„DER WECHSEL ZU ERNEUERBAREN ENRGIEN IST EINE HISTORISCHE NOTWENDIGKEIT“ „Der Wechsel zu Erneuerbaren Energien ist eine historische Notwendigkeit“ Die Rede von Bundesminister Sigmar Gabriel zur Eröffnung der Weltversammlung für Erneuerbare Energien (WREA) 2005, 26. November 2005, im Wortlaut: Lieber Hermann, meine Damen und Herren, eines gestehe ich gerne: Diesen Termin habe ich zusagt, bevor die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen waren. Denn ich habe mich gefreut, dass die Eröffnung der Weltversammlung für Erneuerbare Energien einer meiner ersten Termine als Umweltminister werden könnte. Ich erhoffe mir von Ihrer Konferenz Rückenwind für die Klimaverhandlungen in Montreal, zu denen ich in ein paar Tagen aufbreche. Klimaschutz braucht eine solide Basis. Und die bieten Erneuerbare Energien. er nationale und globale Ausbau der Erneuerbaren Energien ist Regierungsprogramm und eine Aufgabe. Hermann Scheer wird im Übrigen mit Sicherheit das seine tun, um mich auf diesem Feld zu Höchstleistungen anzutreiben. Und das ist auch gut so, denn der Klimawandel verlangt ultimativ den forcierten Ausbau der Erneuerbaren Energien. D Ich war Ministerpräsident von Niedersachsen und ich kenne die Nachteile anderer Energien nur zu gut. Eine der früheren Bundesregierungen entschied, dass der Hunderttausende von Jahren strahlende Atommüll in meinem Bundesland, in meinem Heimatbereich Deutschlands, an der Grenze zur ehemaligen DDR vergraben werden sollte. Und ich frage, ist das eigentlich fair gegenüber späteren Generationen gewesen, die mit dieser Gefahr leben werden? Unsere Nachfahren müssen in 100 Jahren möglicherweise enorme Summen aufbringen, um den strahlenden Müll des von uns schnell verbrauchten Stroms zu sichern. Denn bisher haben Menschen noch nie eine technische Lösung gefunden, die Hunderttausende von Jahren hält. Und ist es eigentlich fair, Wirtschaftswachstum und Klimaschutz auf einer solchen Energieproduktion aufzubauen? Ich bin dezidiert anderer Auffassung und ich finde auch, bei der Debatte um dieses Thema müssen wir in Montreal zeigen, dass es keine Alternative sein kann, die Risiken der fossilen, traditionellen Energieträger zu ersetzen durch ein gigantisches Risikos bei der Produktion von Strom aus Kernenergie. Aber als Bewohner eines norddeutschen Bundeslandes kenne ich die Vorteile der Erneuerbaren Energien ebenso gut aus eigener Anschauung: – In meinem Bundesland ist gut ein Viertel der gesamten deutschen Windenergieleistung installiert: nämlich 4.500 MW. – Von den 63.000 Arbeitsplätzen der Windenergie ist jeder fünfte in Niedersachsen. – Niedersachsen ist das Stammland des Weltmarktplayers ENERCON. – Und in Niedersachsen werden 2005 wieder gut 360 Mio. € allein im Bereich der Windenergie investiert. Arbeitsplätze und Erneuerbare Energien sind in diesem norddeutschen Bundesland wie kaum an einer anderen Stelle in Deutschland so gut miteinander verbunden. Erneuerbare Energien sind eine Chance für mehr Gerechtigkeit: Erneuerbare Energien sind anders als fossile Energien nicht das Privileg der heute Lebenden. Sondern so viel Wind und Sonne wir auch heute nutzen – wir mindern selbst mit dem größten Energieverbrauch nicht die Zukunftschancen späterer Generationen. Im Gegenteil: Wenn wir auf Erneuerbare Energien setzen, machen wir die Zukunft unserer eigenen Kinder und Enkel sicherer. Schon jetzt sterben nach Schätzungen der WHO jährlich 150.000 Menschen allein an Gesundheitsproblemen infolge des Klimawandels. Die Hitzewelle im August 2003 kostete in Europa zwischen 22.000 und 45.000 Menschen das Leben. Welchen Gefahren und Schäden werden viele Millionen Menschen in überschwemmungsgefährdeten Ländern wie Bangladesh und China ausgesetzt sein, wenn die globale Erwärmung 1,5 oder 2 Grad beträgt? Stellen Sie sich das Ausmaß von Wüsten vor, mit denen Afrika dann leben muss. Klimaschutz durch den Ausbau Erneuerbarer Energien schützt in diesen Regionen das Recht der Menschen auf Leben. Der Ausbau Erneuerbarer Energien ist deshalb wirklich lebensrettend – und in dieser Sprache müssen wir die Notwendigkeit des Ausbaus Erneuerbarer Energien auch in der Öffentlichkeit präsentieren. Jedes Land hat selbst Erneuerbare Energien: Ein Mix aus Sonne, Wind, Wasser, Geothermie und Biomasse macht in jedem Land viele zu kleinen Energieproduzenten. Erneuerbare Energien bieten die Chance, in einem zentralen Wirt- Solarzeitalter 4/2005 5 „DER WECHSEL ZU ERNEUERBAREN ENRGIEN IST EINE HISTORISCHE NOTWENDIGKEIT“ schaftsbereich auch die Spaltung in Arm und Reich zu überwinden zu helfen. Das gilt global, national und regional. Es gilt auch für die Spaltung zwischen Stadt und Land. Gerade in strukturschwachen Regionen mit geringen Einkommenschancen sind Erneuerbare Energien eine große Chance für Kommunen und Bürger. Erneuerbare Energien schaffen auch in dieser Beziehung mehr Gerechtigkeit. Und der Verzicht auf den Transfer der klassischen Form von Energieproduktion in Schwellen- und Entwicklungsländer trägt auch dazu bei, dass Menschen nicht deshalb die Landflucht in die Städte und Ballungszentren auf sich nehmen müssen, weil sie sonst keine Chance gaben, an Strom oder Wärme zu kommen. Auch das ist ein Beispiel, dass Erneuerbare Energien Chancen auf Gerechtigkeit und auf Lebensperspektiven auch auf dem Lande bieten. Der einzelne Bürger kann über einen Solarkollektor oder eine Pelletsheizung mitentscheiden, wie viel Geld ein Stromkonzern ihm abnehmen darf. Er oder sie kann sich befreien aus der Zwangsbindung an große Energieversorger. Auch Autofahrer sind nicht länger an Benzin und Diesel gebunden: Sie können inzwischen auf Erdgas und Biokraftstoffe umsteigen. Das Tankstellennetz wird von Monat zu Monat dichter, immer mehr Wagentypen ermöglichen CO2-arme Kraftstoffe. Erneuerbare Energien sind deshalb auch ein Weg zu mehr Selbstbestimmung und Freiheit. Bisher haben diese Wahlmöglichkeit vor allem Menschen in den reichen Staaten des Nordens. Aber vor allem in China, Indien und anderen Schwellenländern steigt der Energieverbrauch drastisch. Die Menschen dort brauchen die gleiche Wahlmöglichkeit. Die Weltkonferenz für Erneuerbare Energien, die renewables2004, hat dafür Chancen geschaffen. Die Konferenz in Bonn war der globale Aufbruch in ein neues, solares Energiezeitalter. Allein das in Bonn vereinbarte Internationale Aktionsprogramm führt zu Investitionen von rund 320 Mrd. US$. Es gibt bis zu 300 Mio. Menschen erstmals Zugang zu Strom. Das ist ein 6 Solarzeitalter 4/2005 großer Schritt zu mehr globaler Gerechtigkeit. Denn der Ölpreis steigt und wird vermutlich weiter steigen. Analysten prognostizieren bereits 100 Dollar pro Barrel. Das nimmt vielen Ländern des Südens jeglichen Gestaltungsspielraum für die eigene gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Auch die Boomländer setzen auf Erneuerbare Energien. China hat mit Erneuerbaren Energien in nur drei Jahren für eine Million Menschen in entlegenen Regionen Zugang zu Strom geschaffen und damit die Entwicklungschancen dieser Gebiete bedeutend verbessert. China hatte bei der renewables2004 ambitionierte Zusagen zum Ausbau Erneuerbarer Energien gemacht. Aber inzwischen hat Peking die Ziele noch erhöht: Der Anteil Erneuerbarer Energien soll bis 2020 von derzeit 7 % auf 15 % angehoben werden. Die Windkraft soll, so steht es im neuen Fünf-Jahresprogramm, bis 2020 30 Gigawatt erreichen. Die Bioenergie 20 und die Solarenergie 4 Gigawatt. Zusammen mit der großen Wasserkraft will China bis 2020 insgesamt mehr als 30 % seines Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen erzeugen. Auf der renewables2004 hatte sich ein internationale Netzwerk für Erneuerbare Energien gebildet: REN21. Auf der Nachfolgekonferenz in Bejing, der BIREC05, hat REN21 vor zwei Wochen den ersten belastbaren Überblick über den Ausbau der Erneuerbaren Energien vorgestellt, den Globalen Statusreport Erneuerbare Energien 2005. Deutschland hat in dieser Entwicklung außerordentliche Fortschritte gemacht. Deutschland ist in den letzten Jahren international zum politischen, technologischen und industriellen Vorreiter für die Mobilisierung Erneuerbarer Energien geworden. Das gilt insbesondere für die Stromproduktion aus Wind- und Sonnenkraft. Mehr als ein Drittel der weltweit insgesamt installierten Windkapazitäten sind in Deutschland errichtet worden, obwohl es zahlreiche Länder mit wesentlich günstigeren natürlichen Windbedingungen gibt. Im Jahr 2005 sind mehr als ein Drittel aller Neuinstallationen von Photovoltaik-Anlagen bei uns in Deutschland installiert worden, obwohl es zahlreiche Länder mit wesentlich mehr natürlicher Solarstrahlung gibt. Die Stromerzeugung aus Biomasse erweitert sich zügiger als andernorts. Die geothermische Stromerzeugung fasst Fuß und wird in den kommenden Jahren erhebliche Zuwachsraten bringen. Jedes Jahr werden etwa 1,5 Prozent konventioneller Stromerzeugung durch Erneuerbare Energien ersetzt. Und jedes Jahr reduzieren wir damit die CO2-Emissionen um jeweils 7 Mio. Tonnen, so dass der politische Rahmen dafür – das Erneuerbare EnergieGesetz in unserem Land – inzwischen zum bisher erfolgreichsten Instrument für einen aktiven Klimaschutz geworden ist. Mit diesem Politikansatz haben wir gleichzeitig die weltweit größten Produktivitätssteigerungen und damit auch Kostensenkungen für Erneuerbare Energien im internationalen Vergleich erzielt und etwa 80.000 industrielle Arbeitsplätze geschaffen, neben weiteren 50.000 im Bereich der Solarthermie und der Biomasse. Wir haben inzwischen 130.000 neue und vor allem zukunftssichere Arbeitsplätze in unserem Land allein durch die Entwicklung Erneuerbarer Energien geschaffen. Diese Erfolge bedeuten nicht, dass wir uns darauf ausruhen dürfen und wollen. Sie bedeuten auch nicht, dass wir uns nicht weiter verbessern könnten und sollten – und auch nicht, dass wir nicht auch von anderen lernen können. Das gilt zum Beispiel für die Frage der Bioenergie, für die Brasilien, Schweden oder Österreich herausragende Beispiele gesetzt haben. Und wir lernen auch von Ländern wie Spanien oder China in der Mobilisierung solarthermischer Wärmenutzung. Insgesamt kann man aber sagen, dass die Politik der letzten Jahre in unserem Land für Erneuerbare Energien eine echte Erfolgsstory geworden ist. Von „DER WECHSEL ZU ERNEUERBAREN ENRGIEN IST EINE HISTORISCHE NOTWENDIGKEIT“ manchem wurde die Erneuerbare-Energien-Politik vor allem einer bestimmten Koalition in Deutschland, SPD und Grüne, zugeschrieben. Nach einer Veränderung in der politischen Landschaft war es für uns wichtig, alle Befürchtungen beiseite zuschieben, dass es in einer Großen Koalition Einschränkungen in der Politik Erneuerbarer Energien geben könnte. Davon kann nach dem Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD auch keine Rede sein. Die neue Regierung wird die Politik der letzten Jahre nicht nur fortsetzen, sondern um wesentliche Aspekte weiter ausbauen. Dafür sprechen neben der Koalitionsvereinbarung eine Reihe wichtiger Faktoren in der politischen Entwicklung in Deutschland: – Die deutsche Erneuerbare-EnergienPolitik begann bereits 1991 mit dem Stromeinspeisegesetz für Erneuerbare Energien sowie mit der Privilegierung Erneuerbarer Energien im Bundesbaugesetz und der Steuerbefreiung von Biodiesel im Jahr 1995. Damit wurden Grundsteine gelegt, getragen von allen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. Und es waren parlamentarische Initiativen des Deutschen Bundestages, was zeigt: Erneuerbare Energien sind im Parlament breit verankert. – Die Sozialdemokratie hat die anzustrebende Perspektive des Solarzeitalters seit 1994 in ihren Wahlprogrammen hervorgehoben. Diese Perspektive gehört seitdem zur politischen Identität der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Und erste Initiativen, wie das 100.000-Solardächer-Programm als weltweit erstes Masseneinführungsprogramm, wurden von ihr eingeleitet. Gleiches gilt für die anstehende Initiative zur Schaffung einer internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA), auf die ich noch zu sprechen kommen will. Und die Einladung für die internationale Regierungskonferenz für Erneuerbare Energien in Bonn, die „Renewables 2004“, erfolgte durch den Bundeskanzler Gerhard Schröder auf der UN-Konferenz in Johannesburg 2002. Hermann Scheer, vermutlich der weltweit hartnäckigste Vertreter und Vorreiter für Erneuerbare Energien, ist sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter. Und unter den Bundestagsabgeordneten, die sich vehement für die offensive Erneuerbare-Energien-Politik einsetzen, sind viele Mitglieder dieser Regierungskoalition, darunter auch der Bonner Abgeordnete der SPD Ulrich Kelber, der wohl – ich wage mal die Prognose – in der nächsten Woche neuer stellvertretender Vorsitzender der SPDBundestagsfraktion werden wird und sich für diesen Bereich besonders verantwortlich fühlt. – Die weltweit sich zuspitzende krisenhafte Entwicklung des konventionellen Energiesystems spricht von Tag zu Tag mehr dafür, die Erneuerbaren Energien und die Steigerung v.a. der Energieeffizienz ins Zentrum der Energie-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik zu stellen. National wie global. Das vereinbarte Programm der Großen Koalition hält nicht nur am Erneuerbaren Energie-Gesetz fest. Dieses Gesetz ist – und muss es auch sein – ein lernendes System, das ständig auf der Basis erreichter Fortschritte und gemachter Erfahrung überprüfen werden muss. Dies werden wir im Jahr 2007 machen und es dabei weiterentwickeln. An den Grundpfeilern des Gesetzes – der garantierte Netzzugang und die garantierten Einspeisetarife – werden wir nicht rütteln. Einen besonderen Schwerpunkt werden wir dabei auch bei Repowering und der Offshore-Förderung im Windenergie-Bereich legen. Wir werden darüber hinaus einen ordnungspolitischen Ansatz für die solare Wärmenutzung suchen. Der geeignetste und offensivste Ansatz dazu wäre ein regeneratives Wärmegesetz, mit dem Ziel, die solare Wärmegewinnung zu einem selbstverständlichen Element im Bereich des Hausbaus werden zu lassen. Damit bahnen wir auch den Weg zu zukünftigen neuen architektonischen Gestaltungsformen. Und auch im Bereich der Altbauten setzen wir einen neuen Schwerpunkt durch ein energetisches Altbausanierungsprogramm, das immerhin einen Umfang von 1,5 Mrd. € haben wird. Wir wollen eben in der neuen Regierung zeigen, dass in der Tat möglich ist, Beschäftigungsperspektiven gerade für kleine und mittlere Unternehmen, für das Handwerk, für die Dämmstoffindustrie zu schaffen und gleichzeitig einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Arbeit und Umwelt ist eben – wenn man vernünftig anpackt und die Ziele stringent verfolgt – kein Widerspruch und wir hoffen, dass wir hier besonders viel für die Beschäftigung, aber auch besonders viel für den Klimaschutz tun können. Je erfolgreicher wir in der Steigerung der Energieeffizienz und damit in der Reduzierung des Gesamtenergieverbrauchs sind, desto schneller und breiter kann der Umstieg zu Erneuerbaren Energien realisiert werden. – In der Forschung und Entwicklung Erneuerbarer Energien setzen wir nicht allein auf politische Initiativen, so notwendig diese sind und bleiben. Die industrielle Forschung und Entwicklung ist aufgrund ihrer Praxisnähe von enormer Bedeutung. Sie setzt voraus, dass es florierende Unternehmen in der Produktion von Erneuerbare-Energien-Anlagen gibt. Was Unternehmen, die im Rahmen des EEG entstanden und gewachsen sind, hier geleistet haben, ist wirklich bemerkenswert. Dies zeigt, dass die industrielle Förderung der Erneuerbaren Energien und die technologische Profilierung nicht voneinander zu trennen sind. Im Bereich der öffentlichen Forschung und Entwicklung Erneuerbarer Energien wollen wir die Schwerpunkte setzen in der Aufgabe, – neue Solarzellenmaterialien zu entwickeln, die Kostendegressionen ermöglichen und die Anwendungsvielfalt verbreitern; – die wechselseitige Ergänzung der verschiedenen Erneuerbaren Energien nahtlos ermöglichen und vor allen Dingen Energiespeichertechnologien voranzubringen. Aus mei- Solarzeitalter 4/2005 7 „DER WECHSEL ZU ERNEUERBAREN ENRGIEN IST EINE HISTORISCHE NOTWENDIGKEIT“ ner Sicht wird dem Thema Energiespeicherung in den kommenden Jahren die größte Bedeutung beizumessen zu sein. Das wird die wirklich technologische Herausforderung sein, um auch – im industriellen Maßstab – den Erneuerbaren Energien noch stärker zum Durchbruch zu verhelfen. Der anzustrebende Zukunftsmix aus Erneuerbaren Energien bedeutet, dass der Anteil Erneuerbarer Energien im generellen Energiemix immer größer werden muss und gleichzeitig die Erneuerbaren Energien wechselseitig und mit den herkömmlichen Energiekonzeptionen kompatibel werden müssen. – Das Ziel „Weg vom Öl“ muss durch uns noch zügiger vorangetrieben werden. Neben der Substitution des fossilen Energiebedarfs durch Erneuerbare Energien für die Heizungs- und Kühlbedürfnisse in den Häusern bedeutet das vor allem, die Markteinführung der Biokraftstoffe zu beschleunigen. Dies wollen wir vor allen Dingen durch die Einführung einer Beimischungspflicht von Biokraftstoffen erreichen. Der Wechsel zu Erneuerbaren Energien ist eine historische Notwendigkeit, für uns und für die Weltzivilisation insgesamt. Das Motto der heute beginnenden Weltversammlung, auf der Protagonisten Erneuerbarer Energien aus allen Ländern zusammenkommen, teile ich: Für die globale Mobilisierung Erneuerbarer Energien darf keine Zeit mehr vergeudet werden. Die Notwendigkeit stellt sich nicht allein aus Gründen des Klima- und Umweltschutzes. Sie stellt sich ebenso aus Gründen der Energiesicherheit und übrigens auch der internationalen Friedenssicherung angesichts der sich erschöpfenden und dabei verteuernden fossilen Energiereserven und der sich erschöpfenden und teurer werdenden Uranreserven. Sie stellt sich aus entwicklungspolitischen Gründen angesichts der untragbaren volkswirtschaft- 8 Solarzeitalter 4/2005 lichen Belastungen durch Energieimporte. Sie stellt sich aus Gründen der Schaffung neuer industrieller Arbeitsplätze und der Belebung regionaler Wirtschaftskreisläufe. Sie gibt der Landwirtschaft eine neue Perspektive. Erneuerbare Energien sind ein wesentlicher Beitrag zur Gesundheitsförderung und zur Vermeidung von Wasserkrisen. Erneuerbare Energien sind die nicht fossile Alternative zur Atomenergie. Und Erneuerbare Energien haben eine kaum zu überschätzende sozialpsychologische Bedeutung: Sie sind und vermitteln die Hoffnung, dass die globalen Umweltprobleme, die viele – angesichts der Katastrophenmeldungen, die wir täglich über die Fernsehsender und Zeitungsberichte in unsere Wohnzimmer bekommen – schon für unlösbar halten, doch gelöst werden können. Menschen brauchen Hoffnungen und zwar nicht Visionen, die sie nicht erreichen können, sondern wirklich im Alltag nachvollziehbare Möglichkeiten. Nur dann werden sie sich auch engagieren, sonst geben sie sich dem Fatalismus hin. Erneuerbare Energien sind deshalb Zukunftsträger. Die Politik dafür erfordert riesige Anstrengungen. Der damit verbundene Strukturwandel wird viele Konflikte mit sich bringen. Die umfassenden Vorteile Erneuerbarer Energien ergreifen zu können, erfordert eben eine dafür aktivierte Gesellschaft – und eine Gesellschaft lässt sich nur aktivieren, wenn sie konkrete Zukunftshoffnungen für sich selbst, aber auch für die eigenen Kinder und Enkelkinder damit verbindet. Was wir alle hierfür tun müssen, erfordert hohes Verantwortungsbewusstsein. Das gilt nicht nur national und in unserem jeweiligen unmittelbaren Einflussbereich, sondern auch international – und nicht nur in der Politik, sondern auch in Wirtschaft und Gesellschaft. Unserer internationalen Verantwortung stellen wir uns, in Europa und weltweit. Die mit der Mobilisierung der Erneuerbaren Energien, mit dem EEG als Motor, schon erreichten Kostendegres- sionen kommen der gesamten Entwicklung weltweit zugute. Meine Ministerkollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat für die von ihr verantwortete Politik der Entwicklungszusammenarbeit den Schwerpunkt auf Erneuerbare Energien zu setzen begonnen. Sie wird das sicher verstärkt fortsetzen, nicht zuletzt in internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank und anderen Entwicklungsbanken. Natürlich ist auch die Bildung einer Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien, IRENA, eine exzellente Idee und muss umgesetzt werden – weil wir ein Gegengewicht brauchen zu den internationalen Netzwerken und Institutionen, die sich den fossilen Energien und – in einem besonderen Fall – auch der atomaren Energieerzeugung besonders verpflichtet fühlen. Für die politische Auseinandersetzung auf Augenhöhe mit den Interessenvertretern anderer Energiestrukturen kann dies für die Erneuerbaren Energien weltweit von erheblicher Bedeutung sein. Ich würde aber nicht soweit gehen, die REN21 zu vernachlässigen – für meine Begriffe muss die REN21der Nukleus sein, um in möglichst kurzer Zeit Bündnispartner zu finden zur Bildung der IRENA. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, diese vielen Projekte einer umfassenden Energiewende zu realisieren. Ich freue mich jedenfalls auf die Zusammenarbeit mit EUROSOLAR und dem Weltrat für Erneuerbare Energien und mit meinem – in der Tat – persönlichen und nicht nur politischen Freund Hermann Scheer, dem ich als Neuling in diesem Amte auch viel zu verdanken habe. Arbeiten wir gemeinsam dafür, dass wir Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit Erneuerbaren Energien erneuern. Denn der Ausbau Erneuerbarer Energien hilft entscheidet zur Bekämpfung des vielleicht größten Problems unserer Zeit: des Klimawandels. Regenerative Energien schwächen den Klimawandel ab, der massiv die Erfolge bei der Armutsbekämpfung bedroht. Schon „DER WECHSEL ZU ERNEUERBAREN ENRGIEN IST EINE HISTORISCHE NOTWENDIGKEIT“ jetzt im Anfangsstadium verursacht er Milliardenschäden. Schäden in Billionenhöhe sind laut Experten absehbar, wenn der Klimawandel ungebremst weitergeht. Die Fluten, Dürren und Hurricane treffen vor allem Arme in Nord und Süd und rauben ihnen immer wieder das wenige, das sie sich mühsam aufgebaut haben. Wer reich ist, kann seinen Besitz zumindest versichern. Wer arm ist, taucht weder in einer Schadensstatistik noch in den Medien auf, wenn er überhaupt überlebt. Um das Millenniumsziel, die Zahl der Armen bis 2015 zu halbieren, erreichen und dauerhaft halten zu können, müssen wir dem Klimawandel Grenzen setzen. Der Klimawandel wird schwelende Konflikte um Süßwasser verschärfen. Diesen Konflikten beugt der massive Ausbau Erneuerbarer Energien vor. Gewalttätige, militärische Auseinander- setzungen drohen nicht nur im dünn besiedelten Sahel. Die sieben größten Flüsse Asiens entspringen in den Gletschern des Himalaya, wo die Erwärmung mit 1 Grad deutlich über der globalen Durchschnittstemperatur liegt. Sind die Gletscher einmal weg geschmolzen, entsteht massiver Süßwassermangel in einer der bevölkerungsreichsten Regionen der Welt. Konflikte zwischen Stadt und Land, zwischen Landwirtschaft, Industrie, Energiewirtschaft und Städten, zwischen Regionen, Bevölkerungsgruppen und sogar zwischen Staaten sind absehbar. Ich will jedenfalls in Montreal für die Bundesrepublik das EU-Ziel von maximal 2 Grad Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit verteidigen. Denn sonst drohen massive, irreversible globale Veränderungen. Bei einer Erwärmung um mehr als 2 Grad droht das gesamte Grönlandeis zu schmelzen. Dann stiege der Meeresspiegel langfristig - über mehrere Jahrhunderte – um weitere sieben Meter. Da viele Megastädte an Küsten liegen, würde das eine Binnenwanderung und Konflikte von unvorstellbarem Ausmaß verursachen. Dieses drohende Szenario wollen und müssen wir vermeiden. Erneuerbare Energien sind deshalb mehr als nur eine intelligente Form der Energieerzeugung. Der kanadische Umweltminister Dion sagte auf der BIREC05 in Peking, dass die Fortschritte beim weltweiten Ausbau der Erneuerbaren Energien ein wichtiges Argument seien, um die Staatengemeinschaft für ambitionierte Verpflichtungen bei einer zweiten Kyoto-Phase zu überzeugen. Lassen Sie uns gemeinsam hier in Bonn und danach jeder in seinem Land und in seinem Verantwortungsbereich für diesen Rückenwind sorgen 8. EUROSOLAR-Konferenz „Der Land- und Forstwirt als Energie- und Rohstoffwirt“ 6. - 7. März 2006 in Bonn, Kunstmuseum Jedes Handlungskonzept muss ständig profiliert, weiterentwickelt und gegenüber Widerständen und Fehlentwicklungen bestandsfest gemacht werden. Diese Aufgabe dient die nunmehr achte Folge unserer Konferenz. Auf der Tagesordnung stehen die Themen: Beimischungszwang und/oder Steuerbefreiung von Biokraftstoffen: Das Konzept einer differenzierten „Zwei-Wege-Strategie“ WTO und Biokraftstoffe: Gründe, Möglichkeiten und Wege für Importsteuerungen Vorschläge zur Novelle der Biomasse-Verordnung und zur Definition von nachwachsenden Rohstoffen Zertifizierung von Biomasse gegenüber Zweckentfremdung Möglichkeiten zur Abwendung administrativer Hemmnisse und Netzanschlussverweigerungen Ansätze zur Forcierung von Biogasdurchleitungen Zur Kooperation von Stadtwerken und Land- und Forstwirtschaft Das Kostensenkungspotenzial für Bioenergie Ein vollständiges Programm steht ab dem 5. Januar 2006 zur Verfügung Weitere Informationen unter www.eurosolar.org Solarzeitalter 4/2005 9