118. Georg Dietrich Otten1 an Anton Schindler - Beethoven-Haus

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Brief 118
4 Gemeint ist der Nachtrag zur Beethoven-Biographie: Anton Schindler, Beethoven in Paris, Ein Nachtrag zur Biographie Beethoven’s von A. Schindler, Münster 1842, vgl. Kap. 2.3.
5 Die fragliche Stelle lautet: „… ich fürchte in der hier wiederholten Bemerkung: dass C. M. v. Weber
eben so wenig in irgend einer freundschaftlichen Beziehung zu Beethoven gestanden, wie Moscheles, nicht gegen meine Freundschaft und Verehrung zu letzterem zu verstossen. Der persönliche Zutritt zu dem Grossmeister war zu schwer zu erlangen und Moscheles hätte sich deshalb nichts vergeben, wenn er der Erzählung von seinem interessanten Besuche bei Beethoven [...] beigefügt hätte,
dass ich ihn Beethoven vorgestellt habe, und dass er wirklich meiner bedurfte, um von dem Grossmeister empfangen zu werden.“ Anton Schindler, Beethoven in Paris, Ein Nachtrag zur Biographie
Beethoven’s von A. Schindler, Münster 1842, S. 125–126, vgl. Kap. 2.3.
6 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3, c-Moll, op. 37.
7 Phantasie für Klavier, Chor und Orchester op. 80. Vermutlich handelt es sich um die Uraufführung
der Phantasie (zusammen mit der fünften und sechsten Sinfonie) in der großen Akademie im Theater
an der Wien am 22. Dezember 1808 unter der Leitung Seyfrieds.
8 Der Abschnitt „ich erwähne“ bis „keiner Eitelkeit Raum zu geben“ wurde nachträglich durch eine
Randbemerkung eingefügt. Ursprünglich lautete der Satz: „Sie behaupten ich hätte Beethoven nicht
ein einziges mahl spielen gehört!! und ich würde sonst seine Werke anders metronomisirt haben.“
9 Davon berichtete Schindler im Oktober 1842 auch Gerhard von Breuning in einem Brief: „Damit,
daß ich im Pariser Conservatoir eine so schwierige Aufgabe zu lösen so glücklich war, in Beethovens
Musik eine so große u. folgenreiche Reformation zu Stande zu bringen, was mir erst im letzten
Winter gelungen, also nach Erscheinen meines ‚Beethoven in Paris‘ [...] als Anerkennung dessen
mich die Sociétät des Conservatoir zu ihrem Membre sociétaire (gegen die Gesetze des Hauses) ernannte, damit dürften wohl die Verläumder u. Widersacher Beethovens u. meiner Wenigkeit tüchtig
übers Maul geschlagen worden sein.“ Zitiert nach: Hilmar, Rosemary, Um Beethovens Andenken,
in: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft, Nr. 27, Dez. 1994, S. 27.
10 Siehe Brief 38, Anm. 1.
11 Siehe Brief 115, Anm. 9.
118. Georg Dietrich Otten1 an Anton Schindler
Hamburg 22 Mai [18]61
Geehrter Herr
Die vielfachen Verdienste welche Sie sich um Beethoven u seine Werke erworben,
haben Ihnen nicht nur den Dank aller Verehrer ernster Kunst zugezogen, sondern
sind auch Ursache daß in Bezug auf jene Werke mannigfache Fragen an Sie gerichtet werden. Eine solche Veranlassung führt auch mich zu Ihnen und ich bin so frei
auf eine freundliche Aufnahme zu rechnen da es ein reinstes Kunstinteresse ist das
mich bewegt an Sie zu schreiben.
Ich bin seit längeren Jahren schon in Hamburg (nachdem ich musikalische Studien bei Schneider2 in Dessau) gemacht, thätig als Lehrer u Musikdirector. Vielleicht
haben Sie meinen Namen schon in den musikalischen Zeitungen gesehen u ich
wünschte Sie möchten aus den Programmen der von mir gegebnen Concerte (die
sich seit den letzten Jahren in feste Abonnementconcerte des von mir dirigirten
„Hamburger Musikvereins“ erweiterten) ersehen haben, daß ich in eifrigster Weise deutsche, ernsthafte Kunst pflege. Ich habe vorzugsweise sehr viele große Werke, ältre u neuere, hier zuerst zur Ausführung gebracht. Die ersten Solisten, wie
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Brief 118
Joachim3 Stockhausen4 Bürde Ney,5 Claus, Clara Novello,6 Artôt Frau v. Milde7, Schneider u viele andre sind in unsern Concerten aufgetreten. Ich führe dies an um nachzuweisen daß ich vielleicht das Vertrauen verdiene um welches ich für mein Anliegen bitte.
Ich habe jetzt den Wunsch, wenn die Zeitläufe es nicht verhindern, im Herbste
etwa Ende Octob oder Anfang November Beethoven’s große Messe in D dur u zwar
mit großen Kräften in unsrer großen Michaeliskirche (die geheizt werden kann) zur
Ausführung zu bringen. Die große majestätische Orgel, deren Begründung wir Mattheson danken, ein ganz freier Raum der gegen 5000 Hörer fassen kann, würden
Gelegenheit geben das unbeschreiblich schöne Werk zu einer nicht gewöhnlichen
Aufführung zu bringen. Ich kann hier wohl 200 bis 250 Stimmen vereinigen, denke aber auch Hülfe von Lübeck Schwerin Rostok u.s.w. zu erlangen wozu mir die
bereitwilligste Gesinnung offenbaret ist. Die Aufführung ist die erste in Hamburg
bis auf das Kyrie u Benedictus welche ich zuerst in diesem Winter im Concertsaal
gegeben habe. Mehrere sehr einflußreiche Musikfreunde denen ich davon sagte sind
sehr bereit mich zu unterstützen. Doch darf vorläufig nichts davon öffentlich verlauten. Für die Soli würde ich die treffliche schwedische Hofsängerin Frau Michal8
haben deren schöner, reiner Sopran bis ins hohe D hinaufgeht, für den Alt Frau S.
Gurau geb. Schloss,9 für den Tenor wahrscheinlich Herrn O. Wolters in Darmstadt
meinen ehemaligen Schüler u zum Baß endlich einen hiesigen trefflichen Dilettanten, dem vielleicht nur die Tiefe nicht sehr kräftig zu Gebote steht. Alle 4 sind durch
u durch musikalisch fest. Nun habe ich allerlei Fragen an Sie richten wollen deren
Beantwortung für mich sehr wichtig ist.
1. Giebt es eine etwa von Beethoven gebilligte ausgeschriebene Orgelstimme bei der etwa nur die Registrirung sich nach dem hiesigen Werk u dem Raum zu richten hätte?
2. Sollte es nicht rathsam sein, das ganze Sanctus vom Beginn an [vom] Chor singen zu lassen?
3. Ist der Tact im Agnus Dei nicht 4/4? In der Partitur steht C was doch das Orchester jedenfalls zu einer falschen Auffassung veranlaßt da der Satz doch sehr ernsthaft u feierlich ist.
4. Hinsichtlich der nach C hinabgehenden Contrabässe würde ich wahrscheinlich
hier einen Baß haben der (5 saitig) so tief geht. Unsre Bässe gehen alle nur bis E.
5. Sind Sie geneigt mir möglichst genau die Nachweise zu geben wo u von wem das
Hauptsächlichste über die Messe in Büchern u Zeitungen gesagt ist?
Mein Papier zwingt mich hier zuerst zu schließen. Von Ihrer Antwort, deren
Porto natürlich mir zufällt, hängt es ab ob ich noch weiter fragen darf. Sein Sie
überzeugt daß ich die ganze Würde u den Werth des Werkes u meines Unternehmens kenne u von dem guten Grundsatz durchglühet bin, den die Römer schon
aussprachen: Res severa est verum gaudium. Ich löse ein Gelübde das ich auf B.[eethovens] Grabe auf dem Währinger Kirchhofe schon im Herbste 1847 gethan.
G. D. Otten
Director des Hamburger Musikvereins.
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Brief 119
Joachim versprach mir schon früher das Violinsolo zu spielen.10
Quelle: Autograph, Beethoven-Haus Bonn (BH 213,193).
1 Georg Dietrich Otten (1816–1890), Lehrer und Dirigent in Hamburg.
2 Vmtl. Friedrich Schneider (1786–1853), Komponist, Lehrer und Dirigent, u.a. Opernkapellmeister,
Musikdirektor und Organist in Leipzig, später Hofkapellmeister in Dessau.
3 Joseph Joachim (1831–1907). Siehe Brief 21, Anm. 8.
4 Vmtl. Julius Stockhausen (1826–1906), Sänger und Dirigent, u.a. in Hamburg, Stuttgart und Berlin.
5 Jenny Bürde (geb. Ney, 1824–1886), Opernsängerin in Wien und Dresden.
6 Clara Anastasia Novello (1818–1908), Sängerin.
7 Rosalie von Milde (1827–1906), Sängerin an der Hofoper in Weimar.
8 Luise Michal (geb. Michaeli, 1830–1875), Opernsängerin aus Stockholm.
9 Sophie Gurau (geb. Schloss, 1821–1903), Altistin.
10 Bezieht sich vermutlich auf das große Violinsolo im Benedictus der Missa solemnis op. 123.
119. Georg Dietrich Otten an Anton Schindler
Hamburg 19 Juni 1861
Geehrter Herr
Schon gleich nach dem Empfang Ihres so eingehenden Schreibens vom 28 Mai
wäre es meine Pflicht gewesen Ihnen meinen Dank für Ihre Bereitwilligkeit zu sagen. Allein, theils Berufsgeschäfte, mehr aber noch die schwere Erkrankung eines
Familiengliedes haben mich gehindert. Ich säume jetzt nicht länger unter Voraussendung des besten Dankes über die einzelnen Punkte zu erwiedern. Zuvor muß ich
noch erwähnen daß die Sache sich ziemlich definitiv gestaltet, so daß ich die bestimmte Aussicht hege es werde nicht allein zur Ausführung kommen sondern auch
die dafür vereinigten Mittel werden dem schweren und bedeutenden Unternehmen
angemessen u gewachsen sein.1 Eine warme Aufnahme findet mein Vorschlag überall. Frau Michal aus Stockholm ist für den Sopran, Frau Gurau (früher Sophie Schloss)
für den Alt u ein hiesiger trefflicher Dilettant Herr Schultz für den Baß bestimmt.2
Herr Wolters in Darmstatt kann keinen Urlaub erhalten. Ich muß mich jetzt nach
einem Tenor umsehen. Herr C Schneider3 dem ich befreundet bin scheint mir vortrefflich geeignet u hat sich wenn ich nicht irre noch so eben in Aachen in dieser
Parthie ausgezeichnet. Die große Orgel in der Michaelis-Kirche – doch das bedarf
gerade erst der Erwähnung. Die Gründe welche Sie für die gänzliche Entfernung der
Orgel aus der Partitur anführen,4 haben mich nicht überzeugen können daß nicht
der Zutritt des erhabnen Instruments an mehreren bedeutenden Stellen die Wirkung noch um vieles steigern sollte. Daß Beethovens Werk nicht kirchlich, d.h. nicht
officiell katholisch sei das ist unläugbar u grade sein großes Verdienst; aber wenn
denn doch für den Ausdruck des heutigen religiösen Bewußtseins, das sich möglichst fern von jedem Buchstabenglauben hält, Beethoven keinen passendren Text
als den uralten der Missa zu finden wußte also in dieser äußern Form eben streng
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