Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen Vorreiterrolle der EU in Umwelt- und Unternehmensethik Prof. Dr. Martin Müller hat an der Universität Ulm eine Stiftungsprofessur für Nachhaltiges Wissen, nachhaltige Bildung und nachhaltiges Wirtschaften. Kürzlich hat er zusammen mit dem UNW (Ulmer Initiativkreis Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung) ein mehrjähriges ESF-Projekt gestartet, an dem viele mittelständische Ulmer Unternehmen teilnehmen. 16 Schüler der Klassen 10 des Albert-Einstein-Gymnasiums Wiblingen haben ihn zusammen mit ihren ungarischen Gästen interviewt. Frage: Warum ist Verantwortung ein Thema für Unternehmen? Antwort: Unternehmen sollten den Arbeitnehmern gute Arbeitsbedingungen bieten. Das Gegenteil wird z.B. immer wieder bei Zulieferern von H & M genannt. Produziert wird unter miserablen Bedingungen z.B. in Bangladesch, im übrigen Asien und in Südamerika. Es müssen unbezahlte Überstunden geleistet werden. Die Löhne sind schlecht, die Arbeitszeiten lang, und es kommt zu sexuellen Übergriffen von männlichen Vorgesetzten auf Arbeiterinnen. Die finden in so genannten „sweatshops“ statt. Frage: Was bedeutet das? Antwort: Damit sind regelrechte Schwitzbuden gemeint, in denen nur die Gewinnmaximierung im Mittelpunkt steht. Daraus ergibt sich ein Problem: die europäischen Firmen müssen Standards für Zulieferer aus der Dritten Welt setzen. Viele Konsumenten haben es leider nicht so im Blick, was bei den von ihnen gekauften Produkten in der Vorlieferkette geschehen ist: ökologisch, sozial und gesundheitlich gesehen. In der Regel werden die Unternehmen erst dann aktiv, wenn NGOOrganisationen (= nichtstaatliche Organisationen) Kampagnen machen, welche ihre Reputation und damit die Gewinne gefährden. Frage: Welche Verantwortung haben Konsumenten? Was darf man konsumieren? Antwort: Ein gutes Beispiel sind Handys und neue i-phones. In ihnen steckt das Metall Coltan, das im Kongo meist unter Einsatz von Kinderarbeit produziert wird. Ich empfehle, solche Mobiltelefongeräte zu kaufen, in denen kein Coltan aus dem Kongo verarbeitet ist (manche Hersteller weisen das inzwischen aus). Außerdem kann man Fair-trade-Produkte kaufen, um die großen Konzerne zum Umsteuern zu zwingen. Natürlich ist es auch eine Frage der Moral, dass beim Klimawandel eine Einigung über die CO²-Reduzierung weltweit nicht funktioniert. In Deutschland müssten wir z.B. langfristig den CO²-Ausstoß von 10 auf 2 Tonnen pro Kopf reduzieren. Die Unternehmen selbst müssen auch Verantwortung übernehmen durch Entwicklung von Coporate Social Responsibility (CSR). Die Intensität eines entsprechenden Prozesses hat in den letzten Jahren zugenommen. Auf Grund der Menschenrechte, die ja auch soziale Rechte beinhalten, hat Kofi Anan für die UNO einen „Global Compact“ angeregt. Viele Länder und viele Unternehmen haben bereits unterschrieben. Man unterscheidet bei der Verantwortung zwischen einer prospektiven und einer retrospektiven Sichtweise. Das Problem besteht darin, dass kein weltweites Recht vorhanden ist. Aber der Prozess in Richtung einer weltweiten Vereinheitlichung geht weiter. Z.B. lässt der Internationale Gerichtshof das Verklagen einzelner Personen zu. Kürzlich ist ein General verurteilt worden wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte, weil er Kindersoldaten eingesetzt hat. Natürlich ist es auf Dauer für Firmen kein gutes Management, wenn sie auf Kinderarbeit setzen, um Gewinn zu machen. Das ist kein gutes, überzeugendes Geschäftsmodell. Gleiches gilt dann, wenn man auf Kosten der Umwelt oder durch Ausbeutung von Menschen Gewinne macht. Dafür bedarf es anwendbares Recht. Frage: Sie haben am 1. März 2012 ein Projekt des Europäischen Sozialfonds (ESF) begonnen, bei dem es um „Gesellschaftliche Verantwortung im Mittelstand“ geht. Projektpartner sind der unw und eine ganze Reihe von Firmen in der Region? Was bringt dieses sogenannte CSR-Projekt? Antwort: Die Gesamtausgaben liegen bei gut 300.000 €. Davon werden ca. 50 % vom ESF und vom Bund finanziert. Mein Lehrstuhl bringt aktuelles Wissen im Bereich nachhaltiger Unternehmensführung/ISO ein. Es sind vier Handlungsschwerpunkte vorgesehen: nämlich CSR im Zusammenhang mit Arbeitsplatz, Umwelt, Markt und Gemeinwesen. Beteiligt sind z.B. die Ulmer Firmen Bantleon, Utzin und Oscorna-Dünger sowie einige Unternehmen in der Region, z.B. Braun Steine, Otto Garne und Tries. Angestrebt wird ein „Ulmer Modell“ der gesellschaftlichen Verantwortung in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Dabei gibt es sieben Kernthemen: Organisationsführung, Menschenrechte, Arbeitspraktiken, Umwelt, faire Betriebs- und Geschäftspraktiken, Konsumentenanliegen und Einbindung und Entwicklung der Gemeinschaft und Umsetzung in entsprechenden Projekten. Frage: Welche praktischen Probleme werden dabei z.B. angegangen? Antwort: Erdöl ist eine immer knapper werdende Ressource. Deswegen sollten Produkte generell einen höheren Additionsanteil haben, z.B. durch nachwachsende Rohstoffe, z.B. durch Mais. Allerdings ist das Problem der Nahrungsmittelverknappung mitzubedenken. Es geht dabei um die sogenannte Tank-Teller-Problematik. Für die Ulmer Firma Bantleon bedeutet das, dass man intensiv an dem Thema weiterforschen sollte und mit seinen Anspruchsgruppen in einen Dialog eintreten muss, um seine Position deutlich zu machen. Ein anderes Problem ist z.B. die Tatsache, dass Wasser in vielen Staaten viel zu billig oder gar kostenlos ist. Außerdem entstehen globale Wettbewerbsverzerrungen. In China und Asien sind z.B. die Umweltstandards für Gefahrstoffe viel niedriger als in der EU. Frage: Wo können denn Staaten verklagt werden, wenn sie sich nicht an den Global Compact halten? Antwort: Es gibt noch keinen verbindlichen Leitfaden und noch keine rechtsverbindliche Übereinkunft. Eine NGO hat z.B. vor einiger Zeit gegen die deutsche West-LB geklagt, weil sie ein Pipeline-Projekt durch den Urwald in Ecuador finanziert, welche für einen US-Erdölkonzern gebaut wird, der Erdöl in einem Erdbebengebiet fördert. Infolgedessen hat sich die West-LB aus der Finanzierung zurückgezogen, nachdem das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin entsprechend interveniert hat. Allerdings sollten die EU-Standards nicht nur absolute Mindeststandards sein. Sie müssen vielmehr besser sein, weil die EU-Staaten so einen Vorsprung durch bessere Technologie erlangen können. Für Deutschland bedeutet das z.B., dass es in vielen Sektoren Weltmarktführer im Umwelttechnik-Maschinenbau ist. Darin ist ein Standbein für zusätzliche Exporte zu sehen. Aus dem angeblichen Nachteil kann also ein Vorteil generiert werden. ___________________________________________________________________________ Ohne Querstrich bis dahin 6.693 Zeichen mit Leerzeichen