Immuntherapien gegen Krebs - research

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IMMUNTHERAPIEN: NEUE ANSÄTZE FÜR DIE ONKOLOGIE
Abwehr gegen Krebs
entfesseln
Unser Körper besitzt ein enormes Arsenal an Abwehrkräften, um Krankheiten erfolgreich zu bekämpfen. Jetzt wollen Krebsforscher das menschliche Immunsystem
gezielt schärfen. Dazu arbeiten Wissenschaftler von Bayer HealthCare gemeinsam mit internationalen Onkologie-Experten an neuartigen Immuntherapien, die
Krebspatienten helfen sollen, ihre Körperkräfte zu mobilisieren – für den erfolgreichen Kampf gegen die Tumorerkrankung.
Bedrohliche Schönheit: Lungenkrebs, hier violett dargestellt, ist eine der häufigsten und gefährlichsten Krebserkrankungen.
Neuartige Immuntherapien könnten zukünftig auch Patienten im fortgeschrittenen Stadium helfen.
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Bayer research 28 Juli 2015
Fotos: Peter Ginter/Bayer AG (8), Matthias Sandmann/Bayer AG (1), Eye of Science/Agentur Focus (1), Privat (2)
Titelthema
MEDIZIN
Bayer research 28 Juli 2015
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Kooperationspartner: Am Deutschen Krebsforschungszentrum arbeiten Giovanni Mastrogiulio und Dr. Yingzi Ge (Foto links, v. li.) im Bayer-DKFZ-Joint-Laboratory an immuntherapeutischen Ansätzen. Der Bayer-Antikörperspezialist Dr. Fred Aswad (Foto rechts) analysiert derweil in San Francisco Zellkulturen.
In unserem Blut fahnden winzige Wächter unermüdlich nach
unterschiedlichsten Krankheitserregern. Bakterien oder Viren
werden vom Immunsystem möglichst sofort bekämpft. Die Körperpolizei ist dafür mit verschiedenen Rezeptoren ausgestattet,
mit denen sie sämtliche Zellen und Partikel, die ihr begegnen,
an der Oberfläche abtastet – wie mit kleinen Händen. Erfassen
die Abwehrzellen eine fremde Struktur, schlagen sie Alarm. Die
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Checkpoint-Blockade löst die angezogene
Handbremse des Immunsystems
Jahre
Mithilfe von Immuntherapien konnte die
Überlebenszeit von einem Teil der Patienten
mit metastasiertem, schwarzen Hautkrebs auf
mittlerweile über zehn Jahre gesteigert werden – im Vergleich zu vorher zehn Monaten.
Quelle: European Cancer Congress 2013
molekulare Patrouille kann sogar entartete Zellen identifizieren
– und das ist gerade dabei, die Krebstherapie zu revolutionieren. Denn mit einem neuen Ansatz – der sogenannten Immuntherapie – wollen Wissenschaftler unser Abwehrsystem in die
Lage versetzen, Tumore eigenständig zu bekämpfen. Aber dazu
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müssen die Immunzellen erst eine umfangreiche Ausbildung
absolvieren. In den Lymphknoten lernen Immunzellen, zwischen
körpereigenem und fremdem Gewebe zu unterscheiden. Mit Immuntherapien wollen die Forscher der Körperpolizei nun zu einer
Sonder-Trainingseinheit verhelfen: Die Abwehrzellen sollen sogar
getarnte Krebszellen zuverlässig erkennen und diese beseitigen.
„Eines der vielversprechendsten Forschungsgebiete in der Immuntherapie ist die Checkpoint-Blockade“, sagt Dr. Bertolt Kreft,
Leiter der Abteilung Immunotherapy & Antibody Conjugates in
der Onkologie-Forschung bei Bayer HealthCare in Berlin.
Bayer research 28 Juli 2015
Diese setzt an der Interaktion zwischen Krebs und Immunzellen
an. Denn über diverse Signale steuert der Körper, wie lange und
wie stark das Abwehrsystem Tumorzellen oder Krankheitserreger bekämpft. Hemmende Signale sorgen ab einem bestimmten
Zeitpunkt dafür, dass die Körperpolizei nicht zu stark agiert und
gesundes Gewebe angreift. „Dieses körpereigene Sicherheitssystem wird allerdings von Krebszellen manipuliert“, sagt Kreft.
Denn auch Tumore können hemmende Signale aussenden: Sie
unterdrücken damit den Angriff der molekularen Wächter und
bleiben intakt. „Die Krebszellen ziehen sozusagen die Handbremse
des Immunsystems – ähnlich einem Motor im Leerlauf, der nicht
losfahren kann“, erklärt Kreft.
Die Checkpoint-Blockade löst diese Sperre: Sie reaktiviert
so die körpereigene Abwehr, die dann den Krebs erfolgreich bekämpfen kann. Ärzte, Forscher und Patienten setzen große Hoffnungen in den neuen Behandlungsansatz. „Wir sind alle sehr
gespannt darauf, wie die Checkpoint-Strategie die Krebstherapie
Sichere Hand im Labor: Bayer-Forscher an allen deutschen Pharma-Standorten tragen ihren Teil dazu bei, neuartige Krebstherapien zu entwickeln.
Die Biologielaborantin Christina Scholl etwa bereitet in Köln einen Versuch mit Mikrotiterplatten vor.
„Immuntherapie wird
sich etablieren“
Prof. Dr. med. Michael Platten ist leitender Oberarzt in der Neurologie
am Universitätsklinikum Heidelberg und Gruppenleiter in der
Neuro- und Hirntumor-Immunologie am DKFZ. research sprach mit
ihm über die Chancen der Immuntherapien.
Michael
Platten
Wie wird die Immuntherapie, insbesondere die CheckpointInhibition, die Krebstherapie verändern?
Ich erwarte, dass sich dieser Ansatz in den nächsten Jahren als
fester Baustein der Krebstherapie etablieren wird – und in vielen Fällen eine wirkliche Aussicht auf Heilung verspricht. Die
Checkpoint-Inhibition wird uns dabei helfen, zu verstehen, wie das
Immunsystem Krebs bekämpfen kann und welche Merkmale im
Tumorgewebe dabei relevant sind.
Gibt es Krebsarten, die besonders gut auf die Behandlungen
ansprechen?
Die größten Erfolge werden sicherlich beim schwarzen Hautkrebs
erzielt. Aber auch bei besonders bösartigen und schwierig zu behandelnden Hirntumoren haben wir in den vergangenen Jahren
große Fortschritte auf dem Gebiet der Immuntherapie gemacht.
Mit der Entschlüsselung der geeigneten Merkmale hoffen wir, einen
immuntherapeutischen Ansatz auch gegen Tumore zu finden, die
bislang als resistent gegenüber einer Immuntherapie galten, beispielsweise Glioblastome oder Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Wie können in Zukunft Nebenwirkungen der Immuntherapie
unter Kontrolle gebracht werden?
Das können wir schaffen, indem wir verstehen, bei welchen Patienten eine Checkpoint-Inhibition effektiv ist und welche Eigenschaften des Tumors hierfür ausschlaggebend sind. Im Grunde
verstärken Checkpoint-Inhibitoren nur eine präexistierende Immunantwort gegen Krebszellen. Wenn wir in der Lage sind, diese
bereits vorhandenen tumorspezifischen Immunzellen gezielt zu
nutzen, sind keine unspezifischen Nebenwirkungen zu erwarten.
Dies wird allerdings voraussetzen, dass jeder Patient tatsächlich
eine maßgeschneiderte Immuntherapie bekommt.
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Übersicht und Detailblick: Dr. Lars Röse und Dr. Bertolt Kreft (Foto links, v. li.) überblicken und koordinieren die Forschungsarbeiten von Bayer an onkologischen Immuntherapeutika. In den Bayer-Laboren in Berlin (Foto rechts) untersucht Dr. Ervinna Pang menschliche Zellkulturen am Mikroskop.
weiter beeinflussen wird“, sagt Dr. Fred Aswad, verantwortlich
für die Gruppe Immunoprofiling, Biologics Research bei Bayer
HealthCare in San Francisco. Fortgeschrittener Lungenkrebs
beispielsweise war bisher ein Todesurteil. Doch die CheckpointBlockade wirkt bei diesen Patienten. Aswad: „Die Menschen leben
deutlich länger.“ Auch für schwarzen Hautkrebs und Tumore in
Niere oder Blase geben vielversprechende Studiendaten einen
positiven Ausblick.
Die Behandlung soll an der Oberfläche der Zellen ansetzen.
Unsere Immunzellen – darunter die T-Lymphozyten – sind mit
unterschiedlichen, sehr spezifischen Rezeptoren ausgestattet,
auch solchen, die eine hemmende Funktion haben. Viele Krebszellen besitzen jedoch Liganden, die sich genau an diese Rezeptoren
auf der Oberfläche der Immunzellen binden können. Dadurch
lösen sie eine biochemische Reaktionskaskade in der Immunzel-
Attacke gegen
den eigenen Körper
Immunzellen werden von einer Masse komplexer Signale
dirigiert. So stellt der Organismus sicher, dass die Zellen nur
Krankheitserreger oder entartete Körpergewebe angreifen. Bei
Menschen, die an einer Autoimmunerkrankung leiden, funktionieren diese Regelmechanismen nicht richtig: Das Abwehrsystem nimmt körpereigene Zellen als fremd wahr und attackiert
sie. Bei Multipler Sklerose beispielsweise wird so die isolierende
Hülle von Nervenbahnen zerstört. Das schränkt die Reizleitung
ein – die Folgen reichen von Sehstörungen bis zu Lähmungen.
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le aus, woraufhin diese ihren Angriff auf die Krebszelle stoppt.
„Das Ziel der Checkpoint-Blockade ist es, genau diese Bindung
von Immunrezeptor und hemmenden Liganden der Krebszellen
zu verhindern – und damit zu vermeiden, dass die Körperabwehr stillgelegt wird“, erklärt Kreft. Als winzige Schranken, die
die Signale unterbrechen sollen, setzen er und seine Kollegen
Antikörper ein. Diese Eiweißmoleküle binden nur an Strukturen,
die genau in ihre Bindungstaschen passen – wie ein Schlüssel
in ein Schloss. „Wir wollen spezielle Antikörper entwickeln, die
entweder am Liganden auf dem Tumor andocken oder auf dem
passenden Rezeptor des Lymphozyten“, erklärt Kreft das Prinzip.
Damit wäre die Bindungsstelle besetzt und der Tumor könnte die
Immunzelle nicht mehr lahmlegen – die Körperabwehr könnte
den Krebs weiter bekämpfen.
Gemeinsame Suche nach neuen Ansatzpunkten
für innovative Immuntherapien
Kreft will mit seinen Kollegen möglichst viele dieser Therapieansätze aufspüren. Die Onkologen arbeiten dabei auch eng mit den
Experten des Deutschen Krebsforschungszentrums, kurz DKFZ,
in Heidelberg zusammen, um Immuntherapien gegen Tumorerkrankungen zu entwickeln. Neben der Arbeit in den eigenen
Laboren fahnden die Spezialisten auch gemeinsam vor Ort nach
Ansätzen: „Neun Bayer- und DKFZ-Mitarbeiter forschen im Joint
Lab in Heidelberg miteinander an der Laborbank“, so Dr. Lars Röse, Laborleiter in der Onkologie-Forschung für Immuntherapie
und Antikörper Konjugate bei Bayer HealthCare in Berlin. „Die
DKFZ-Forscher sind Spezialisten für ganz bestimmte Targets, also
Angriffspunkte für neue Therapien“, so der Biologe. Die Kooperation ermöglicht den Bayer-Forschern einen Zugang zu dieser
besonderen Expertise, um daraus neue Therapien zu entwickeln.
„Und wir bringen unsere Expertise in der Arzneimittelentwicklung
mit ein“, so Röse.
Titelthema
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Checkpoint-Blockade:
Schranke hoch für den Immunangriff
Tumore wie Melanome können hemmende Signale aussenden und damit Angriffe des Immunsystems unterdrücken. Hier greift
der neuartige Therapieansatz der Checkpoint-Blockade an: Spezifische Antikörper heben die Störung auf und ermöglichen es dem
Immunsystem, den Krebs wieder zu attackieren.
Lymphknoten
1 Im Gewebe nahe des Melanoms nehmen dendritische Zellen Tumor-Antigene
auf und präsentieren sie auf ihrer Oberfläche. Die Zellen wandern über die Lymphgefäße in die Lymphknoten.
Dendritische
Zellen
TCR
Melanom
naive T-Zelle
2 In den Lymphknoten präsentieren die
dendritischen Zellen das Tumor-Antigen
naiver T-Zellen. Diese docken mit dem
T-Zell-Rezeptor (TCR) an die Tumorstruktur
an und werden aktiviert. Über die Blutgefäße gelangen sie zum Melanom.
Immuntherapie mit
spezifischen Antikörpern
TCR
aktivierte T-Zelle
Tumorzelle
3 T-Zellen erkennen mit ihren TCRs die TumorAntigene auf der Oberfläche der Krebszellen.
Doch der Tumor aktiviert inhibitorische Liganden.
Damit löst er ein hemmendes Signal für die
T-Zellen aus: Ihre Reaktion wird blockiert, sie
greifen den Tumor nicht mehr an. Hier setzt die
Immuntherapie an: Spezifische Antikörper, die
dem Patienten gespritzt werden, blocken die
Rezeptor-Aktivierung – und damit das negative
Signal auf die T-Zellen. Sie können nun den
Tumor erfolgreich bekämpfen.
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Titelthema
„Wir setzen auf neuartige
Immun-Checkpoints“
Dr. Zurit Levine ist Vice President of Research and Discovery bei der
Compugen Ltd. in Israel. research sprach mit der Biochemikerin über
die Kooperation mit Bayer und die Zukunft der Krebstherapie.
Zurit
Levine
Was ist das Ziel Ihrer Kooperation mit Bayer?
Unser Ziel ist die Entwicklung Antikörper basierter Wirkstoffe für
die Krebs-Immuntherapie. Wir greifen dabei auf zwei neuartige, bei
Compugen entdeckte Immun-Checkpoint-Regulatoren zurück. Diese neuen Proteine sind an der Immunregulation beteiligt und werden bei verschiedenen Krebsarten sowohl an Tumorzellen als auch
an Immunzellen exprimiert. Indem wir an diesen Proteinen gezielt
mit Antikörper-Therapeutika ansetzen, wollen wir deren immunsuppressive Wirkung in der Tumor-Mikroumgebung ausschalten
und eine kräftige Antitumor-Immunantwort herbeiführen.
die an neuartigen Immun-Checkpoints angreifen. Sie könnten die
Ansprechraten erhöhen oder das Spektrum der zu behandelnden
Krebsindikationen erweitern – und auch als Quelle für wirksame
Arzneimittel-Kombinationen dienen.
Wie werden die Immuntherapie und die Checkpoint-Blockade die
Krebstherapie beeinflussen?
Inwieweit profitieren sowohl Bayer als auch Compugen davon?
Bayer und Compugen bringen ihre wissenschaftlichen Spezialkenntnisse auf dem Gebiet der Immun-Checkpoint-Blockade ein.
Und jedes Unternehmen teilt Expertise und Know-how mit dem
anderen. Auf dem dicht gedrängten Gebiet der Immun-Onkologie
befasst sich ein Großteil der Industrie mit bereits bekannten
Immun-Checkpoint-Targets. Wir dagegen entwickeln Medikamente,
Ein Arbeitsbereich der Kooperation befasst sich mit Hirntumoren.
„Unsere Gruppe hat bereits einen zielgerichteten Ansatz einer
Impftherapie gegen ein häufiges Merkmal von Gliomen entwickelt, der nun in einer klinischen Studie getestet wird“, erklärt
Prof. Dr. med. Michael Platten vom DFKZ. Der Gruppenleiter im
Bereich Neuro- und Hirntumor-Immunologie ist davon überzeugt, dass der Ansatz der Immuntherapien viele neue Chancen
eröffnet. „Ich erwarte, dass sich die Immuntherapie in der Krebsbehandlung etablieren wird.“ Denn im Gegensatz zu Chemo- oder
Strahlentherapie, die nach der Behandlung abgeschlossen sind,
kann eine Immuntherapie längerfristig wirken: Das Abwehrsystem lernt während der Therapie, wie es die entarteten Zellen
aus eigener Kraft nachhaltig bekämpfen kann. T-Lymphozyten
drängen potenziell den Tumor zurück, es können Gedächtniszellen ausgebildet werden. „Der Patient ist nach einer erfolgreichen
Therapie geschützt – zumindest gegen wiederkehrende bösartige
Veränderungen: Selbst wenn Krebszellen, die sich im Körper verborgen gehalten haben, wieder auftauchen, kann das trainierte
Immunsystem sie vernichten“, erklärt Aswad.
Ein weiterer Vorteil: Tumore können voraussichtlich keine
Resistenzen gegen die Behandlung bilden – dies ist bei Chemotherapeutika anders. „Zytostatika unterscheiden zudem nicht
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Die Blockade von Immun-Checkpoints entfaltet das Potenzial
der Antitumor-Immunantwort auf eine Art, welche die Krebstherapie von Grund auf verändern wird. Checkpoint blockierende
Antikörper haben bereits eindrucksvolle klinische Vorteile für das
Langzeit-Überleben bewiesen. Damit wächst die Hoffnung, dass
dieser neuartige Ansatz zu wertvollen Strategien und Möglichkeiten im Kampf gegen den Krebs führt. Monoklonale AntikörperMedikamente, die auf zusätzliche neuartige Checkpoint-Targets
abzielen, würden den Anwendungsbereich dieses bahnbrechenden
Ansatzes erheblich erweitern – speziell bei Krebserkrankungen, bei
denen derzeitige Immuntherapien nicht wirken.
zwischen körpereigen und -fremd. Sie greifen alle Zellen an,
die sich besonders schnell teilen“, erklärt Kreft. Dazu gehören
Tumorzellen, aber eben auch Haarwurzeln, Schleimhäute oder
Nagelbett von Fingern und Zehen. Das verursacht die bekannten
Nebenwirkungen: Den Patienten fallen die Haare aus, der Geschmackssinn verändert sich, die Nägel lösen sich. „CheckpointHemmer agieren viel zielgerichteter – und trotzdem wirken sie
im ganzen Körper“, so Kreft.
Höhere Lebensqualität für Krebspatienten
während der Behandlung
Patienten müssen sich daher zum Beispiel oft nicht so stark
übergeben wie bei der Chemotherapie und fühlen sich nicht so
erschöpft wie nach einer Strahlenbehandlung. „Dennoch ist die
Checkpoint-Blockade kein Wundermittel“, fasst Aswad zusammen. Wie fast jede medizinische Behandlung birgt sie auch Risiken: „Das angeregte Immunsystem kann sich manchmal auch
gegen gesundes Körpergewebe richten. Solche Autoimmunreaktionen können starke Entzündungen in Darm, Leber oder Haut
auslösen. Die Patienten müssen daher exakt und engmaschig
überwacht werden“, so Aswad.
Sorgfältig und steril: Antikörper basierte Wirkstoffe werden unter reinsten Bedingungen hergestellt. Dr. Volker Müller arbeitet dafür an der Cleanbench
(Foto links). Dr. Heiner Apeler und Tanja Wesarg (Foto rechts, v. li.) stellen sicher, dass die Antikörper von anderen Eiweißen gereinigt werden.
Dennoch sind die Bayer-Wissenschaftler überzeugt: Die Chance
ist groß, dass der Nutzen und das Potenzial der Checkpoint-Hemmung ihre Risiken übersteigen werden. Die ersten Therapien sind
bereits zugelassen, etwa zur Behandlung von metastasiertem,
schwarzem Hautkrebs. Die Lebenserwartung eines Patienten mit
malignem Melanom lag nach Diagnose bisher bei sechs Monaten.
Die Immuntherapie kann die Lebenszeit auf zwei Jahre verlängern
– mit Ausblick auf mehr. Doch die Medikamente wirken nicht bei
allen Erkrankten: „In der Regel sprechen rund 20 bis 30 Prozent
der behandelten Patienten in klinischen Studien auf die Therapie
an“, erklärt Kreft. Warum nur bei so wenigen, darüber ist sich die
Wissenschaft bisher nicht einig. „Aber wir sprechen von 20 bis
30 Prozent, wo vorher null waren“, ergänzt Aswad.
Hoffnung für besonders schwerwiegende
Krebserkrankungen
Ein Ansatz der Checkpoint-Immuntherapie pro Krebsart reicht
also nicht aus. Kreft: „Wir brauchen eine Auswahl an Behandlungsmethoden, die an unterschiedlichen Strukturen angreifen.
Nur so können immer mehr Krebspatienten profitieren. Dazu
wollen wir beitragen.“ Die Wissenschaftler kooperieren weltweit
mit exzellenten Partnern von Forschungsinstituten und anderen
pharmazeutischen Firmen, um möglichst viele therapeutische
Angriffspunkte, sogenannte Targets, aufzuspüren und passende Antikörper zu entwickeln. „Die israelische Firma Compugen
zum Beispiel nutzt hochinnovative Methoden der Bioinformatik,
um bisher unbekannte Immun-Checkpoints zu identifizieren“,
erklärt Röse. So haben die Wissenschaftler zwei neue Targets für
Längerfristige Wirkung
Die Checkpoint-Hemmung als Krebstherapie aktiviert das körpereigene Immunsystem, das dann gezielt nur Tumorzellen angreift. Dabei
wirkt es systemisch, also im ganzen Organismus. Im Gegensatz zu
traditionellen Krebstherapien – Bestrahlung, Chemotherapie und
Operation – wirkt der Immunansatz außerdem weiter, nachdem die
Behandlung abgeschlossen wurde.
Zeitlicher Ablauf von Behandlung und Wirkdauer
Krebstherapien
Immuntherapie
wirkt nach
Behandlungsende
weiter
Start der
Behandlung
Ende der
Behandlung
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Farbenreiche Probenvielfalt: Die Biologielaborantin Claudia Kamfenkel
untersucht Gewebeproben im automatischen Scanner.
immuntherapeutische Ansätze entdeckt. Röses Kollegen entwickeln
gemeinsam mit den Forschern aus Tel Aviv spezifische Antikörper.
„Wir konzentrieren uns dabei sowohl auf die Antigen-Struktur auf
den Krebszellen als auch auf die des Immunzellen-Rezeptors“, so Dr.
Zurit Levine, Vice President of Research and Discovery bei Compugen. Die aussichtsreichsten Kandidaten werden derzeit in Zell- und
Tiermodellen auf ihre Wirksamkeit getestet.
Die Bayer-Forscher und ihre Kollegen setzen größte Hoffnungen
in die Checkpoint-Blockade. Trotzdem forschen sie breitgefächert
und arbeiten etwa auch an bispezifischen Antikörpern, kurz BiTE
(s. a. research 24, „Biotechnologie mit System“). Sie stellen einen
direkten Kontakt zwischen Krebs- und speziellen Killerzellen des Immunsystems her: Die BiTE-Brücke besteht aus zwei Fragmenten, die
spezifisch ein Molekül auf der Oberfläche der jeweiligen Zelle erkennt. Die Killerzellen können so an den Tumor andocken. Daraufhin
setzen sie Substanzen frei, die das Krebsgewebe vernichten. Derzeit
arbeiten die Bayer-Forscher mit dem Biotech-Unternehmen Amgen
an zwei Projekten. „Wir testen gerade einen BiTE-Antikörper gegen
Prostatakrebs in der klinischen Phase I“, erklärt Kreft. Seine Kollegen
arbeiten außerdem an einem weiteren Antikörper, der zur Therapie
verschiedener Krebsarten eingesetzt werden soll.
Alle Wirkstoffkandidaten werden vorerst für die Behandlung einer
Tumorart entwickelt. Aber in der frühen klinischen Phase werden sie
auch auf Wirksamkeit gegen weitere Krebserkrankungen geprüft. In
Zukunft sollen also nicht nur Melanome immuntherapeutisch behandelbar sein. „Vermutlich kommen ein Dutzend weitere Indikationen
dazu“, erklärt Kreft. Das Team um Kreft ist zuversichtlich, dass Immuntherapien sich in der Krebsbehandlung etablieren werden: „Die
Chancen sind enorm“, so der Bayer-Forscher.
www.research.bayer.de/immuntherapien
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