Kann die kontinuierliche Glukosemessung die Insulinbehandlung verbessern? (PantherMedia / Phovoi R.)Bei insulinpflichtigem Diabetes kann die Messung des Gewebezuckers (kontinuierliche Glukosemessung, CGM) zusätzlich zur Blutzuckermessung den Behandlungserfolg verbessern: Die CGM hilft, den Blutzucker verlässlich zu senken, ohne dass mehr schwere Unterzuckerungen auftreten. Bei Menschen mit insulinpflichtigem Diabetes stellt die Bauchspeicheldrüse zu wenig oder gar kein Insulin her. Das fehlende Hormon zu spritzen, ist für sie die einzige Möglichkeit, ihren Blutzucker ausreichend zu senken. Insulinpflichtig sind Menschen mit Typ-1-Diabetes, manchmal sind auch Menschen mit Typ-2Diabetes aufInsulin angewiesen. Insulin wird entweder mehrmals täglich gespritzt oder über eine Insulinpumpe kontinuierlich zugeführt. Dabei ist es wichtig, weder zu viel noch zu wenig Insulin zu geben: Ist die Menge zu groß, droht eine Unterzuckerung (Hypoglykämie). Ist sie zu klein, steigt der Blutzucker stark an (Hyperglykämie). Ein optimal eingestellter Blutzucker hilft, die kleinen Blutgefäße von Augen, Nieren und Nerven vor Schäden zu schützen und langfristige Folgen zu vermeiden. Bei der sogenannten intensivierten Insulinbehandlung wird die Insulinmenge an den Tagesablauf angepasst: Für die Basisversorgung des Körpers wird eine feste Insulinmenge gespritzt, der Rest wird flexibel an den Blutzuckerspiegel, die Essensmenge und die körperliche Bewegung angepasst. Dies setzt voraus, dass man mehrmals täglich den Blutzucker misst. Kontinuierliche Zuckermessung im Gewebe Eine andere Möglichkeit zur Zuckerkontrolle bieten Geräte, die den Zuckergehalt kontinuierlich messen – allerdings nicht im Blut, sondern im Unterhautfettgewebe. Dies wird „kontinuierliche Glukosemessung“ (CGM) oder auch „kontinuierliche interstitielle Glukosemessung“ genannt. „Interstitiell“ bezeichnet den Raum zwischen Zellen oder Gewebeschichten. Ein CGM-System besteht aus zwei kleinen Geräten mit folgenden Bestandteilen: einem Sensor mit einem kleinen Sender, der auf die Haut geklebt wird. Der fadenförmige Sensor wird über eine Einstechhilfe in das Unterhautfettgewebe eingeführt, beispielsweise am Bauch. Er wird in regelmäßigen Abständen gewechselt. einem kleinen Gerät, das beispielsweise am Gürtel getragen wird und die Daten empfängt, speichert und auf einem Bildschirm anzeigen kann. CGM-System: kontinuierliche Zuckermessung im Unterhautgewebe Das System misst alle paar Minuten den Zuckerwert im Gewebe und kann bei zu hohen oder zu niedrigen Werten Alarm geben. Im Gegensatz zur herkömmlichen Blutzuckermessung überwachen CGM-Geräte den Zuckerspiegel also rund um die Uhr. Sie zeigen, wohin sich der Blutzuckerspiegel bewegt und helfen so, einer drohenden Unter- oder Überzuckerung gegenzusteuern. Die gespeicherten Daten können auch auf einen Computer übertragen und ausgedruckt werden. So kann die Ärztin oder der Arzt die Einstellung des Zuckers prüfen und, wenn nötig, verbessern. Ohne die Blutzuckermessung kommt die kontinuierliche Zuckermessung im Gewebe aber nicht aus. Da die Werte nicht unmittelbar mit den Blutzuckerwerten übereinstimmen, werden CGM-Geräte regelmäßig, zum Beispiel alle zwölf Stunden, mithilfe von Blutzuckermessungen geeicht. Außerdem zeigen CGM-Geräte Blutzuckerschwankungen, etwa durch Sport oder Essen, nur verzögert an: Es dauert etwa 5 bis 20 Minuten, bis Veränderungen des Blutzuckerspiegels auch im Unterhautfettgewebe gemessen werden können. Wer sofort wissen möchte oder muss, wie viel Insulin er gerade benötigt oder ob eine Unterzuckerung droht, muss deshalb zusätzlich seinen Blutzucker messen. Viele CGM-Geräte können zusammen mit einer Insulinpumpe verwendet werden. Bei einigen können beide Geräte auch über eine gemeinsame Anzeige bedient werden. Eines dieser Kombinationsgeräte kann die Insulinpumpe stoppen, wenn der Zuckerwert eine bestimmte Schwelle unterschreitet, um eine Unterzuckerung zu vermeiden (Lowglucose-suspend-Funktion, kurz LGS-Funktion). CGM-Gerät mit Insulinpumpe Studien zur kontinuierlichen Glukosemessung Welche Vor- und Nachteile hat die zusätzliche kontinuierliche Messung des Gewebezuckers im Vergleich zur herkömmlichen Blutzuckermessung? Kann sie die Insulinbehandlung tatsächlich besser steuern als die Blutzuckermessung allein? Diesen Fragen sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nachgegangen. Sie haben nach Studien gesucht, die beide Möglichkeiten zur Kontrolle des Zuckerspiegels miteinander vergleichen: die kontinuierliche Gewebezuckermessung (in Verbindung mit der Blutzuckermessung) mit Geräten, die die Messwerte auf einem Display anzeigen (Real-Time-CGM) und die herkömmliche Blutzuckermessung. Die Wissenschaftlergruppe fand 13 randomisierte kontrollierte Studien, die untersucht haben, ob die zusätzliche kontinuierliche Zuckermessung im Gewebe besser abschneidet als die Blutzuckermessung allein. Die Studien dauerten mindestens 24 Wochen. Es nahmen fast ausschließlich Personen mit Typ-1-Diabetes teil. Bei den meisten Studienteilnehmern handelte es sich um Erwachsene jungen oder mittleren Alters sowie Kinder im Schulalter. Alle Studienteilnehmer wendeten die intensivierte Insulintherapie an und wurden nach dem Zufallsprinzip einer der beiden Gruppen zugeteilt. Vorteile der Gewebemessung Die Studien bestätigen: Mit der zusätzlichen Überwachung des Gewebezuckers lässt sich die Blutzuckerkontrolle verbessern. Im Vergleich zur herkömmlichen Blutzuckermessung sorgt die kontinuierliche Glukosemessung dafür, dass der HbA1cWert sinkt, ohne dass mehr schwere Unterzuckerungen auftreten. Schwere Unterzuckerungen sind problematisch, weil man dabei nicht mehr in der Lage ist, sie allein zu beheben und auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Der HbA1c-Wert gibt an, wie hoch der Blutzucker in den letzten zwei bis drei Monaten war. Dieser Nutzen gilt vor allem für Erwachsene mit Typ-1-Diabetes und deren Risiko, eine schwere Unterzuckerung zu bekommen. Aber auch für Kinder mit Typ-1-Diabetes gibt es Hinweise, dass sich der Blutzucker mit der zusätzlichen Glukosemessung besser regulieren lässt. Für Patienten mit Typ-2-Diabetes konnte mangels Studien nicht geklärt werden, ob ihnen die zusätzliche kontinuierliche Messung des Gewebezuckers nützt. Keine Aussage zu langfristigen Folgen möglich Allerdings dauerten die Studien nicht lange genug, um vergleichen zu können, wie sich die beiden Verfahren auf Diabetes-Folgen durch Schäden der kleinen Blutgefäße, HerzKreislauf-Erkrankungen oder Todesfälle auswirken. Auch ob die kontinuierliche Glukosemessung die Lebensqualität verbessern kann, ist nicht geklärt. Hier zeigen die Studien kein einheitliches Bild. Weitere mögliche Auswirkungen haben die Studien entweder nicht ausreichend untersucht oder sie sehen keine Vor- oder Nachteile der Gewebezuckermessung im Vergleich zur Blutzuckermessung. Hierzu zählen beispielsweise Beschwerden durch anhaltende Überzuckerung oder durch Überzuckerung bedingte schwerwiegende Stoffwechselentgleisungen bis hin zum Koma. Einen möglichen Nachteil konnte die Wissenschaftlergruppe ableiten: Die Studien lassen vermuten, dass mehr Personen mit leichten Hautreizungen im Bereich des Sensors zu tun haben, wenn sie den Zuckerwert im Gewebe kontinuierlich bestimmen verglichen mit der Blutzuckermessung. Varianten der Gewebemessung Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich auch mit der Frage beschäftigt, was passiert, wenn der Gewebezucker nur zeitweise gemessen wird, beispielsweise nur in jeder zweiten Woche im Vergleich zur durchgängigen Anwendung. Eine andere Frage lautete, ob eine Kombination aus CGM-System und Insulinpumpe mit LGS-Funktion im Vergleich zur Blutzuckermessung Vorteile mit sich bringt. Die Wissenschaftlergruppe fand jedoch zu wenig aussagekräftige Untersuchungen, um diese Fragen zu beantworten. Welche Vor- oder Nachteile die beiden Varianten im Vergleich haben, bleibt daher offen.