Die Struktur von Schlüsselproteinen ermitteln

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German Life Science Award 2015 – Hintergrundtext zur Preisträgerin Dr. Irene Coin
Die Struktur von Schlüsselproteinen ermitteln
Die Chemikerin Irene Coin erforscht Protein-Protein Interaktionen in lebenden Zellen, indem sie
chemische Methoden und moderne molekulare Techniken kombiniert. Diese Protein-ProteinInteraktionen besser zu verstehen, könnte auch der Entwicklung von neuen Medikamenten dienen.
Stress kann Erkrankungen wie Depression, Schlafstörungen oder Angstzustände auslösen und es
besteht enormer Bedarf an therapeutischen Ansätzen. Eine relevante Rolle bei diesen Erkrankungen
spielt ein Zellrezeptor, der „Corticotropin-releasing hormone receptor 1, kurz CRF1R“. Dieser
Rezeptor kommt im Gehirn vor und bindet an ein vom Hypothalamus gebildetes Peptidhormon
(Ligand). Ein Peptid, also ein kleines Protein, besteht aus mehreren Aminosäuren, die über
sogenannte Peptidbindungen verbunden sind. Könnte man die Bindung des Peptids an den
CRF1-Rezeptor blockieren, wäre damit womöglich eine gezielte Behandlung von stressbedingten
Erkrankungen möglich.
Rezeptoren sind Proteine, die Signale empfangen können, indem ein Signalmolekül in ihre Nähe
kommt und gebunden wird. Dadurch kommt es zu einer Signalweiterleitung und nachfolgenden
Prozessen in der Zelle. Am Ende des Signalprozesses beim CRF1-Rezeptor steht die Ausschüttung des
körpereigenen Stresshormons Cortisol.
Die Chemikerin Irene Coin ist dem CRF1-Rezeptor mit ihrer Nachwuchsgruppe am Institut für
Biochemie an der Universität Leipzig täglich auf der Spur. Ziel ihrer Forschung ist, zu erfahren, wie
dieser Rezeptor und seine Partner-Peptid-Liganden und andere Proteine aneinander binden. Gelingt
das, könnten auf Basis dieser Ergebnisse vielleicht eines Tages therapeutische Moleküle entwickelt
werden, die an diese Interaktionsoberflächen binden und die Interaktion stören. Idee ist, dass der
Rezeptor nicht mehr aktiviert und womöglich eine übermäßige Cortisol-Ausschüttung bei
Stresserkrankungen verhindert werden würde.
Normalerweise bestimmen Wissenschaftler die Struktur eines Proteins durch Kristallisation und
Röntgenstrukturanalyse. Der CRF1-Rezeptor gehört aber zu einer bestimmten Proteinklasse, nämlich
zur Klasse B der großen Familie der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCRs). GPCRs regulieren
Prozesse im ganzen Körper und spielen bei vielen Krankheiten eine Rolle. Doch aufgrund ihrer
flexiblen und dynamischen Natur konnten bis jetzt nur ganz wenige vollständige GPCRs in die
kristalline Form gebracht werden, jedoch keiner der Klasse B und vor allem keiner im Komplex mit
langen Peptid-Liganden. Es ist allerdings enorm wichtig zu wissen, wie der Ligand an den Rezeptor
bindet, denn nur so kann diese Bindung durch geeignete Moleküle gestört werden.
Schon während ihrer Doktorarbeit interessierte sich Irene Coin für sogenannte „crosslinking“Techniken. Bis dahin wurde die Methode an Peptid-Liganden angewendet, die durch chemische
Synthese generiert wurden. Nun hatte die moderne Molekularbiologie gerade in dieser Zeit die
Möglichkeit eröffnet, künstliche Aminosäuren in Proteinen einzubauen, direkt in der lebenden Zelle.
Die Forscherin fand es reizvoll, Crosslinker direkt in Rezeptoren einzubauen, anstatt in die Liganden.
Um die noch weitgehend unbekannte Interaktion zwischen dem CRF1-Rezeptor und seinem
Peptidligand zu ermitteln, integrierte sie künstliche Aminosäuren an Stellen im Rezeptor, wo eine
Bindung zum Liganden vermutet werden konnte. Diese unnatürlichen Proteinbausteine haben die
Eigenschaft, sich bei Bestrahlung mit Licht räumlich nahe Moleküle zu schnappen. Wie eine klebrige
Hand bindet der Rezeptor dann seinen Liganden, der an ihm gebunden bleibt. Wird eine solche
künstliche Aminosäure an einer Stelle eingebaut, wo der Rezeptor den Liganden nicht bindet, kommt
es auch zu keiner festen Bindung.
Irene Coin konstruierte circa 150 verschiedene Varianten des Rezeptors mit eingebauten künstlichen
Aminosäuren entlang der gesamten Bindungstasche und konnte so die Binderegion identifizieren.
Noch offen blieb, in welcher Orientierung der Ligand in der Bindungstasche liegt. Um diese Frage zu
beantworten, baute sie diesmal im Rezeptor künstliche Aminosäuren ein, die nicht ein ganzes
Molekül greifen, sondern nur eine bestimmte natürliche Aminosäure, Cystein. Coin baute an
verschiedenen Stellen im Liganden Cysteine ein und konnte so genau herausfinden, an welchen
Stellen des Rezeptors diese Cysteine des Ligands binden. So zeigte sie auf, nicht nur wo, sondern
auch wie die Bindung von Ligand und Rezeptor stattfindet.
Seit 20 Jahren sind die Bindungspartner bekannt, doch Irene Coin hat es in nur zwei Jahren geschafft,
die Kartierung der Bindungstasche am CRF1R zu erstellen. „Unsere Methode ist heute das Beste, was
wir als Alternative zur Röntgenstruktur haben. Sie ist schneller und zuverlässiger als traditionelle
Methoden, und man kann sich zudem die Interaktionen in lebenden Zellen ansehen“, fasst sie die
Bedeutung ihrer Arbeit zusammen. Gerne würde sie noch mehr Rezeptoren dieser GPCR-Klasse
untersuchen und wissen, „ob man Motive erkennen kann, die bei allen Rezeptoren gleich sind.
Vielleicht gibt es eine bestimmte Region am Rezeptor, an der alle Liganden ankommen müssen“.
Diese Forschungsergebnisse vor Augen, stellt sich auch die Frage, wie ein Ligand aussehen sollte, der
neue pharmakologische Eigenschaften besitzt und eine Rezeptorblockade vermitteln könnte? Die
Antwort könnte ein möglicher erster Schritt hin zu neuen therapeutischen Behandlungen sein. Als
gelernte Peptidchemikerin der Pharmakologie ist Irene Coin generell sehr am gezielten Design
solcher Peptide interessiert.
Aber auch neue Strategien bezüglich Protein-Protein-Interaktionen in Signalwegen des menschlichen
Körpers sind ein Thema für die diesjährige Preisträgerin. Doch diese Arbeiten seien noch zu neu, um
sie schon preiszugeben.
Über die Preisträgerin
Dr. Irene Coin studierte Chemie in Padua (Italien) und promovierte an der Universität Leipzig. Nach
einem Postdoktorat am Biodesign Institute an der Arizona State Universität forschte sie als DFG- und
Marie-Curie-Stipendiatin am Salk Institute for Biological Studies in La Jolla (USA). 2013 kehrte sie als
wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin nach Berlin
zurück und leitet seit 2014 ihre eigene Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe am Institut für Biochemie
der Universität Leipzig.
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