unterrichtsgestaltung mit beziehungstraumatisierten

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UNTERRICHTSGESTALTUNG
MIT BEZIEHUNGSTRAUMATISIERTEN
JUGENDLICHEN
CHRISTINE BICK
ST. ELISABETH-VEREIN MARBURG
ERKNER
EREV Forum 14
BRENNPUNKT KOOPERATION
30. MÄRZ 2011
Inhaltliche Schwerpunkte:
2
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Schulischer Rahmen und Kooperation
Auswirkungen von Bindungsstörung und
Komplextraumatisierung
Traumapädagogisches Unterrichtskonzept
Beachtung psychologischer Grundmuster
Methodenbeispiele / Interventionen
Stand und Perspektive
Vielfältige
Kooperation
KJP
Kooperationssc
hulen
Betriebliche
Ausbildung
Klinikschulen
JH
JulieSpannagelSchule
ESE
/ Kranke
Eltern
Justiz
Polizei
AGGAS
3
Wohngruppen
Jugendamt
Kooperationsvereinbarungen
Vernetzung:
KJP
Klinikschulen
Allgemeine
Schulen
JH
Ausbildung
SteBB
JH
Julie-SpannagelSchule
ESE / Kranke
Eltern
Justiz
AGGAS
4
JH
Wohngruppen
Jugendamt
Ganzheitlicher Ansatz
5
Integrative Kooperation durch:
Gemeinsames Konzept mit multiprofessionellem Team aus Schule
und Jugendhilfe (Lehrkräfte, Therapeutin, Sozialpädagogen,
Erzieher, Schulbegleiter)
Verbindliche, festgeschriebene Zusammenarbeit von Schule und
Jugendhilfe
Wohngruppenerzieher leisten
schulische Förderung + sozialpädagogische Betreuung am
Schulvormittag
JSS und Lerntherapeutischer Bereich
6
Ca. 100 Schulplätze
davon ca. 20 Jugendliche im Lerntherapeutischen Bereich
Schwerpunkt IBW-Klientel
festes Lehrer/Betreuer-Team (6 Personen) vormittags
3 Lerngruppen:
Tendenziell internalisierendes Verhalten
- Depression, Angst, Zwang
Tendenziell externalisierendes Verhalten
- Impulsivität, Aggressivität
stufenübergreifend, Leistungsprofile LH - Gym.
Einzelförderung + schulische soz.- päd. Betreuung
Ganzheitlicher pädagogischer Ansatz
Schule - Wohngruppen
7
Verzahnung der Konzeptionsbereiche
IBW und Schule/Lerntherapie durch strukturell verankerte
Kooperation
Schnittstellenarbeit:
Regelgespräch zwischen Gruppenleitern und Schule
abgestimmte Aufnahmeverfahren IBW - Schule
Schulische Betreuung durch Erzieher aus Wohngruppe
täglicher pädagogischer Abgleich zwischen Schule und
Wohngruppen
gemeinsame Gestaltung der HPG‘s
Psychiatrische Fachberatung
Schule als sicherer Ort
8
Schule als sicherer Ort und geschützter
Handlungsraum
Sichere Schule schafft Vertrauen in verlässliche
Umwelt
Sichere Schule: transparent, kontrollierbar,
einschätzbar, verlässlich, kontinuierlich
Lebensräumliche Kombination:
Schule, Betreuung, Sport, Spiel, Entspannung
Bindungsstörung (D-Bindung)
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Durch frühe Elternverluste, Trennungstraumen,
Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch
Eltern sind häufig selbst schwer bindungstraumatisiert.
Kind triggert evtl. alte Traumatisierungen der Eltern
Tragisch: Not der Kinder aktiviert
Bindungssystem und zwingt sie,
engen Kontakt mit der
ggf. traumatisierenden Bezugsperson
aufzunehmen
Komplexe Beziehungstraumatisierungen
(Man-made-desaster)
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Dauerhafte komplexe traumatische Belastungen
innerhalb von Beziehungen
D.h. Beziehungsgeschehen wird derart existentiell
bedrohlich und emotional überfordernd erlebt, dass
Bewältigungskapazität immer wieder
zusammenbricht.
Bindungssystem (1. Stresssystem) ist hochgradig
aktiviert – führt nicht zu Stressminderung, ist
vergeblich
Traumatisierendes Ereignis
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Trauma
Typ I - Monotrauma
Typ II - chronische Komplextraumata
Traumafolgen individuell unterschiedlich durch:
Bindungsmuster - Bindungstyp
subjektives Stresserleben
psychosoziale Belastungsfaktoren
Resilienzfaktoren
Traumatische Situation
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Äußeres Ereignis und inneres Erleben
Ereignis-Erlebnis-Zusammenhang,
gekennzeichnet durch Gefühle von
Ohnmacht, vollständiger Kontrollverlust
Existenzieller Angst,
Ausgeliefert sein und
Einsamkeit/ Verlassenheit sowie
„Alles ist aus!“ – Gefühl
Person kann weder Hilfe holen noch kämpfen oder fliehen
Person dissoziiert, um das Unerträgliche nicht vollständig
zu erleben
Traumatische Reaktion
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Person erleidet einen Schock, da sie für die Ereignisse
keine Bewältigungsmuster besitzt, keine vorgebahnten
Muster, in die sie das Geschehen integrieren könnte.
Die Tatsache, tatsächlich Unfassbarem ausgeliefert zu
sein, führt zum Schock über den völligen
Kontrollverlust
Die Ereignisse werden z.T. nüchtern erlebt, doch die
Erfahrung der Unlogik des Unfassbaren ist
unaushaltbar und wird entsprechend häufig
dissoziiert.
ICD-10: Kriterien für Posttraumatische
Belastungsstörung PTBS (F43.1)
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Betroffene sind kurzem oder längerem Ereignis von
außergewöhnlicher Bedrohung und mit katastrophalem
Ausmaß ausgesetzt
Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche
Flashbacks, Träume oder Unbehagen in ähnlichen
Situationen
Ähnliche Umstände werden vermieden
Entweder Amnesie oder Übererregung mit
Schlafstörungen, Reizbarkeit,
Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz
Symptome bestehen länger als 6 Monate
nach der
Belastung
PTBS (F43.1) und Anpassungsstörung
(F43.2)
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Die PTBS stellt die chronifizierte traumatische
Reaktion mit chronischen Traumafolgen dar.
Anpassungsstörungen:
Beziehungstraumatisierungen im Kindesalter führen
häufig auch zu Anpassungsstörungen
Anpassungsstörungen: Regression, Störung des
Sozialverhaltens Angst, Depression,
Dissoziationsstörung, Somatisierungsstörung
Häufigste Symptome bei
traumatisierten Kindern
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Psychische Instabilität mit Problemen bei Selbststeuerung
und Selbstregulation
Vermeidung von Orten, Gedanken und Gefühlen, die an
das Trauma erinnern könnten (Kontrollverlust)
Unfähigkeit, sich an alle wichtigen Aspekte des
traumatischen Ereignisses zu erinnern
Nachts wiederkehrende Alpträume ähnlichen Inhaltes
Tagsüber wiederkehrende Flashbacks und
Intrusionen
Ulmer Kinderstudie
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Ulmer Kinderstudie
(2000/01, 1066 Säuglinge, Ulmer Zentrum f.
Kinder- u. Jugendmedizin , Marc Schmid, Basel)
Über 60% der Kinder / Jugendlichen in Einrichtungen
der stationären Jugendhilfe haben psychiatrische
Mehrfachdiagnosen (durchschnittlich 2,8 Diagnosen)
am häufigsten aus Bereich: Störung des
Sozialverhaltens (F91, F92 ICD-10) (M. Schmid, 2007)
Traumatische Belastungen
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Mehr als 70% der Jugendlichen mit einer Diagnose
Störung des Sozialverhaltens
haben in ihrer Kindheit andauernde, schwerste
psychosoziale Belastungen erlebt.
(Ulmer Kinderstudie, Marc Schmid, 2007)
Trauma und
Störung des Sozialverhaltens
19
13 verschiedene psychiatrische Diagnosen zu Störungen
des Sozialverhaltens umfassen mehr als 50% aller
psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters
(F90.1, F91.0, F92.9)
Frühe und wiederholte traumatisierende Erfahrungen
spielen eine Schlüsselrolle im Verständnis von
Entwicklung und Aufrechterhaltung des Störungen des
Sozialverhaltens ( Th. Hensel, 2010)
Folgerungen aus
Ulmer Kinderstudie
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Es besteht Handlungs- und Behandlungsbedarf. Leider
sind häufig Bagatellisierungen üblich: „schwierige
Kinder, verhaltensauffällige, verhaltensgestörte,
verhaltensoriginelle Kinder und Jugendliche.“
„Ein Sprachgebrauch, der die traumatischen
Erfahrungen berücksichtigt, hat sich leider noch nicht
durchgesetzt.“
(Zit.: J. Uttendörfer, Menden 2010, M. Schmid)
Partizipation durch Schule
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Schüler wollen (eigentlich) Schüler sein!
Schulischen Alltag möglich machen
Integration durch angemessene schulische Angebote
Partizipation im Lebensbereich Schule sichern
Sich selbst erfolgreich erleben
Gemeinschaft erleben, neue, korrigierende Bindungsund Beziehungserfahrungen machen
Schulische / berufliche Perspektive entwickeln
Dilemma bei Traumaarbeit mit
Kindern/Jugendlichen
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Kinder haben oft kaum innere und äußere Distanz zu
traumatisierendem Umfeld - psychisch, zeitlich, räumlich,
kaum ausreichenden Abstand zur ‚Gefahr‘
Hoher Einfluss elterlicher Bewertungen /Maßstäbe
Eltern halten evtl. starke Kinder gar nicht aus
Stabilisierte Kinder destabilisieren bedürftiges
Familiensystem
Traumazentrierte Elternarbeit wichtig
Systemisches Arbeiten oft nicht ausreichend möglich
Not mit Noten
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Auch psychisch schwer belastete IBW-Schüler
werden oft erst am Ende der Mittelstufe
aufgenommen
Alleinige Zentrierung auf Erreichen des
Hauptschulabschlusses geht an Problematik der
Jugendlichen vorbei und greift zu kurz
Probleme werden oft bagatellisiert - von allen
Betroffenen
Notendruck durch normierte Anforderungen ist
kontraindiziert.
Rahmenbedingungen für
traumaorientierten Unterricht
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Kleinklassen mit max. 6 SchülerInnen,
stufenübergreifender Unterricht in annähernd
altersgleichen Lerngruppen)
Doppelbesetzung Lehrer – Sozialpädagoge/ Erzieher
Entwicklungsorientiertes Unterrichtskonzept (ETEP)
Rhythmisierter Unterricht mit verlässlicher Struktur
Stressreduzierung durch Transparenz der Abläufe
Verstärkte Aufsicht in unstrukturierten, offenen
Situationen (Pausen, Wege, Freiarbeit)
Handlungsorientierung in Krisen
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Krisenleitfaden
Notfallplan
Deeskalations-Strategien
feste Ansprechpartner
Vorab-Absprachen
AGGAS (Arbeitsgruppe gegen Gewalt an Schulen)
– lt. Vorgehen in Krisen
Personelle Ausstattung
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Schule als sicherer Ort durch:
Lehrkräfte mit Zusatzausbildungen/ Fortbildungen:
traumapädagogisch, psychologisch, systemisch,
familientherapeutisch o.ä.
Sozialpädagogen mit traumaspezifischer Zusatzausbildung
Lehrer-Schüler-Relation 6 : 1 plus der Lerngruppe
zugeordneter Sozialpädagoge / Erzieher
Integriertes gesprächstherapeutisches Angebot mit
psychiatrischer Fachberatung
Sonstige Angebote: Therapeut. Reiten, Erlebnispädagogik
Unterrichtsrahmen
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Entwicklungspädagogischer Unterricht gem. ETEP,
Entwicklungsdiagnostik nach ELDiB
SchülerInnen mit Anspruch auf Förderung ESE und
Kranke
Normaler Unterricht: Solange äußere Sicherheit die
‚innere Sicherheit‘ ermöglicht
Bei zunehmender Anspannung deeskalieren gem.
vorheriger individueller Absprachen
Lernstörungen als Traumafolgen
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Lernen = Schritt vom Bekannten zum
Unbekannten = Unsicherheit, ob das Neue
verstanden, bewältigt werden kann.
Angst vorm Versagen, Konzentrationsprobleme,
Vermeidungstendenz, Anstrengungsverweigerung
Siehe auch: Bick, C. Lerntherapeutische Verfahren zum Umgang mit
Lernblockaden u. Leistungsstörungen ( www.psychologische-praxismarburg.de )
Dreh- und Angelpunkt im Unterricht
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Erfahrene Ohnmacht, Kontrollverlust, Erlebnis
tiefgreifender Unwirksamkeit wird überwunden
durch emotionale Erlebnisse, die den Jugendlichen
den Glauben an ihre Selbstwirksamkeit
wiedergeben.
Erreichen von Selbstbejahung / Selbstwirksamkeit
geschieht insbesondere durch Erleben
selbstbewusster, handlungsfähiger, da integriert
handelnder Pädagogen, die auch angesichts
eigener Grenzen Selbstachtung und
Selbstwerterleben zeigen.
LehrerIn als sichere Basis
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Selbstwirksamer Lehrer/ Pädagoge ermutigt, gibt
Halt, Orientierung und Sicherheit
Je tragfähiger der emotionale Kontakt zu
Lehrkräften, desto sicherer / gelassener kann sich
der Jugendliche Lern- und Leistungsanforderungen
stellen und neue Erfahrungen zulassen
Integration von Therapie und
Traumapädagogik
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Korrigierende Beziehungserfahrungen in traumatherapeutischem Setting
Therapeutisches Gesprächsangebot zur bestmöglichen
psychischen Stabilisierung
Bearbeitung von aktuellen Konflikten, ausgehend vom ‚Hier
und Jetzt‘.
Gezielte Interventionen zur Förderung sozial- emotionaler
Kompetenzen (Modelle, Seilkreise, Bilder, psychologisches
Gespräch)
Kooperation mit KJP und niedergelassenen Therapeuten
konzeptionell verankerte psychiatrische
Fachberatung
Bearbeiten dysfunktionaler Muster
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Kein Verhalten ohne Motivation
Will man Verhalten verstehen, muss man die Motive
erkennen.
Man steuert sein Verhalten entsprechend dem wie auch
immer gearteten Selbstbild.
Nachhaltige Verhaltensänderungen durch konsistente
Übernahme neuer Einstellungen nur durch
Eigenmotivationen möglich, die in Übereinstimmung
stehen mit eigenem Selbstbild, Werten und Zielen (Rainer
Sachse et al. , Klärungsorientierte Schemabearbeitung, Hogrefe 2008, S. 11 ff.)
Neue
altersgemäße
Bedürfnisse
folgen
4
Umwelt reagiert
bedürfnisorientiert
3
Authentisches
transparentes
Handeln
2
1
Bedürfnisse /
Werte
33
Gelingender
Interaktionsaufbau
Negatives Selbstschema
bleibt,
Strategien verfestigen
sich
7
Umwelt reagiert positiv
auf Strategien, nicht auf
die Person
6
Strategisches Handeln als
Notlösung entsteht
5
4
Negatives Schema entsteht
„altes“ Motiv bleibt
3
2
34
Umwelt reagiert
ablehnend, negiert
Person
Authentisches
Handeln
1 Bedürfnis
Werte
Entstehen von
Interaktionsstörungen
Differenziertes emphatisches
Verstehen:
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Beobachten:
Was soll
unbedingt
sein?
Als wer
verneint er
sich?
Gemäß
Verhalten des
Schülers
Wahrnehmen, welche dysfunktionalen
Strategien ein Schüler konkret zeigt.
Entschlüsseln, welche emotionalen
Setzungen u. Überzeugungen die
dysfunktionalen Strategien leiten.
Vermuten, von welchen grundsätzlichen
Motiven / Werten / Bedürfnissen das
Verhalten bestimmt ist.
Methodenbeispiel: Selbstverneinungen
erkennen
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SchülerIn betrachten unter dem Blickwinkel: Wie verneint
sie/er sich gerade?
Ziel: deutlich wird, welche Selbstkompetenzen genau und in
welchen Hinsichten abgesprochen werden. Dysfunktionale
Überzeugungen werden sichtbar.
Beispiele:
Verneinung als Freundlicher: Freundlichkeit ist nicht zu
trauen!
Verneinung als Selbständiger: Alleine bin ich verloren!
Verneinung als mitarbeitender Schüler: Keiner darf meine
Fehler bemerken! etc….
Bearbeiten eigener Belastungsgrenzen
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Gelingt die Bearbeitung der Übertragungen nicht, so
liegt evtl. eine eigene unbearbeitete Verletzlichkeit vor
Lehrer/Betreuer fühlt sich evtl. persönlich angegriffen
und in Frage gestellt
Gelingt eine Klärung bezüglich Selbstachtung und
Integrität nicht, sondern empfindet Lehrer/ Betreuer die
Situation fragwürdig,
benötigt er Unterstützung zur Klärung eigener
Wertfragen (Selbstwert, Selbstachtung, Integration)
Methodenbeispiel:
Wahrnehmungsschulung (Seilkreise)
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Arbeit mit ausgelegten Seilkreisen als Platzhalter
unterschiedlicher emotionaler Erlebensräume /
Zustände
Erleichtert Zugang zu differenzierter Wahrnehmung
emotionalen Erlebens
Gibt Einsicht in Zusammenhänge von Gedanken und
Gefühlen
Unterscheidet zwischen Problem 1. und 2. Ordnung
(Problemebene und Metaebene)
Fördert Selbstreflexion
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