Das Journal Nr. 03 // Februar, März, April 2012 Die Staatstheater Stuttgart // Februar, März, April 2012 // Nr. 03 Das Journal Inhalt Vorwort Das Journal Februar/März/April 2012 Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebes Opern-, Ballett- und Schauspielpublikum! Aufregende Zeiten liegen hinter, spannende vor uns. Das Schauspiel ist aus der Interimsspielstätte Türlenstraße an den Eckensee zurückgekehrt. Nach anderthalb Jahren Sanierung wird sich Mitte Februar erstmalig wieder der Vorhang im Schauspielhaus heben. Es wird allerdings auf Grund von baulichen Mängeln, die in einer verlängerten Sommerpause behoben werden sollen, vorerst der Rückzug in ein Provisorium sein. Gleichwohl werden Sie bei Ihrem Theaterbesuch erleben, wie fantastisch das sanierte Schauspielhaus bereits jetzt ist. Und wir werden selbstverständlich auf dem gewohnten künstlerischen Niveau für Sie spielen. Dazu fühlen wir uns Ihnen und uns verpflichtet. Wir hoffen, dass auch Sie neugierig sind auf die neuen Schauspielund Ballettaufführungen im neu gestalteten Schauspielhaus. Und natürlich erwarten Sie auch weiterhin spannende Abende im Opernhaus, Kammertheater und NORD. Wir freuen uns auf Sie! Die Staatstheater Stuttgart BACK HOME Jan Krauter, Darsteller des Don Karlos, erobert mit einem begeisterten Sprung die Schauspielhaus-Bühne zurück. Nach anderthalb Jahren in der Interimsspielstätte Türlenstraße ist das Schauspiel in das Gebäude der Staatstheater im Oberen Schlossgarten zurückgekehrt. Ab Mitte Februar soll im Schauspielhaus wieder gespielt werden! Das lässt (nicht nur) die Schauspieler vor Freude in die Luft springen. Foto: Matthias Dreher 01. • Ein rundum verwandeltes Theaterschiff // Seite 4 Die Sanierung des Schauspielhauses 02. • Neues Spiel, neues Glück? // Seite 8 Sebastian Baumgarten über seine Inszenierung von Sartres »Das Spiel ist aus« 03. • Das Fräulein von S. // Seite 10 Uraufführung von Christian Spuck: Hoffmann als Inspiration 04. • Die glückliche Hand / Schicksal (Osud) // Seite 12 Zwei selten gespielte Meisterwerke feiern Premiere 05. • Die Feinde sind komplexer geworden // Seite 14 Die Schauspieler Jan Krauter und Marco Albrecht im Gespräch zu »Don Karlos« 06. • Ballettabend: Körpersprache3 // Seite 16 Uraufführungen von Mauro Bigonzetti, Edward Clug und Marco Goecke 07. • La Sylphide // Seite 17 Die Ur-Ballerina 08. • Das Bellini-Wochenende // Seite 18 Belcanto-Theater 09. • The Lady and the Fool / Gaité Parisienne // Seite 20 Ballettabend mit Choreographien von John Cranko und Maurice Béjart 10. • Hans Thomalla // Seite 22 Ein Gespräch mit dem Komponisten der Oper Fremd Foto: Martin Sigmund Foto: Matthias Dreher 11. • Heiner Müllers Auftrag // Seite 24 Eine Außenansicht von Nuran David Calis Plus • 10 Fragen an … // Seite 26 Martina Lutz, Leiterin der Kostümfärberei und -malerei 01. • Sanierung Schauspielhaus 01. Ein rundum verwandeltes Theaterschiff läuft vom Stapel Der Weg bis zur Wiedereröffnung war steiniger und länger als geplant, aber jetzt macht das Schauspielhaus wieder seine Pforten auf. Fotos: Matthias Dreher Noch arbeiten die Handwerker, grenzt ein Bauzaun das Gebäude am Eckensee ab. Am 17. Februar jedoch soll es so weit sein, dass das sanierte Schauspielhaus nach 18 Monaten Schließzeit wieder seine Pforten für das Publikum öffnet – mit gleich zwei Premieren. Für Schillers Don Karlos, inszeniert vom Schauspielintendanten Hasko Weber, geht am Freitag der Vorhang auf; am Samstag 18. Februar folgt Sartres Das Spiel ist aus in der Regie von Sebastian Baumgarten. Ein großer Wermutstropfen trübt allerdings die Freude am Wiedereinzug ins angestammte Haus. Während das Foyer und der öffentliche Bereich wohl rechtzeitig fertig gestellt sein werden, wird der Zuschauerraum für eine noch unbestimmte Zeit nicht in allen Belangen in dem Zustand sein, der angestrebt ist. »Wir gehen in ein Provisorium«, erläutern der Geschäftsführende Intendant Marc-Oliver Hendriks und Hasko Weber. Das betrifft zwei gravierende Punkte: die Bestuhlung, die das Publikum ab Februar vorfindet, ist nicht die endgültige und auf zwanzig Randplätzen links und rechts gibt es eine leichte Sichteinschränkung. Wie das geschehen konnte, ist derzeit Gegenstand einer Gutachter-Prüfung. Fakt ist jedenfalls, dass bei der Auswahl der neuen Bestuhlung nicht ausreichend berücksichtigt worden war, dass ab Reihe neun wegen des Parkettanstiegs die Stufung höher ist, der Sitzabstand jedoch gleich blieb. Die Stühle gewähren keine komfortable Beinfreiheit. Für einen gerade erneuerten Theatersaal natürlich kein tragbarer Zustand. Ebenso wenig wie die Sichtbehinderung auf den besagten Außenplätzen, die dadurch zustande kommt, dass Beleuchtungsrinnen zu weit in den Raum hineinreichen. Das beeinträchtigt zudem die Akustik in diesem Bereich, da der Schall der am Portal angebrachten Lautsprecher nicht ungehindert dort ankommt und somit die SurroundAkustik nicht in vollem Maß wirken kann. Die Theaterleute, die wohlgemerkt nicht die Bauherren sind und in deren Verantwortung der Umbau somit nicht liegt, schlugen Mitte Dezember vergangenen Jahres Alarm. Nach einem Spitzengespräch zwischen Finanzminister Nils Schmid, 4 Das Journal Februar/März/April 2012 Blick von der Seitenbühnen-Galerie auf die Bühne nach dem kompletten Ausbau der Maschinerie (mehr als 250 Tonnen Stahl) Kunststaatssekretär Jürgen Walter und den Intendanten wurde beschlossen: die bereits eingebauten neuen Stühle werden wieder ausgebaut, stattdessen organisieren die Staatstheater eine provisorische Bestuhlung. Außerdem nimmt ein externer Gutachter den Zuschauerraum in allen Belangen unter die Lupe. Zu den Problemen im Zuschauerraum sind dann im Januar etliche bühnentechnische Mängel aufgetaucht, bei der Drehbühne, der neuen Untermaschinerie, um nur einige der gravierendsten zu nennen. »Wir gehen offen und konstruktiv mit der Situation um«, versichert Hendriks, »aber es ist zunächst nur ein Torso, den wir eröffnen.« Wie und wann die Mängel im Zuschauerraum und bei der Bühnentechnik behoben werden, darüber wird erst befunden, wenn ein Gutachten vorliegt. Das ist voraussichtlich Ende Februar der Fall. Klar ist jedoch jetzt schon: einfach zu beheben sind die Probleme bei der Bestuhlung, der Sichteinschränkung und der Bühnentechnik sicher nicht. Hendriks rechnet mit einer weiteren Schließzeit des Schauspielhauses von drei bis vier Monaten, voraussichtlich in einer verlängerten Sommerpause. »Wir wollen keinen Pfusch abliefern, diese Botschaft ans Publikum zu signalisieren ist uns wichtig«, sagt er. Aber er stellt auch in Aussicht: »Wenn der schwierige Geburtsvorgang einmal abgeschlossen sein wird, werden wir ein prächtiges Schauspielhaus haben.« Da dies zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Gänze erreicht ist, das Schauspielhaus den Baustellencharakter noch nicht abgelegt hat, fällt auch der eigentlich zur Eröffnung vorgesehene Festakt am 12.2. flach. Stattdessen berichten Hendriks und Weber am 19.2., dem Sonntag des Premierenwochenendes, im Gespräch mit Harald Schmidt über die Geschehnisse rund um die Sanierung – unter dem trefflichen, in nicht ganz ironiefreier Anlehnung an Goethes Autobiografie gewählten Titel »Dichtung und Wahrheit«. Allerdings stand bei Drucklegung dieses Journals noch nicht definitiv fest, unter welchen Umständen Mitte Februar eröffnet wird. »Wir werden in jedem Fall im Februar eröffnen, aber in welcher Form genau, ob es eventuell weitere Einschränkungen gibt, das können wir heute noch nicht sagen«, so Hasko Weber und Marc-Oliver Hendriks. Und weiter: »Wir richten uns nach dem Gebot, mit der Eröffnung den Zuschauern etwas Neues und Besseres bieten zu können.« Was die Präsentation der beiden vorgesehenen Premieren betrifft, will der Schauspielintendant Hasko Weber nur insofern Kompromisse machen, »als es künstlerisch akzeptabel ist«. Marc-Oliver Hendriks umschreibt die Situation mit einem Bild: »Wenn ein Schiff vom Stapel läuft, muss die Souveränität und Sicherheit der Inbetriebnahme gewährleistet und alles technisch abgenommen sein, erst dann sticht der Kapitän mit Mannschaft und Passagieren in See.« Der Grund dafür, dass – vermutlich bis unmittelbar vor der Eröffnung – zeitlich alles Spitz auf Knopf gestrickt werden muss, liegt auch an der mehrmaligen Verschiebung der ÜbergabeTermine durch den Bauherrn, das Land Baden-Württemberg, an die Staatstheater. Auf der Baustelle ist schlichtweg nicht alles rechtzeitig fertig geworden. Das ist bei einem großen Bauprojekt eher die Regel als die Ausnahme, zumal bei einer Gebäudesanierung, wo immer Unerwartetes auftritt, aber die Verzögerung scheint nicht unerheblich durch Planungsfehler und – über einen zu langen Zeitraum hin – auch durch ein mangelndes Engagement bezüglich der Intensität der Bautätigkeit bedingt zu sein. „Wenn der schwierige Geburtsvorgang einmal abgeschlossen sein wird, werden wir ein prächtiges Schauspielhaus haben!“ Marc-Oliver Hendriks Man brauche eine gewisse Zeit, um das Haus, vor allem die Technik, in Betrieb zu nehmen, erklärt Hendriks. Das betrifft insbesondere das neue digitale Kommunikationssystem. Ton, Licht und Video werden damit zentral über ein Datennetz gesteuert. Die Staatstheater verfügen als erstes Haus in Deutschland über diese neue Technologie und sind demgemäß ein Vorreiter. Aber wer Neuland betritt, braucht auch Zeit, sich mit der neuen Technik vertraut zu machen. Vier bis acht Wochen wären wünschenswert gewesen; davon konnte aber keine Rede mehr sein. Von den Mitarbeitern beispielsweise der Ton- und Beleuchtungsabteilungen erfordert die höchst komplexe, vernetzte Anlage ganz neue Kompetenzen. Um nun aber endlich zum – für den Zuschauer – Eigentlichen der Neugestaltung des Theaters zu kommen: Wenn denn alles fertig gestellt sein wird, erwartet den Zuschauer 5 01. ein neues, schöneres, moderneres Theater. »Was wir mit der Sanierung und Umgestaltung erreichen werden, ist ein Quantensprung, das werden auch unsere Zuschauer in den Foyers und insbesondere im Zuschauerraum wahrnehmen können«, so der Geschäftsführende Intendant. »Dass man mit der Sanierung Veränderungen im Zuschauerraum und im Gesamtauftritt des Hauses gleichsam eine Verwandlung erzeugt hat, die hoffentlich längerfristig tragfähig ist für ein Theaterkonzept, das ist schon eine großartige Sache«, freut sich Hasko Weber. Ein erster Rundgang auf der Baustelle Mitte Dezember führt vor Augen, dass die Intendanten nicht zu viel versprochen haben. Fast erhaben schaut der Zuschauer von oben im Zuschauersaal auf die Bühne. Der Raum wirkt verkleinert, steigt ab der neunten Reihe stark an. Der Blick ist dadurch auf die Bühne fokussiert. Wie ein geometrisch geformtes Wabenkonstrukt beschirmt die in Wenge-Optik gehaltene Holzdecke den Raum. Die darin eingesetzten schmalen LED-Leuchten umfassen das ganze Farbspektrum, um verschiedene Lichtstimmungen im Saal erzeugen zu können. Ein bewunderndes Staunen löst der Blick auf die Decke aus, wenn man sie von den Lichtfarbsplittern erleuchtet sieht. Entscheidend an der neuen Raumgestaltung sind jedoch die veränderten akustischen Bedingungen. Seit der Eröffnung 1962 habe das Schauspielhaus den Grundfehler gehabt, dass der Zuschauerraum zwei große akustische Löcher hatte, der Ausgleich mit Schallsegeln sei nur ein unbefriedigendes Provisorium gewesen, erklärt Hasko Weber. Jeder Besucher des Schauspielhauses kannte das Übel: der Schall verhallte sozusagen, vorne war’s zu laut, hinten hörte man manches nicht oder nur undeutlich. Allein der freie Blick auf die Bühne ermögliche nun einen anderen akustischen Zugang, aber auch die Schallreflexion der Materialien sei genau geprüft und vermessen worden, so Weber, »Schauspiel hat entscheidend mit Sprache zu tun und die funktioniert nur, wenn der Zuschauer alles verstehen kann; gerade das Stuttgarter Publikum legt großen Wert auf die Sprache, egal ob wir Klassiker oder zeit- Linke Seite Der Zuschauerraum zu Beginn der Sanierung, nach dem Ausbau der Bestuhlung genössische Stücke spielen«. Weber führt zudem aus, dass die andere Sehperspektive auf die Bühne auch Auswirkungen auf das Künstlerische habe, auf die Bühnenbilder und selbst auf die Spielweise. Der intimere Raum, die Fokussierung auf die Bühne, die Sicht von oben: das umgestaltete Schauspielhaus ist für Hasko Weber auch Ausdruck eines anderen, den heutigen Konzeptionen eines Theaterraums entsprechenden Theatererlebnisses. Alle technischen und räumlichen Aspekte zusammengenommen bietet das Schauspielhaus nun optimale, einer modernen Theaterbühne gemäße Bedingungen. Inwieweit alle Vorzüge des Saals und der Technik bereits im Februar zum Tragen kommen, muss die Praxis zeigen. „Die anderthalb Jahre Sanierung sind die Sondersituation im Dauerzustand gewesen.“ Hasko Weber Oben Das Obere Foyer zu Beginn der Sanierung Unten Das Untere Foyer kurz vor der Fertigstellung 6 01. Im Unteren Foyer besteht die entscheidende Veränderung in einer Teilung im Scheitel: die Garderobe befindet sich jetzt ausschließlich auf der linken Seite, rechts ist die Gastronomie angesiedelt. Man verspricht sich durch die Bündelung eine Verbesserung der Versorgung und des Komforts. Betritt der Gast das Foyer durch den ebenfalls neu gestalteten Kassenraum, geht er auf einen Empfangsbereich zu, auf der linken Seite fällt der Blick auf den verglasten Fahrstuhl, der nicht mehr versteckt hinter der Treppe liegt, sondern als »Hingucker« den Raum prägt. Alle drei Ebenen sind damit erreichbar, auch das ist neu. Saniert worden sind außerdem die Toiletten, der Steinboden im Foyer, das Parkett im Saal: alles ist neu, aber die Materialien, Farben und Formen orientieren sich an der Einrichtung und der Architektur, wie sie zuvor war. Auch im Oberen Foyer sei, so Weber, nach wie vor der großzügige Raumentwurf von Hans Volkart gültig, dem Architekten des 1962 eröffneten Kleinen Hauses. Die obere Ebene des Schauspielhausfoyers bietet Wandelmöglichkeiten ebenso wie Rückzugsbereiche. Die Bar oben ist vor den mittleren Fensterbereich verlegt worden, so dass der Blick nach unten und auf die in den Raum ragende Schale des Zuschauerraums freier ist. Alles wirkt heller, geräumiger und moderner. Darunter will er allerdings nicht modisch verstanden wissen: »Ich hoffe, dass wir etwas langfristig Tragfähiges geschaffen haben.« Auch Hendriks betont, dass das Theatererlebnis ein Gesamtwahrnehmungsvorgang sei, nicht nur das reine Betrachten einer Aufführung spiele eine Rolle, sondern alles von Anreise über Kartenkauf bis zu Gastronomie und Aufenthaltsqualität: »Ich glaube, wir können dieses umfassende Theatererlebnis für unser Publikum auf einem sehr viel höheren Niveau spürbar machen.« Wenn der Geschäftsführende Intendant auf die Monate der Sanierung zurückblickt, nennt er folgende Schritte im Bauprozess als markant und bildhaft eindrücklich: der Blick in den komplett entkernten Zuschauerraum im August 2010 und dann die ungeheuren Mengen Stahl, über 250 Tonnen, der Untermaschinerie, die ebenfalls im Sommer vergangenen Jahres aus dem Theater transportiert wurden. Erhellend sei auch gewesen, das entkernte Foyer zu sehen: »Da ist einem die Stärke und Kraft der Architektur Volkarts sehr bewusst geworden, die sich einer funktionalen Umwidmung entzieht, ebenso wie die großen Flächen, die man im Schauspielhaus zur Verfügung hat.« Eine einschneidende Zäsur sei die Verschiebung der Eröffnung von Oktober 2011 auf Februar 2012 gewesen. Hasko Weber musste die komplette Spielzeit neu disponieren, und das, nachdem man ja wenige Monate zuvor erst die Umplanungen aufgrund des kurzfristigen Umzugs in die Interimsspielstätte Türlenstraße hatte vornehmen müssen. Welches Stück, welches Bühnenbildkonzept passt auf welche Bühne, welcher der vorgesehenen – vielbeschäftigten – Regisseure und der anderen Künstler hat auch zu einem anderen Termin Zeit, können die Verträge geändert werden? Dies alles musste erneut innerhalb von kürzester Zeit neu gedacht und organisiert werden. Hasko Weber hatte darauf gedrungen, die Eröffnung um ein halbes Jahr zu verschieben. Anders als dem Bauherrn war den Theatermachern offensichtlich deutlich bewusst, dass der Oktober-Termin nicht zu halten war. Bis auf die Arbeit von René Pollesch konnten alle vorgesehenen Inszenierungen in der Interimsspielstätte umgesetzt werden. In manchen Fällen halfen glückliche Umstände, aber immer war es ein Kraftakt. Kraftakt ist überhaupt das Wort der Stunde, wenn es um die Sanierung des Schauspielhauses geht. Nicht nur dass beide Intendanten in der letzten Phase des Umbaus jeden zweiten Tag auf der Baustelle sind, die Sanierung hat von allen Mitarbeitern auf und hinter der Bühne höchsten Einsatz, oft über die Grenzen der Belastbarkeit hinaus gefordert. »Wir hatten in den vergangenen zwei Jahren drei Aufgaben zu lösen, von denen jede für sich genommen schon eine Herausforderung war: in der Türlenstaße den Interimsspielort mit drei Bühnen einzurichten, im neuen Probenzentrum die Spielstätte NORD auf den Weg zu bringen und im Schauspielhaus die Baustelle zu betreuen«, fasst Hasko Weber zusammen, »Die anderthalb Jahre Sanierung sind die Sondersituation im Dauerzustand gewesen.« Was die Zeit in der Türlenstraße angeht, zieht Hasko Weber eine äußerst positive Bilanz: die Spielstätte mit den drei Bühnen bot optimale Bedingungen, auch für manches Theaterexperiment und manches spektakuläre Bühnenbild, das Publikum hat das Ausweichquartier des Schauspiels bestens angenommen, der Ensuite-Betrieb hat reibungslos funktioniert. Marc-Oliver Hendriks muss da als Geschäftsführender Intendant in erster Linie auf die Kosten schauen: »Künstlerisch ist die Zeit in der Türlenstraße ein großartiger Erfolg gewesen, Rechte Seite Einbau der Zuschauertribüne in das neu gestaltete Schauspielhaus eine unglaubliche Erfahrung und Bereicherung«, so Hendriks, »aber unter ökonomischen Gesichtspunkten schlägt eine Ausweichspielstätte negativ zu Buche.« 600 000 Euro Einnahmeverlust in der Spielzeit 2010/11 musste das Theater dadurch hinnehmen, durch die Verschiebung des Eröffnungstermins von Oktober auf Februar kamen weitere 600 000 Euro hinzu. Das erfolgreiche Ballettjubiläum hat zwar ein Einnahmeplus erwirtschaftet, dafür sind jedoch unter anderem mehr Mietkosten wegen des längeren Aufenthalts in der Türlenstraße angefallen, insgesamt Belastungen im siebenstelligen Bereich, die die Staatstheater selbst tragen müssen. Durch unvorhergesehene Posten im Rahmen der Sanierung, die beim Bauen im Bestand immer auftreten können, sind höhere Kosten entstanden. Man hat also innerhalb der gedeckelten Summe von 52 Millionen Euro, die für das Bauprogramm im Opernhaus, Schauspielhaus und dem Verbindungstrakt zur Verfügung stehen, zu Gunsten des Schauspielhauses umgeschichtet. Marc-Oliver Hendriks spricht von einer gelungenen Teilsanierung: »Es ist eine wirkliche Neugestaltung, nicht nur eine bloße Sanierung.« Man habe allerdings Abstriche machen müssen, »Schnittstellen gesetzt«. Bei einer Generalsanierung wären ganz andere Summen angefallen. In Kostenbereichen von 250 Millionen Euro bewegen sich Theatersanierungsprojekte wie die Berliner Oper Unter den Linden oder die Kölner Theater, die Hendriks zum Vergleich nennt. „Im Schauspielhaus zeigt sich das Ballett von seiner experimentellen, zeitgenössischen Seite“ Reid Anderson Das Stuttgarter Ballett bringt man ja in erster Linie mit dem Opernhaus in Verbindung, da dies die Hauptspielstätte der Compagnie ist. Aber das Ballett tritt auch 15 bis 20 Mal pro Spielzeit im Schauspielhaus auf. »Das Schauspielhaus ist sehr wichtig für uns, das ist schon seit den 1960er-Jahren so«, sagt Ballettintendant Reid Anderson. Bereits John Cranko habe die Bühne geliebt und eigens Stücke für das damalige Kleine Haus konzipiert, auch John Neumeiers Endstation Sehnsucht sei mit Bedacht dort uraufgeführt worden. »Die Bühne ist Das Journal Februar/März/April 2012 groß, aber es ist trotzdem intimer als im Opernhaus, das Licht ist toll, man kann sich entfalten, was das Bühnenbild oder Experimente mit Musikinstrumenten auf der Bühne angeht, das alles bedeutet, dass wir sehr gerne dort auftreten«, so der Ballettintendant. Im Schauspielhaus zeigt das Ballett sich gerne von seiner experimentellen, zeitgenössischen Seite; die modernen Ballettprogramme mit Uraufführungen oder auch Stücke der Nachwuchschoreografen disponiert Anderson bevorzugt im Schauspielhaus. Die Sanierung hat auch für das Ballett Umplanungen und Ungelegenheiten mit sich gebracht: in der vergangenen Spielzeit musste die Compagnie mit einem modernen Ballettabend ins Theaterhaus ausweichen. Reid Anderson sieht das Positive: das sei eine sehr reizvolle, interessante Erfahrung gewesen. Trotzdem freut er sich sehr darauf, mit seinen Tänzern ins Schauspielhaus zurückzukehren. Im März präsentiert das Stuttgarter Ballett dann dort den Ballettabend Körpersprache3 mit Uraufführungen von Mauro Bigonzetti, Edward Clug und Marco Goecke. Planungen undenkbar, so Wieler. Insofern dringt er vor allem darauf, dass bei den Bauarbeiten am und im Opernhaus eine verlässliche Planung gemacht und eingehalten wird. »Man muss sehr genau prüfen, was saniert werden muss und das durch Gutachten absichern«, ist die Lehre, die Wieler aus der Sanierung des Schauspielhauses gezogen hat. Auch MarcOliver Hendriks weiß, dass »wir bei der Sanierung des Schauspielhauses viel Lehrgeld bezahlt haben«. Deshalb ist für ihn klar, dass man die Sanierung des Opernhauses über die zwischen 2012 und 2014 vorgesehenen Renovierungsarbeiten hinaus völlig neu denken müsse. Doch jetzt freuen sich alle Beteiligten erst mal darauf, dass ab Mitte Februar im Schauspielhaus wieder Schauspiel- und Ballettaufführungen stattfinden können, auch wenn es dabei heißt: nach der Baustelle ist vor der Baustelle. Claudia Gass Schauspielhaus-Eröffnung „Ich bewundere Hasko Weber dafür, mit wie viel Fantasie und Einsatz er den Spielbetrieb am Laufen hält und sich gleichzeitig um die Baustelle kümmert“ Jossi Wieler Obwohl die Oper Stuttgart nicht direkt von der Sanierung des Schauspielhauses betroffen ist, beobachtet Intendant Jossi Wieler die Arbeiten intensiv. »Ich bewundere Hasko Weber dafür, mit wie viel Fantasie und Einsatz er den Spielbetrieb am Laufen hält und sich gleichzeitig um die Baustelle kümmert«, sagt der Opernintendant. Und er wünscht seinem Intendanten-Kollegen, »dass er das Haus möglichst bald auch mit allen technischen Möglichkeiten optimal nutzen kann«. Er verfolgt die Entwicklungen aber auch mit Sorge. Schließlich steht nun bald die Sanierung des Opernhauses an. Die Schauspielhaus-Sanierung kann somit im Guten wie im Schlechten als Modellfall und Lehrbeispiel dienen. So kurzfristig anberaumte Verschiebungen und Verzögerungen wie im Schauspiel seien in der Oper aufgrund der langfristigen Fr 17. Februar // 19:30 Uhr: Premiere Don Karlos Sa 18. Februar // 20:00 Uhr: Premiere Das Spiel ist aus So 19. Februar // 12:00 Uhr: Schlag zwölf (Erster Satz) Musikalische Übernahme des neuen Foyers von Murat Parlak und den »Soulbabies« So 19. Februar // 12:00 Uhr: Heldenwerkstatt Kinderprogramm So 19. Februar // 13:00 Uhr: Dichtung und Wahrheit I – Chronologie einer Baustelle Harald Schmidt im Gespräch mit dem Geschäftsführenden Intendanten Marc-Oliver Hendriks So 19. Februar // 14:30 Uhr: Dichtung und Wahrheit II – Chronologie einer Baustelle Harald Schmidt im Gespräch mit dem Schauspielintendanten Hasko Weber So 19. Februar // 16:00 Uhr: Schlag zwölf (Zweiter Satz) Mit Murat Parlak und den »Soulbabies« So 19. Februar // 17:00 Uhr Stuttgarter Gespräche extra mit Rüdiger Safranski und Hasko Weber außerdem in der Spielstätte NORD: Sa 18. Februar // 16:00 Uhr: Premiere Roberto Zucco 7 02. • Das Spiel ist aus Neues Spiel, neues Glück? Der Regisseur Sebastian Baumgarten und der Dramaturg Christian Holtzhauer über die Herausforderungen, vor die Sartres Texte uns heute stellen, über lebende Tote und die Bedeutung der Geschichte. Kann man sein Leben noch einmal von vorn beginnen? Und wenn ja – was würde man anders machen? Jean-Paul Sartres 1947 verfilmtes Drehbuch Das Spiel ist aus entstand unter dem Eindruck der Besatzung Frankreichs durch deutsche Truppen. Pierre, ein junger Revolutionär, der einen Aufstand gegen die Besatzer und ihre Repräsentanten plant, und Eve, eine Frau aus bürgerlichen Verhältnissen, sterben zur gleichen Zeit. Erst im Totenreich lernen die beiden sich kennen – und verlieben sich ineinander. Da sie »füreinander bestimmt« waren, sich zu Lebzeiten aber nicht begegnet sind, erhalten sie die Chance, ein zweites Mal ins Leben zurückzukehren und ihre Liebe zu leben. Doch lässt sich die soziale Kluft zwischen beiden, die im Jenseits keine Rolle spielte, im Diesseits wirklich überwinden? Lässt sich das Schicksal beeinflussen oder gar aufhalten? Wie frei ist der Mensch in seinen Entscheidungen? Christian Holtzhauer: Sebastian, du hast in Düsseldorf Sartres Schmutzige Hände inszeniert und in Frankfurt mit dem Fremden von Camus ein anderes Schlüsselwerk der existentialistischen Literatur. Haben uns diese Texte heute noch etwas zu sagen? Christian Holtzhauer im Gespräch mit Sebastian Baumgarten, Regisseur von Sartres »Das Spiel ist aus« auf dem Steg vor der neuen Bibliothek. (Foto: Matthias Dreher) Sebastian Baumgarten: Ich bin gar nicht sicher, ob Das Spiel ist aus tatsächlich ein existentialistisches Stück ist. Sartre selbst hat das bestritten und in einem Zeitungsinterview gesagt, dass die Geschichte deterministisch sei. Die Hauptfiguren sind hier einer Art »Vorbestimmung« unterworfen, was ihr Verhältnis zueinander anbelangt, und können sich zudem nicht aus ihren jeweiligen sozialen Zusammenhängen lösen, was es ihnen schwer macht, wirklich zueinander zu finden. So etwas wie Vorbestimmung gibt es aber laut Sartre nicht, und wenn man sich darauf beruft, dann ist das nur eine Ausrede. Von Sartre stammt ja der berühmte Satz, dass der Mensch zur Freiheit verdammt sei, und dass er gar nicht anders könne als immer neu zu entscheiden, was er mit dieser Freiheit macht. Deshalb hat er gesellschaftliche Grundkonflikte, die zu entschiedenem Handeln herausfordern, in ganz konkrete Geschichten verpackt und in allen seinen Stücken Menschen in extremen Entscheidungssituationen gezeigt. Diese Geschichten sind heute immer noch sehr spannend. Letztlich geht es Sartre immer darum zu zeigen, dass der Mensch für sein Handeln selbst verantwortlich ist, und niemand ihm diese Verantwortung abnehmen kann. „Ein Experiment in Sachen Existentialismus“ Christian Holtzhauer: Aber darum geht es doch in Das Spiel ist aus auch, und deswegen lese ich das Stück trotz Sartres eigener Aussage eben doch als ein Experiment in Sachen Existentialismus. Auch hier gibt es solch eine existentielle Entscheidungssituation, von der Du gesprochen hast. Pierre und Eve müssen jeder für sich entscheiden zwischen dem Menschen, den sie lieben, und einem Unglück, das sie zu verhindern versuchen. In diese Entscheidungssituation werden sie allerdings durch einen Trick geführt: Sie sind gerade gestorben, dürfen aber noch ein zweites Mal leben, weil das Schicksal sich »geirrt« hat. Einen solchen Determinismus kann man ja eigentlich gar nicht ernst nehmen, es sei denn, man begreift die ganze Geschichte als eine Art Lehrstück oder 8 ein Gedankenspiel, frei nach dem Motto: »Was wäre, wenn...?« Was wäre, wenn es ein Jenseits gäbe, aus dem man zurückkehren kann, und eine höhere Instanz, die das anordnen könnte? Würde mir das die Notwendigkeit, mich entscheiden zu müssen, irgendwie ersparen? Und ob nun am Ende des Stücks determinierende Umstände (also wieder irgendeine Art von höherer Instanz) wie etwa die Zughörigkeit zu ihren jeweiligen sozialen Gruppen daran Schuld ist, dass die beiden ihre Chance nicht zu nutzen vermögen, oder ob insbesondere Pierre der geplante Aufstand wichtiger ist als das private Glück, er sich also aus freien Stücken gegen Eve entscheidet, finde ich auch nicht so einfach zu entscheiden. Sebastian Baumgarten: Der Begriff Lehrstück trifft es vielleicht ganz gut. Leider ist das aber auch eine Schwäche des Stoffs, denn dadurch wird es etwas vorhersehbar. In seinen Theaterstücken war Sartre radikaler. Da hat er komplexe, lebendige Figuren geschaffen, die aus sich heraus bestehen, ohne äußere Zutaten. Davon lebt das Theater. Im Fall von Das Spiel ist aus scheint Sartre Zugeständnisse an das Medium Film gemacht zu haben. Der Film hat immer noch einen Hintergrund, mit dem er spielen kann, er kann viel mehr über Bilder, Atmosphären, Blicke etc. erzählen. Der Film illustriert mehr, beschränkt sich darauf, abzubilden. Das Theater dagegen muss Übersetzungen finden, Zeichen. Das wird die Herausforderung für die Probenarbeit sein. Andererseits macht das für mich genau den Reiz aus: Wie verändert sich der Stoff beim Übergang von einer Kunstgattung zur anderen? Wie können wir den Figuren zu einer anderen Lebendigkeit verhelfen? Christian Holtzhauer: Sartre war ja selber sehr enttäuscht von dem Film, vielleicht fand er ihn nicht radikal genug. In gewisser Hinsicht ist sein Drehbuch aber auch ein Zwitterwesen. Man merkt ihm die Ähnlichkeit zu den anderen in dieser Zeit entstandenen Theaterstücken an – das Totenreich erinnert an Geschlossene Gesellschaft, der historische Hintergrund und das Motiv des Aufstands an Schmutzige Hände. Andererseits versucht er die Möglichkeiten des Films zu nutzen: Doppelbelichtungen für die »Auferstehung« der Toten, Montagetechnik für parallel laufende Handlungsstränge oder das Prinzip der Rückblende. Weißt Du schon, wie Du das Drehbuch verändern möchtest, damit es auf der Bühne funktioniert? Sebastian Baumgarten: Das wird sich z.T. erst auf den Proben ergeben. Wir werden gemeinsam mit den Darstellern Situationen entwickeln, auf die wir dann andere Texte legen können. Das bietet sich hier besonders an, da Sartres Figuren eine ganz alltägliche Sprache sprechen, die sich mit Fremdtexten gut mischen lässt. Das Drehbuch bietet viele Freiräume, die wir füllen können, insbesondere was die Gruppe der Revolutionäre anbelangt, die Pierre anführt. Wir wissen zwar, dass sie einen Aufstand planen, aber welche Ziele sie verfolgen und wie sie vorgehen wollen, was sie also bei ihren geheimen Treffen besprechen, wissen wir nicht. Hier können wir die Szenen sehr gut ausbauen. Christian Holtzhauer: Bei den Revolutionären können wir uns zahlreicher historischer oder auch heutiger Vorbilder bedienen, von der französischen Revolution bis zur »Occupy«Bewegung unserer Tage, vom kommunistischen Manifest bis zu anarchischen und utopistischen Texten und Pamphleten aus allen Phasen des 20. Jahrhunderts. Sebastian Baumgarten: Ich fände es spannend, verschiedene Epochen und damit verschiedene Revolutionstheorien in dem Stück zu Wort kommen zu lassen. Allerdings muss ich zugeben, dass mich die historischen Theorien momentan mehr interessieren, denn sie versuchen immer auch eine Utopie zu entwickeln, wie denn eine gerechtere Gesellschaft aussehen soll. Da gibt es beispielsweise in Russland am Beginn des 20. Jahrhunderts Theorien, die nicht nur die Ökonomie oder Sebastian Baumgarten (Foto: Matthias Dreher) das Sozialwesen verbessern wollen, sondern den Menschen insgesamt, also auch seine körperliche und seelische Verfassung. Und die zum Beispiel Unsterblichkeit fordern, aber nicht in einem esoterischen, sondern in einem ganz und gar materialistischen Sinn. Das klingt natürlich erst einmal völlig abwegig, aber vielleicht schärft ja der Blick auf die historischen Umstände, unter denen diese Theorien entstanden sind, auch den Blick für die Umstände, unter denen wir heute leben. Mich beschleicht mitunter ein gewisses Unbehagen angesichts zahlreicher Äußerungen und Texte aus dem Umfeld der heutigen Protestbewegungen, die mir oft ein wenig diffus und auf eine eigenwillige Art auch geschichtslos erscheinen. Es scheint heute kaum noch Interesse an der Geschichte zu geben. Dabei kann man doch nur dann wissen, wo man hinwill, wenn man weiß, wo man herkommt, wo man sich geschichtlich anbindet. „Es scheint heute kaum noch Interesse an der Geschichte zu geben. Dabei kann man doch nur dann wissen, wo man hinwill, wenn man weiß, wo man herkommt.“ Christian Holtzhauer: Keine andere Gesellschaft war je in der Lage, Wissen – auch über die Geschichte – derart präsent zu halten, wie wir das heute sind. Selten hat aber das verfügbare Wissen so wenig Wirkung gezeitigt. Geht es uns da nicht wie den Toten in Sartres Stück? Da Du gerade das Thema Unsterblichkeit angesprochen hast: Zu Beginn des Stücks treten Pierre und Eve ja in einer Art Totenreich hinüber. Das erscheint auf den ersten Blick für Sartre, der natürlich nicht an irgendeine Form von Leben nach dem Tod geglaubt hat, absurd, bis man genauer versteht, was dieses Totenreich eigentlich ist. Die Menschen existieren nach ihrem Ableben weiter und wandeln unter uns. Sie können uns sehen, wir sie aber nicht. Sie haben zwar noch ihre Körper, können aber nichts mehr spüren. Sie beobachten alles, was wir machen, sind also viel besser informiert als wir, aber das nützt ihnen nichts, weil sie die Welt, in der sie sich bewegen, nicht mehr beeinflussen können. Tot zu sein bedeutet also: Wissen, aber nicht handeln können. Wir Lebenden dagegen handeln – oder müssen handeln –, wissen aber nicht, was unsere Handlungen für Folgen haben werden. Heute, so ist Das Journal Februar/März/April 2012 zumindest manchmal mein Eindruck, führt all das Wissen, das uns zur Verfügung steht, zu einem Zustand, der dem der Toten bei Sartre durchaus ähnlich ist. „Wir bereiten uns auf ein Leben vor, das irgendwann kommen soll, ohne zu wissen, ob es jemals kommt.“ Sebastian Baumgarten: Ich glaube auch manchmal, dass wir in einem Totenreich leben. Auch in Bezug auf die Körperlosigkeit der Toten, die Sartre beschreibt. Deswegen gehört zu allen revolutionären Theorien ja dieses Moment der Bewegung. Die Körper müssen erstmal in Bewegung versetzt werden, damit etwas passiert. Die Fülle des Wissens, das uns zur Verfügung steht, führt aber interessanterweise nicht zu Aktivität, sondern zu Fatalismus. Die wichtigste Arbeit ist heute das Selektieren. Wenn ich die Möglichkeit habe, alle Bücher zu lesen, dann lese ich gar keins mehr. Dazu kommt, dass wir in einem Bewusstsein der Vorplanung leben. Wir bereiten uns auf ein Leben vor, das irgendwann kommen soll, ohne zu wissen, ob es jemals kommt. Wir sparen für eine Zukunft, wir sorgen vor, wir sichern uns ab – und lassen uns dadurch permanent in unserem Exzess, in unserer Lust, in unserer Kraft bremsen. Das hat was Totes. Kein Wunder, dass das Zombie-Genre derzeit so populär ist. Eröffnung des Schauspielhauses ! Das Spiel ist aus von Jean-Paul Sartre Regie: Sebastian Baumgarten, Bühne und Kostüme: Jana Findeklee und Joki Tewes, Musik: Christoph Clöser, Video: Philip Bußmann, Dramaturgie: Christian Holtzhauer Mit: Michel Brandt*, Matthias Kelle, Boris Koneczny, Florian von Manteuffel, Sarah Sophia Meyer, Katharina Ortmayr, Rainer Philippi, Nadja Stübiger, Till Wonka, Bijan Zamani * Studierender der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart Premiere: 18. Februar 2012 // 20:00 Uhr // Schauspielhaus 9 03. • Das Fräulein von S. 03. Hoffmann als Inspiration Mit einem Ballett nach E.T.A. Hoffmanns berühmter Kriminalgeschichte »Das Fräulein von Scuderi« vollendet Christian Spuck eine erfolgreiche Serie einzigartiger abendfüllender Ballette als Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts. »Un amant qui craint les voleurs n’est point digne d’amour.« – »Ein Liebhaber, der Diebe fürchtet, ist der Liebe nicht würdig.« Dieser Satz ist das Motto des mysteriösen Fräuleins von S., der Titelheldin im neuesten Ballett von Christian Spuck. Bevor er mit Beginn der Saison 2012/13 die Leitung des Zürcher Balletts übernimmt, widmet er sich – sechs Jahre nach seinem Ballett Der Sandmann – in seiner letzten Arbeit als Hauschoreograph in Stuttgart erneut einer literarischen Vorlage von E.T.A. Hoffmann. Obwohl Hoffmann sich neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch mit Musik und Malerei beschäftigte, waren es vor allem seine juristischen Erfahrungen als preussischer Kammergerichtsrat, die seinen Blick für skurrile und groteske Situationen schärften. Immer wieder fasziniert Christian Spuck, wie Hoffmann in seinen Erzählungen nicht nur das Aufeinanderprallen von spießbürgerlicher Existenz und dem Künstlerischen-Phantastischen verarbeitet, sondern in nicht seltenen Fällen auch als Autor äußerst diesseitiger, geradezu herausfordernd realistischer Geschichten hervortritt. Seine 1819 erschienene Novelle »Das Fräulein von Scuderi« gilt als eine der frühesten deutschen Kriminalgeschichten. Im Mittelpunkt der in Paris zur Regierungszeit Ludwigs XIV. spielenden Handlung stehen die Morde des zunächst als untadelig angesehenen Goldschmieds Cardillac sowie die allmähliche Enthüllung seiner Taten. Die Titelheldin, das Fräulein von Scuderi, ist es, die mit ihrer beharrlichen Suche nach der Wahrheit – der Taten verdächtigt wird Cardillacs Gehilfe Olivier Brusson – den Fall aufzuklären vermag. Mit seiner Novelle traf E.T.A. Hoffmann bei seinen Zeitgenossen ins Schwarze: Geniale Exzentrik, gepaart mit dunklen Leidenschaften und der bedrohlichen Häufung geheimnisvoller Verbrechen bedienten den literarischen Geschmack. Auf den Spuren der „Femme poète“ Auch wenn sie im deutschen Sprachraum einzig als Titelheldin von E.T.A. Hoffmanns Novelle ein Begriff ist, liest sich die Lebensgeschichte der realen Madeleine de Scudéry (1607 – 1701) nicht weniger spannend. Ihre heroisch-galanten Romane »Grand Cyrus« und »Clélie«, hinter denen sich eine verschlüsselte Chronik der Salonkultur ihrer Epoche verbirgt, waren zu Lebzeiten der Dichterin gefragte Bestseller, deren Auflage allenfalls von Gebetsbüchern übertroffen wurde. In ihrem Salon in der Rue Vieille du Temple im Pariser MaraisViertel versammelte sich allsamstäglich eine schöngeistige Gesellschaft, die die Kunst des Gesprächs, des Stegreifdichtens und der Freundschaft pflegte. Dabei schienen ihre Voraussetzungen für ein Leben als »Femme de lettres« alles andere als günstig. Als Vollwaise wurde sie von ihrem älteren, ebenfalls dichtenden Bruder Georges streng und eifersüchtig bewacht. Mit einem ausgeprägten Geschäftssinn veröffentlichte er ihre ersten Bücher unter seinem Namen, ohne allerdings ihren Drang nach geistiger und wirtschaftlicher Unabhängigkeit unterbinden zu können. Ein deutliches Zeichen dafür setzte sie im Jahre 1652. Im zehnten und letzten Band des »Artamène«, in der »Histoire de Sappho«, schuf sie sich ein eigenes Vor-Bild in der legendären Figur der antiken Dichterin, der sie eigene, überaus moderne Ansichten in den Mund legte. So empfahl sie bessere Erziehung und Bildung für Frauen, den Verzicht auf Verführung durch Schönheit und auf die Ehe als weibliches Lebensziel. Der gealterten Autorin, die zwischen 1680 und 1692 schließlich noch fünf Doppelbände mit Katja Wünsche (Foto: Sébastian Galtier) Das Fräulein von S. Ein Ballett nach der Novelle »Das Fräulein von Scuderi« von E.T.A. Hoffmann Choreographie und Inszenierung: Christian Spuck; Musik: Robert Schumann, Philip Glass, Michael Torke, Martin Donner; Ausstattung: Emma Ryott; Dramaturgie: Michael Küster; Licht: Reinhard Traub; Musikalische Leitung: James Tuggle, Staatsorchester Stuttgart 10 Das Journal Februar/März/April 2012 Mit freundlicher Unterstützung von Salongesprächen veröffentlichte, ließ Ludwig XIV. eine jährliche Pension zukommen. Bei Hof und in den Stadtpalästen war sie willkommen, und ihre Berühmtheit im eigenen Land wurde durch die im übrigen Europa fast noch übertroffen. In Italien berief man sie zum Mitglied der Accademia dei Ricovrati. In Frankreich waren es zuletzt vor allem Frauen, die nach ihrem Tod (1701) dem verehrten Vorbild huldigten. Vom Buch zum Ballett Dass ein neues Ballett mit einer über siebzigjährigen Titelheldin aufwartet, könnte sich möglicherweise als Besetzungsproblem erweisen. Nicht so jedoch in Stuttgart, wo Ballett-Legende Marcia Haydée, wenige Wochen vor ihrem 75. Geburtstag, die Rolle des couragierten und zielstrebigen Fräuleins von S. übernimmt. Christian Spuck hat nicht zuletzt in seinen für das Stuttgarter Ballett entstandenen Arbeiten immer wieder versucht, die traditionsreiche Form des Handlungsballetts weiterzuentwickeln und beleben. Dabei reizt es ihn, »bekannte und unbekannte Geschichten mit neuen choreographischen Mitteln zu erzählen und sie gleichzeitig in den Kontext der klassischen Ballett-Tradition zu stellen«. In seiner verrätselt-poetischen Auseinandersetzung mit E.T.A. Hoffmanns Novelle geht es ihm folglich nicht darum, den komplizierten Windungen der literarischen Vorlage in allen Einzelheiten zu folgen und lediglich eine detailgetreue choreographische Umsetzung der Erzählung auf die Bühne zu bringen. Vielmehr wirft er einen kaleidoskopischen Blick auf die spannende Kriminalgeschichte und setzt ihre Elemente spielerisch neu zusammen. Ein wichtiger Part ist dabei der französischen Schauspielerin Mireille Mossé zugedacht. In Spielfilmen wie »Die Stadt der verlorenen Kinder« von Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro oder in François Ozons »Swimming Pool« beeindruckte sie mit ihrer starken Persönlichkeit und wird nun das Bühnengeschehen in spannendem Kontrast zu den Tänzerinnen und Tänzern auf faszinierende Weise bereichern. Während die britische Ausstatterin Emma Ryott in ihrem Bühnenbild und den Kostümen auch mit barocken Formen spielt, ist die Musik des neuen Ballettabends ganz im 19. Jahrhundert und in der Gegenwart verankert. Zu den grossen Bewunderern E.T.A. Hoffmanns gehörte Robert Schumann. Mehrfach fand er bei dem Dichter literarische Inspiration für neue Werke wie die berühmten »Kreisleriana«. Verschiedenen Sätzen aus Schumanns Streichquartetten, die live auf der Bühne musiziert werden, stehen zwei spannende Kompositionen der Amerikaner Philip Glass und Michael Torke gegenüber – reizvolle Aufgaben für den Dirigenten James Tuggle, der das Staatsorchester Stuttgart dirigiert. Weitere wirkungsvolle Akzente setzt elektronische Musik des Stuttgarter Komponisten Martin Donner. Künstlerwahn contra Zivilcourage Mit dem Goldschmied Cardillac und der Dichterin Scuderi treffen zwei Künstlerpersönlichkeiten aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Während Cardillac sein eigenes Werk mit einer an Raserei grenzenden Inbrunst liebt und mit gnadenloser Rücksichtslosigkeit alles unternimmt, die von ihm angefertigten Prunk- und Schmuckstücke in seinem Besitz zu erhalten, macht sich die Scuderi keine Illusionen über den Wert ihrer Dichtkunst. Was sei sie mehr, so lässt E.T.A. Hoffmann sie resümieren, als eine »Person von dreiundsiebzig Jahren, die niemals andere verfolgte als die Bösewichter und Friedensstörer in ihren Romanen, die sie selbst schuf, die mittelmässige Verse macht, welche niemandes Neid erregen können, die nichts hinterlassen wird als den Staat des alten Fräuleins, das bisweilen an den Hof ging, und ein paar Dutzend gut eingebundener Bücher mit vergoldetem Schnitt!« Man möchte ihr widersprechen, denn es ist ihre Zivilcourage, die sie aus dem Kreis der sie umgebenden Pariser Gesellschaft erhebt und einzigartig macht. Michael Küster Premiere: Fr 10. Februar 2012 // 19:00 Uhr // Opernhaus Weitere Vorstellungen im Februar und März: Do 16.02. // So 19.02. (nm/abd) // Fr 24.02. // Mo 12.03. // Do 29.03. // Sa 31.03.2012 // So 08.04.2012 11 04. • Die glückliche Hand / Schicksal 04. r e t r a g t t Das Stuksal“ „Schic e t l e i p s e g n e t l e n s r i e e i e w f Z e k r e w r e t s i e M e r e i Prem Ab 11. März 2012 gibt es an der Oper Stuttgart einen besonderen Doppelabend zu erleben: Die glückliche Hand / Schicksal (Osud) von Arnold Schönberg und Leoš Janáček in der Neuinszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito. Die Oper Stuttgart kombiniert in ihrer nächsten Premiere zwei musiktheatralische Entwürfe, deren Partituren lange schon als Herzstücke im Œuvre ihrer Komponisten anerkannt sind. Gleichwohl galten beide lange Zeit als unaufführbar, da sie sich auch formal über alle dramaturgischen Verabredungen ihrer Zeit hinwegsetzten. In beiden war der Komponist auch sein eigener Librettist und hat in ihnen ein Theater ganz aus dem Geist seiner jeweiligen Musik geschaffen. Sie sind im Abstand weniger Jahre entstanden, kurz vor der Zäsur des Ersten Weltkriegs, der alle Gewissheiten hinwegfegte, die beide Künstler in ihrem Metier bereits durchleuchtet und verabschiedet hatten. Beide Werke sind Stücke über die Hybris, den Größenwahn und die Verausgabung, ohne die der Mensch nicht existieren kann – in der Kunst und in der Liebe. Selten ist die Gestalt des Künstlers emphatischer und gnadenloser zugleich erhöht worden als in Schönbergs 1913 vollendeten »Drama mit Musik« Die glückliche Hand. In einem expressionistischen Traumspiel gibt sich ein Künstler willentlich dem Glück des Scheiterns und dem Gelächter einer unsichtbaren Menge preis. Für Schönberg ist es die linke Hand, die zum Symbol des Glücks wird: Die Hoffnung, die Spielregeln gesellschaftlicher Anpassung und Karriereplanung zu unterlaufen, bindet sich an das tabuisierte linkisch-ungeschickte Körperglied: »Glücklich die Hand, die nicht hält was sie verspricht.« Die knapp 20minütige Partitur entfesselt einen musikalisch überbordenden Farben- und Formenreichtum, dessen Komplexität und Differenziertheit sich immer wieder schlagend verdichtet. Die explosive frei atonale Spontaneität und sinnliche Prägnanz der Glücklichen Hand ist vielleicht auch von Schönberg selbst nie wieder überboten worden. Schönbergs Einakter fungiert an unserem Abend auch als eine Art allegorischer Prolog zur surrealistischen Ästhetik von Janáčeks Oper Osud. Janáček selbst hat diese Oper, an der er nach der Uraufführung seiner Jenufa bis 1906 arbeitete, auf Hintergründe zur Stuttgarter Uraufführung von Janáčeks Schicksal 1958 Eine wahre Begebenheit ließ in Leoš Janáček die Idee zu seiner vierten Oper reifen: Die Lebensgeschichte von Kamila Urválková. Sie war bereits zuvor musikalisch porträtiert worden – in der 1897 in Prag uraufgeführten Oper Kamila wurde sie von einem komponierenden ehemaligen Liebhaber verunglimpft, den sie für ihren besser gestellten Ehemann verlassen hatte. Janáček, der selbst für Urválková entflammte, war beim Schreiben zunächst getrieben vom Wunsch der Ehrenrettung für die geschmähte Kamila. Nach der Fertigstellung im Jahr 1906 reichte Janáček die Oper am Prager Nationaltheater ein, wo delikaterweise jener Komponist als Kapellmeister engagiert war, dessen musikalische »Rache« an der verlorenen Geliebten den Ausgangspunkt der Oper bildete. Dieser mag dafür verantwortlich gewesen sein, die Uraufführung so lange zu verschleppen, bis Janáček schließlich gerichtlich gegen das Prager Nationaltheater vorging – ohne Erfolg. Als Janáček später einen erneuten Vorstoß unternahm, seine Schicksals-Oper zur Aufführung zu bringen, bat er den Schriftsteller Max Brod vergeblich um eine Bearbeitung des Werks. Brod sah sich außerstande, der seiner Meinung nach »unmöglichen Handlung einen Sinn zu geben«. Damit war für Janáček alle Hoffnung geschwunden, das Werk je auf der Bühne zu erleben. Eine Übertragung im Brünner Rundfunk ließ jedoch erstmals 1934, sechs Jahre nach Janáčeks Tod, die Qualitäten des Werks hervor treten. »Aus dem heißen Atem von Janáčeks durch und durch inspirierter, in jeder Note dramatischer Musik erstehen vor dem geistigen Auge Gestalten von blutvollstem Leben, Konflikte von wirklicher Tragik, Szenen, die unmittelbar ergreifen, Partien, die zur komödiantischen Ausdeutung reizen«, schrieb der Stuttgarter Musikverleger Fritz Oeser über Osud. Seinem Einsatz ist die Idee einer parallelen Uraufführung der Oper in Brünn und Stuttgart im Oktober des Jahres 1958 maßgeblich zu verdanken. Um der Oper ihren Weg im deutschsprachigen Raum zu ebnen, hatte Kurt Honolka für die Stuttgarter Erstaufführung eine Übersetzung angefertigt und den drei Akten durch Umstellungen und partielle Neutextierung eine Rahmenhandlung verliehen. Ein international gewaltiges, überwiegend positives Presse-Echo legte den Grundstein für den baldigen Ruf der Oper Stuttgart als »einer der ersten Janáček-Bühnen Deutschlands« (W. E. Schäfer). In den insgesamt vier Aufführungen des Werks erlebte das Publikum legendäre Stimmen in den Hauptpartien: Josef Traxel, Lore Wissmann, den jungen Fritz Wunderlich und die gerade erst achtzehnjährige Anja Silja. Nicht allein durch die Verbindung mit Arnold Schönbergs Die glückliche Hand lässt sich Janáčeks Schicksal in dieser Inszenierung wiederum neu entdecken: Erstmals erklingt die kritische Neuedition der Oper, die vom Bärenreiter-Verlag für diese Aufführung erarbeitet wurde. Patrick Hahn der Bühne nie erlebt. Ihre lyrischen und dramatischen Höhepunkte zählen zu den großen, in ihrer Eigenart unwiederholbaren Momenten seines Schaffens. Mitreißende Chortableaus kontrastiert er hier mit Kammerspielszenen von schmerzhafter Intensität. Das Libretto ist ohne literarische Vorlage entstanden, eine Verarbeitung persönlichster Erlebnisse. Der 80minütige Dreiakter spiegelt die Entstehungsgeschichte einer fiktiven Oper in drei Schlüsselszenen aus dem Leben ihres Komponisten. Der erste Akt spielt in der zynischen Spaßgesellschaft eines Kurorts. Hier gewinnt der Komponist Živný seine Geliebte Mila zurück: Sie, die Mutter seines unehelichen Kindes, ist bereit mit ihm den gesellschaftlichen Ausbruch zu wagen. Der zweite Akt zeigt das Scheitern dieser Amour fou im banalen, nicht zuletzt von der dementen Schwiegermutter belasteten Ehe- und Familienalltag. In ihm ist Živnýs Kreativität versickert. Da reißt die vom Balkon stürzende Schwiegermutter ihre Tochter mit in den Tod. Der dritte Akt spielt am Tag der Premiere von Živnýs Oper, die er zum Unverständnis der Fachwelt als Fragment uraufführen lassen will. Sergio Morabito Mit diesem besonderen Projekt – beide Partituren sind in dieser Kombination noch nie aufgeführt worden – setzen Wieler/ Morabito ihre Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Bert Neumann fort, der bereits die Räume für Die Jüdin und Katja Kabanova entwarf. Zugleich steht mit dieser Produktion der international renommierte Dirigent Sylvain Cambreling seit seiner Ernennung zum Stuttgarter Generalmusikdirektor ab 2012/13 erstmals wieder am Pult des Staatsorchesters. Die glückliche Hand / Schicksal (Osud) von Arnold Schönberg / Leoš Janáček März 2012: 16.03. // 20.03. // 24.03. // 27.03. Juni 2012: 02.06. // 17.06. // 23.06. Premiere: 11. März 2012 // 18:00 Uhr // Opernhaus Schicksal (Osud) Ausstellung Die Hintergründe und Tondokumente der Stuttgarter Aufführung des Jahres 1958 sowie Rundblicke in die Rezeptionsgeschichte der Oper Schicksal werden die Neuproduktion von Die glückliche Hand / Schicksal (Osud) begleiten und im Foyer des Opernhauses zu sehen sein. März 2012: 11. – 27. 03. Juni 2012: 02. – 23.06. Sylvain Cambreling Eine Doppelpremiere ist die Produktion Die glückliche Hand / Schicksal (Osud) noch aus einem weiteren Grund: Erstmals arbeiten die Regisseure Jossi Wieler und Sergio Morabito mit Sylvain Cambreling zusammen, der zugleich seinen Einstand im Stuttgarter Orchestergraben gibt als Generalmusikdirektor ab der Spielzeit 2012/13. Bereits 2004 feierte Sylvain Cambreling hier große Erfolge mit einer Oper von Leoš Janáček: Hans Neuenfels inszenierte damals Die Sache Makropulos. Neuenfels gehört zu den großen Regisseuren, mit denen Sylvain Cambreling seit vielen Jahren eng zusammen arbeitet, wie auch mit Patrice Chéreau, Christoph Marthaler, Johan Simons oder Michael Haneke. Legendäre Stimmen in der Stuttgarter Uraufführung von Janáčeks Schicksal, 1958: Josef Traxel als Komponist Živný, Lore Wissmann als Mila. Im Hintergrund Karin Fischer als Živnýs und Milas Kind. Foto: Bert Boger (© Staatsarchiv Ludwigsburg EL 221/10 Bü 1624) Foto: Oper Stuttgart 12 Das Journal Februar/März/April 2012 13 05. • Don Karlos 05. „Die Feinde sind komplexer, die Intrigen feiner geworden“ Die Darsteller Marco Albrecht (Marquis von Posa) und Jan Krauter (Don Karlos) im Gespräch mit dem Dramaturgen Jörg Bochow Jörg Bochow: Wie oft habt ihr schon Schiller gespielt? Marco Albrecht: Oh, das müsste ich jetzt zählen. Ich habe schon einmal als Student den Domingo in »Don Karlos« gespielt, ansonsten hat mich seit 20 Jahren das Stück nicht mehr verfolgt. J.B.: Hast du schon einmal den Ferdinand gespielt? M.A.: Nein, ich bin ja eher der Wurm. Den habe ich gespielt und dann noch – das klingt jetzt vielleicht albern, aber es war sehr spannend – die Amme Kennedy in »Maria Stuart«, aber ich habe die Rolle als Mann gespielt, es war dann der Kennedy, eine Art Coach und Berater für Maria Stuart. J.B.: Und du, Jan? Jan Krauter: Noch gar nicht, ich habe noch nie in einem Schiller-Stück gespielt und habe auch »Don Karlos« noch nie gesehen. Wofür ich sehr dankbar bin, da ich so unbefangen an die Arbeit herangehen kann. Beziehungen – eine Frau, einen Vater, einen Freund. Das sind erst einmal seine Motive, es ist dann Posa, der seinen Horizont darüber hinaus erweitert. J.B.: Ist Posa wirklich der Freund von Karlos? M.A.: Das ist die Frage. In meiner Erinnerung taucht immer wieder so ein allgemeines Bild von Posa als dem Kumpel von Karlos auf. Beim Lesen jetzt wird das zweifelhaft. Klar, sie haben eine gemeinsame Vergangenheit, aber im Augenblick, in dem das Stück einsetzt, kommt da jemand, der vielleicht kein Idealist ist, aber eine radikale politische Absicht verfolgt. Posa benutzt Karlos für seine Absichten, das mag freundschaftlich sein, aber das ist von einem totalen Anspruch. Posa macht so etwas wie einen Terroranschlag auf das ganze System, aber eben auch auf Karlos. Das bemerke ich immer mehr bei den Leseproben und lässt mich fragen, was es mit der Freundschaft, die ein ganzes Leben halten soll, auf sich hat. Der strategische Aspekt ist bei Posa schon sehr dominant. J.B.: Ist für Posa die Freiheit wichtiger als die Freundschaft und ist das umgekehrt bei Karlos? M.A.: Wenn man die wie auch immer geartete Utopie, die Posa hat, bedenkt, würde ich im Augenblick sagen: ja, für Posa ist die Freiheit wichtiger. J.B.: Was ist das Besondere für euch als Schauspieler, wenn man mit Schillers Texten arbeitet? M.A.: Das Aufknüpfen der Sprache ist erst einmal eine Herausforderung – sie verstehbar machen, mit den Jamben umzugehen und dabei diese Sprache, die uns manchmal sehr alt vorkommt, frisch, frei, kräftig, bösartig, genau und offensiv zu denken. J.K.: Man muss auf jeden Fall hundertprozentig denken, damit die Zuschauer verstehen können, was einem selbst oft entgleitet, wenn man den Text das erste Mal liest. Schwierig ist auch, dass so viele Haltungen und Emotionen der Figuren im Text beschrieben sind, es ist für uns heute manchmal merkwürdig, das alles zu sagen, was wir ja im Spiel auch zeigen können. Und dann natürlich die Pathosfalle, die vielen ›Ohs!‹ und ›Achs!‹, das habe ich auch schon unfreiwillig komisch gesehen. M.A.: Deshalb wird es oft ironisch unterspielt, aber die Sprache und die Themen Schillers stellen sich dem entgegen. J.K.: Man braucht Mut. Da sind große Gefühle zu zeigen ... M.A.: ... was ja nicht mehr zeitgemäß erscheint, wir sind alle so wahnsinnig cool. „Karlos macht im Laufe des Stücks eine Art politischer Pubertät durch“ J.B.: Sind Schillers Figuren für euch idealistisch? Ist Karlos nicht nur groß in seiner Emotionalität, sondern auch in seinem politischen Idealismus? J.K.: Ich glaube, am Anfang ist er gar nicht so politisch, er macht im Laufe des Stücks eine Art politischer Pubertät durch. Bei unseren Leseproben muss ich immer wieder an unsere Arbeit mit dem Jugendclub denken, weil ich da etwas ganz ähnliches beobachte. Als Jugendlicher ist man erst einmal mit sich selbst beschäftigt, mit der Frage, wo mein Platz ist in der Welt. Das kann man eigentlich nicht Politikverdrossenheit nennen, wie das oft getan wird, weil man ja erst einmal eine Ausgangsbasis sucht. Man muss erst einmal selber wissen, wer man ist, damit man dann auch Stellung beziehen kann. J.B.: Hilft dir die Erfahrung mit dem Jugendclub bei deiner Arbeit am Karlos? J.K.: Ich verstehe beides in der Wechselwirkung jeweils besser. Karlos ist eingeschlossen von Fassaden, durch die kein menschliches Wort dringt. Er ist in Gesellschaft, aber allein. Das kann ich wieder auf unsere Gesellschaft beziehen, wo ich in einer Millionenstadt leben könnte und trotzdem total vereinsame. Karlos sucht Liebe und Freundschaft, bevor er in seiner Isolation vollkommen verkümmert. Er braucht gleichwertige 14 Jan Krauter und Marco Albrecht (Fotos: Matthias Dreher) Das Journal Februar/März/April 2012 „Posa kämpft für eine politische Freiheit, Karlos ringt um eine persönliche“ J.B.: Das heißt, am Ende stirbt Posa eher für das politische Ziel? M.A.: Er macht ja auf diesem Weg eine Erkenntnis. Er versucht zunächst mit Terrormitteln seinen Plan und diese Utopie von der Befreiung der Niederlande umzusetzen. Erst als er das Messer gegen die Eboli zückt, begreift er: was rede ich hier von Menschlichkeit? Da wird er unsicher und seine ganze Strategie mit und für Karlos gerät ins Wanken. In der Todesminute gibt ihm dann die Freundschaft Kraft, das finde ich bemerkenswert. J.K.: Beide nähern sich im Laufe des Stücks an. Wenn Posa für eine politische Freiheit kämpft, ringt Karlos um eine persönliche. Er macht das sozusagen vor der eigenen Haustür, nicht gleich für die ganze Welt. Das gleicht sich dann bei den beiden an, Karlos wird bewusst, dass er persönliche Freiheit nicht ohne gesellschaftliche erlangen kann; Posa lernt, dass ohne menschlichen Bezug die Freiheit nicht lebbar ist. J.B.: Wie seht ihr das heute? Wir haben ja eine ganz andere gesellschaftliche Ordnung als die im Stück geschilderte. Kann man heute auch in die Lage kommen, für ein politisches Ziel etwas zu opfern? Und wie weit würdet ihr da gehen? M.A.: Ich glaube schon, dass man etwas preisgeben muss. Ich bin weiß Gott nicht radikal, aber gedanklich möchte ich es viel mehr sein. Wir wissen alle, es fehlt im Augenblick eine Utopie, so wie es jetzt ist, ist es nur mit Ironie und Zynismus zu ertragen, vor allem die Finanzkrise und was drum herum passiert. Wenn man das sieht, sagt man sich oft: Schluss, aus, man möchte nur noch ›draufhauen‹ – noch einmal nett reden, noch einen Ausschuss gründen, noch einmal einen Konsens suchen – dann bleibt man immer nur bei einer Art Kompromiss stehen und stellt bestimmte Grundsätzlichkeiten nicht in Frage. „Wie sehr stelle ich grundsätzlich etwas in Frage?“ J.B.: Aber wie kann und soll man eingreifen? Du würdest ja nicht auf die Straße gehen und zur Gewalt aufrufen. wirklich bin oder wie weit ich von Werbung und Konsum manipuliert werde. Wie sehr stelle ich grundsätzlich etwas in Frage, wie es Karlos tut, wenn er sich gegen seinen Vater wendet? Das erinnert mich an das politische Trauma der deutschen Nachkriegszeit und die sechziger und siebziger Jahre, als die Elterngeneration in Frage gestellt wurde. J.B.: Jan, hast du ein ähnliches Trauma mit der Vätergeneration oder existiert das Politische für dich außerhalb des Familiären? J.K.: Das ist bei mir eigentlich getrennt. Aber unsere Generation, die U30, hat nicht so klare Feinde. Die Feinde sind komplexer geworden und nicht so leicht auszumachen. Niemand kann einem erklären, was in der Politik oder der Finanzwelt wirklich los ist. Wie soll sich ein junger Mensch da verhalten? Deshalb komme ich auf den Punkt zurück, dass Karlos vielleicht richtig liegt. Es geht nicht darum, immer gleich die ganze Welt zu verändern, sondern eher bei sich selber anzufangen. Wir haben keine großartigen Werte mehr und auch keine Altnazigeneration, gegen die man aufbegehren kann. Die Reibeflächen sind weg, da wird es schwierig, sich über das Entgegenstellen zu definieren. Es ist alles geschickter geworden, die Intrigen heute sind feiner als die im Stück. Alles wird einem mit grinsender Maske verkauft. Du musst dich auf eine extreme Suche begeben, um überhaupt einen Feind zu finden, den es wahrscheinlich gar nicht gibt, sondern nur Mechanismen, Schwarmintelligenzen, die etwas in Bewegung bringen und wir rennen alle hinterher. M.A.: Es ist nicht mehr der und der Feind, sondern ein Finanzprodukt und das ist nicht zu greifen. In einer Diktatur ist der Feind eben viel leichter zu fassen. Vor der Wende 1989 habe ich mich als Student in Leipzig immer gefragt – und wann gehst du? J.K.: Wenn ich auf die Straße gehe, um zu demonstrieren, möchte ich nicht nur gegen etwas sein, sondern ich möchte auch eine positive Lösung anbieten können. Es gibt ja auch so einen Mainstream bei Demos und ich möchte mich dann nicht dazustellen, weil ich gar nicht weiß, wer da eigentlich neben mir steht. M.A.: Ich versteh das, aber man darf auch nicht zu viel darüber nachdenken, sonst macht man nämlich gar nichts. J.K.: Wenn man aber nur hingeht aus dem Gefühl heraus, wow, da passiert endlich mal wieder etwas, so wie bei einem Rockkonzert, da kriege ich wirklich das Kotzen. Ich verstehe den Einwand, dass man zu schnell wieder gar nichts macht. Aber wir leben in einer solchen Blase der Sicherheit, dass mich die Dinge gar nicht mehr berühren können – mir kann ja wenig passieren. Dann hat das Protestieren auch was Dekadentes und es ist schwer zu unterscheiden, ob es wirklich um etwas geht oder nicht. J.B.: Kann man das Unbehagen an der eigenen Situation, in der man nicht mehr weiß, wo es wirklich um etwas geht und wo man nur einer Kampagne aufsitzt, mit einem Stück wie ‚Don Karlos‘ vermitteln? M.A.: Es gibt ja die Liebesgeschichte, die Intrige, die völlig hoffnungslose Sehnsucht von der Eboli, es gibt den Kampf um Freiheit, die Rebellion, das sind viele Punkte, wo man anknüpfen kann. Und wenn ich sehe, wie Karlos, der offen in jedes Messer hineinläuft, wie offen und pur er jeweils reagiert, wie er sich jedes Mal das Herz aufreißt und nicht strategisch kalkuliert – dann kann ich dem mit großer Freude zuschauen. Ich kann vielleicht sogar befreit aus dem Theater gehen, wenn ich sehe, wie leicht es ist, das eine oder andere zu sagen oder zu entscheiden, ohne dass man damit gleich die Welt ändert. Vielleicht bekomme ich Lust, mich einmal anders und intensiver zu informieren, um zu verstehen, was eigentlich um mich herum passiert. J.K.: Es wäre möglich, dass man einfach mal wieder bei sich selbst nach einem wahrhaftigen Interesse sucht. J.B.: Vielen Dank für das Gespräch. Eröffnung des Schauspielhauses! Don Karlos von Friedrich Schiller Regie: Hasko Weber, Bühne: Thilo Reuther, Kostüme: Anette Hachmann, Musik: FM Einheit, Dramaturgie: Jörg Bochow Mit: Marco Albrecht, Lisa Bitter, Sebastian Kowski, Jan Krauter, Markus Lerch, Rahel Ohm, Lutz Salzmann, Christian Schmidt, Svenja Wasser, w Premiere: 17. Februar 2012 // 19:30 Uhr // Schauspielhaus M.A.: Nein, auf keinen Fall, dafür bin ich viel zu friedfertig und vielleicht auch zu spießig. Aber wenn man die berühmte Forderung von Posa nach Gedankenfreiheit nimmt: das ist natürlich alt, aber es bringt mich zu der Frage, wie frei ich heute 15 06. • Ballettabend: Körpersprache3 07. • La Sylphide Uraufführungen von Mauro Bigonzetti, Edward Clug und Marco Goecke Die Ur-Ballerina Es ist der 12. März 1832: ein Abend an der Pariser Oper. Ein Abend, der in die Geschichte des Balletts eingehen wird. Natürlich ahnt das Publikum nicht, dass gleich etwas Außergewöhnliches stattfinden wird. Für die Zuschauer ist es lediglich eine weitere Premiere an der Oper. Hinter der Bühne sieht es anders aus. Dr. Louis Véron, neuer Direktor der vor kurzem als eigenständiger Betrieb erklärten Oper, setzt viel auf diese Premiere und hofft sicherlich, dass der Abend ein Erfolg werden wird, denn dann kann er mit ausverkauften Häusern rechnen. Auch der Choreograph Filippo Taglioni, der mit seiner Tochter Marie die Titelrolle des Balletts perfekt besetzt hat, eifert einem Erfolg nach. Vielleicht spürt Marie, Produkt ihres Vaters beispiellosen Trainings und daher über eine bis dato ungesehene Technik verfügend, während sie auf ihren Auftritt wartet, dass die folgenden zwei Stunden sie zum Idol zukünftiger Tänzergenerationen machen werden. Möglicherweise erwartet auch der Bühnenausstatter, der die neue, innovative Gasbeleuchtung einsetzt und die Gaslampen im Zuschauerraum löschen wird, um dem zweiten Akt ein gespenstisches Ambiente zu verleihen, eine positive Reaktion vom Publikum. Womöglich ahnen sogar die Bühnenarbeiter, die die Falltüren und die Flugkorsette für die Tänzer vorbereiten, dass etwas Besonderes im Gange ist. Freier Fall Als »freien Fall« bezeichnete der Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts Marco Goecke neulich die Erarbeitung einer Uraufführung im Ballett. Gerade die Kreation kürzerer Stücke stellt einen Choreographen vor besondere Herausforderungen: Am Anfang steht er im Ballettsaal fast wie in einem Vakuum. Im Gegensatz zu einem Regisseur des Schauspiels oder der Oper und auch anders als bei abendfüllenden oder Handlungsballetten hat ein Choreograph für ein solches Stück meistens keine Partitur, kein Libretto und keinen Text als Ausgangspunkt. Er hat nur seine Gedanken, die in Tanz umzusetzen sind, und die Tänzer, mit denen er seinen Ideen eine Gestalt geben kann. Ungeheure Energie Ein Tänzer wünscht sich nichts sehnlicher, als dass ein Choreograph mit seinem Körper, seiner Persönlichkeit und seinen individuellen Fähigkeiten ein Stück erarbeitet. Tag für Tag stehen sie sich dann bei einer Neukreation gegenüber: der Choreograph und die von ihm ausgesuchten Tänzer. Tag für Tag saugen die Tänzer neue Bewegungen, die in der gemeinsamen Arbeit entstehen, in sich auf, geben sie wieder und halten die Luft an, wenn der Choreograph in sich geht oder grübelt, 20 Mal die gleiche Bewegung wiederholt sehen möchte oder ganz zufrieden weiter arbeitet. An manchen Tagen wird alles am Vortag Erarbeitete verworfen; an anderen entstehen ganze Passagen, die auf Anhieb perfekt sind. Eine ungeheure Energie wird bei diesem Prozess freigesetzt: sowohl Tänzer als auch Choreograph glühen manchmal förmlich bei der Arbeit, die Konzentration ist mit Händen greifbar. Am Tag der Uraufführung ist der Transfer dann vollzogen: jetzt liegt es an den Tänzern, die Gedanken, Formen, Ideen und Emotionen des Choreographen wiederzugeben; er oder sie selbst kann nur noch zuschauen. Ein zweiter freier Fall eben. Zeitgenössische Schaffensprozesse Derzeit laufen beim Stuttgarter Ballett gleich mehrere dieser Schaffensprozesse ab, denn die erste Premiere im wiedereröffneten Schauspielhaus feiert die Compagnie am 23. März 2012 mit drei Neukreationen, die den Ballettabend Körpersprache³ bilden. Ballettintendant Reid Anderson hat für dieses Ereignis drei international renommierte Choreographen beauftragt, gleichzeitig neue Stücke für die Compagnie zu kreieren, und nun stellen sich der Italiener Mauro Bigonzetti, der Rumäne Edward Clug und eben Marco Goecke einmal mehr der Herausforderung, aus dem Nichts ein Stück zu zaubern. Alle drei verfügen über einen unverwechselbaren und ausgeprägten individuellen Stil und sind dem zeitgenössischen Tanz zutiefst verpflichtet. Alle sind sie das Wagnis, ein neues Stück entstehen zu lassen, sehr oft eingegangen. Und trotzdem ist jede Neukreation aufregend und spannend, sowohl für den Choreographen als auch für die Tänzer. Der Bildhauer unter den Choreographen Elisa Badenes, Heather MacIsaac, Alexander Zaitsev und Robert Robinson bei den Proben zu der Uraufführung von Marco Goecke. Fotos: Ulrich Beutenmüller 16 Beim Ballettabend Körpersprache³ treffen die Tänzer des Stuttgarter Balletts auf drei sehr unterschiedliche Künstler. Mauro Bigonzetti ist der Bildhauer unter den Choreographen: Seine Choreographien erforschen den menschlichen Körper auf eine Weise, die – trotz Momenten der Groteske oder Brutalität – nie die umwerfende Schönheit seines Objektes aus den Augen verliert. Mit seinen ästhetisierenden Stücken, in denen die klassischen Proportionen eines Michelangelo mit der surrealen, skurrilen Seite des Menschseins eines Giacometti zusammenfinden, hat sich Bigonzetti einen Platz unter den führenden europäischen Choreographen erarbeitet. Mit den Stuttgarter Tänzern ist er vertraut: Für das Stuttgarter Ballett schuf Mauro Bigonzetti bislang Kazimirs Colours (1996), Quattro Danza per Nino (1998), Orma (2004) und sein dramatisches Handlungsballett I fratelli – Die Brüder (2006). Paris im Sturm erobert Wie auch immer die Erwartungen der Beteiligten an jenem Abend gewesen sein mögen, La Sylphide, das Ballett, welches an jenem 12. März uraufgeführt wurde, eroberte Paris im Sturm. Die Ära des romantischen Balletts war angebrochen und damit das Ballett, wie wir es heute kennen. Eine Ära, in der die Kunst des Spitzentanzes entwickelt wurde, in der die Ballerina den Mittelpunkt eines jeden Balletts bildete, in der die Hauptfigur häufig ein Märchenwesen war und das Tutu zum Standardkostüm der Tänzerin wurde, aber vor allem auch eine Ära, in der die Tänzerin sich als ein schwebendes, ätherisches, graziöses und federleichtes Wesen im Bewusstsein des Publikums verankerte. All dies hat die Premiere von La Sylphide bewirkt und dadurch die Kunstform Ballett bis weit ins 20. Jahrhundert geprägt. Was war an diesem Ballett so besonders, dass es eine Stadt – und innerhalb von einigen Jahren ganz Europa – bezauberte und eine Ära begründete? Ohne Zweifel steht der Tanz der Taglioni ganz im Vordergrund. Mit ihr kamen eine neue Art von Tänzerin und ein neuer Tanzstil auf die Bühne. Ivor Guest, führender Tanzhistoriker des romantischen Balletts, fasste die große Auswirkung Taglionis zusammen: »Marie Taglioni hatte Paris durch den Ausdruck ihres Tanzes erobert. Da sie niemals mit [...] virtuosen Füßen blenden wollte, wurde ihr Stil dafür anerkannt, nicht nur originell zu sein, sondern auch künstlerisch besser als der Stil, der an der Opéra en vogue war, als sie zuerst dort ankam. Ihre Technik war so kontrolliert, daß diese niemals die Poesie ihres Tanzes überschattete; sie war der Diener, nicht der Herr ihres Stils.« Marie Taglioni vereinigte nicht nur Tanz und Handlung, sondern führte, durch das anspruchsvolle Training ihres Vaters, die Fähigkeit ihrer Kolleginnen, auf Spitze zu stehen, einen Schritt weiter: Sie tanzte auf Spitze. Diese choreographische Neuheit erlaubte es Taglioni, die ätherische Sylphide perfekt zu verkörpern. Danach gab es kein Zurück: die Kunst, auf Spitze zu tanzen hatte sich etabliert, wurde immer weiter entwickelt und beschäftigt bis heute sogar noch zeitgenössische Choreographen. Schimmerndes Juwel Edward Clug arbeitete zum ersten Mal im Jahr 2009 mit den Tänzern des Stuttgarter Balletts zusammen, als Ballettintendant Reid Anderson ihn mit einer Uraufführung für das Stuttgarter Ballett beauftragte. Clugs Pocket Concerto erwies sich als kleines, schimmerndes Juwel, ein Versteckspiel für fünf Tänzer, die im Zusammenspiel mit einer sich kontinuierlich verschiebenden Wand immer nur Teile ihrer selbst preis geben. Nach dem großen Erfolg von Pocket Concerto kehrt Clug nun nach Stuttgart zurück, um ein zweites Stück zu kreieren. Einzigartiges, unvergessliches optisches Universum Marco Goecke, seit 2005 Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts, ist einer der originellsten deutschen Choreographen der Gegenwart. Seine hochästhetischen Stücke hinterlassen stets einen geheimnisvollen Eindruck, der Betrachter wird herausgefordert, seine Sicht auf den menschlichen Körper und dessen Fähigkeiten zu überdenken. Goecke seziert Bewegungen bis ins kleinste Detail; bis dahin nicht wahrgenommene Körperteile rücken überraschend in den Mittelpunkt seiner Choreographien und deuten auf die Verletzlichkeit der menschlichen Seele hin. Mit sich stark ein prägenden Bildern – mal angsteinflößend oder skurril, mal zärtlich oder humorvoll – schafft Goecke ein einzigartiges, unvergessliches optisches Universum. Bis heute hat Goecke sechs Stücke für das Stuttgarter Ballett kreiert, darunter ein pechschwarzer und außergewöhnlicher Nussknacker und das bahnbrechende, abendfüllende Stück Orlando nach dem gleichnamigen Roman von Virginia Woolf. Die Stuttgarter Tänzer sind von der Zusammenarbeit mit Goecke fasziniert und begeistert und jederzeit bereit, sich in den »freien Fall« mit ihm zu begeben. Vivien Arnold Patin für überirdische, schwebende Gestalten Auch die Thematik der Handlung trug viel zum Erfolg von La Sylphide bei. Obwohl die Romantik erst viel später einen Einfluss auf das Ballett ausübte als auf Musik, Literatur und die Bildenden Künste, war sie der Ansporn für zahlreiche Ballette. Das Pariser Publikum konnte sich mit der Unzufriedenheit des Helden James mit seinem bürgerlichen, alltäglichen Leben, seinem Streben nach einer höheren Sphäre, der, in der sich die Sylphide bewegt, sofort identifizieren. Auch die Tatsache, dass James die Sylphide in seinem Eifer, sie zu besitzen, tötet, und dadurch den Kontakt zu dieser wunderbaren anderen Welt verliert, sowie die Tatsache, dass er verzweifelt in seiner irdischen Sphäre zurückbleiben muss, waren immer wiederkehrende Themen in den Balletten der Romantik. Zudem die Sylphiden: exotisch, unzähmbar, fremd, jedoch auch anziehend. Die Sylphide verkörperte ein schwereloses, fast körperloses, keusches, unschuldiges Frauenbild, welches Marie Taglioni perfekt darzustellen wusste. Gerade diese Facette der Sylphide wurde begeistert vom damaligen Publikum aufgenommen, und ist auch heute noch ein wesentlicher Bestandteil vom Idealbild der Ballerina. Ob die Wilis in Giselle, die »Schatten« in La Bayadère, oder die Schwäne in Schwanensee, die Sylphide stand für all diese überirdischen Gestalten Patin. La Sylphide ist das älteste erhaltene Stück des internationalen Ballettrepertoires. Seit über 170 Jahren bezaubert das Stück – in verschiedenen Inszenierungen – sein Publikum. Die tragische Geschichte von James und seiner unerreichbaren Sylphide bewegt uns heute noch, und die ätherischen Bewegungen der Sylphide, der Ur-Ballerina, ziehen uns nach wie vor in ihren Bann. Vivien Arnold Award-winning production by Peter Schaufuss Ballettabend: Körpersprache3 La Sylphide Premiere: 23. März 2012 // 19:30 Uhr // Schauspielhaus Wiederaufnahme am 25. Februar 2012 // 19:00 Uhr // Opernhaus Uraufführungen von Mauro Bigonzetti, Edward Clug und Marco Goecke Choreographie und Inszenierung: Peter Schaufuss nach August Bournonville, Musik: Hermann Løvenskiold, bearbeitet von Ole Nørlyng, Musikalische Leitung: James Tuggle, Staatsorchester Stuttgart Weitere Aufführungen im März, April und Mai: Di 27.03. // Mo 02.04. // Mo 23.04. // So 29.04. // Fr 04.05. // So 06.05.2012 Weitere Vorstellungen im März und April: Fr 02.03. // So 04.03. (nm/abd) // Mo 19.03. // Fr 30.03. // Mi 04.04. // Di 10.04. // Sa 14.04. // So 15.04.2012 Elisabeth Mason, Erste Solistin des Stuttgarter Balletts, als die Sylphide, fotografisch interpretiert von Sébastien Galtier. Das Journal Februar/März/April 2012 17 08. • Das Bellini-Wochenende 08. r e t a e h T o t n a c Bel Das Wochenende vom 17. / 18. März 2012 steht ganz im Zeichen des BelcantoKomponisten Vincenzo Bellini (1801–1835) und seiner Protagonistin Giuditta Pasta. Für diese Ausnahmekünstlerin komponierte er die Primadonnenpartien in Die Nachtwandlerin und Norma. Das Wochenende wird mit einem Samstagnachmittagskonzert eröffnet, in dem die beiden Ensemblemitglieder Diana Haller (Mezzosopran) und Atalla Ayan (Tenor) Bellinis LiedKompositionen vorstellen. Am Abend steht eine NormaAufführung mit Catherine Naglestad in der Titelrolle auf dem Spielplan, mit einem Nach(t)gespräch im Anschluss, bei dem Sie sich als Zuschauer mit den Mitwirkenden über das Gesehene und Gehörte austauschen können. Im Rahmen eines Sonderkonzertes am Sonntagmorgen begeben sich Majella Cullagh (Sopran) und Claudia Mahnke (Mezzosopran) unter Leitung von Maestro Giuliano Carella in Arien und Szenen auf eine Spurensuche nach Giuditta Pasta. Eine Vorstellung der Nachtwandlerin mit Ana Durlovski in der Titelpartie beendet das Programm am Sonntagabend, das mit einem weiteren Künstlergespräch ausklingen wird. Abgerundet wird das Bellini-Wochenende durch ein Podiumsgespräch sowie Vorträge der namhaften Gastreferenten Andreas Münzmay, Thomas Seedorf und Arnold Jacobshagen. in meiner Melodie habe.« Die »melodie lunghe« Bellinis waren somit Vorbild und Schule nicht nur für die Nocturnes des mit ihm befreundeten Chopin, sondern auch für Wagners »unendliche Melodie«, so dass in Isoldes Liebestod zumindest ein Echo von Normas Schwanengesang widerklingt. Heute, 180 Jahre nach der Uraufführung von Norma und der Nachtwandlerin, ist es möglich, Bellinis Musik neu zu entdecken. Seine Liebe zur menschlichen Stimme, die Kompromisslosigkeit seiner Hingabe an die Melodie, der er immer wieder auch harmonische Trouvaillen verdankt, seine unendlich feine musikalische Ausdeutung des Textes, meist verfasst von dem kongenialen Dichter und Librettisten Felice Romani, lassen aus der Musik heraus Figuren mit einem reichen, oft überraschend komplexen Seelenleben entstehen. Sie sind ein Geschenk an uns Zuhörer – und an das Theater, auf dem sie zu leben beginnen. Angela Beuerle, Sergio Morabito Das Bellini-Wochenende am 17. / 18. März Eröffnungskonzert Melancholie, sanfte Nymphe – Malinconia, Ninfa gentile Vincenzo Bellini von Jean-François Millet (I teatri di Vincenzo Bellini, Palermo) Vincenzo Bellini Die Arietten Mezzosopran: Diana Haller; Tenor: Atalla Ayan; Am Flügel: Stefan Schreiber; Musiker des Staatsorchesters Stuttgart Samstag, 17. März // 14:30 // Opernhaus, Foyer I. Rang Vortrag Eine neue italienische Oper Giuditta Pasta in der Titelrolle von Paisiellos Nina oder Die aus Liebe Wahnsinnige von Giuseppe Molteni, 1829 Pinacotea di Brera, Milano (Su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali) Rossini – Bellini – Donizetti: Von diesen drei Komponisten ist Vincenzo Bellini heute der am wenigsten bekannte, was weder seiner Bedeutung noch seinem Ruhm zu Lebzeiten entspricht. Ein Grund dafür ist sicher, dass er, anders als Rossini und Donizetti, keine Buffo-Opern komponiert hat, das einzige Genre, in dem die italienischen Komponisten, auch nachdem der »Belcanto« im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aus der Mode gekommen war, noch geschätzt wurden. 1801 in Catania/Sizilien als der jüngste dieses »Dreiergestirns« geboren, verstarb er bereits 1835 in Puteaux bei Paris. Seinen Durchbruch als Opernkomponist feierte er mit Il pirata (1827), zwei Jahre bevor Rossini aufhörte, Opern zu komponieren. Von Anfang an wurde sein Schaffen als das eines Reformators wahrgenommen, der es wagte, zugunsten einer wortbewussten, expressiv-romantischen Ausdruckshaltung mit dem brillantvirtuosen Rossini-Stil zu brechen. Alle drei Komponisten gemeinsam haben das Verdienst, der italienischen Oper neue Ansätze und Weiterschreibungen der alten Formen erschlossen und ihr auf diese Weise zu neuer, weltweiter Bedeutung verholfen zu haben. Eng verbunden war ihr Opernschaffen mit einzelnen Sängern, vor allen Dingen Sängerinnen, wie Isabella Colbran, Giuditta Pasta oder Maria Malibran, die diese Opern nicht nur als Protagonistinnen vor das Publikum Italiens und der Welt brachten, sondern oft auch Anlass ihrer Komposition waren. Sowohl die Titelpartie der Nachtwandlerin als auch der Norma (beide 1831) schrieb Bellini der berühmten, für ihre Schauspiel- nicht weniger als für ihre Gesangskunst bewunderten Diva Giuditta Pasta »auf die Stimme«, sie sang die Mailänder Uraufführungen beider Werke und brachte sie in ihrer Darstellung an die Opernhäuser in Wien, London und Paris. Die Bezeichnung »Primadonnenoper« verweist auf diese enge, äußerst produktive Verbindung von Sängerin und Komponist. Auch im 20. Jahrhundert waren es Künstlerinnen wie Maria Callas, Renata Scotto oder Montserrat Caballé, die einem Publikum, das von den späteren naturalistisch-veristischen Opern geprägt war, die nur scheinbar veralteten Formen und Inhalte dieser Werke durch ihre Verkörperung wieder nahe brachten. 18 Das Journal Februar/März/April 2012 Geschrieben für berühmte Sängerinnen und ihre männlichen Konterparts entstand mit den Opern dieser drei Komponisten eine neue Form des italienischen Belcanto. Hier ging es nicht mehr wie in den vergangenen Jahrhunderten um das stupende Virtuosentum der Kastraten, deren Stimmen in geschlechtsübergreifender Künstlichkeit an Klänge jenseits des Irdischen denken ließen, sondern um die unendlich fein ausziselierte Darstellung eines Seelengemäldes mittels der Töne und Zwischentöne der menschlichen Stimme: »Un cantar che nell’anima si sente«, ein Singen, das an die Seele rührt – so fasste Rossini es einmal. Dabei war auch der Belcanto des 19. Jahrhunderts verbunden mit großer sängerischer Virtuosität, die sich hier jedoch ganz in den Dienst der Figur, ihrer seelisch-psychischen Verfasstheiten und des von ihr gesungenen Textes stellt – man denke nur an die großen Arien, die diese romantischen Opern-Heroinen singen, wenn die Herrschaft des klaren Verstandes zugunsten der Nachtseiten der Seele zurücktritt, seien die Frauen dann wahnsinnig, schlafwandelnd oder von Verzweiflung zerrissen. Unendliche Melodien Die menschliche Stimme stand somit im Zentrum des Komponierens. Von allen drei Komponisten dieses neuen italienischen Belcanto ist es Bellini, der dies am radikalsten verwirklicht. Aus dem Text, den die Figur singt, erschafft er ihre Melodien, immer variierend, überraschend, nie schematisch, und diesen Melodien ordnet sich alles unter, harmonische Tektonik und rhythmische Periodik dienen ihr. Daran entzündet sich die Faszination und Irritation dieses Komponisten. Wurde die Unterordnung aller anderen kompositorischen Parameter gerade im Zeitalter der großen Harmoniker oft als mangelndes kompositorisches Handwerk missverstanden, konnten sich seine Kritiker der Sogwirkung seiner Melodien doch nicht entziehen. Verdi prägte trotz mancher Vorbehalte gegenüber Bellini bewundernd den Satz von den »melodie lunghe, lunghe, lunghe« und sein Antipode Wagner, nicht weniger kritisch, gibt zu: »Das ist bei aller Pauvretät wirkliche Passion und Gefühl, und es soll nur die richtige Sängerin sich hinstellen und es singen, und es reißt hin. Ich habe davon gelernt, was die Herren Brahms & Cie nicht haben, und was ich Andreas Münzmay über die französischen Vorlagen zu Bellinis Die Nachtwandlerin Samstag, 17. März // 17:00 // Opernhaus, Foyer I. Rang Norma Musikalische Leitung: Ivan Anguélov mit Catherine Naglestad in der Titelpartie Samstag, 17. März // 19:30 Uhr // Opernhaus 3. Liedmatinee (Sonderkonzert) Hommage an Giuditta Pasta Werke von Paisiello, Cimarosa, Crescentini, Rossini, Mayr, Donizetti, Bellini; Sopran: Majella Cullagh; Mezzosopran: Claudia Mahnke; Musikalische Leitung: Giuliano Carella; Staatsorchester Stuttgart Sonntag, 18. März // 11:00 // Liederhalle, Mozartsaal Vorträge Thomas Seedorf über den Bellini-Gesang und Arnold Jacobshagen über Die Nachtwandlerin Sonntag, 18. März // 15:00 // Opernhaus, Foyer I. Rang Die Nachtwandlerin – La Sonnambula Musikalische Leitung: Gabriele Ferro mit Ana Durlovski in der Titelpartie Sonntag, 18. März // 19:30 // Opernhaus 19 09. • The Lady and the Fool /Gaîté Parisienne 09. Ballettabend In dieser zeitlosen Thematik um Materialität und den im Leben wirklich wichtigen Dingen legte John Cranko bereits den Kern dessen an, was ihn in seinen späteren Werken auszeichnet: eine überzeugende Geschichte mit lebendigen Charakteren zu konstruieren. Das wird spätestens in dem ergreifenden Pas de deux der Lady mit dem Clown Moondog deutlich, in dem ihre Maske fällt. Plötzlich herrscht eine gänzlich andere Stimmung auf der Bühne, denn beider Begegnung ist wahrhaftig und ehrlich. Die Lady erkennt, wo ihr Glück nun liegt, lässt ihr altes Leben hinter sich und gesellt sich zu den Clowns. Musikalisch untermalt wird The Lady and the Fool von der grandiosen Opernmusik Giuseppe Verdis, für das Ballett arrangiert von Charles Mackerras. Die Anonymität, die die Lady in der sorglos feiernden Gesellschaft erlebt, findet sich im schlichten Bühnenbild wieder, vor dem sich die prachtvollen Roben und die liebenswerten Kostüme der Clowns in der Ausstattung von Astrid Behrens elegant abheben. Das Leben ein Tanz, der Tanz ein Leben Im Gegensatz zu The Lady and the Fool, das mit einfachen Mitteln große Wirkung entfaltet, setzt Maurice Béjart in Gaîté Parisienne auf viele verblüffende Momente und die opulente Ausstattung von Thierry Bosquet. Das Stück wurde 1978 vom Ballet du XXe siècle, der Compagnie des damals bereits gefeierten Choreographen, in Brüssel uraufgeführt und erlebte fünf Jahre später seine Erstaufführung beim Stuttgarter Ballett. Béjart gestaltet das Ballett dramaturgisch reizvoll als eine Mischung aus persönlichem Tagebuch und humoristischem Journal des Paris der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es erzählt von dem jungen Tanzschüler Bim, einem Träumer, der neugierig auf das Leben und den Tanz ist. In Paris führt ihn die resolute »Madame« in die Disziplin ihrer Ballettschule ein, doch Bim ist in seiner Begeisterung für das aufregende Leben in der Stadt schnell bereit zur Ablenkung. Persönlichkeiten quer durch die französische Geschichte, wie Napoléon oder die Marianne, bevölkern alsbald seine Vorstellungswelt und wechseln sich ab mit Szenen aus dem Ballettsaal der »Madame«, die ihr eigenes Regelwerk für ein gelungenes Leben mit dem Tanz aufgestellt hat und Bim dieses eindringlich vermittelt. Doch der junge Mann erweckt stets neue Phantasie- figuren zum Leben, die in schwungvollen Choreographien tanzen – besonders faszinierende Eindrücke gelingen Béjart in der Darstellung der Ballerinen aus den Gemälden Edgar Degas’. Bim selbst ist nicht gerade ein Musterschüler, aber er liebt den Tanz und legt Tanz in alle Dinge, die ihm das Leben bietet. Am Ende hat er doch die Lektion der »Madame« gelernt. Die Ballettmusik, die Manuel Rosenthal in den 1930er Jahren nach populären Melodien Jacques Offenbachs schuf, entstand ursprünglich für Léonide Massines Gaîté ParisienneChoreographie für die Ballets Russes de Monte Carlo. Mit einundzwanzig Jahren trat Béjart in Massines Produktion in London auf. Rosenthals Musik wurde zu einer der berühmtesten und meist eingespielten ihrer Zeit und auf sie griff Maurice Béjart für seine eigene Choreographie zurück. Die schmissigen Melodien bilden den richtigen Rahmen für die tänzerischen Glanzstücke, die das Ballett durchziehen und beschwipsen nicht nur den Helden Bim, sondern auch das Publikum. Inga Thode Ballettabend: The Lady and the Fool / Gaîté Parisienne Choreographien von John Cranko / Maurice Béjart Musik: Giuseppe Verdi, arrangiert von Charles Mackerras / Jacques Offenbach in der Bearbeitung und Orchesterfassung von Manuel Rosenthal Musikalische Leitung: James Tuggle, Staatsorchester Stuttgart Premiere: 21. April 2012 // 19:00 Uhr // Opernhaus Weitere Vorstellungen im April, Mai und Juni: Mi 25.04. // Do 26.04. // Sa 28.04. // Sa 05.05. // Fr 11.05. // So 13.05. (nm /abd) // Mo 14.05. // Mi 16.05. // Sa 19.05. // Fr 29.06. // Sa 30.06.2012 William Moore als Moondog, Anna Osadcenko als Lady und Arman Zazyan als Bootface, fotografisch interpretiert von Sébastien Galtier. Hinter Komik und Leichtigkeit steckt auch Ernst Im April 2012 erlebt ein Ballettabend Premiere, der zwei originelle Handlungsballette der großen Choreographen John Cranko und Maurice Béjart zusammenführt. Beide Stücke, der Cranko-Klassiker The Lady and the Fool und Béjarts Gaîté Parisienne, schildern mit Humor und Einfallsreichtum die Lebensstile unterschiedlichster Protagonisten und bieten ein berührendes Porträt über Liebe und Menschlichkeit. Die Hauptpersonen sind anders als die Menschen um sie herum, sie müssen ihren Platz im Leben erst finden und sich die Frage, was man braucht, um ein erfülltes Leben zu führen, noch beantworten. Die Werke ergänzen sich inhaltlich und choreographisch, wodurch der Ballettabend eine große szenische und tänzerische Bandbreite erreicht: Humoreske Szenen und stille Momente wechseln sich ab mit brillanten Soli und technisch anspruchsvollen Choreographien für das Corps de ballet. Aber hinter Komik und Leichtigkeit steckt auch Ernst und so klingen große Themen an, wie etwa Glück und Lebensführung oder die Differenz zwischen Traum, Spaß und den Anforderungen des realen Lebens. Nichtsdestotrotz handeln beide Ballette auch von der Hoffnung sowie vom Glück der Zufriedenheit und der Liebe. 20 Die Freiheit des einfachen Lebens The Lady and the Fool entstand 1954 für das Sadler’s Wells Theatre Ballet (heute Royal Ballet) und erfreute sich in London andauernden Erfolges. Die Stuttgarter Erstaufführung folgte 1961, kurz nach Crankos Berufung zum Ballettdirektor in Stuttgart. Das Ballett erzählt die Geschichte einer Lady, die trotz ihres Vermögens, ihrer Schönheit und gesellschaftlichen Beliebtheit so unzufrieden ist, dass sie ihr Gesicht ständig hinter einer Maske verbirgt. Als sie zwei armen Clowns begegnet, erkennt sie plötzlich, wie leer ihr Leben ist. Hier treffen zwei Gegenpole aufeinander: Die Lady, gesellschaftlich integriert, sucht nach dem Sinn ihres Lebens, während die Clowns in ihrer Rolle als Außenseiter gefestigt sind. Sie kommen gut zurecht und auch wenn sie nicht zu den Reichen und Schönen gehören, sind sie doch zufrieden. Es sind die einfachen Dinge, die ihr Leben bereichern – ein warmer Schal, ein beglückender Moment, ihre Freundschaft. Ein Höhepunkt des Balletts, in dem die Clowns in geschicktem Tanz ihre Späße zum Besten geben, ist der komödiantische Streit um eine Rose, der beinahe ein tragisches Ende nimmt. In klaren Gesten kommt die Einsicht: Der Schritt aufeinander zu ist manchmal zwar nicht leicht, doch er lohnt sich. Eine andere Schlüsselszene ist das große Adagio zwischen der Lady und drei Verehrern, die sich einer nach dem anderen bemühen, ihr die Maske abzunehmen. Doch trotz ihrer Brillanz und Spritzigkeit können sie die Lady nicht für sich gewinnen. Sie strebt nach anderen Idealen – denn eine glatte Oberfläche glänzt zwar, aber sie bietet wenig Halt. Alexander Zaitsev als Bim, Marcia Haydée als Madame, fotografisch interpretiert von Sébastien Galtier. Das Journal Februar/März/April 2012 21 10. • Hans Thomalla 10. Ein Gespräch mit dem Komponisten der Oper Fremd Die nung g e g Be m e d t i m n e r e d An Hans Thomalla über intensive Produktions- prozesse bei der Arbeit im Theater und die Lust am Nichtverstehen. Die Fragen stellte Dramaturg Patrick Hahn. Patrick Hahn: Komponist ist ein einsamer Beruf. Man verbringt viele Stunden allein am Schreibtisch. Theater ist das Gegenteil. Man verbringt viele Stunden mit vielen Menschen in offenen Räumen. Noch lange bevor Sie selbst daran gedacht haben, eine Oper zu schreiben, haben Sie als Dramaturg an der Oper Stuttgart hospitiert und später diesen Beruf auch für einige Jahre ausgeübt. Was haben Sie als Kompositionsstudent an der Oper Stuttgart gesucht? Hans Thomalla: Intensive Produktionsprozesse. Am Theater ist der Bezug der Kunstproduktion zur gesellschaftlichen Realität ganz direkt. Man hat jeden Abend Publikum, das auf die Produktionen reagiert, und durch die Wiederholung bestimmter Stücke im Repertoiretheater erfährt man, wie eine Oper in der Stadt einen Diskurs eröffnen kann. Zugleich ist im Theater der Bezug zur Geschichte viel konkreter als in anderen Kunstformen. Im selben Haus, auf der selben Bühne wird im Abstand von 24 Stunden meine Oper Fremd und Händels Triumph von Zeit und Enttäuschung gespielt. Dadurch kann man fast unmittelbar erleben, wie auch die Musik von heute durch musikalische Traditionen bestimmt ist. Neue Musik entsteht nicht außerhalb der gesellschaftlichen Realität – aber die Aufführung bereitet im Theaterbetrieb gelegentlich gewisse Schwierigkeiten: Es dauert länger, zeitgenössische Stücke zu lernen, weil sie zum Beispiel von Instrumentalisten neue Spielweisen fordern oder weil Sänger aufgrund häufiger Taktwechsel sehr stark rhythmisch gefordert sind. Einmal ganz „einfach“ gefragt: Warum schreiben Komponisten heute denn so kompliziert und nicht mehr so einfach wie früher? Sie haben früher doch auch kompliziert geschrieben. Es ist ja ein Mythos, dass die alte Musik leicht ist und die Neue Musik schwer. Wenn Sänger heute Partien von Wagner oder Mozart lernen, können sie gewissermaßen auf über 200 Jahre »Studium« zurückgreifen. Wenn sie im Hochschulstudium genau so präzise auf die Anforderungen zeitgenössischer Opern vorbereitet, also zum Beispiel lernen würden, wie man eine atonale Kantilene in Luigi Nonos Intolleranza erarbeitet oder wie Geräuschaktionen der Musik Helmut Lachenmanns zu bewältigen sind, dann würde offensichtlich, dass Neue Musik nicht schwerer ist und nicht mehr Zeit braucht als die Musik Mozarts oder Wagners. Aber auch für den Zuschauer ist es etwas anderes, ob er sich in ‚Figaros Hochzeit‘ begibt, wo er sich auf gewisse Arien, die er schon kennt, im Voraus freut oder in eine neue Oper, die er zum ersten Mal hört und sieht. Was ist Ihrer Meinung nach so wichtig an der Begegnung mit Neuem? Gegenwärtiges Theater, Neue Musik und generell Neue Kunst ermöglichen es uns, unsere heutige Realität zu beschreiben, zu kommentieren und kritisch zu befragen. Ich denke, unsere Realität ändert sich und meine Position in der Welt ist eine andere als die von Figaro. Und deshalb brauchen wir auch eine Klangsprache, die dieser Andersheit Rechnung trägt. Die Oper ist einer der wenigen Orte, wo man ganz grundlegend unsere Existenz in all ihren Widersprüchen erfahren, und zugleich Alternativen hören und sehen kann. Woran machen Sie das fest? Wenn in meiner Oper Fremd Medea auf der Bühne in einer wirklich neuen, nicht altbekannten Klangsprache singt, dann reproduziert sie nicht einfach vokale Klischees, die quasi in einer Reiz-Reflexreaktion Bedeutungen herunternudeln, sondern sie behauptet ganz existentiell Subjektivität und Individualität. Individualität außerhalb der Bedeutungsregulative der griechischen Argonauten, also der Gesellschaft, in der sie sich bewegt. Aber in vielen Ihrer Werke, gerade in der Oper ‚Fremd‘ greifen Sie ja immer wieder auf ältere Musik zurück – Hans Thomalla (Foto: A.T. Schaefer) und damit auch auf die Bedeutung, mit der sie aufgeladen ist. Das sind beim Hören Ihrer Stücke immer ungeheuer aufregende Momente, wenn man spürt, dass Sie eine andere, fremde Musik In Ihre hineinlassen, hineinoperieren – und dadurch einerseits ein Moment der Selbstvergewisserung, andererseits ein Moment der Verunsicherung herstellen. Warum greifen Sie so oft auf ältere Musik zurück? Ein Journalist hat mich einmal gefragt, ob es ein rhetorischer Trick von mir sei, dass ich in Fremd das Medea-Finale von Cherubini zitiere, das durch Maria Callas berühmt geworden ist, ob ich damit das Publikum dort abholen wolle, wo es sich befindet. Ich denke, dass ich mich eher selber an einem musiksprachlichen Ort abhole, an dem ich mich nicht mehr befinde – so paradox das klingen mag – für den ich mich aber interessiere. Die Zitate, die ich beispielsweise auch in den Chorpartien des ersten Aktes von Fremd verwende, sind für mich wie Sprungbretter in unbekanntes Terrain. Die »fremden Stellen« verraten etwas über die Identität der »Helden«, darüber, von welcher Geschichte und Kultur sie geprägt sind. Anschließend spürt man, wie sie langsam woanders hin driften – und als Zuschauer kann ich mich mit Ihnen »treiben« lassen. Was ich an der Oper ‚Fremd‘ außerdem faszinierend finde, ist, wie sie die Architektur des Hauses ganz anders, neu erfahrbar werden lässt. Orchestermusiker sind um das Publikum herum verteilt, sogar eine ganze „Marching Band“ ist in der Königsloge. Viele zeitgenössische Komponisten versuchen traditionelle Opernhäuser regelrecht zu vermeiden. Worin lag für Sie der Reiz? Es ging mir darum, das Opernhaus mit seiner traditionellen Architektur in die Erzählweise meiner Oper zu integrieren. Der Zuschauer befindet sich mitten im akustischen Geschehen und ist umgeben von rauen, schwer einzuordnenden Klängen, von einer wilden akustischen Landschaft, die da aus dem Orchestergraben schwappt und sich in den Logen einnistet. In diesen Wochen haben wir nicht nur Ihre Oper endlich wieder im Programm, sondern auch einen spannenden Doppelabend mit Musik von Leoš Janáček und von Arnold Schönberg. Für viele steht der Name Schönberg noch immer gleichbedeutend mit Neuer Musik – dabei sind viele dieser Stücke schon beinahe 100 Jahre alt. Warum wirkt diese Musik auf viele immer noch verstörend neu? Weil sie selbst nach 100 Jahren nicht Teil unseres musikalischen Alltags und unseres Repertoires geworden ist. Das ist nicht Schönbergs Schuld, sondern das ist das Problem eines Musik- und Kulturbetriebs, der sich immer noch schwer tut damit, Kunst zu akzeptieren, die mehr Fragen stellt, als dass sie Antworten gibt. Man müsste mit der Bereitschaft in die Oper gehen, erst einmal nichts zu verstehen und umso genauer zuzuhören. Aber sind die Komponisten nicht auch ein bisschen selber „schuld“, dass sie so selten gespielt werden? Schönbergs ‚Glückliche Hand‘ dauert bloß knapp zwanzig Minuten, doch über beinahe jedem Takt findet sich eine Szenenanweisung, wie in einem „Musikfilm“ hat Schönberg sogar Lichtstimmungen vorgegeben. Machen es sich die Komponisten da nicht unnötig selber schwer, wenn sie an die Interpreten solche Herausforderungen stellen? Da will ich mich jetzt nicht in Gruppenhaft genommen sehen. Obwohl ich drei Jahre am Opernhaus tätig war und denke, etwas vom Theater zu verstehen, habe ich nicht versucht, die Regisseurin in ein Anweisungskorsett zu zwängen, sondern ihr Freiraum zu lassen für ihre eigene Fantasie. Dass Schönberg das nicht tut, ist vielleicht seine Reaktion auf eine Tradition und Praxis, die er als korrumpiert wahrgenommen hat. Durch das Mittel einer »Überbestimmung« von Details wollte er vielleicht versuchen diese Schlampigkeit und das Abspulen szenischer Klischees im Vorhinein zu verhindern. Er zwingt die Interpreten geradezu dazu, sich intensiv mit den szenischen Anforderungen seiner Partitur auseinanderzusetzen. Wollen Sie damit sagen, die Zeit der Gesamtkunstwerker ist vorbei? Sie war vielleicht nie wirklich da. Die Zeit der Komponisten mit theatralem Allmachtsanspruch ist jedoch hoffentlich vorbei. Der Versuch der Komponisten szenisch und musikalisch alles bestimmen zu wollen, verhindert doch gerade das, was das Spannendste am Theater ist: die Begegnung mit dem Anderen. Fremd von Hans Thomalla Februar 2012: 17.02. // 21.02. März 2012: 01.03. // 05.03. // 09.03. „Ein Fest für die Ohren!“ DIE WELT über Hans Thomallas Oper Fremd „Ein großer Abend, auf den die Stuttgarter Oper stolz sein darf.“ Opernwelt über Fremd Annette Seiltgen (Medea) und Geneviève Motard (Tänzerin) in Fremd (Foto: A.T. Schaefer) 22 Das Journal Februar/März/April 2012 23 11. • Heiner Müllers Auftrag 11. Eine Außenansicht DER AUFTRAG von Heiner Müller –– eine Außenansicht von N uran David Calis Die Frage, die wir uns stellen: Sind wir eine Zivilgesellschaft? Die revolutionäre Stimme in mir: Du verstehst mich nicht. Und dennoch bist du die einzige, die mir verzeihen könnte. Viele Leute bieten sich an es zu tun. Viele schreien auch in allen Tonarten. Ich sei schuldig und ich bin es nicht, wenn sie es mir sagen. Andere haben das Recht, es mir zu sagen. Und ich weiß, dass sie recht haben und dass ich ihre Verzeihung erlangen sollte. Aber man bittet jene um Verzeihung, von denen man weiß, dass sie einem verzeihen können. Bei jenen, die ich fragen könnte, weiß ich, dass sie trotz ihres guten Willens irgendwo im Herzen nicht verzeihen können, nicht zu verzeihen. Nicht verstehen. EIN EINZIGER MENSCH KONNTE MIR VERZEIHEN ABER IHM GEGENÜBER BIN ICH NIE SCHULDIG GEWESEN. DIESER MENSCH IST GESTORBEN UND ICH BIN ALLEIN. Einzig du kannst es noch. Aber du verstehst mich nicht und kannst mich nicht lesen Daher sage ich dir, lass mich gehen und versuch mir zu verzeihen, auch wenn du das alles nicht verstehst. Frage an mich: Muss eine Zivilgesellschaft mich immer hören können? 1958: Die Korrektur II 1957/58: Klettwitzer Bericht 1958 – Eine Hörfolge 1958: Glücksgott 1961: Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande 1958/1964: Philoktet 1963/64: Der Bau 1966/67: Sophokles/Ödipus, Tyrann 1968: Der Horatier 1970: Mauser 1971: Macbeth 1956/71: Germania Tod in Berlin 1972: Zement 1951/74: Die Schlacht 1955/61/74: Traktor 1976: Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei. Ein Greuelmärchen 1977: Die Hamletmaschine 1978: Bertolt Brecht/Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer 1979: Der Auftrag 1980/81: Quartett 1982: Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten 1984: Wolokolamsker Chaussee I: Russische Eröffnung 1984: Anatomie Titus Fall of Rome. Ein Shakespearekommentar 1984: Bildbeschreibung 1985/86: Wolokolamsker Chaussee II: Wald bei Moskau 1985/86: Wolokolamsker Chaussee III: Das Duell Wolokolamsker Chaussee IV: Kentauren Wolokolamsker Chaussee V: Der Findling 1995: Germania 3 Gespenster am toten Mann. Seine Lyrik lese ich nicht, ich mag keine Gedichte. Immer wieder versuche ich mich an seinen Texten. Stelle zwei Schauspieler hin und zwinge sie zu sprechen. Bis sie kotzen. Dann weiter Prosa: 1951: Bericht vom Großvater 1951: Der Bankrott des großen Sargverkäufers. Ab da will ich alles können. Mache meinen Mund auf, zu allem und jedem. Wer mich nicht hören will, soll den Raum verlassen. Ich zünde das Theater ab jetzt an. Ich habe an bis in die Ferne verbrannten Tagen geweint. Ja. Frage an mich: Muss eine Zivilgesellschaft alle meine Probleme lösen? Nein. Aber sie muss mir Wege zeigen, wie ich meine Probleme und Fragen lösen kann. Sie muss mir einen Weg zeigen, wie ich aus meiner eigenen Unmündigkeit herausfinde. Tut sie es nicht, muss SIE überwältigt und überwunden werden. Mit allen Mitteln. Mit allem Blut, allem Schweiß, allen Tränen. Das Rad der Geschichte. Oder: Dinge die nicht aufgehalten werden können: Mythologisch gesehen machen wir alle das Richtige. Aus alt wird jung, aus jung wird alt. Wer nicht in Bewegung bleibt, der stirbt. Aus Anfang wird Ende. Aus der Fremde wird die Heimat. Und aus der Heimat wird die Fremde. Von Zerfall erzählen, vom Zerfall der BRD erzählen, vom Zerfall Europas erzählen, in der Hoffnung, dass alles aufgehalten werden könnte, denn ich liebe die BRD – EUROPA. Punkt und Aus. Meine erste Begegnung mit Heiner Müller: Oktober 1995, Berliner Esemble. Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. Ein Theaterstück von Bertolt Brecht, geschrieben 1941. Heiner Müller hat es inszeniert im Juni 1995. Ein Jahr später ist er tot. Ich sitze: Ganz hinten. Ganz oben. Links. Sitze ich. Ich bin 19. Eine Schülerkarte. Mit meinem Datum gefälschten Schülerausweis, weil kein Geld. Schule ist beendet. Ausweis abgelaufen. Das Mädchen aus Bielefeld an meiner Seite. Sie ist in Berlin geblieben, ich nicht. Sie hat den vollen Preis gezahlt. Konnte sie nicht einladen. Sie hatte es eh, ich nicht. Wer ist Schuld? Denn der Mensch ist schuldig, schuldig von Beginn seiner Geburt, der Mensch steht in des Menschen Schuld, vom ersten Atemzug bis zum letzten. Also was tun? 1995. Danach mit Wut im Bauch raus aus dem Theater. Bis heute. Bis jetzt und immer weiter. Warum habt ihr alles und ich nichts? Dann: Alles durchgelesen wie ein Wurm, die kommenden Jahre durch alles, was Heiner Müller schrieb. Alles, was er sagte, alles was ich in die Finger bekommen konnte. 1951: Das Laken 1956/57: Der Lohndrücker 1957: Die Korrektur I 24 Die revolutionäre Stimme in uns: 4:20 Uhr. Nach der Vorstellung im Berliner Ensemble, nach ›Arturo Ui‹, nach Heiner Müller, auf den Seitenstraßen in Berlin, küssend, mit dem Mädchen aus Bielefeld, die alles hat und ich nichts. Man müsste Zuschauer seines eigenen Lebens sein, um es dem Traum beizufügen. Aber du lebst und die anderen träumen dein Leben. Auch ich hätte gerne ein Leben hier. Aber wenn dieses Anderssein nicht immer wäre ... Jedesmal, wenn ich in den Spiegel schaue oder beim Bäcker mich einer anschaut. Die Sackgasse in einem. Eine überforderte Gesellschaft wird sich nicht erneuern, sondern sich irgendwann das Fleisch selber von den Knochen abschaben. Ohne dass sie mal anhält und sagt: scheiße, stopp, wir glauben, wir haben einen Fehler gemacht. Eine Gesellschaft, die sich nicht hinterfragt die sich keine Fehler eingesteht, wird sich nicht häuten können. Eine Gesellschaft, die sich nicht wandelt, wird zugrunde gehen. Sie wird alt werden. Unbeweglich werden. Sie wird absteigen. Eine Gesellschaft, die sich auf den Elfenbeinturm der Sorglosigkeit rettet, wird den Kontakt zum Boden verlieren. Und das Unkraut wird an den Grundmauern des Elfenbeinturms wuchern. Es wird den Turm letzten Endes zum Einstürzen bringen. Eine Gesellschaft, die nicht dahin geht, wo es weh tut, wird an ihrer eigenen Wunde zugrunde gehen. Ich bin Unkraut und Wunde zugleich. September 1996. München. Studium in München beginnt. Paar Monate vorher: Dezember 1995. Heiner Müller ist gestorben. Mit Beginn des Studiums in München hängt ein Schwarz-Weiß-Foto von ihm. Von seiner Beerdigung. Mit allen seinen Freunden. In der Mitte des Bildes steht Martin Wuttke und dreht sich traurig um und blickt in die Kamera. Das Foto hat »Theater heute« gedruckt. Ich habe es ausgeschnitten und links auf Augenhöhe über meinem Schreibtisch aufgehängt. Dann ein Stift. Dann ein paar Zeilen. Ich bin Heiner Müller und die BRD ist meine DDR. Ich bin ein Whistleblower, ein Dissident, ein Trojaner. Ich fresse euch alle auf, ihr MOTHAFACKER! Ich brauche einen »Auftrag« und finde ihn bei ihm. In diesem Bild. Keiner kennt mich, nur er. Sitze in dem Zimmer, 8 Quadratmeter: München. Westen. Eine 80 Zentimeter breite Matratze auf dem Boden. Ein Schreibtisch vom Sperrmüll. Eine Mutter am Telefon, die schimpft und wütet, warum bin ich weg, warum hab ich allem den Rücken gekehrt, warum sitze ich hier und starre das Beerdigungsfoto von Heiner Müller an, warum blicke ich in die heulenden Augen eines Martin Wuttke, warum, warum. Warum? Ich brauche einen »Auftrag«. Einen »Auftrag« brauche ich. Ich suche ihn und finde ihn. Erste geschriebene Zeilen als Dissident. Als Whistleblower. Ich bin ein TROJANER. Sommer 1996. München. Heiner Müllers Auftrag in meinem Ohr. Die BRD ist meine DDR. Die Geschichte bestraft jeden Fehler, der nicht korrigiert wird. Wir, die Kinder, werden für die Konstruktionsfehler unserer Väter und Mütter bezahlen. Die abgedämpfte taubstumme Gesellschaft hindert einen am Kaputtgehen. Dieses ewige Abgefedert sein hindert uns, das Leben so zu nehmen, wie es ist: GRAUSAM. UNGERECHT. OHNE MITLEID. Gerechtigkeit und Moral lernen heißt: DAS GUTE UND DAS BÖSE. Eine Leidenschaft nach ihren Auswirkungen beurteilen. Ich habe es satt nur zu leben, zu handeln, zu fühlen, um diesem Unrecht und jenem Recht zu geben. Ich habe es satt, dem Bild gemäß zu leben, das andere mir von mir vermitteln. Ich beschließe ab heute Autonomie. Ich verlange Unabhängigkeit in der wechselseitigen Abhängigkeit. Ich will aus der Geschichte entschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen. Ich habe den Geist der Zerstörung und des Todes in mir. Täglich wird er von euch gespeist. Ich bin Gott. Ich bin Teufel. Ich bin Leben und Tod zugleich. Mein Plattenbau ist die »Fickzelle mit Fernheizung«, von der Heiner Müller spricht. HEINER MÜLLER; DIE STIMMEN EINES TITANEN. Ich sage: Wir können uns auf den Weg zu dir machen, aber wir werden dich nie erreichen. Nichts wiegt ein demütiges, unwissendes, hartnäckiges Leben auf. Man kann nicht mit EINER einzigen Wahrheit leben. WISSEND. Wer es tut, sondert sich von den anderen Menschen ab. Dieser Mensch kann nie mehr an deren Illusion teilhaben. Der Mensch ist ein Monstrum und eben das bist du und EBEN DAS BIN ICH. Kein sesshafter Mensch kann sich das Leid vorstellen, das einer ertragen lernt, der sich in Bewegung setzen musste, um außerhalb der Wüste Wasser zu suchen. Man ehrt immer die Menschen, die Großes vollbracht haben, aber man sollte mehr für jene tun, die sich trotz dem, was sie waren, davon abhalten konnten, große Schandtaten zu begehen. Ja, ehrt die Namenlosen, die im Sumpf der Geschichte verschwunden sind. Aus DIESEM Sumpf und aus den verwesten Eingeweiden habt ihr eure Paläste gebaut. Der schwache Mensch: ICH. Was tun? Meine Antwort. Die Heiner Müller nicht gefallen wird, oder doch? Bankrott der Linken. Von den Rechten haben wir sowieso nichts zu erwarten. Während von rechts der Faschismus dir ganz offen ins Gesicht springt kommt der tod von links wie ein trojanisches Pferd und bricht dir das Genick während es dir auf die Schulter klopft. Die verlogene Zivilgesellschaft: Gut gemacht Kanake. EIN FEIND DER SICH EINEM OFFEN ZEIGT HAT RÜCKGRAT. EIN FEIND DER SICH NICHT ZEIGT: IST EIN REGENWURM. KEIN RÜCKGRAT. ER DREHT UND WENDET SICH JE NACH WIDERSTAND UND SUCHT SICH DEN GERINGSTEN AUS. DIESER REGENWURM SOLLTE SCHNELL WIEDER UNTER DEN STEIN DER GESCHICHTE ZURÜCKKRIECHEN AUS DEM ER HERAUSGEKROCHEN IST. ICH: Der Verlierer schreit. Anfang und Ende. Ende und Anfang. Alles hat einen Anfang und ein Ende. Wenn du nicht mehr weißt, wie es weitergeht, dann musst du zurück an den Anfang. REVOLUTION! »Mein Auftrag« lautet: Wenn ich nicht mehr weiter weiß hier in der BRD, lese ich: HEINER MÜLLER. Ein Titan, der zwei Diktaturen überwand. Ein Titan, der begriff, dass das 3. System mit seiner »Zivilgesellschaft« Freiheit simuliert, sie aber nicht »echt« ist. Es wird Freiheit vorgegaukelt und dabei werden Fesseln gelegt. Sanft fallen soll man. Nur sanft. Aber man fällt trotzdem. Die Aufklärung nach unten steht uns allen noch bevor. Unseren Gedanken. Unseren Körpern. Den geographischen Linien. Nuran David Calis hat in der vergangenen Spielzeit »Dantons Tod« in der Arena inszeniert. Nun setzt er sich mit Heiner Müllers »Der Auftrag« auseinander. (Foto: Arno Declair) Der Auftrag / Zone von Heiner Müller / Mathias Énard Regie: Nuran David Calis, Bühne und Kostüme: Irina Schicketanz, Kostüme: Amélie von Bülow, Video: Karnik Gregorian, Musik: Vivan Bhatti, Dramaturgie: Beate Seidel Mit: Toni Jessen, Sebastian Kowski, Jan Krauter, Katharina Ortmayr, Nadja Stübiger, Till Wonka, Minna Wündrich Premiere am 14. April 2012 // 19:30 Uhr // Schauspielhaus ICH SCHREIE: Ja, ich verabscheue euch. Für mich lebt die Ehre der Welt bei den Unterdrückten, nicht bei den Mächtigen. Das Journal Februar/März/April 2012 25 Plus • 10 Fragen an ... FESTSPIELHAUS BADEN-BADEN Winterfestspiele 2012 Martina Lutz, Leiterin der Kostümfärberei und -malerei und Beauftragte für Chancengleichheit „Das Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben“ Martina Lutz in der Kostümfärberei (Foto: Cecilia Gläsker) Seit wann arbeiten Sie an den Württembergischen Staatstheatern und was sind Ihre Aufgaben? Ich bin seit 1987 am Haus als Leiterin der Werkstatt Kostüm färberei und -malerei beschäftigt und seit 1999 auch als Beauftragte für Chancengleichheit (BfC) tätig. Vor zwei Jahren sind alle Aktivitäten, Projekte und Maßnahmen, die ich in den letzten Jahren im Rahmen meiner Tätigkeit als BfC ausführte, mit der Gründung eines Sozialreferats gebündelt worden. 02 Welche Schwerpunkte gibt es in Ihrer Arbeit im Sozialreferat? Der Theaterleitung und uns ist die Förderung und Erhaltung der Gesundheit unserer Kolleginnen und Kollegen ein großes Anliegen. Wir kümmern uns um Langzeitkranke und bieten viele verschiedene gesundheitsfördernde präventive Maßnahmen an. Wir beraten und unterstützen Einzelne oder Gruppen, vermitteln bei Schwierigkeiten und sind vertrauliche Anlaufstelle für alle Fragen, Sorgen und Nöte, die unsere Kolleginnen und Kollegen bewegen. 03 Wie kamen Sie ans Theater? Meine Leidenschaft fürs Theater und die Welten, die dort kreiert werden, besteht schon seit ich denken kann. 1987 bekam ich von der Direktorin eines kleineren Stuttgarter Theaters den Tipp, dass die Kostümabteilung der Staatstheater dringend Unterstützung im Kostümwesen sucht. Ich rief bei der Kostümleitung an und nach kurzem Abgleich des Anforderungsund meines Fähigkeitsprofils wurde ich gefragt, wann ich anfangen könne. Ich sagte: »Ich bin auf dem Schlossplatz in einer Telefonzelle und bin in 10 Minuten bei Ihnen, wenn es Ihnen recht ist!« Und so begann ich 1987 als Näherin und Kascheurin in einer Sonderwerkstatt der Kostümabteilung. 04 07 Was macht eigentlich eine Kostümfärberin bzw. –malerin? Das schönste und vergnüglichste Erlebnis ... Wir malen, färben und sprühen. Alle Kostümteile – vom Hut bis zum Schuh, in allen erdenklichen Farbnuancen. Wir arbeiten an fertigen Kostümen, aber auch an Stoffen und Accessoires. Wir richten uns nach Vorgaben und Ideen der KostümbildnerInnen der jeweiligen Produktionen aller Sparten. Von historischen bis futuristischen Entwürfen ist die gesamte Palette der Phantasievielfalt darin zu finden. Die Kostüme sind fast immer Unikate und es müssen praktikable Lösungen gefunden werden, da Anforderungen, Farbstoffe und Materialien sich stets verändern. Wir imitieren Reptilien-oder Felloptik auf Leder und Stoff, sprühen und malen perfekte Körper auf hautfarbene Trikots, lassen Kostüme künstlich altern oder klatschnass aussehen und produzieren mittels Farbe unappetitliche Schweißflecken, Blutkrusten und Schmutz. Dies ist Teil der Bühnen-Illusion für die Zuschauer, in Wirklichkeit sind die Kostüme aber frisch gewaschen. 05 Wie wird man Kostümfärberin/-malerin? Leider ist dies kein Ausbildungsberuf im klassischen Sinn. Das Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben oder empirisch erarbeitet. Als Voraussetzung ist wichtig, dass man zeichnen und malen kann und ein gutes Farbund Formempfinden mitbringt. Wir kommen alle aus unterschiedlichen Berufen wie Grafiker, Bildhauer, ModeDesigner, Kostümbildner, Hutmacher. war eine eigens für die MitarbeiterInnen der Kostümabteilung choreographierte Modenschau mit Funduskostümen, die in der Liederhalle beim Sportlerball präsentiert wurde. Es hat allen Beteiligten und auch mir, die normalerweise hinter den Kulissen arbeiten, so viel Spaß gemacht. 08 P Meine Lieblingsinszenierung ... gibt es in diesem Sinne überhaupt nicht, weil ich mich zu vielen Inszenierungen in ganz unterschiedlicher Art und Weise hingezogen fühle und diese als Besonderheit erlebe. Tief berührt war ich beispielsweise von Dogville (Lösch) oder Actus tragicus (Wernicke). Begeistert und bereichert war ich von Lulu (Spuck) und der Philip-Glass-Trilogie von Freyer. Und ich habe noch nie eine so gelungene und spannende Komposition von Oper, Ballett und Schauspiel gesehen wie König Arthur von Kušej im Schauspielhaus. in der Kulturmeile P Landesbibliothek Konrad-Adenauer-Straße 10, 70173 Stuttgart P Staatsgalerie 420 Plätze Theater ist für mich ... der Ort, den ich gegen keinen anderen Arbeitsplatz der Welt eintauschen würde. Egal, was Sie mir bieten. 10 Was war bisher die größte Herausforderung? Das wünsche ich mir ... - Durchgehend geöffnet 1€ Tageshöchstsatz 12 € 1€ Tageshöchstsatz 12 € Flanier-Pauschale Mo - Sa 15 - 6 Uhr max. 5€ Flanier-Pauschale Mo - Sa 15 - 6 Uhr max. 5€ Abend-Pauschale max. 4€ Abend-Pauschale max. 4€ max. 4€ Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr max. 4€ Mo - Sa 18 - 6 Uhr Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr Mo - Sa 18 - 6 Uhr Dauerparkberechtigung pro Monat inkl. USt. 115,61 €. Dauerparkberechtigung pro Monat inkl. USt. 115,61 €. P Landtag P Haus der Geschichte Dass ich gesund bleibe. Konrad-Adenauer-Straße 3, 70173 Stuttgart 175 Plätze Konrad-Adenauer-Straße 3, 70173 Stuttgart - Durchgehend geöffnet - Abend-Pauschale 1€ 12 € Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr Förderer des Stuttgarter Balletts Partner der Oper Stuttgart Förderer des Stuttgarter Balletts 23. Feb. mISchA mAISKy Dvořák: Cellokonzert h-Moll op. 104 24. Feb. StRAUSS „BURlESKE“ Ewa Kupiec · Teodor Currentzis 26. Feb. 59 Plätze jede angefangene ½ Stunde Tageshöchstsatz 1€ 12 € 4€ Abend-Pauschale 4€ Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr Mo - Sa 18 - 6 Uhr 4€ 4€ Ihr Partner rund ums Parken Hauptsponsor des Stuttgarter Balletts lANg lANg Beethoven: Klavierkonzert Nr. 2 & 4 TIPP Mo - Sa 18 - 6 Uhr 19. Feb. - Durchgehend geöffnet - TIPP 26 jede angefangene ½ Stunde TIPP TIPP Tageshöchstsatz gart / Postfach 10 43 45, 70038 Stuttgart. 123 Plätze - Durchgehend geöffnet - jede angefangene ½ Stunde jede angefangene ½ Stunde Impressum: Herausgeber Die Staatstheater Stuttgart // Geschäftsführender Intendant Marc-Oliver Hendriks // Intendant Oper Stuttgart Jossi Wieler // Intendant Stuttgarter Ballett Reid Anderson // Intendant Schauspiel Stuttgart Hasko Weber // Redaktion Oper Stuttgart: Sara Hörr, Claudia Eich-Parkin Stuttgarter Ballett: Vivien Arnold Schauspiel Stuttgart: Ingrid Trobitz, Simone Voggenreiter // Gestaltung Anja Haas // Gestaltungskonzept Bureau Johannes Erler // Druck Bechtle Druck&Service // Titelseite Jan Krauter, Schauspiel Stuttgart. Foto: Matthias Dreher Redaktionsschluss 20. Januar 2012 // Hausanschrift Die Staatstheater Stuttgart, Oberer Schlossgarten 6, 70173 Stutt- Konrad-Adenauer-Straße 32, 70173 Stuttgart 18./22./25. Feb. BERlINER OpEREttE mIt RENé KOllO beim Staatstheater Stuttgart 09 06 Damen-Solo-Garderobe / 50 Minuten bis zum Beginn der Premiere / 1:15 h bis zum Auftritt der Solistin. Lampenfieber, Nervosität. Und plötzlich standen eine völlig aufgelöste Solistin und deren Garderobiere vor mir: Die Solistin befand plötzlich ihr Kleid als unvorteilhaft und bat mich inständig, irgendetwas dagegen zu tun. Ich konnte der Verzweiflung in der Stimme der Solistin nicht widerstehen und ging das Wagnis ein, in knapp einer Stunde bis zu ihrem Auftritt das qualitativ sehr hochwertig filigran und aufwändig bemalte Seidenkleid umzugestalten. Ich schwitzte Blut und Wasser, aber es klappte auf die letzte Minute und die Solistin war glücklich. ARIADNE AUF NAXOS Christian Thielemann Renée Fleming · Sophie Koch Robert Dean Smith ·René Kollo Staatskapelle Dresden Huberstr. 3 · 70174 Stuttgart · [email protected] Parkraumgesellschaft Baden-Württemberg mbH Tel.: 0711/89255-0 · Fax: -599 · www.pbw.de Das Journal Februar/März/April 2012 Eintrittskarten erhalten Sie über unser Service-Center: 0 72 21/30 13-101. www.festspielhaus.de F oTo: P h oTo CaS E/ z W Ei D R Ei Ei N S 01 Typisch BW-Bank Kunden: Denken immer auch an den Wiederverkaufswert. Baden-Württembergische Bank Auch wir denken gerne langfristig. Darum überlassen wir bei unserer Beratung nichts dem Zufall: Dank höchster Sorgfalt und professionellen Fachkenntnissen finden wir gemeinsam mit Ihnen Lösungen, die Sie überzeugen werden. Das beschert uns schon seit Jahren überdurchschnittliche Ergebnisse bei der Kundenzufriedenheit.* Vereinbaren auch Sie jetzt einen persönlichen Termin und erleben Sie ausgezeichnete Beratung. 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