Störung des Sozialverhaltens

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Störung des Sozialverhaltens
Dr. Henrik Uebel
Universität Göttingen
Kinder- und Jugendpsychiatrie/
Psychotherapie
Störungen des Sozialverhaltens
Definition
• Wiederholtes und persistierendes
Verhaltensmuster, bei dem entweder die
Grundrechte anderer oder wichtige
altersentsprechende soziale Normen oder
Gesetze verletzt werden
• Mindestens 6 Monate anhaltend
• Nicht durch andere psychische Störungen
verursacht
Störungen des Sozialverhaltens
Definition
• Dissozialität: Abweichung von altersgemässen
Regeln und Normen und/oder
Beeinträchtigung der Rechte
anderer. Klinische Bezeichnung:
Störung des Sozialverhaltens.
• Delinquenz: Handlungen, die von
gesellschaftlichen Kontrollinstanzen
verfolgt werden.
Störungen des Sozialverhaltens
Leitsymptome
Störungen des Sozialverhaltens
Klassifikation nach ICD-10
•
F91.0
•
F91.1
•
F91.2
•
F91.3
•
F92.0
•
F92.8
auf den familiären Rahmen beschränkte
Störung des Sozialverhaltens
Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden
sozialen Bindungen
Störung des Sozialverhaltens bei
vorhandenen sozialen Bindungen
Störung des Sozialverhaltens mit
oppositionellem, aufsässigen Verhalten
Störung des Sozialverhaltens mit
depressiver Störung
andere kombinierte Störung des
Sozialverhaltens und der Emotionen
Störungen des Sozialverhaltens
Pathogenese
• Perinatale Schädigungen, hyperkinetische Störungen und
Hirntraumen sind biologische Risikofaktoren
• Kinder mit gestörtem Sozialverhalten zeigen häufig
verminderte Angst- und Stressreaktionen
• Bindungsstörungen können ursächlich für dissoziales
Verhalten sein
• Stufenmodelle (Loeber) erklären Eskalationen des
Verhaltens, aber auch Ausstiegsmöglichkeiten
• Eltern-Kind-Interaktionsmuster sind für Entstehung und
Verlauf von Bedeutung
Entwicklungsmodell nach Loeber
Störungen des Sozialverhaltens
Familiäre Interaktionsmuster
Elterliche Charakteristika (nach Patterson):
• Inkonsistentes Erziehungsverhalten
• Unvorhersehbares explosives Erziehungsverhalten
• Geringe Aufsicht und Betreuung
• Unflexibles rigides Erziehungsverhalten
Besonders häufig bei Familien mit
• Arbeitslosigkeit und Armut
• beruflicher Überlastung
• Alkohol- und Drogenmissbrauch der Eltern
• massiven Ehekonflikten
• psychischen Störungen der Eltern (z.B. Depressionen)
Störungen des Sozialverhaltens
Familiäre Interaktionsmuster
Charakteristika des Kindes:
• Ausprägung der Fähigkeiten zur sozialen Anpassung und zur
Frustrationstoleranz
• Unterscheidung reaktive (impulsive) gegenüber proaktiver
(instrumenteller) Aggression
• Reaktive Aggression ist bedingt durch Faktoren wie geringe
Selbstregulationsfähigkeit und geringe emotionale Impulskontrolle.
• Störungen, die damit in Zusammenhang stehen, sind u.a.
hyperkinetische Störungen (ADHS), affektive und Angststörungen
sowie Sprachentwicklungsverzögerungen.
Entstehung und Verfestigung oppositioneller Störungen durch
das Aufeinandertreffen entsprechender elterlicher und kindlicher
Charakteristika → Teufelskreis aggressiven Verhaltens
Störungen des Sozialverhaltens
Epidemiologie
 Prävalenzraten
Vorschulalter
Oppositionell-trotziges Verhalten (OTV)
Störungen des Sozialverhaltens (SSV)
4-9%
Schulalter
Jugendalter
6-12%
 15%
2-4%
6-12%
 Periodeneffekte
Anstieg in den letzten Jahrzehnten in allen westlichen Ländern
 Geschlechtseffekte
Jungen überwiegen im Verhältnis 4:1 (Kindheit) bis 2:1 (Adoleszenz)
 Sozialschichteffekte
3-4 mal häufiger bei niedriger Sozialschicht / niedrigem Einkommen /
Sozialhilfe / deprivierten Wohnquartieren
 Interventionen
Nur 15-25% der betroffenen Kinder und Jugendlichen erhalten Hilfen
Störungen des Sozialverhaltens
Verlaufstypen
• Früher Beginn (mit oppositioneller Störung), „early
starters“; schlechte Prognose
• Später Beginn (nach dem 10. Lebensjahr;
vorwiegend in der Adoleszenz): eher gute Prognose;
Symptomatik verschwindet oft zwischen dem 20. und
30. Lebensjahr
• Im Entwicklungsverlauf nehmen körperliche
Aggressionen ab, andere dissoziale
Verhaltensweisen zu.
• Je breiter die Symptomatik, desto höher das Risiko
eines Substanzmissbrauchs.
Störungen des Sozialverhaltens
Diagnostik 1
• orientierend über Verhaltensfragebögen
• funktionale Verhaltensanalyse (z.B. reaktive
vs. instrumentelle Aggression; Dauer;
auslösende und bedingende bzw.
unterhaltende Faktoren; Erziehungsverhalten
der Eltern)
• Fremdberichte (z.B. Schule, Heime)
Störungen des Sozialverhaltens
Diagnostik 2
• Familienanamnese (z.B. HKS, Alkoholismus,
Psychosen)
• Eigenanamnese (z.B. Risikofaktoren, Traumen)
• Psychiatrische Exploration
• Testpsychologische Untersuchungen
– Leistungstests
– Persönlichkeitstests
• Körperlich-neurologische Untersuchung
• Labordiagnostik (bei spezieller Indikation)
Störungen des Sozialverhaltens
Komorbidität
• Hyperkinetische Störungen (ADHS)
• Depressive Störungen
• Emotionale Störungen
• Lernstörungen (vgl. Sprachentwicklungsstörungen, Legasthenie, niedrige Intelligenz)
• Substanzmissbrauch
Störungen des Sozialverhaltens
Therapie
Multimodale Intervention
 Betonung von Indikation und Differentialdiagnose bei
psychiatrischer Intervention
 Familienorientierte Verhaltenstherapie, Verbesserung
der Erziehungskompetenz
 Kindzentrierte Verbesserung von Sozialfertigkeiten /
kognitive Therapie
Störungen des Sozialverhaltens
Therapie
Multimodale Intervention
 Interventionen in der Schule
 Lernstörungen
 Verhalten im Klassenraum
 Multisystemische Therapie
 Wirksame Intensivbehandlung auf mehreren Ebenen
 Pharmakotherapie
 restriktive Indikation; eher auf komorbide Störungen ausgerichtet
 Stimmungsstabilisatoren, Neuroleptika, Stimulantien
 Sozial- und Milieuarbeit
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