschichte von Metropolis fällt aber auf, dass weder im Rahmen der ‚Science-Fiction’-Debatte noch in der gesellschaftsbezogenen Diskussion das Motiv der „Liebesgeschichte“ systematisch analysiert wurde. Die bisherige Kritik warf dem Regisseur Lang oft vor, die Illusion einer fatalen Versöhnung von Kapital und Arbeit erzeugt zu haben, die an die nationalsozialistische Ideologie und Arbeitspolitik erinnert. Die Liebesgeschichte zwischen Maria und Freder, die kardinale Handlung des Films, scheint hingegen wenig zu interessieren. Das ist um so überraschender, als auch die filmtheoretisch orientier ten Kritiker, die die Bedeutung der Exposition und Grammatik des Films als zentrale Angelegenheit des 38 Melodramatische Motive im Film Metropolis (1927) von Fritz Lang Filmdiskurses begreifen, die melodramatischen Motive in diesem Film fast gänzlich ignorieren. Die Frage drängt sich auf, warum bei Metropolis immer nur die Ästhetik des Bildes, die ‚filmcraft’ oder deren gesellschaftliches Konzept kommentier t wurden, von den melodramatischen Motiven aber stets abgesehen wurde. Das Ziel des vorliegender Aufsatzes besteht also darin, den Film Metropolis unter dem Aspekt des „Melodrams“ zu analysieren und herauszufinden, ob man auf diesem Wege zu tieferen Einsichten in die Ästhetik des Films und das Schaffen von Fritz Lang gelangen kann. Im Folgenden skizziere ich zuerst die Entstehung der heute gängigen Auf fassungen des Films Metropolis anhand der zeitgenössischen Kritik, sodann befasse ich mich mit der veränder ten Bewer tung des Films nach dem Zweiten Krieg, und schließlich wende ich mich den melodramatischen Motiven zu, zu deren Analyse neuere Melodrama-Theorien herangezogen werden sollen. In diesem Zusammenhang werde ich mich auch mit der Frage nach der Möglichkeit der Interpretation des Films als Melodrama wie nach der kulturellen Bedeutung des Begriffs „Melodrama“ für die neuere Filmgeschichte befassen. 1 Heute noch wirken die Bildsequenzen der phantastischen Technik und Maschinerie, mit denen der Film Metropolis die Vorstellung einer zukünftigen Gesellschaft erzeugt, überaus eindrucksvoll. Mehrere zeitgenössische Kritiker haben darin einen Nachteil des Films gesehen. Es sind dieselben Kritiker, die die zentrale inszenatorische Idee, die die Drehbuchautorin Thea von Harbou (1884-1954) entwickelt hat und der Lang zustimmte, dass das Herz der »Mittler zwischen Hirn und Händen« sein müsse, rundum ablehnen. Schon kurz nach der Uraufführung hat der Kritiker und Dramatiker Herbert Ihering (18881977) im »Berliner Börsen-Courier« vom 11. Januar 1927 den Plot des Films scharf kritisiert. Zwar lobt er das außergewöhnliche filmische Talent Langs, den Film Metropolis als solchen aber desavouiert er als „ideologischen Film ohne Ideologie“ und meint am Ende sogar, der Film sei völlig misslungen. Ins gleiche Horn stößt der Journalist Axel Eggebrecht (1899-1992). In gereizter Stimmung, wie Ihering, bemerkte er am 18. Januar 1927 in der Zeitschrift »Weltbühne«, dass die in diesem Film vorgestellten Arbeiter Phantasien eines unwissenschaftlichen, mitleidenden Soizialismus seien. Er ist der Meinung, dass das Bild der Arbeiter in Langs Film ein verlogenes Loblied auf die Stresemannsche Gegenwart sei. Das Hauptargument seiner Kritik besteht entsprechend darin, dass dieser Film das Wesen der bestehenden Gesellschaft verkenne, dass er keine gültigen Einsichten in die soziale Wirklichkeit vermittle. Melodramatische Motive im Film Metropolis (1927) von Fritz Lang 39 Die Wirtschaftszeitschrift »Die Form« vom 2. Februar diskutiert die finanzielle Basis des Films. Vor allem werden die deutschen Banken angeklagt, die diesen Film mit riesigen Summen wie nie zuvor in der deutschen Filmgeschichte finanziert haben, obwohl er nur ein minderwertiges Werk sei. Die satirische Wochenzeitschrift »Simplicissimus« spitzt diese Kritik ironisch folgendermaßen zu: »Nimm zehn Tonnen Grausen, gieße ein Zehntel Sentimentalität darüber, koche es mit sozialem Empfinden auf und würze es mit Mystik nach bedarf; verrühre das Ganze mit Mark (sieben Millionen) und du erhältst einen prima Kolossalfilm.«1) Die Zeitschrift »Das Bildwort« meint, dass die die zukünftige Gesellschaft darstellenden Szenen in „Metropolis‟ unwirklich und kindisch seien, und nimmt deshalb an, dass diese Zukunftsbilder nicht auf Kenntnissen realer technischer Entwicklungsmöglichkeiten beruhen, sondern einer willkürlichen Phantasie entspringen; »Das ist offenbar nicht geschehen, denn jeder Techniker hätte erklärt: diese Zukunfsphantasie ist ziemlich kindisch. Die Technik der Zukunft wird die Menschen nicht zu Sklaven der Maschine machen, sondern zu Herren der Maschine.«2) Die vorherrschende Meinung in Deutschland war damals, dass Metropolis nichts als „Kitsch“ sei. Herbert George Wells, der Vater der Science-Fiction-Literatur, äußert am 17. April 1927 im »The New York Times Magazine« unter dem Titel »Mr. Wells Reviews a Current Film« folgende Meinung: »I have recently seen the silliest film. I do not believe it would be possible to make one sillier, and as this film sets out to display the way the world is going, I think “the Way the World Is Going” may well concern itself with this film. It is called “Metropolis” it comes from the great Ufa studios in Germany, and the public is given to understand that it has been produced at enormous cost. It gives in one eddying concentration almost every possible foolishness, cliché, platitude and muddlement about mechanical progress and progress in general, served up with a sauce of sentimentality that is all its own, ( ) Originality is Lacking« 3) In diesem Artikel stellt Wells schärfer noch als Ihering die künstlerischen Schwächen des 40 Melodramatische Motive im Film Metropolis (1927) von Fritz Lang Films heraus: es gebe kein künstlerisch innovatives Potenzial, nur einen banalen Plot, keine Szene, die ein interessantes Zukunftsbild entwerfe, und eine allzu vereinfachte soziale Struktur, die nur aus ‚Oben’ und ‚Unten’ bestehe. Nachdem die deutsche Übersetzung seiner Kritik im Mai 1927 in der renommier ten »Frankfurter Zeitung« erschienen war, wurde Langs Film von den deutschen Kritikern noch negativer beurteilt. Dagegen erhoben sich nur einige wenige Stimmen, die dem Film positive Seiten abgewinnen konnten. Einige Kritiker haben sich respektvoll vor allem zur Bildästhetik und Lichtspieltechnik des Films geäußert. So zum Beispiel der spanische Regisseur Luis Buñuel, Willy Hass und Norbert Jaques. Doch diese positiven Besprechungen wurden meist nur in Fachzeitschriften bei kleineren Verlagen und in der Filmwerbung der Ufa veröffentlicht. Als dann eine heftige politische Kritik dem Film mit Schimpfwor ten wie »Utopie der Rechten« und »Bolschwik« zusetzte, konnten die positiven Stimmen ihn schon nicht mehr retten, und verstummten schließlich. Seither hat sich die negative Einschätzung festgesetzt, Metropolis sei nichts als ein banales Melodrama gewesen. 2 Viele Jahre blieb Metropolis ein vergessener Film. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg ist er nach und nach im Rückblick auf die Zwanziger Jahre wiederentdeckt worden. Dies ist das Verdienst vor allem von Lotte H. Eisner (1896-1983) und Siegfried Kracauer (1889-1966) . Die deutsch-französische Filmhistorikerin und Filmkritikerin Lotte H. Eisner hat in ihrem Expressionismus-Buch unter der Kapitelüberschrift „Geometrie der Massen“ die entsprechenden Szenen des Films analysiert: »In einer glücklichen Weise hat Lang eine expressionistische Stilisierung für die anonymen Massen seiner Arbeiter-Unterwelt verwendet; er zeigt Wesen, die, aller Persönlichkeit bar, es gewohnt sind, den Kopf zu senken, deren Schultern müde erscheinen, die unterlegen sind, bevor sie zu kämpfen begonnen heben.[...] Die Bewohner der unterirdischer Stadt sind fast noch mehr Automaten als jener Automatenmensch, den der Erfinder Rothwang geschaffen hat; sie sind dem Rhythmus komplizierter Maschinen völlig eingeordnet. Ihre Arme werden zu Strahlen eines Reiesenrades, ihre in den Nischen der Maschinenzentrale eingebetteten Körper wirken wie die Zeiger von Uhren und werden wie diese mechanisch-rhythmisch bewegt. Die extreme Stilisierung verwandelt den Menschen in Melodramatische Motive im Film Metropolis (1927) von Fritz Lang 41 ein Objekt.« 4) Sie beschreibt und analysiert in ihrem Buch die „Geometrie“ der Massen-Darstellung in Langs Film, sie bringt sie mit expressionistischen Formprinzipien in Zusammenhang, und weist den Einfluss von Stilelementen der „neuen Sachlichkeit“ nach. Dagegen betrachtet der bedeutende deutsche Kritiker Siegfried Kracauer in seinem großartigen Buch »Von Caligari zu Hitler« (1947) die Form der Masse, die Langs Film vorstellt, als Ausdruck totalitärer Autorität: »Als Künstler konnte Lang unmöglich den Antagonismus zwischen dem Durchbruch menschlicher Emotionen einerseits und seinem ornamentalen Mustern andererseits übersehen haben, Nichtsdestotrotz behält er diese Muster bis ganz zum Schuss bei; die Arbeiter kommen keilförmig in einer strikt symmetrischen Prozession mit der Spize auf den Industriellen zu, der auf den Stufen zum Portal der Kathedrale steht, die ganze Komposition will nahelegen, dass der Industrielle das Herz einzig anerkennt, um es zu manipulieren, dass er seine Macht nicht aufgibt, sondern auf einen noch nicht annektieren Bereich ausdehnen wird - den Bereich der Kollektivseele. Freders Rebellion endet in der Festigung totalitärer Autorität, und er hält dies noch für einen Sieg.«5) Interessanterweise stimmen Eisner und Krakauer darin überein, dass die Form der im Film gezeigten Masse die einige Jahre später zustande gekommene totalitäre Herrschaft (die nach der Machtergreifung Hittlers installierte NS-Diktatur) vorwegnimmt. Diese Einschätzung ist nach dem Krieg verbreitet gewesen. Auch in der heutigen Diskussion von Metropolis wird sie noch vertreten. Inzwischen aber ist der Filmhistoriker Thomas Elsaesser (1943-) in seinem Buch “Metropolis”, das der allgemeinen Ablehnung von Thea von Harbous Idee (Konzeption) von Metropolis widerspricht, zu einer neuen Ansicht gelangt. »If the most frequent judgment, ever since its Berlin opening, has been ‘great movie, shame about the story’, this can’t be the whole truth, seeing how many “readings” the story has by itself provoked. The pot-pourri of motif may well have been opportunist and calculating, gathering up many pseudo-philosophical, social-romantic ,decadent- dystopic clichés that in the 20s were’ in the air,.«6) Ich stimme in jeder Beziehung dieser Meinung von Elsaesser zu. Er grenzt sich von den 42 Melodramatische Motive im Film Metropolis (1927) von Fritz Lang bisherigen Auffassungen des Films ab, die, wie die von Eisner und Krakauer, immer den Film mit der geschichtlichen Situation des Anstiegs vom Nazismus zu verbinden pflegen. Vielmehr lenkt er das Augenmerk auf verschiedene Motive des Films, die bis jetzt nicht als wichtig wahrgenommen wurden. Dabei weist er auf eine Reihe von Phänomenen hin, die für die Weimarer Kultur typisch sind, um den Film in einem anderen Licht erscheinen zu lassen und unter diesem Aspekt auszulegen. 3 Wie bereits angedeutet, liegt meine Absicht darin. Metropolis anders zu bewerten als die meisten bisherigen Analysen, die freilich in jüngerer Zeit, wie bei Elsaesser, schon positiv revidiert wurden. Metropolis ist nicht nur experimentelle Kunst, einer der bedeutendsten Stummfilme des Expressionismus, sondern auch ein volkstümlicher Unterhaltungsfilm aus der Blütezeit der Weimarer Republik. Meine These ist, dass Metropolis auch als „Liebesgeschichte“ betrachtet werden sollte, die normalerweise nicht ohne kitschige oder sentimentale Elemente auskommt. Die Liebesgeschichte zwischen Freder und Maria, ihre Liebe und ihr Fatum zeigt, meines Erachtens, dass der Film Metropolis in seinem Kern ein melodramatisches Thema variiert. Langs Film wurde, wie gesagt, von den zeitgenössischen Kritikern meist als banales Melodrama abgetan. Damit aber stellt sich die Frage, wie die melodramatischen Motive dieses Werks zu bewerten sind, bzw. zu welchen Ergebnissen man gelangt, wenn man diese Motive systematisch im Lichte einer modernen Melodrama-Theorie analysiert. Was ist eigentlich ein „Melodrama“? Das deutsche Wort „Melodrama“ kommt von einem italienischen Wort „melodramma (=grossartige Oper)“. Es bedeutet etymologisch „Melos (Musik)+ Drama“. Das Melodrama steht in einem engen Verhältnis zur Pastorale (=pastorales Drama) in ihrer frühen Form. Es gibt einen tragischen Faktor, von der Tragödie aber ist die Pastorale durch das „Happy End“ unterschieden. Entstanden ist das Bühnenmelodrama in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Italien. Es hat sich in Frankreich zu einer populären Spielform entwickelt. Dazu hat beigetragen, dass Lieder in das Drama integriert wurden. Es wurde als ein eigenständiges Dramengenre anerkannt, das auf das Publikum einen starken emotionalen Eindruck macht. Das Melodrama ist inzwischen als selbständige Form der Literatur, des Films, des Fernsehfilms sowie des Bühnendramas etabliert. Im Allgemeinen variiert das Melodrama ein einfaches Handlungsschema, das sich mit dem Melodramatische Motive im Film Metropolis (1927) von Fritz Lang 43 Schlagwort ‚boy meets girl’ oder ‚girl meets boy’ erfassen läßt. Diese Einfachheit zieht das Publikum an. Das Thema ist oft Sieg und Niederlage in der Liebe – der Liebe, die sich zwischen Mann und Frau entwickelt, wie auch der, in der beide sich verwickeln. In der Geschichte des Melodramas ist dieser „Liebes“-prozess meist ‚sentimental’ in Szene gesetzt worden. Aber dieses zentrale Motive des Melodramas wird in der Regel stark unterschätzt und die Bezeichnung „Melodrama“ oder „melodramatisch“ fast ausschließlich abwertend benutzt, obwohl die Stücke selbst weit verbreitet und beliebt waren. Ich denke, dass viele zeitgenössische Kritiker sich nur oberflächlich über die Bedeutung der „Liebesgeschichte“ Gedanken gemacht haben und deshalb zu keiner tieferen Auslegung gelangt sind. Seit seiner Urauf führ ung im Jahr 1927 ist Langs Film Vor wür fen wie „cliché-haft“ oder „kitschig“ ausgesetzt worden und manche Filmhistoriker glauben dem Motiv der Liebesgeschichte keine besondere Aufmerksamkeit widmen zu müssen. In Gegensatz dazu bin ich der Auffassung, dass viele Elemente des Melodramas, die in Metropolis eine Rolle spielen, sehr bedeutungsvoll sind. Um dieser These zu folgen, ist es notwendig, sich bei der Betrachtung des Films auf die Hauptfigur Freder zu konzentrieren, die Anlage dieser Figur im Lichte der Melodramatheorie zu betrachten, um die Handlung des Films als Liebesgeschichte zu deuten, die sich der Liebe Freders zu Maria realisiert. Dafür, diesen Film als Liebesgeschichte zu bestimmen, sprechen vor allem zwei Gründe. Der erste betrifft die Entwicklung der Geschichte, also das Drehbuch. Der zweite hat mit der Aufnahmetechnik zu tun. Erstens: Die Geschichte entfaltet sich stets unter dem Aspekt des Verhältnisses zwischen den beiden Hauptfiguren, d.h. der ‚Liebe’ Freders für Maria. Freder trifft Maria und macht dann wichtige Erfahrungen, indem er sich in sie verliebt. Wegen dieser ‚Liebe’ entzweit sich er mit seinem Vater, seinem einzigen Blutsverwandten, und sehnt sich immer heißer nach Maria und leidet umso mehr. Er wird verletzt und gerät in eine Reihe von Konflikten, er überwindet aber diese Schwierigkeiten und erreicht zum Schluss das ersehnte ‚Happy-End’. Herzensschmerz und Freude des Verliebten (die ‚Liebeskrise’) werden immer wieder variiert und überaus sentimental in Szene gesetzt. Einen Höhepunkt stellen die Szenen dar, in denen Freder vom Wiedersehen mit Maria berauscht ist, in denen er für Maria in einer Kirche betet, und er das Verhältnis Marias zu seinem Vater missversteht und er dadurch in einen Schock fällt. 44 Melodramatische Motive im Film Metropolis (1927) von Fritz Lang Freder stößt auf viele Hinder nisse, wie z.B. Grenzen, die durch Klassen- und Familienzugehörigkeit errichtet sind, er erlebt auch eine ‚Todeskrise’ und muss mit verschiedenen Schicksalen und Listen fertig werden. Ich nenne einige Hauptmotive des Films: 1) dramatische Begegnung und Wiedersehen der Geliebten, 2) scharfe Gegensätze zwischen den Personen, 3) unwiderstehliches Schicksal und 4) unerwartet rasche Entwicklung. Diese Motive sind in der Tradition des Melodramas geläufig. Sie bewirken eine Erhöhung der dramatischen Spannung. Man denke nur an die überlegenen Melodramen vom ‚Vater des Films’, D.W. Griffith und dem Meister des Melodrama Douglas Sirk. „Broken Blossoms“ von Griffith (1919) und „All That Heaven Allows“ von Sirk (1955) sind berühmte Vorbilder. In diesen Filmen ist dargestellt, wie die Hauptfigur von einem “unwiderstehlichen Schicksal” überwältigt wird oder nicht. Verschiedene Geschichten werden nacheinander immer neu entwickelt. Der Gegensatz von Erregung und Entmutigung wird durch den ganzen Film hindurch beschrieben. Zum Beispiel wird Maria nach dem Wiedersehen mit Freder von Rotwang angegriffen. Nachdem Freder Maria aus einer Flut errettet hat, wird Maria von Arbeitern gefangen, die sich pöbelhaft gebärden. Ein Ruhezustand kann sich nie etablieren, er wird immer wieder zerrüttet. Der zweite Aspekt für eine Neuinterpretation des Films betrifft die Aufnahmetechnik. Im Film Metropolis spielt die Soft-Fokus-Technik eine große Rolle, die, wie die Szene von Freder und Maria zeigt, eine phantastische Atmosphäre schafft und eine sentimentale Reaktion bei den Zuschauern hervorruft. Ich nenne einige Beispiele: 1) die Begegnung von Freder und Maria im Klub der Söhne am Anfang des Films, 2) das Wiedersehen von Freder und Maria in der Katakombe und 3) eine Kussszene von Freder und Maria nach dem Duell mit Rotwang. Bezeichnenderweise ist die Soft-Fokus-Technik nicht fortlaufend im ganzen Film eingesetzt, sondern nur in Szenen, die für die Handlung besonders wichtig sind. Sie sind langsam und überaus dezent gezeichnet, um auf die Zuschauer einen tiefen und unvergesslichen Eindruck zu machen. So stehen sie zu der Szene des Wahnsinns von Rotwang und der der Arbeiter im scharfen Kontrast. Die Soft-Fokus-Technik drückt den Aufschwung der Gefühle im Liebeserlebnis Freders aus, worin ich ein Hauptmotiv des Films sehe. Mit anderen Worten, dem Film liegt der wohl dosierte Einsatz dieser Technik als eine wichtige Komponente des Melodramas zugrunde. Durch diese Technik werden die Hauptfiguren, Freder und Maria als schöne und reine unschuldige Existenzen dargestellt. Indem sie sich der List von Rotwang und der Gewalt Melodramatische Motive im Film Metropolis (1927) von Fritz Lang 45 des Arbeiters aussetzen, zeigen sich deutlich die Zerbrechlichkeit, Stärke und Schönheit ‚der Liebe’. In Zukunft möchte ich diesen Film mit anderen melodramatischen Werken vergleichen, um meinen These weiter zu untermauern. Zu gleicher Zeit überprüfe ich die Geschichte der Entwicklung des Melodramas und dessen Studium noch tiefer und kritisch, um den Prozeß bis heute besser zu begreifen. Mein Ziel ist es, eine präzisere Definition des Melodramas zu gewinnen, um die melodramatischen Motive in Metropolis auf einer soliden theoretischen Grundlage und mittels einer exakten Bilderanalyse bestimmen zu können. ANMERKUNGEN 1)Vgl. Michael Töteberg: rororo Fritz Lang, Hamburg (Rowohlt Taschenbuch) 1985. S.55 2) Vgl. GuntramVogt: Die Stadt im Film: deutsche Spielfilme 1900-2000 ,,Marburg“ (Schüren Verlag) 2001, S.143 3) Vgl. Michael Minden, Holger Bachmann: Fritz Lang’s Metropolis: Cinematic Visions of Technology and Fear, NewYork(Camden Hause)2000, S.94 4) Vgl. G. Vogt, a.a. O., S.144 5) Vgl. Siegfried, Kracauer: VonCaligari zu Hitler,Baden-Baden (Nomos Verlagsgesellschaft)1984, S.173 6) Vgl.Thomas Elsaesser: METROPOLIS,London(British Film Institute)2000, S.67-68 LITERATUR Kracauer, Siegfried(1984):Von Caligari zu Hitler:Eine psychologische Geschichte des deutschen Films, Baden-Baden(Nomos Verlagsgesellschaft) Töteberg, Michael(1985): FritzLang. rororo, Monographien, Band 50339. Hamburg (Rowohlt Taschenbuch) Elsaesser, Thomas(2000): Metropolis, London( British Film Institute) Minden, Michael. Bachmann, Holger(2000): Fritz Lang’s Metropolis: Cinematic Visions of Technology and Fear, NewYork (Camden House) Vogt,Guntram(2001): Die Stadt im Kino Deutsche Spielfilme 1900-2000, Marburg (Schüren Verlag) 46