Präventive und therapeutische Ansätze im Umgang mit jugendlichen Gewalttätern Dr. med. Bernhard Blochmann Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Südharz-Krankenhaus Nordhausen Stabilität dissozialer Störungen aus Mannheimer Längsschnittstudie 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 8Jahre 13ahre 18Jahre 25Jahre 8jähr.Diss 13j.Diss 25j.Diss Psychosoziale Faktoren bei Entstehung der Störungen des Sozialverhaltens Entwicklungseinflüsse Familiäre Bedingungen Umwelteinflüsse Faktoren des Erwerbes dissozialen Verhaltens Neurobiologische Ursachen der Störungen des Sozialverhaltens Genetische Ursachen Neuroanatomische Befunde Neurotransmitterhypothese Psychophysiologische Faktoren Hormonelle Erklärungsversuche Therapeutische Ansätze bei Störungen des Sozialverhaltens Behandlungsziele Elternzentrierte Interventionen Kindzentrierte Interventionen Schulische Maßnahmen Jugendhilfemaßnahmen Psychopharmakotherapie Behandlungsziele Aggressivitätskontrolle, Selbstkontrolle Einüben angemessener Selbstbehauptung Förderung differenzierter Selbst- und Fremdwahrnehmung Erlernen kooperativer und unterstützender Verhaltensweisen, Kommunikationstraining Abbau von Spannungen und Unruhe Aufbau prosozialer Verhaltensweisen Elternzentrierte Interventionen Kontingenzmanagement Eindeutig formulierte, altersgerechte Forderungen an das Kind stellen Einsatz von Konsequenzen im direkten Zusammenhang mit dem Verhalten Positive Konsequenzen für erwartetes und prosoziales Verhalten Negative Konsequenzen für oppositionelles bzw. aggressives Verhalten Elternzentrierte Interventionen Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung Erkennen und Einsetzen von positive Elternqualitäten Mehr gemeinsame „Familienzeit“ mit angenehmen Tätigkeiten verbringen Schaffung fester Strukturen bei alltäglichen Abläufen hilft Eltern und Kindern Beendigung zu harter, zu gewährender oder inkonsistenter elterlicher Erziehungspraktiken Erziehungsprogramm bei aggressiven Kindern und Jugendlichen (Triple P) Stellen Sie Regeln und Ziele auf! Sprechen Sie den Schüler direkt an! Fördern Sie gutes Verhalten! Seien Sie ein echtes Vorbild! Beachten Sie Ihre Schüler! Ignorieren Sie kleine Ausrutscher! Geben Sie klare Anweisungen! Seien Sie stets konsequent! Jugendzentrierte Interventionen Behandlung komorbider Begleitstörungen wie ADHS, eingeschränkte Bildungsfähigkeit, Störungen schulischer Fertigkeiten, Sprachstörungen, emotionale Störungen Soziales Kompetenztraining (Petermann) Interpersonelles Problemlösetraining Ärger-Bewältigungs- Training Antiaggressionstraining Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie Selbstinstruktions- oder Selbstmanagementtraining Problemlösungstraining Ärgerkontrolltraining Antiaggressionstraining Standardisierte Übungsprogramme Entspannungsverfahren Schulische Maßnahmen Antiaggressionsmodell Mediation Feste Regeln Hinschauen Runder Tisch Mediation Schüler tragen Verantwortung als Streitschlichter Einrichtung eines Schlichtungszimmers Kommunikations-u.Antiaggressionstraining Soziales Lernen im Unterricht Opfer-Täter-Gespräche Feste Regeln Schüler erarbeiten eigene Klassenregeln und Sanktionen für Regelverstöße Eltern unterschreiben einen Vertrag, in dem sie die Schulziele und ihre Pflichten anerkennen, z.B.Teilnahme an Elternabenden Runder Tisch Lehrerteams für Klassen Einsatz von Schulpsychologen und Sozialpädagogen Helferkonferenzen bringen Lehrer,Schulsozialarbeiter, Eltern, Jugendhilfe, ggf. Pfarrer, Jugendpsychiater und Polizei zusammen Jugendhilfemaßnahmen Koordinierung der elterlichen, schulischen und medizinischen Interventionen Frühe Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a KJHG mit Hilfeplanung Vermeidung von Beziehungsabbrüchen durch häufig wechselnde Maßnahmen aus Kostengründen Konsequente Durchsetzung gesetzlicher Vereinbarungen und Regelungen Psychopharmakotherapie Stimulanziengabe Konventionelle und atypische Neuroleptika Antikonvulsiva (Antiepileptika) Antidepressiva Lithiumsalze Stimulanziengabe Wirkung auf die dopaminen Systeme Wirksam bei hyperkinetischen Störungen des Sozialverhaltens Dosierung individuell festlegen, nicht mehr als 0,4-1,0 mg pro kg und Tag, Höchstdosis 60 mg /Tag, nicht nach 15 Uhr Kontraindikationen beachten Alternativpräperate (Atomoxetin) vorhanden Methylphenidat und Störungen des Sozialverhaltens Eine Verordnung an Kinder, die kein nachgewiesenes ADHS haben, aber Auffälligkeiten im Sozialverhalten aufweisen, wird in allen Leitlinien und Therapieempfehlungen abgelehnt. Nur nach genauer Diagnostik und Bestätigung der Störung sollte MPT eingesetzt werden. Konventionelle und atypische Neuroleptika Aggressives Verhalten nimmt unter Neuroleptikagabe ab wirksam sind Haloperidol, Pipamperon, Thioridazin, Chlorprothixen und Levomepromazin bei den konventionellen und Risperidon bei den atypischen Regelmässige Blutkontrollen notwendig Relativ viele unerwünschte Wirkungen Antikonvulsiva (Antiepileptika) Bei impulsiven und aggressiven Störungenmit EEG-Veränderungen gut wirksam Valproinsäure weißt bessere Ergebnisse auf als Carbamazepin Regelmäßige Laborkontrollen nötig α-Agonisten und β-RezeptorenBlocker als Antidepressiva Diese Medikamente wirken direkt am vegetativen Nervensystem und verändern die Stress-Reaktionen Clonidin hemmt noradrenerge Neuronen Propanolol dämpft den Sympathikus und somit die Stress-Reaktionen Bei hirnorganisch vorgeschädigten Jugendlichen gut wirkend Lithium-Salze Wirkt auf Transmittersysteme und wird bei Impulskontrollstörungen sowie zur Phasenprophylaxe affektiver Störungen eingesetzt Bei Jugendlichen nur indiziert, wenn alle anderen Maßnahmen versagt haben regelmäßige Serumspiegelkontrollen nötig Zahlreiche unerwünschte Wirkungen Ausblick und Schlussfolgerungen Stö.des Sozialverhaltens sind häufig, lebenslang vorhanden, von schlechter Prognose nur frühes Erkennen u. Behandeln ist sinnvoll Die Therapie muss multimodal sein und die Eltern einbeziehen Sie sind gesamtgesellschaftliches Anliegen Störungen des Sozialverhaltens ein sich wiederholendes, persistierendes Verhaltensmuster, bei dem Grundrechte anderer oder wichtige altersentsprechende soziale Normen und Gesetze verletzt werden mindestens 6 Monate anhaltend das Vorliegen einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, Schizophrenie, manisch-depressiven Episode, tiefgreifenden Entwicklungsstörung oder hyperkinetischen Störung muss ausgeschlossen sein Formen der Störungen des Sozialverhaltens Hyperkinetische Störungen d.Sozialverhaltens Auf den familiären Rahmen beschränkte Störungen des Sozialverhaltens Störungen des Sozialverhaltens bei fehlenden familiären Bindungen Störungen des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen Störungen des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigen Verhalten Kombinierte Störungen d.Sozialverhaltens und der Emotionen Störungen des Sozialverhaltens im ambulanten und stationären Sektor 2004 in Prozent 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 PIA Stationär ADHS F91.0 F91.1 F91.2 F91.3 F91.8 F92 Epidemiologie der sozialen Verhaltensstörungen Ca.8% der Kinder einer Normalbevölkerung 6-16 % der Jungen und 2-9 % der Mädchen Im Grundschulalter ca. 1-2% der Schüler Mit 12-14 Lebensjahren 4-8% Jungen zu Mädchen 3-4:1 In Städten häufiger als auf dem Land Alternative Einteilungen der Störungen des Sozialverhaltens vor dem 10. Lebensjahr auftretend versus in der Adoleszenz beginnend Impulsiver Typ mit überschiessenden ungeplanten, aggressiven Handlungen versus Instrumenteller Typ mit gezielten aggressiven Übergriffen zur Erzielung eines Zweckes Leitsymptome der Störungen des Sozialverhaltens Hohes Maß an Ungehorsam, Streiten,Tyrannisieren Ungewöhnlich häufige oder schwere Wutausbrüche Grausamkeit gegenüber Menschen und Tieren Erhebliche Destruktivität gegenüber Eigentum Zündeln Stehlen Häufiges Lügen Schuleschwänzen Weglaufen von zu Hause Lügen, Stehlen, Weglaufen= dissoziale Trias Genetische Ursachen Aggressives Verhalten ist stabil Psychosoziale Faktoren haben nur einen ausgestaltenden Einfluss auf die Symptomatik Ein spezifisches Aggressionsgen ist noch nicht entdeckt worden Zwillingsstudien belegen die genetische Hypothese Neuroanatomische Befunde Hypothalamus, präfrontaler Cortex und Amygdalakerne sind bei Aggression beteiligt Aber Aggressivität lässt sich keiner einzelnen Hirnstruktur zuordnen Es gibt kein eigentliches Aggressionszentrum Neurotransmitterhypothese Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, Acetylcholin und Gamma-Aminobuttersäure sind an der Ausbildung von Aggressionen beteiligt Ein niedriger Aktivierungszustand des serotonergen Systems erzeugt impulsiv-aggressives Verhalten Neurotransmitteraktivität ist wahrscheinlich genetisch bedingt Psychophysiologische Faktoren Aggressives Verhalten korreliert negativ mit dem Ruhepuls, systolischen Blutdruck und Speichelkortisol Hautleitfähigkeit ist erniedrigt, Angstaversion reduziert (parasympathikotone Reaktion) Sympathikotone Grundhaltung gilt als protektiver Faktor Hormonelle Erklärungsversuche Aggressives und sexuelles Verhalten ist eng verknüpft Im Nebennierensystem gebildetes Testosteron korreliert eher mit Aggressivität als gonadales Testosteron Jungen dominieren bei aggressiven Störungen des Sozialverhaltens Entwicklungseinflüsse Massive Angepasstheit oder Unruhe Verzerrtes Wahrnehmungsvermögen Unangemessene Selbstbehauptung Eingeschränktes soziales Verhalten Unzureichende Steuerungsfähigkeit Mangel an positiven Einfühlungsvermögen Schwieriges Temperament Familiäre Bedingungen Mangel an positiven Vorbildern Psychiatrische Erkrankung eines Elternteils Unzureichende emotionale Unterstützung Familiäre Unstimmigkeiten, Partnerprobleme Soziale Probleme der Eltern Mangelnde Grenzsetzung Mangelnde Informiertheit über Tagesablauf Kindesmisshandlungen Umwelteinflüsse Beengtes Wohnen, Lärm usw. Unüberschaubare soziale Gebiete Gewalttätige Gleichaltrige als Vorbilder Gewalt in Medien (Filme, Videos, Spiele) Unzureichende Sanktionen bei Grenzüberschreitungen Faktoren des Erwerbes dissozialen Verhaltens Lernen am Erfolg, besonders durch Duldung Lernen am Modell(bei fehlenden Alternativen) Reaktion auf negatives Selbstkonzept Reaktion in Gruppenprozessen Additive Effekte durch Rauschmittel Fehlende soziale Kontrollmechanismen Verzerrte Darstellung durch Medien Basisvariablen der Gesprächsführung 1.Achten-Wärme-Sorge Variable 2.Echtheitsvariable 3.Empathie Achten-Wärme-Sorge Variable Achtung und Wertschätzung für den anderen empfinden, sein Fühlen und Erleben akzeptieren Freundlicher und herzlicher Umgang mit dem anderen Sie vertraut ihm, öffnet sich, gibt Persönliches preis Echtheitsvariable Die Äußerungen entsprechen dem eigenen Fühlen und Denken Sie gibt sich so, wie sie wirklich ist Sie ist aufrichtig und heuchelt nicht Sie ist durchschaubar, lebt ohne Fassade Sie ist ohne professionelles Gehabe Sie verhält sich in individueller, origineller und vielfältiger Weise Empathie Sie versteht einfühlend und nicht wertend die innere Welt des andern Sie versteht den anderen so, wie er sich z.Z.selbst sieht Sie ist dem anderen in dem nahe, was dieser fühlt, denkt und sagt Ihre Handlungen und Maßnahmen sind dem persönlichen Erleben des anderen angemessen Hinschauen Auf körperliche oder verbale Gewalt folgt schnell eine Reaktion Frühzeitige Elterngespräche Schwere Gewalt und Waffenbesitz werden angezeigt Verbesserte Schulaufsicht Freizeitangebote schaffen bzw. unterstützen