2.2 • Klassifikation aggressiven Verhaltens des Sozialverhaltens – körperlich-aggressive Handlungen gegenüber Menschen oder Tieren, Zerstörung von fremdem Eigentum und delinquente Verhaltensweisen wie Diebstahl oder Betrug nicht vor. Die Störung mit oppositionellem Trotzverhalten ist durch wiederkehrende trotzige, ungehorsame, feindselige Verhaltensweisen gegenüber Autoritätspersonen (z. B. Mutter oder Vater) bestimmt, wozu folgende Symptome gehören: 44 wird schnell ärgerlich, 44 streitet sich häufig mit Erwachsenen, 44 widersetzt sich häufig aktiv den Anweisungen oder Regeln von Erwachsenen oder weigert sich, diese zu befolgen, 44 verärgert andere häufig absichtlich, 44 schiebt häufig die Schuld für eigene Fehler oder eigenes Fehlverhalten auf andere, 44 ist häufig empfindlich oder lässt sich von anderen leicht verärgern, 44 ist häufig wütend und beleidigt und 44 ist häufig boshaft und nachtragend. Analog zum ICD-10 werden die Subtypen im DSM-IV-TR »mit Beginn in der Kindheit« und »mit Beginn im Jugendalter« unterschieden und der Schweregrad lässt sich anhand der Anzahl der Symptome in »leicht«, »mittel« oder »schwer« bestimmen. Beide psychiatrischen Klassifikationssysteme beschreiben die Symptome der Störung des Sozialverhaltens relativ ähnlich. Dabei umfassen die Kriterien sichtbar sehr heterogene Verhaltensweise von Lügen und Stehlen bis zu körperlich-aggressivem Verhalten. Zur Vorbereitung auf das DSM-5 wird diskutiert, einen neuen Subtypen bei der Störung des Sozialverhaltens aufzunehmen (Moffitt et al. 2008). Es handelt sich dabei um aggressives Verhalten mit Psychopathie-Merkmalen (siehe dazu 7 Kap. 6). Kinder mit aggressiv-dissozialem Verhalten und Psychopathie-Merkmalen lassen sich von Kindern mit einer Störung des Sozialverhaltens ohne Psychopathie-Merkmale abgrenzen. Sie 13 2 weisen mehr und schwerwiegendere Symptome der Störung auf, mehr proaktiv-aggressives Verhalten und es lässt sich ein bestimmtes Profil bei diesen Kindern aufzeigen (Blair 2008; Marsee u. Frick 2007). Sie sind weniger dazu in der Lage, durch Vermeidung zu lernen und reagieren weniger mit Stress oder Angst auf aversive Reize (z. B. Strafandrohung durch die Eltern). Im Weiteren wird zur Vorbereitung auf das DSM-5 diskutiert, ob Änderungen der Kriterien nötig sind, um das Verhalten von Kindern im Kindergartenalter besser beurteilen zu können. Moffitt et al. (2008) weisen darauf hin, dass die Formulierung von altersspezifischen Kriterien zu einer Überschätzung der Kinder mit aggressiv-dissozialem Verhalten führen könnte. Zudem könnte eine am kindlichen Verhalten ausgerichtete Diagnose dazu führen, dass Beziehungsprobleme zwischen dem Kind und seinen Eltern weniger beachtet werden. Neben der psychiatrischen Diagnostik empfiehlt sich bei aggressivem Verhalten zudem der Einsatz von Fragebogen- und Beobachtungsverfahren. Damit wird berücksichtigt, dass sich viele psychiatrische Symptome besser auf einem Kontinuum beschreiben lassen, das von »wenig bis viel« reichen kann (Hudziak, Achenbach, Althoff u. Pine 2007). Es lassen sich damit Unterschiede im Schweregrad des aggressiven Verhaltens auch innerhalb der Gruppe von Kindern mit diesen Störungen aufzeigen. Für die Therapie sind zudem Informationen über beeinträchtigende Probleme im subklinischen Bereich wichtig. Fergusson, Boden u. Horwood (2010) zeigen auf, dass der dimensionale Ansatz dem kategorialen sogar überlegen ist in Bezug auf die Prognose aggressiv-dissozialen Verhaltens. Ein Beispiel für ein Fragebogenverfahren stellt die Child Behavior Checklist (CBCL/4-18; Achenbach 1991) für Kinder im Alter zwischen 4 und 18 Jahren dar. Es handelt sich dabei um einen Fragebogen, der von den Eltern der Kinder bearbeitet wird. Neben weiteren Symptomen wird ebenfalls aggressiv-dissoziales Verhalten 14 2 Kapitel 2 • Formen und Klassifikation aggressiven Verhaltens damit erfasst. Es gibt weitere Variationen des Fragebogens für Lehrkräfte oder für den Selbstbericht ab dem 11. Lebensjahr. Zudem liegt eine Version für Kinder im Alter zwischen 18 Monaten und 5 Jahren vor. 2.3Prävalenz aggressiv-dissozialen Verhaltens Epidemiologische Studien, die eine große und möglichst repräsentative Stichprobe von Kindern und Jugendlichen untersuchen, zeigen auf, wie viele Kinder von aggressiv-dissozialem Verhalten betroffen sind. Allerdings wird das aggressiv-dissoziale Verhalten in verschiedenen Studien oftmals durch unterschiedliche Instrumente oder durch unterschiedliche Kriterien erfasst. Es liegen beispielsweise Ergebnisse vor, die sich nach den Kriterien der Störung des Sozialverhalten der psychiatrischen Klassifikationssysteme richten, oder Ergebnisse, die aggressivdissoziales Verhalten über verschiedene Verhaltensbeschreibungen erfragen. Dadurch werden in den Studien teilweise sehr unterschiedliche Ergebnisse berichtet, sodass zum Verständnis immer die Form der Erfassung des Verhaltens berücksichtigt werden muss. Aus dem nationalen Raum liegen Ergebnisse aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) vor. Die Eltern von rund 17.000 Kindern im Alter zwischen null und 17 Jahren wurden zum Verhalten ihrer Kinder befragt. Hier wird eine Rate von 14,8 % angegeben, die nach dem Fragebogen »Strengths and Difficulties Questionnaire« (SDQ; Goodman 1997) auffällige Werte im Bereich »Verhaltensprobleme« aufweisen (Hölling, Erhart, Ravens-Sieberer u. Schlack 2007). Jungen weisen signifikant häufiger Probleme auf als Mädchen (17,6 % vs. 11,9 %) und Kinder mit Migrationshintergrund häufiger als Kinder ohne Migrationshintergrund (17,0 vs. 14,4 %). Neben den Daten aus dem KiGGS liegen aus der BELLA-Studie ebenfalls Daten zur Verbreitung aggressiv-dissozialen Verhaltens vor. Die BELLA-Studie ist an den KiGGS gekoppelt. Eine Teilstichprobe von 2863 Kindern wurde dazu spezifischer zur psychischen Entwicklung untersucht. Zur Erfassung aggressiv-dissozialen Verhaltens wurden Skalen aus der Child Behavior Checklist (CBCL/4-18; Achenbach 1991) eingesetzt, die dieses deutlich spezifischer erfassen als das KiGGS. Danach zeigen 7,6 % der Kinder aggressiv-dissoziales Verhalten, wobei sich Jungen und Mädchen kaum unterscheiden (7,9 % und 7,2 %). Es liegen auch keine bedeutsamen Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen vor. In der Gruppe der 7- bis 10-Jährigen konnten 7,9 % der Kinder mit aggressiv-dissozialem Verhalten bestimmt werden, in der Gruppe der 11- bis 13-Jährigen sind es 7,5 % und in der Gruppe der 14- bis 17-Jährigen sind es 7,4 %. Die Anzahl der Kinder mit aggressiv-dissozialem Verhalten verändert sich deutlicher, wenn der sozioökonomische Status der Familien berücksichtigt wird. Am häufigsten sind Kinder aus Familien mit einem geringen sozioökonomischen Status betroffen (11,3 %), im Vergleich zu Kindern aus Familien mit einem mittleren (7,1 %) oder einem hohen sozioökonomischen Status (5,7 %). >>Die Häufigkeit aggressiv-dissozialen Verhaltens hängt erheblich von den verwendeten Erfassungsmethoden und der untersuchten Stichprobe ab. Er werden Häufigkeiten zwischen 3 % und 16 % berichtet. Jungen zeigen häufiger aggressiv-dissoziales Verhalten als Mädchen. Wird die Prävalenz anhand der psychiatrischen Klassifikationssysteme ermittelt, liegt die Rate bei ca. 6 bis 16 % für Jungen und bei ca. 2 bis 9 % für Mädchen (Saß et al. 2003). Ihle u. Esser (2002) geben zusammenfassend für das Kindes- und Jugendalter eine durchschnittliche Prävalenz von 7,5 % an. In einer aktuellen Meta-Analyse von Studien aus den Jahren 1987 bis 2008 wurden auf 2.4 • Aggressives Verhalten von Jungen und von Mädchen dem DSM-III und DSM-IV basierende Prävalenzraten von 3,2 % für die Störung des Sozialverhaltens und 3,3 % für die Störung mit oppositionellem Trotzverhalten ermittelt (Canino, Polanczyk, Bauermeister, Rohde u. Frick 2010). Die Meta-Analyse umfasst Daten aus verschiedenen Ländern, konnte aber keine länderspezifischen Unterschiede aufzeigen. Lediglich methodische Unterschiede führten zu Veränderungen in den Angaben zur Häufigkeit. Die Form des aggressiv-dissozialen Verhaltens verändert sich von der frühen Kindheit bis zum Jugendalter. Im Kindesalter tritt vermehrt oppositionelles Trotzverhalten auf, während im Grundschulalter aggressives und im Jugendalter darüber hinaus noch delinquentes Verhalten erscheint. 2.4Aggressives Verhalten von Jun- gen und von Mädchen In Vorbereitung auf das DSM-5 wird diskutiert, ob die Formulierung geschlechtsspezifischer Symptome sinnvoll ist (Moffitt et al. 2008). Jungen sind etwa dreimal häufiger von einer Störung des Sozialverhaltens betroffen als Mädchen (Moffitt, Caspi, Rutter u. Silva 2001). Dieser Unterschied in der Prävalenz könnte eine tatsächlich existierende Geschlechtsdifferenz anzeigen oder auf den Mangel mädchenspezifischer Symptome zurückgeführt werden. Relational aggressives Verhalten, das bei Mädchen häufiger beobachtet wird als bei Jungen (Crick u. Zahn-Waxler 2003), fehlt beispielsweise in den psychiatrischen Klassifikationssystemen. Crick u. Grotpeter (1995) nahmen an, dass Mädchen genauso oft aggressives Verhalten zeigen wie Jungen, wenn man unterschiedliche Formen der Aggression berücksichtigen würde. Jungen zeigen demnach mehr sichtbares aggressives Verhalten, während Mädchen eher relationale Aggression verwenden würden, wie über ein anderes Kind schlecht zu reden oder es von Aktivitäten auszuschließen. Sie überprüften ihre 15 2 Annahme anhand einer Stichprobe von rund 500 Kindern der dritten bis sechsten Klasse und konnten diese bestätigen. Während Jungen mehr körperliche Aggression zeigten, verwendeten Mädchen häufiger relationale Aggression. Nach Ostrov u. Keating (2004) ist dieser Unterschied zwischen Jungen und Mädchen bereits im Kindergartenalter im freien Spiel zu beobachten. Nach ihren Verhaltensbeobachtungen zeigen Jungen mehr körperliche und verbale Aggression, Mädchen mehr relationale, und auch die Verhaltensbeurteilungen der Erzieherinnen anhand von Fragebögen stimmten damit überein. Crick u. Grotpeter (1995) weisen darauf hin, dass ein höheres Ausmaß relationaler Aggression ein Risikofaktor für psychische Probleme wie depressive Symptome sowie für eine schlechte Integration in die Gleichaltrigengruppe darstellt. >>Die Aggressionsform von Jungen und Mädchen unterscheidet sich: Jungen weisen mehr körperlich-aggressives Verhalten auf und Mädchen zeigen mehr relationale Aggression. Crick überprüfte schon im Jahre 1997, in welcher Weise geschlechtsspezifisches aggressives Verhalten mit der psychischen Entwicklung von Kindern im Zusammenhang steht. Die Autorin berichtet, dass Kinder dann besonders viele psychische Probleme aufweisen, wenn sie aggressives Verhalten zeigen und dieses nicht typisch ist für ihr Geschlecht. Demnach sind Jungen besonders gefährdet, wenn sie relationale Aggression zeigen, und Mädchen, wenn sie körperlich aggressives Verhalten anwenden. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass diese Abweichung vom geschlechtsrollenkonformen Verhalten von Bezugspersonen und Gleichaltrigen stärker wahrgenommen wird als geschlechtskonformes aggressives Verhalten. Allerdings kann das Auftreten von geschlechtsuntypischem aggressivem Verhalten auch anzeigen, dass ein Kind bereits ein vielfältiges und schwerwiegenderes aggressives Verhaltensmuster und deswegen zudem wei- 16 2 Kapitel 2 • Formen und Klassifikation aggressiven Verhaltens tere psychische Probleme aufweist. Frick u. Nigg (2012) argumentieren in diesem Sinne, dass ein hohes Ausmaß relationaler Aggression oft mit anderen Aggressionsformen einhergeht, sodass Mädchen mit relationaler Aggression auch ohne zusätzliche geschlechtsspezifische Symptome die Kriterien einer Störung des Sozialverhaltens erfüllen würden. Xie et al. (2011) untersuchten Geschlechtsunterschiede aggressiv-dissozialen Verhaltens bezogen auf die Auftretenshäufigkeit und den Verlauf bei Kindern von der mittleren Kindheit über acht Jahre. Sie können vier Entwicklungsverläufe aggressiven Verhaltens für Jungen und für Mädchen bestimmen: aggressiv-dissoziales Verhalten mit Beginn in der Kindheit, auf die Kindheit begrenztes aggressives Verhalten, im Jugendalter auftretendes aggressives Verhalten und eine große Gruppe von Kindern, die über den betrachteten Zeitraum nur wenig aggressives Verhalten gezeigt haben. Für Jungen und für Mädchen steht aggressives Verhalten mit Beginn in der Kindheit mit den schlechtesten Entwicklungsaussichten im Jugendalter in Verbindung. Aggressiv-dissoziales Verhalten mit Beginn im Jugendalter stand besonders mit einer hohen Unabhängigkeit der Jugendlichen in Verbindung, aber es lagen nur wenige Risikofaktoren in der Kindheit vor. Im Kontrast dazu können Xie et al. (2011) bei der Gruppe, die ein auf die Kindheit begrenztes aggressives Verhalten zeigt, eine Reihe von Risikofaktoren aufweisen, jedoch auch Schutzfaktoren, wie ein hohes Ausmaß elterlicher Kontrolle und Engagement für die Schule im Jugendalter. Beide Faktoren unterstützen die Chance, dass sich aggressives Verhalten wieder verliert. Die Autoren folgern aus ihrer Studie, dass die Risikokonstellationen, der Verlauf und die Prognose aggressiv-dissozialen Verhaltens für Jungen und Mädchen relativ ähnlich sind. Allerdings weisen Mädchen insgesamt seltener aggressiv-dissoziales Verhalten auf, was sich in dieser Studie auf körperliches und verbal aggressives Verhalten bezieht. Zudem gehen Mädchen mit stabil-aggressivem Verhalten früher mit Freunden aus und verabreden sich auch früher mit Jungen, verglichen mit Mädchen mit wenig aggressivem Verhalten. Ein ähnliches Ergebnis berichten Fontaine, Carbonneau, Vitaro, Barker u. Tremblay (2009) aus ihrer Übersichtsarbeit über 46 Studien zum Verlauf aggressiv-dissozialen Verhaltens bei Mädchen. Sie folgern ebenfalls, dass für Mädchen ähnliche Entwicklungsverläufe bestimmt werden können wie für Jungen. Daneben kann für Mädchen eine Gruppe mit einem verzögerten Auftreten aggressiven Verhaltens im Jugendalter beobachtet werden. Es handelt sich dabei um Mädchen, die in der Kindheit einer Vielzahl von Risikofaktoren ausgesetzt waren. Im Unterschied zu Jungen mit dieser Risikokonstellation tritt aggressiv-dissoziales Verhalten dann jedoch erst im Jugendalter auf. Das verzögerte Auftreten aggressiv-dissozialen Verhaltens könnte damit erklärt werden, dass externalisierendes Verhalten bei Mädchen von der sozialen Umgebung stärker abgelehnt wird als bei Jungen. Zudem könnten mehr protektive Faktoren vorliegen, wie eine bessere Schulleistung oder einer stärkere Kontrolle durch die Eltern. Erst im Jugendalter, wenn die elterliche Kontrolle etwas nachlässt und die Orientierung an Gleichaltrige stärker wird, könnten sich die Belastungen weiblicher Jugendlicher durch aggressiv-dissoziales Verhalten äußern. Keenan et al. (2010) betonen aufgrund der Ergebnisse ihrer Längsschnittstudie mit rund 2.500 Mädchen jedoch die Bedeutung des frühen Auftretens der Störung des Sozialverhaltens. In dieser Studie erfüllten 21,2 % der Mädchen einmal die Kriterien einer Störung des Sozialverhaltens. Bei rund 50 % der Mädchen mit einer Störung des Sozialverhaltens trat das erste Symptom im Alter von 7 Jahren auf und bei 90 % der Mädchen vor dem 10. Lebensjahr. Demnach konnte bei aggressiv-dissozialen Mädchen das Problemverhalten besonders häufig schon in der Kindheit festgestellt werden. Die Ergebnisse 2.5 • Zusammenfassung und Schlussfolgerungen für die Praxis widersprechen damit der Annahme eines verzögerten Auftretens der Störung des Sozialverhaltens bei Mädchen ab dem Jugendalter. Zur Vorbereitung auf das DSM-5 wird ebenfalls diskutiert, ob die Anzahl der geforderten drei Symptome im DSM-IV-TR für Mädchen zu hoch angesetzt ist. Keenan et al. (2010) konnten aufzeigen, dass Mädchen mit zwei Symptomen der Störung des Sozialverhaltens deutliche Beeinträchtigungen in ihrem Funktionsniveau aufweisen. Allerdings lassen sich Mädchen mit drei Symptomen einer Störung des Sozialverhaltens bezüglich der Beeinträchtigungen deutlich von Mädchen mit zwei Symptomen unterscheiden. Als Fazit aus der teilweise widersprüchlichen Ergebnislage bewerten Frick u. Nigg (2012) den Forschungsstand aktuell als noch zu unsicher, um daraus einen mädchenspezifischen Typ aggressiven Verhaltens formulieren zu können. 2.5Zusammenfassung und Schluss- folgerungen für die Praxis Aggressives Verhalten tritt bei vielen Kindern und Jugendlichen im Entwicklungsverlauf auf. Am häufigsten ist aggressives Verhalten bei Kleinkindern zu beobachten. Das Verhalten kann in dieser Zeit auch als Ausdruck der Sozialentwicklung des Kindes interpretiert werden. Ein Kleinkind nimmt sich selbst und seine Wünsche nun in Abgrenzung zu anderen wahr (z. B. zu den Eltern) und versucht durch aggressives Verhalten Selbstbestimmung und Autonomie zu erhalten. Aggressiv-dissoziales Verhalten kann jedoch auch schon bei Kindern im Kindergartenalter als überdauerndes Verhaltensmuster beobachtet werden und die Entwicklung in weiteren Bereichen beeinträchtigen (Wakschlag et al. 2010). Aggressiv-dissoziales Verhalten kann sich über den Entwicklungsverlauf durch sehr unterschiedliche Symptome äußern. Es ist dabei zu berücksichtigen, wie altersangemessen ein Ver- 17 2 halten für Kinder einer definierten Altersgruppe ist. Die Heterogenität aggressiven Verhaltens ist aber nicht nur an den Entwicklungsstand eines Kindes gekoppelt. Damit verbunden sind zudem verschiedene Ziele aggressiven Verhaltens, die auf unterschiedliche Motivationslagen zurückgeführt werden können. Daher hat es sich bewährt, die Erscheinungsformen aggressiven Verhaltens zu unterscheiden. Da diese auch mit unterschiedlichen Konstellationen von Risikofaktoren korrespondieren, sollten diese bei der pädagogischen Förderung und Behandlung aggressiver Kinder berücksichtigt werden. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Prävalenz aggressiv-dissozialen Verhalten werden zu Ungunsten der Jungen berichtet. Darüber hinaus weisen Mädchen mehr relationale Aggression auf und Jungen mehr körperliche und verbale Aggression. Für beide Geschlechter werden ähnliche Risikokonstellationen für die Entwicklung aggressiv-dissozialen Verhaltens berichtet, während für den Verlauf der Störung uneinheitliche Ergebnisse dargestellt werden. Zum einen wird ein verzögerter Verlauf für Mädchen diskutiert, bei dem aggressiv-dissoziales Verhalten erst ab dem Jugendalter auftritt, zum anderen ein Verlauf mit früh auftretendem aggressivem Verhalten wie bei den Jungen. In Vorbereitung auf das DSM-5 wird diskutiert, ob die Einführung geschlechtsspezifischer Kriterien sinnvoll ist. Allerdings unterstützt der aktuelle Forschungsstand dieses (noch) nicht.