Störungen des Sozialverhaltens - Praxis Klaus

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Störungen des Sozialverhaltens
Klassifikation
Psychodynamik
Diagnostik
Praxis: ca. 50% der Vorstellungen
Lehrbücher für Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapie:
Verhaltenstherapie: 10 Seiten
tiefenpsychologische KJP: 0 Seiten
ICD 10:
Störungen des Sozialverhaltens sind durch ein sich
wiederholendes und anhaltendes Muster dissozialen,
aggressiven und aufsässigen Verhaltens charakterisiert.
Dieses Verhalten übersteigt mit seinen gröberen Verletzungen
die altersentsprechenden sozialen Erwartungen. Es ist also
schwerwiegender als gewöhnlicher kindischer Unfug oder
jugendliche Aufmüpfigkeit.
Das anhaltende Verhaltensmuster muss mindestens sechs
Monate oder länger bestanden haben.
Störungen des Sozialverhaltens können auch bei anderen
psychiatrischen Krankheiten auftreten, in diesen Fällen ist die
zugrunde liegende Diagnose zu verwenden.
Beispiele für Verhaltensweisen, welche diese Diagnose
begründen, umfassen ein extremes Maß an Streiten oder
Tyrannisieren, Grausamkeit gegenüber anderen Personen oder
Tieren, erhebliche Destruktivität gegenüber Eigentum,
Feuerlegen, Stehlen, häufiges Lügen, Schulschwänzen oder
Weglaufen von zu Hause, ungewöhnlich häufige und schwere
Wutausbrüche und Ungehorsam. Jedes dieser Beispiele ist bei
erheblicher Ausprägung ausreichend für die Diagnose, nicht
aber nur isolierte dissoziale Handlungen.
F 91.0: Auf den familiären Rahmen beschränkte Störung des
Sozialverhaltens
F91.1: Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen
Bindungen
Diese Störung ist charakterisiert durch die Kombination von
andauerndem dissozialen oder aggressiven Verhalten,..., mit
deutlichen und tief greifenden Abweichungen der Beziehungen
des Betroffenen zu anderen Kindern.
F91.2: Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen
Bindungen
Dieses Störung beinhaltet andauerndes dissoziales oder
aggressives Verhalten, …, (das) bei Kindern auftritt, die
allgemein gut in ihrer Altersgruppe eingebunden sind.
F91.3: Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem,
aufsässigem Verhalten
Diese Verhaltensstörung tritt gewöhnlich bei jüngeren
Kindern auf und ist in erster Linie durch deutlich aufsässiges,
ungehorsames Verhalten charakterisiert, ohne delinquente
Handlungen oder schwere Formen aggressiven oder
dissozialen Verhaltens.
(VT-Studien (Petermann etc.) beziehen sich meist nur auf diese
Form)
Probleme



„Komorbidität“:
20-50%
Dimensionalität: Prävalenz 7-20%
Normen?
Beginn?
life-course persistent adolescence-limited?

Ursachen/Ätiologie/Dynamik?
aber:
empirische Befunde:
hohe Stabilität für SSV allgemein
(bei Wechsel der Kategorien bzw. Symptomatik)
Grundschulkinder, die SSV zeigen, haben ein 17,5faches höheres Risiko, auch im Jugendlichenalter
delinquentes Verhalten zu zeigen! (Odds ratio)
Psychdynamische Überlegungen
Konflikt – zeitlich, räumlich abgrenzbar
z.B. Ausdruck ödipaler Konflikte – Partnerwechsel;
narzisstische Konflikte – Schule
(Abwehrmechanismen?)
Struktur – längerdauernd, in verschiedenen sozialen
Bereichen
Psychodynamische Überlegungen

Borderline-Typ

narzisstischer Typ

antisozialer Typ

Trauma / PTSB
Borderline-Typ



Kinder: Fortbestehen von Verhaltensweisen, die
früheren Entwicklungsphasen angehören:
Wutanfälle, Trennungsängste, Enuresis, Enkopresis
inkonstante Beziehungsmuster, emotionale Labilität,
Stimmungsschwankungen: fehlende Freundschaften
geringes Selbstwertgefühl: Kränkbarkeit, Ungeduld,
fehlende Ausdauer, mangelnde Lernbereitschaft
Borderline-Typ


Adoleszenz: depressive Verstimmungen/Suizidalität,
Ängste, Identitätskrisen, wechselnde und rasche
Identifikationen, Autoritätskonflikte
keine stabilen Beziehungen/Freundschaften (Sex
statt Beziehung)

autoaggressive Handlungen („ritzen“)

destruktiv-aggressive Handlungen
Borderline-Typ


allgemein:
Probleme mit Impulskontrolle, Frustrationstoleranz,
Angsttoleranz, Sublimationsfähigkeit
Regelfall: instabiles Elternhaus, häufig wechselnde
Beziehungen („patchwork at its worst“), Eltern
eigene Psychopathologie (Borderline, Depression,
Alkohol)
Beispiel: Jesse




Jesse, 7 Jahre: stört Unterricht, schwankende Beteiligung, laut,
unruhig. Keine Freunde, zankt sich viel; kein Lernfortschritt, 1.
Schuljahr; gelegentliches einkoten und einnässen;
alleinerziehende Mutter, 28 J., ohne Berufsausbildung, zwei
weitere Kinder, 4 und 2 J.; zwei Partnerschaften, keine
Beziehung zum leiblichen Vater mehr – beschreibt ihn als
zuhause wenig auffällig, streite sich aber viel mit Geschwistern
er sei eher ein ängstliches Kind, sie wundere sich, dass er in
Schule aggressiv sei.
freundliches Kind, beteiligt sich nicht am Gespräch, stürzt sich
auf die Spielecke, spielt fantasievoll vor sich hin
Entwicklung leicht verzögert, sprechen mit 2-3 Jahren,
nächtliches einnässen regelmässig bis 5J. Wegen
„Tolpatschigkeit“ in ergoth. Behandlung
Beispiel: Jesse



Ergoth.: motorisch nicht „rund“, nichts
Schwerwiegendes; Th. fällt auf, dass Mutter im
Wartezimmer ausgesprochen laut und ungeduldig
mit Kindern umgeht.
Schule: Lehrerin bestätigt schwieriges
Sozialverhalten, aber auch, dass er manchmal sehr
anhänglich und schmusebedürftig sei – verstehe
seine Stimmungsschwankungen nicht
Test: Intelligenz: 76 (PR 3); SFT: orale Versorgung,
Geschwisterrivalität
narzisstischer Typ

auffallend hohe Kränkbarkeit, auf Kritik erfolgt Wut
und Trotz und v.a. Verachtung/Entwertung

fehlende Schuldgefühle, mangelnde Empathie

Neid, Abwertung/Idealisierung

„paranoide“ Ängste, v.a. vor unbekannten Gefahren;
hypochondrische Symptome
narzisstischer Typ


Kinder: Beziehungen/Freundschaften nur bei
absoluter Dominanz; fantasieloses Spielverhalten
(Bevorzugung von Regelspielen, bei denen sie
gewinnen)
Trennungsängstlichkeit (z.B. übernachtet nicht bei
anderen, keine Klassenfahrten)
narzisstischer Typ



Adoleszenz: Aussehen/Attraktivität hat äußerste
Priorität; v.a. hinsichtlich Partnerwahl/Sexualität;
exhibitionistisches Verhalten
depressive Störungen, Angststörungen,
(Schul-)Phobien, Schulverweigerung; Anorexie;
Impulskontrollstörungen
Achtung: Suizide im Jugendarrest/U-Haft
Beispiel: Alexander

7 J., macht in Schule nicht mit, stört, kaspert herum,
spricht mit Nachbarn, verweigert Mitarbeit und
Hausaufgaben. Prügelt sich nicht, teilt aber
sprachlich aus. Hält sich in Pause abseits, spielt
kaum mit anderen Kindern; kann sich kaum von
Mutter trennen, fährt ihn jeden Morgen zur Schule,
benötigt mind. 30 Min. für Abschied; oft kränklich,
Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, bleibt dann
zuhause.
Beispiel: Alexander



schon in Kita große Probleme, sich von Mutter zu
lösen – häufig zuhause geblieben; geht nicht zu
anderen Freunden, übernachtet noch nicht einmal
bei den GE, die im Haus leben; schläft im Bett der
Mutter, Vater im Kinderzimmer
Mutter, 36, Kauffrau, Halbttagstätigkeit; Vater, 38,
Ingenieur. GE vs im Haus.
A. weiß nicht, dass Kind aus Urlaubsbeziehung des
Vaters; mit 7 Mon. in jetzige Familie; Eltern 10 J.
zusammen, Mutter könne keine Kinder bekommen.
narzisstischer Typ

Regelfall: äußerlich unauffällige Familien; Eltern
fördern Individuation, aber keine Ablösung;
„Verwöhnung“ aus unterschiedlichen Gründen:
Partnerersatz, Schuldgefühle (Trennungs- und
Scheidungssituation), Kind als Träger eigener nicht
gelebter Wünsche/Größenphantasien;
(typisch: Entwertung von Autoritätspersonen
(Lehrer, Erzieher) in Gegenwart des Kindes)
antisozialer Typ




intendierte Aggression, Tierquälerei, „kalte“
Aggression
keine emotionalen Bindungen, fehlende Scham,
Schuldgefühle, Reue
wenig Affekte, starke
Rationalisierung/Ideologisierung
ziel- und zweckgerichtetes antisoziales Handeln; bei
Kindern oft, um kurzfristig Anerkennung zu
bekommen
antisozialer Typ



Kinder: Distanzlosigkeit, wenig Angst, keine
Trennungsreaktione (keine spezifischen,
persönlichen Beziehung – freundliche Stimmung;
„ADHS“ (reaktive Bindungsstörung mit
Enthemmung!)
Adoleszenz: „Intensivtäter“, Drogen und direkte,
fremdaggressive Gewalt
Regelfall: frühe Bindungsstörung, massive
Vernachlässigung; Pflegekinder, Heimkarrieren
(Neurobiologie, bildgebende Verfahren, DSM V)
Beispiel: Sandra


8 J., akuter Anlass: hat Katze „aus Spass“ mehrfach
von Tisch geschubst und getreten, „mal sehen, was
die so aushält“;in Schule und Familie häufig Streit,
hält sich nur selten an Regeln, stiehlt Kleinigkeiten;
in Schule sehr unruhig, sprunghaft, impulsiv.
hübsches, freundliches, sehr redegewandtes Kind;
geht bei Nachfragen nicht auf „Taten“ ein, wirkt
unbekümmert, fröhlich, keine Scham- oder
Reuegefühle erkennbar
Beispiel: Sandra



in Fam. sehr schwankend: anhänglich, Nähe
suchend, freundlich – am selben Tag stiehlt sie Geld
für Süssigkeiten, die sie auch hortet, ohne zu essen
Test: HAWIK: IQ 115 (PR 95); SFT: wenig Struktur,
orale Versorgung, Geschwisterrivalität, ödipale
Themen
seit 4 J. in Pflegefamilie; leibl. Vater nicht bekannt,
leibl. Mutter alkoholkrank, Depressionen, mehrfache
Psychiatrieaufenthalte, vermutlich BorderlineStruktur; Verwahrlosung erst nach Eintritt in Kita
erkannt (Hygiene, Gesundheit, Essen)
Probleme:


keine Berücksichtigung
von
Alter

Entwicklung

soziale Faktoren
Trauma und SSV

Schepker (2012): 30 – 50 % PTBS unter jugendlichen
Inhaftierten
„Allgemeinwissen:“ Kriegs- und Gewalterfahrung führt zu
eigener Gewalt (Sinken der Hemmschwelle, flash-backs
mit Aussetzen der Impulskontrolle)


= „Traumatisierte“ gefährlich und kriminell?
Trauma und SSV
alle Kriegsheimkehrer gewalttätig und kriminell?




Bestätigung durch Nachkriegsgesellschaften, z.B.
Südafrika?
eigene Erfahrungen: z.B. bosnische Flüchtlinge, seit 20 J.;
umF
Nachkriegsgesellschaft (Nord-) Uganda:
mehr als 100.000 Kindersoldaten - Anstieg der familiären
Gewalt, aber nicht der gesellschaftlichen!
PTBS-Belastung bei 20-30%, Gewalt durch Eltern, nicht
durch Kinder/Jugendliche! (Verlust von Status, soz.
Ordnung)
Trauma und SSV



„Traumatisierung“: Trauma oder Bindungs- und
Beziehungslosigkeit?
Trauma (Folter, Kriegs- und Gewalterfahrung): PTBS,
emotionaler und sozialer Rückzug, Depression –
nicht externalisierende Störungen, Impulskontrollstörungen,
SSV, Kriminalität!
traumatisches Erleben oder Bindungslosigkeit
(„Bindungstraumatisierung“) - unterschiedliche Therapie!
SSV – Beziehung zu Bindungslosigkeit, Verlust an sozialer
Ordnung, familiärer Stabilität, Werteverlust
Ätiologie/Risikofaktoren

Genetik/
Biologie
(Impulskontrolle/ 
Familiäre
Intelligenz
Bedingungen Bindung,
Werte,

soziales
Normen,
Umfeld:
Konflikte
- Gleichaltrige
- soziale
Gruppe


Entwicklungsbeeinträchtigungen
schulische und
berufliche
Qualifikation
Modell KDG


Kindergartentyp
Entwicklungstyp
(altersspezifische SSV)


Jugendlicher Typ mit
Bindungs- und
Interaktionsstörung
Anpassungstyp
(konfliktbedingt)
Vorgehen/Diagnostik:


Interview –
Kind/Jugendlicher,
Familie, soz. Umfeld
(Fragebögen)
Entwicklungsbeeinträchtigung (kogn.
Entw.)


Psychodynamik:
Interaktion,
Übertragung,
Beziehung,
Emotionalität
körperliche
Entwicklung
Vielen Dank fürs Zuhören!
Klaus-Dieter Grothe
Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Hauptstr. 224c, 35625 Hüttenberg
www.grothe.org
[email protected]
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