Typ-1-Diabetes: Von der Ursachensuche zu Präventionsstudien Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes werden die insulinproduzierenden -Zellen der Bauchspeicheldrüse durch körpereigene Immunzellen zerstört. Was setzt diesen Autoimmunprozess in Gang? Diskutiert werden sowohl genetische als auch umweltbedingte Faktoren. Wie könnte man den Prozess aufhalten oder den Ausbruch des Typ-1-Diabetes präventiv verhindern? Zur Klärung dieser Fragen wurden mehrere Studien initiiert. Erste Ergebnisse liegen nun vor. Typ-1-Diabetes oder insulinabhängiger Diabetes (IDDM, von engl: insulin-dependent diabetes mellitus) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die insulinproduzierenden -Zellen in den Langerhans’schen Inseln (siehe Abb. 1) der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) durch bestimmte fehlgeleitete körpereigene Immunzellen, sog. autoreaktive T-Lymphozyten, zerstört werden. Gefunden wurden in zerstörten Langerhans’schen Inseln des Pankreas allerdings nicht nur eingewanderte CD4+-T-Helferlymphozyten1 und zytotoxische CD8+-T-Killerlymphozyten [1], sondern auch wahre «Cocktails» unterschiedlicher Autoantikörper gegen Bestandteile der insulinproduzierenden Zellen oder auch gegen Insulin. Die wichtigsten dieser Autoantikörper sind in Tab. 1 genannt. Wie kommt es zur Entwicklung Auf der Suche nach den Ursachen von Typ-1-Diabetes ABBILDUNG 1: Langerhans’sche Insel mit insulinproduzierenden -Zellen im Pankreas. (Histologisches Präparat, Färbung: Hämatoxylin-Eosin.) Beim erwachsenen Menschen gibt es ca. 1-2 Millionen solcher Inseln im Pankreasgewebe. Jede Insel ent- 1 18 CD steht für cluster of differentiation. Zusammen mit nachfolgenden Ziffern und Zeichen dient dies zur Charakterisierung immunkompetenter Zellen hinsichtlich hält etwa 3000 Zellen. Sind über 80 % der insulinproduzierenden -Zellen zerstört, entwickelt sich ein Typ-1-Diabetes. Die Abbildung wurde uns freundlicherweise von Erika Novotny zu Verfügung gestellt. Zelltyp (Differenzierungsantigene, Oberflächenrezeptoren) und Funktionszustand (z. B. Aktivierung). TABELLE 1: Wichtige Autoantikörper, die bei der Entwicklung eines Typ-1-Diabetes eine Rolle spielen. Bezeichnung Abkürzung Antigen ICA Zytoplasma von Inselzellen im Pankreas GADA Isoform des Enzyms Glutaminsäure-Decarboxylase zytoplasmatische reagieren mit Antigenen im Inselzell-Antikörper Autoantikörper gegen GAD Antikörper gegen die 65kDa (GAD von engl.: glutamic acid decarboxylase) Insulin-Autoantikörper IAA gegen körpereigenes Insulin Tyrosinphosphatase IA-2 gegen die intrazytoplasmatische Region der Tyrosinphosphatase einer solchen Autoimmunerkrankung? Sowohl vererbbare als auch umweltbedingte Faktoren spielen eine Rolle. Für einen großen Einfluss umweltbedingter Faktoren sprechen z. B. die beträchtlichen Unterschiede des Auftretens von Typ-1-Diabetes von Land zu Land. Sehr geringe Erkrankungsraten wurden in der asiatischen Bevölkerung gefunden. In Finnland dagegen rechnet man mit 35 Erkrankungsfällen auf 100 000 Einwohner im Alter unter 15 Jahren pro Jahr bei einer Prävalenz2 der Erkrankung von 0,4 %. Diese Situation ist schon in den baltischen Nachbarstaaten ganz anders. Obwohl die Bevölkerung Estlands derjenigen Finnlands ethnisch sehr ähnlich ist, beträgt die Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs der Erkrankung hier nur ein Drittel von der in Finnland [2]. Als Umweltfaktoren werden z. B. die Ernährung im Säuglings- und Kleinkindalter sowie Infektionen mit Viren diskutiert. So enthält das virale Protein P2C von CoxsackiB4-Viren (CVB4) Bereiche, die dem Enzym Glutaminsäure-Decarboxylase (GAD von engl.: glutamic acid decarboxylase) ähneln, welches in den Langerhans’schen Inseln vorkommt [3, 4]. Dieses Enzym ist für die Synthese des biogenen Amins Gammaaminobuttersäure (GABA) verantwortlich. Coxsacki-Viren, so benannt nach der US-amerikanischen Stadt, in der sie 1948 erstmals isoliert wurden, sind weltweit verbrei- Molekulares Mimikry mit fatalen Folgen 2 Häufigkeit des Vorkommens einer bestehenden Krankheit in einer Population zu einer bestimmten Zeit. Typ-1-Diabetes: Ursachen und Vorbeugung 19 tet. Sie verursachen gehäuft im Sommer und Herbst so unterschiedliche Krankheitsbilder wie Hirnhautentzündung, Herzmuskelentzündung, grippale Infekte, Atemwegsinfektionen, Durchfälle oder Ekzeme. Das molekulare Mimikry des oben genannten Proteins mit Bestandteilen spezieller Coxsacki-Viren hat fatale Folgen: Die natürliche Selbsttoleranz, die normalerweise die körpereigenen Immunzellen, die T-Lymphozyten, davon abhält, sich gegen körpereigenes Gewebe zu richten, wird gebrochen. Dies führt zur Zerstörung der -Zellen im Pankreas. Autoantikörper gegen die 65 kDa-Isoform des Enzyms GAD können schon Jahre vor dem Auftreten eines Typ-1-Diabetes nachgewiesen werden. Sie wurden bei 70-80 % der Typ-1-Diabetes-Patienten gefunden [5]. Forscher der Guy’s, King’s and St Thomas Hospital School of Medicine haben erst kürzlich publiziert, dass T-Lymphozyten von Patienten mit Typ-1-Diabetes sehr viel stärker auf die Hüllproteine VP1, VP2, VP3 sowie auf das P2C-Protein von CVB4 reagierten als gesunde Kontrollpersonen. Die Reaktion fiel umso heftiger aus, je kürzer die Diagnosestellung Typ-1-Diabetes zurücklag [6]. Untersuchungen an Zwillingen, eineiigen und zweieiigen, sind von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, den Beitrag vererbbarer und umweltbedingter Faktoren zu ergründen, die zum Ausbruch einer Autoimmunerkrankung führen. Bei der Mehrzahl eineiiger Zwillinge mit einer Autoimmunerkrankung ist nur ein Zwilling betroffen. Manchmal tritt eine Autoimmunerkrankung beim zweiten Zwilling erst nach Jahren auf; sehr oft aber auch nicht. So zeigte eine Studie mit eineiigen Zwillingen, bei denen einer an Typ-1-Diabetes erkrankt war, dass nach 40 Jahren die Mehrheit der jeweils anderen Zwillinge nicht daran erkrankt war [8]. Bedeutet dies nun: Es gibt keine genetischen Ursachen für die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes? Nein, denn eineiige Zwillinge sind genetisch nicht identisch, zumindest nicht ihre Baupläne für die Rezeptoren auf T-Lymphozyten sowie für die von den B-Lymphozyten gebildeten Antikörper betreffend. Auch wenn die Zwillinge gemeinsam aufwachsen, werden sie bezüglich ihrer zellulären und humoralen Antwort des Immunsystems nicht identisch sein können. Unendlich wertvoll: Untersuchungen an Zwillingen 20 Vielfalt der Antikörper Im Blut eines Menschen zirkulieren viele verschiedene B-Lymphozyten, mit jeweils unterschiedlichen Anweisungen für den Bau von Millionen verschiedener spezialisierter Antikörper. Die immense Vielfalt der möglichen unterschiedlichen Antikörper, die ein Mensch bilden kann, resultiert aus einer Neukombination (Rearrangement) von wenigen Genen, welche die Bauplananweisungen für verschiedene Antikörperregionen aufweisen. B-Lymphozyten, die durch Kontakt mit einem Antigen dazu stimuliert werden, sich zu einer antikörperproduzierenden Plasmazelle umzuwandeln, können außerdem durch so genannte somatische Mutationen verändert sein. Daher sind selbst bei eineiigen Zwillingen Antikörper mit gleicher Spezifität, aber unterschiedlicher Primärstruktur zu erwarten [7]. Eine ähnliche genetische Steuerung der Antikörperproduktion weisen eineiige Zwillinge auch dann auf, wenn sie getrennt aufwachsen. So fand man beim gesunden Zwillingspartner eines eineiigen Zwillingspaares sehr viel öfter Kombinationen von Autoantikörpern, die mit dem Auftreten eines Typ-1-Diabetes assoziiert sind, als beim gesunden Zwillingspartner eines zweieiigen Zwillingspaares, von denen einer an Typ-1-Diabetes erkrankt war [8]. Unterschiede der T-Lymphozyten Auch das Repertoire möglicher Rezeptoren auf der Oberfläche von T-Lymphozyten, die eine Art Angelhaken für Eindringlinge darstellen, hängt nicht nur von der genetischen Ausstattung ab, die einem Menschen bei der Zeugung mitgegeben wurde, sondern u.a.: ❚ von der Prägung der T-Lymphozyten im Thymus und ❚ vom Kontakt mit stimulierenden Faktoren, z. B. mit Antigenen. Dies bedeutet, dass ständig neue Baupläne für diese Rezeptoren durch Wechselwirkungen von T-Lymphozyten mit Eindringlingen erstellt werden. Auch die enorme Vielfalt der T-Zell-Rezeptoren wird durch eine Neuordnung von Genabschnitten erreicht. Diese Neuordnung erfolgt vor der Synthese der betreffenden Peptidketten des Rezeptors. Möglicherweise besteht der Unterschied der Autoimmunantwort von eineiigen Zwillingen, bei denen nur einer erkrankte, auch nicht hinsichtlich T-Zell-Rezeptor-Erkennung von (vermeintlich körperfremden) Antigenstrukturen, sondern in funktionellen Unterschieden der T-Lymphozyten. So wurden beispielsweise die Häufigkeit des Auftretens und die Wirkungs- Typ-1-Diabetes: Ursachen und Vorbeugung 21 Empfindliches Gleichgewicht der T-Helferzellen T-Helfer-Lymphozyten, auch kurz als T-Helferzellen bezeichnet, setzen nach Kontakt mit einem Antigen zahlreiche Botenstoffe, sog. Lymphokine, frei. Mittels dieser Lymphokine regen sie beispielsweise B-Lymphozyten, die verschiedene Antikörper produzieren, zur Vermehrung an. Diese Lymphokine sind aber auch für die Immunantwort vom verzögerten Typ verantwortlich. Je nachdem, welche Botenstoffe freigesetzt werden, unterscheidet man verschiedene Subtypen von T-Helferzellen, die sich wiederum auch gegenseitig durch die freigesetzen Botenstoffe beeinflussen (siehe Abb. 2). Die zwei wichtigsten großen Untergruppen sind die Th1-Zellen, auch inflammatorische CD4+-T-Zellen genannt, und die Th2-Zellen. Th1-Zellen produzieren: ❚ Interleukin (IL)-2, ❚ Interferon (IFN)- sowie ❚ Tumornekrosefaktor (TNF). wort wird herunter- und die Antikörperproduktion hinaufreguliert. Die beiden Zellsubklassen üben durch ihre jeweilige Zytokinproduktion eine hemmende Wirkung aufeinander aus, so dass zu einem gegebenen Zeitpunkt jeweils einer der beiden erwähnten Mechanismen der Immunabwehr bei einem (auto-)immunen Prozess zum Tragen kommt. Einige der Zytokine wirken auch als autokrine Wachstumsfaktoren. So regt IFN-, produziert von Th1-Zellen, z. B. die Vermehrung der Th1-Zellen an, während es die Vermehrung von Th2-Zellen hemmt. Das von den Th2-Zellen produzierte IL-10 blockiert wiederum die Aktivierung von Th1-Lymphozyten. Bei zahlreichen Autoimmunerkrankungen wird ein gestörtes Gleichgwicht zwischen diesen beiden Subklassen an THelferzellen diskutiert. Therapeutische Ansätze zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen, mittels Eingreifen IFN-γ Antigene Antigene Antigenpräsentierende Zellen Antigenpräsentierende Zellen IL-4, IL-10 Botenstoffe IFN-γ IFN-γ IL-2 TNF IL-4, IL-5, IL-6, IL-10, IL-13 B-Zellen IgE Eosinophile Mastzellen Botenstoffe IL-4 IL-10 MakrophagenAktivierung Immunantwort vom verspäteten Typ zytotoxische CD8-Zellen 22 ABBILDUNG 2: Das Verhältnis der Th1- zu Th2Lymphozyten wird nicht nur durch die Antigenkontakte, sondern auch durch die von ihnen produzierten Botenstoffe wechselseitig gesteuert. Die grauen Pfeile kennzeichnen stimulierende Wechselwirkungen. Die grünen Pfeile markieren hemmende Interaktionen. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Immunantwort vom verzögerten Typ, der Aktivierung von Makrophagen und der Reifung von zytotoxischen CD8-Vorläuferzellen (Aktivierung der zellulären Immunantwort). Th2-Zellen produzieren die ❚ Interleukine (IL)- 4, 5, 6, 10, 13 [11]. Sie beeinflussen damit die Reifung der B-Lymphozyten zu antikörperbildenden Plasmazellen. Die zelluläre Immunant- in die Regelung dieses Verhältnisses, befinden sich in der Untersuchung [11]. So sollte die selektive Erhöhung der Th2-Lymphozyten die durch Th1-Lymphozyten hervorgerufenen Gewebeschädigungen bei chronischen Autoimmunerkankungen wie z. B. Rheumatoide Arthritis, Typ-1-Diabetes, Multiple Sklerose oder Autoimmun-Thyreoditis zurückdrängen können. weise von so genannten CD4-CD8-V24J-T-Lymphozyten bei Geschwistern und eineiigen Zwillingen mit Typ-1-Diabetes untersucht. Diese speziellen T-Lymphozyten spielen wahrscheinlich eine bedeutende Rolle bei der Steuerung der Th1-Lymphozyten (siehe Kasten). Die CD4-CD8-V24J-T-Lymphozyten der von Typ-1-Diabetes betroffenen Personen gaben nach Stimulierung nur Interferon- (IFN-) ab, während diese speziellen T-Zellen von Nichtdiabetikern und auch die von nicht erkrankten eineiigen Zwillingspartnern von Patienten mit Typ1-Diabetes die Botenstoffe Interleukin-4 und IFN- absonderten. Der Verlust dieser Zellen, den Botenstoff IL-4 abzugeben, war also mit dem Auftreten eines insulinabhängigen Diabetes assoziiert. Da eineiige Zwillinge so unterschiedlich reagierten, ist unwahrscheinlich, dass es sich um eine vererbbare Veränderung der Zellen handelt. Nun muss untersucht werden, ob die Beeinflussung der Th1-Lymphozyten durch diese CD4-CD8V24J-T-Lymphozyten eine Voraussetzung oder eine Folge dieser Erkrankung ist [8, 9]. Zudem wurde beobachtet, dass Pankreastransplantate von einem eineiigen nichtdiabetischen Zwillingsspender in einen diabetischen Zwillingsempfänger durch einen Autoimmunprozess zerstört werden [10]. Weitere intensive Untersuchungen des Zwillingspartners von Patienten mit Typ-1-Diabetes haben eine Reihe von immunologischen Veränderungen ergeben, die im Zusammenhang mit der Erkrankung stehen und die, in unterschiedlichem Ausmaß, auch einen Vorhersagewert haben. Dazu zählen beispielsweise: ❚ Autoantikörper gegen Bestandteile (Antigene) im Zytoplasma der Zellen in den Langerhans’schen Inseln (siehe Abb. 3), ❚ Aktivierung von T-Lymphozyten (besonders von zytotoxischen CD8+-T-Zellen), ❚ vermehrte Bildung von CD45RA (einem Marker für das Vorhandensein unreifer T-Lymphozyten), ❚ erhöhte Serumspiegel von Zytokinen, die von Makrophagen freigesetzt werden, ❚ eine beeinträchtigte Glukosetoleranz sowie ❚ eine verminderte Insulinantwort auf eine intravenöse Glukosegabe [8]. Die Untersuchung der HLA3-Antigene DR3 und DR4 auf der Oberfläche von Immunzellen bei Geschwistern von Patienten 3 HLA = Humane Leukozyten-Antigene. Vererbbare Oberflächenmerkmale auf weißen Blutzellen. Typ-1-Diabetes: Ursachen und Vorbeugung 23 IA-2 GADA IA-2 GADA 1 2 3 1 3 1 31 11 16 4 1 5 5 1 ICA ICA b a ABBILDUNG 3: Zahl der Patienten, bei denen einer oder mehrere Autoantikörper nachgewiesen wurden. (Bedeutung der Abkürzungen siehe Tab. 1.) a) Bei einer Gesamtzahl von 60 untersuchten Patienten mit erst kurz zuvor bestätigtem Typ-1-Diabetes waren bei vier Patienten keine dieser Autoantikörper nachzuweisen, während über die Hälfte der Patienten alle drei Autoantikörper aufwiesen. b) Dies traf auch für die untersuchten Zwillingspartner von 30 eineiigen Zwillingspaaren zu, bei denen einer der Geschwister an Typ-1-Diabetes erkrankt war. Nur ein Zwilling, dessen Zwillingspartner an Typ-1-Diabetes erkrankt war, wies in dieser Untersuchung keine Autoantikörper auf. Abbildung mit Modifikationen entnommen aus [12]. mit Typ-1-Diabetes ist laut [6] sinnvoll. Das Risiko der Entwicklung eines Typ-1-Diabetes beträgt 30 % bei Vorhandensein beider Merkmale DR3 und DR4 und 20 % bei Auftreten von nur DR3 oder DR4 [6]. Auch andere Studien über Krankheitsrisikofaktoren bei Verwandten ersten Grades von Menschen mit Typ-1-Diabetes konnten wichtige Einblicke in die Pathogenese dieser Erkrankung gewähren. So geschieht die autoimmune Prägung der TLymphozyten gegen die insulinproduzierenden -Zellen offenbar sehr frühzeitig im Leben. Daher wurde große Aufmerksamkeit auf die Untersuchung eines möglichen Zusammenhangs zwischen der Dauer des Stillens und dem Risiko der Entwicklung eines Typ-1-Diabetes gelegt. 13 Fall-Kontroll-Studien ergaben einen Zusammenhang zwischen der Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Typ-1-Diabetes und einer Stilldauer vor weniger als drei Monaten. Auf der Suche nach den spezifischen Ist die Dauer des Stillens bedeutsam für die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes? 24 Bestandteilen der Kuhmilch, die für den Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Kuhmilch und dem Auftreten eines Typ-1-Diabetes verantwortlich sein könnten, konzentrierte man sich zunächst auf das Protein BSA, von engl.: bovine serum albumin, da bei den meisten Menschen mit Typ-1-Diabetes Antikörper gegen dieses Protein gefunden wurden. Ein weiteres näher untersuchtes Kuhmilchprotein war Casein. In der Kuhmilch macht es mit 80 % den Hauptanteil der Proteine aus. In der Milch des Menschen stellt Casein nur 20 % des gesamten Proteingehaltes dar. 35 % des Caseins der Kuhmilch ist Casein4. Das -Casein der humanen Milch und der Kuhmilch ist nicht völlig identisch. Forscher haben herausgefunden, dass Patienten mit Typ-1-Diabetes im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen oder Patienten mit autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen auf die Exposition gegenüber -Casein der Kuhmilch mit einer verstärkten Bildung von T-Lymphozyten reagierten. Weiterhin konnte bei Patienten mit erst kürzlich festgestelltem Typ-1-Diabetes ein signifikant höherer Antikörpertiter gegen -Casein als bei Gesunden festgestellt werden. Dies lässt stark vermuten, dass -Casein am Entwicklungsprozess eines Typ-1-Diabetes beteiligt sein könnte. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der für -Zellen spezifische Glukosetransporter GLUT-2 Aminosäuresequenzhomologien mit dem -Casein der Kuhmilch, nicht aber mit dem der humanen Milch aufweist. Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes wurden T-Lymphozyten gefunden, die sich gegen GLUT-2 richten. Sequenzhomologien existieren auch zwischen dem -Casein der Kuhmilch und verschiedenen Molekülen, die in den -Zellen vorkommen, wie p69 und Carboxypeptidase, beides mögliche Autoantigene bei der Entwicklung eines Typ-1-Diabetes [13]. In Italien wurde im Zeitraum 1999 bis Frühjahr 2002 eine nationales Präventionsprogramm, das Diabfin5-Projekt durchgeführt. Dabei wurden Neugeborene mittels eines einfachen Bluttestes (siehe Kasten) auf genetische Hoch-Risiko-Marker für die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes getestet. Neugeborene mit einem erhöhten Risiko wurden innerhalb der PREVEFIN-Präven- Lässt sich die Ausprägung eines Typ-1-Diabetes verhindern? 4 Es gibt vier unterschiedliche Caseinformen: -,-,- und -Casein. 5 von engl.: Diabetes Finalised Italian Network. Typ-1-Diabetes: Ursachen und Vorbeugung 25 tionsstudie weiter betreut, d. h. wenn sie nicht gestillt wurden, erhielten sie bis zu einem Jahr nach der Geburt entweder Kuhmilchhydrolysat ohne Casein, oder eine Vitamin-D-Ergänzung (siehe Artikel zur protektiven Wirkung von Vitamin-D-Präparaten). Im Alter von zwei Jahren wurden die Kleinen dann auf Autoantikörper gegen Inselzellbestandteile als Marker einer Autoimmunität getestet. Dies wurde mit dem Antikörperstatus von entsprechenden Probanden ohne die Hoch-Risiko-Allele verglichen. In die Auswertung der Untersuchungen wurden auch die in Tab. 2 gezeigten Umweltfaktoren einbezogen [14]. Es zeigte sich dabei beispielsweise, dass die Länge der Schwangerschaft bei den Probanden mit einem aufgrund der HLA-Ausstattung hohen Typ-1-Diabetes-Risiko kürzer gewesen war als bei den Individuen mit einem geringen Risiko, und dies bei vergleichbarem Geburtsgewicht. Wurden die Kinder in den ersten vier Monaten gestillt, bildeten sie keine Antikörper gegen das Casein der Kuhmilch. Die Verknüpfung eines primären Screenings auf genetische Risikofaktoren und klinische Präventionsstudien zur Bekämpfung der Krankheitsausprägung stellt einen so viel versprechenden Ansatz zur Bekämpfung des Typ-1-Diabetes dar, dass weitere Studien geplant wurden. So haben das NIH (National Institutes of Health), die EASD (European Association for the Study of Diabetes) und die JDRFI (Juvenile Diabetes Research Foundation International) 2002 die weltweite Typ-1-Diabetes-Präventionsstudie TRIGR initiiert, die sie mit 30 Millionen US-Dollar unterstützen. Innerhalb dieser Studie werden 3000 Neugeborene mit mindenstens einem an Typ-1-Diabetes erkrankten Elternteil in zwei Gruppen aufgeteilt. Sobald die Mutter mit Stillen aufhört bzw. sobald mit der zusätzlichen Gabe von einem Kuhmilchprodukt begonnen wird, erhalten die Kleinen TABELLE 2: Umweltfaktoren, die innerhalb des Diabfin-Programms in die Auswertung miteinbezogen wurden. Ereignisse während der Ereignisse während der Ereignisse während der Schwangerschaft Neugeborenenperiode frühen Kindheit Arzneimitteleinnahmen Art der Entbindung Infektionen Erkrankungen der Mutter Behandlungen nach der Geburt Krankheiten Gewohnheiten der Mutter (z. B. Rauchen) Infektionen Stilldauer Länge der Schwangerschaft Krankheiten Abstillen Einführung anderer Nahrungsmittel als Muttermilch 26 Genetische Untersuchung innerhalb des DiabfinProjektes an Neugeborenen bezüglich des Risikos, einen Typ-1-Diabetes zu entwickeln Das Erbgut der neuen Erdenbürger wurde mittels eines einfachen Bluttestes untersucht. Hierbei gelangten die PCR-Technologie (von engl.: polymerase chain reaction) zur Vervielfältigung bestimmter in der Probe enthaltenden Genabschnitte sowie gebundene SSO (von engl.: sequence-specific oligonucleotide)-Sonden in linearer Anordnung zum Nachweis bestimmter Gensequenzen zur Anwendung. Der Test wurde von Roche Diagnostics, Alameda, Kalifornien, entwickelt. Mit diesem Test wurde nach dem Vorhandensein der mit einem sehr hohen Risiko behafteten Genotyp-Merkmale DR3-DQB1*0201/DR4DQB1*03026 zur Entwicklung eines Typ-1-Diabetes gefahndet. Diese Diabetes-Risiko-Untersuchung erforderte nur 25 l Nabelschnurblut. Es wurde mit den Primern für die HLADRB1- und die DQB1-Loci und anderen Reagenzien zum Start einer PCR-Reaktion gemischt und die Reaktion in Gang gesetzt. Das Amplifikat, d.h. die durch die PCR vervielfältigten einsträngigen DNS-Abschnitte, wurden dann mit den an einen Nylonstreifen gebundenen SSO-Sonden in Kontakt gebracht. Waren die aus der Probe stammenden DNSAbschnitte und die Sonden komplementär, so konnten sie sich aneinander anheften, sie hybridisierten. Diese Hybridisierung wurde durch eine Farbreaktion angezeigt (siehe Abb. 4). Der Genotyp des Individuums bezüglich interessierender Merkmale konnte so anhand des Musters der hybridisierten Sonden ermittelt werden. In diesem Fall zeigten blaue Linien auf dem Teststreifen positive Signale an. ABBILDUNG 4: Blaue Linien auf dem Teststreifen zeigen eine Hybridisierung, d. h. die Anheftung einer einsträngigen DNS-Sonde an einen einsträngigen DNS-Abschnitt aus der zu untersuchenden Probe, an. der einen Gruppe ein weniger antigenes Kuhmilchhydrolysat. Die Mitglieder der Kontrollgrupppe dagegen erhalten ein herkömmliches Kuhmilchprodukt. Nach zwei Jahren werden die Probanden auf Inselzellantikörper und im Alter von 10 Jahren auf das Auftreten einer Typ-1-Diabetes-Erkrankung untersucht. 6 Dieser Genotyp führt zur Ausbildung der bereits erwähnten Antigene DR3 und DR4 auf der Oberfläche von Immunzellen. Typ-1-Diabetes: Ursachen und Vorbeugung 27 Quellen 1. Mathis, D., Vence, L., Benoist, C.: -Cell death during progression to diabetes. Nature 414: 792–798, 2001 2. Zimmet, P., Alberti, K.G.M.M., Shaw, J.: Global and societal implications of the diabetes epidemic. Nature 414: 782–787, 2001 3. Zimmet, P.: The challenge of diabetes; in: The Medical Challenge Herausgeber E. P. Fischer und G. Möller, Piper Verlag GmbH, München, 1997 4. Varela-Calvino, R., Sgarbi, G., Arif, S., Peakman, M.: T-Cell reactivity to the P2C nonstructural protein of a diabetogenic strain of coxsackievirus B4. Virology 274(1): 56–64, 2000 5. 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