14.05.2004 9:37 Uhr Seite 87 Ein neuer Pfad der Immunaktivierung A new pathway of immune activation Institut für Molekulare Immunologie Ralph Mocikat (GSF), Martin Röcken (Hautklinik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen) irus-infizierte oder maligne Zellen exprimieren Moleküle des Haupt-Histokompatibilitäts-Komplexes der Klasse I (MHC-I) oft in verringerter Dichte und werden deshalb in der Regel von T-Lymphozyten ignoriert. Natürliche Killerzellen (NK-Zellen) jedoch sind in der Lage, solche Zellen zu erkennen und zu lysieren. In einem MausTumormodell wurde nun gezeigt, dass die Elimination solcher Zellen durch NK-Zellen zu einem lange anhaltenden, T-Zell-abhängigen immunologischen Gedächtnis führt. Aktivierte NK-Zellen setzen eine Kaskade in Gang, die durch dendritische Zellen und sequenzielle Expression verschiedener Zytokine vermittelt wird und schließlich zytotoxische T-Lymphozyten induziert. V urface expression of major histocompatibility complex class I (MHC-I) molecules is often downregulated in virally infected or malignant cells. Therefore, these cells are mostly ignored by T-lymphocytes. Natural killer cells (NK cells), however, are capable of recognizing and destroying such cells. We were able to show in a mouse tumour model that NK cell-mediated cell elimination gives rise to a long-lasting T-cell-dependent immunological memory. The induction of cytotoxic T-lymphocytes (CTL) is the end-point of a cascade that is initiated by activated NK cells. This pathway is mediated by dendritic cells and by the sequential expression of various cytokines. S Aktuelle Themen 087_090_imi_akt.qxd Hintergrund Der Organismus verfügt über ein angeborenes und ein adaptives (erworbenes) Immunsystem. Das angeborene Immunsystem ist die erste Abwehrlinie gegen krankmachende Agentien. Es vermag Mikroorganismen zu eliminieren, ohne dass vorher ein Kontakt mit diesen stattgefunden haben muss. Verantwortliche Effektoren dafür sind Makrophagen, Monozyten, Mastzellen und NKZellen. Demgegenüber entsteht die adaptive Immunantwort als Anpassung an ein spezifisches Antigen eines pathogenen Agens. Während das angeborene Immunsystem der unspezifischen Sofortabwehr dient, entwickelt sich die Antwort des adaptiven Immunsystems als Ergebnis einer Auseinandersetzung mit dem Erreger. Diese Antwort, die wiederum Effektormechanismen des angeborenen Immunsystems aktiviert, kann ein immunologisches Gedächtnis ausbilden, also einen lange anhaltenden spezifischen Schutz vor dem Pathogen vermitteln. Die adaptive Immunantwort beruht u.a. auf zytotoxischen T-Lymphozyten (ZTL), die mittels bestimmter Oberflächenrezeptoren (T-Zell-Rezeptoren) Antigene spezifisch erkennen können, wenn ihnen diese gemeinsam mit Molekülen des MHC-I präsentiert werden. Im Prinzip sind die ZTL des adaptiven Immunsystems in der Lage, Virus-infizierte Zellen oder Krebszellen zu entdecken und zu zerstören. Denn solche Zellen exprimieren oft Antigene, die als Fremdstrukturen erkannt werden können. Krankhaft veränderte Zellen entziehen sich jedoch meist diesem GSF 87 087_090_imi_akt.qxd 14.05.2004 9:37 Uhr Seite 88 tumorfreie Mäuse (%) 50 A20-niedrig A20-niedrig + NK-Zell-Depletion tumorfreie Mäuse (%) A 100 100 0 0 50 100 150 200 250 Immunisierung am Tag-100 A20-niedrig 106 Zellen 50 A20-niedrig 105 Zellen Kontrolle ohne Immunisierung 0 300 0 50 Tage nach Tumorgabe Angriff, indem sie zum Beispiel die MHC-IMoleküle auf ihrer Oberfläche herabregulieren, also in der Anzahl vermindern. Dies bewirken bestimmte Genprodukte, die im Genom von Viren kodiert sind. Fremdantigene werden daher nur noch unzureichend präsentiert. Andererseits ist die Herabregulation von MHC-I-Molekülen ein „Gefahrensignal“, das zur Aktivierung von NK-Zellen führt. Diese können mit Hilfe von Oberflächenrezeptoren fehlendes MHC-I entdecken und die Zielzelle zerstören. Trotz der Suppression des MHC-I kommt es im Verlauf von Virusinfektionen dennoch zu spezifischen, protektiven T-Zell-Reaktionen. Welcher Mechanismus dem zugrunde liegt, war bislang unbekannt. Die NK-Zell-abhängige Tumorabstoßung induziert eine zytotoxische T-Zell-Antwort und ein immunologisches Gedächtnis Uns ist es gelungen, diesen Mechanismus und damit ein neues Bindeglied zwischen angeborener und erworbener Immunantwort aufzudecken. Tumorzellen der Maus wurden mit Genen des Zytomegalie-Virus transfiziert, was sie zu einer selektiven Herabregulation von MHC-I veranlasst. Wie erwartet, lysierten spezifische ZTL diese gentechnisch modifizierten Tumorzellen mit 88 GSF 150 200 B 100 tumorfreie Mäuse (%) Abb. 1.: NK-Zell-abhängige Abstoßung von Tumorzellen mit reduzierter MHC-I-Expression. A20-Lymphomzellen wurden mit Genen des Zytomegalie-Virus transfiziert. Immunkompetente Mäuse stoßen die Tumorvariante (A20-niedrig) ab; dieser Effekt lässt sich über eine durch Antikörper vermittelte Depletion von NK-Zellen aufheben. 100 Tage nach Tumorgabe 50 A20-niedrig A20-niedrig + CD8-T-Zell-Depletion A20-niedrig + NK-Zell-Depletion 0 0 50 100 150 200 Tage nach Tumorgabe Abb. 2.: Induktion zytotoxischer T-Lymphozyten durch A20-Lymphomzellen mit reduzierter MHC-IExpression. (A) Die über NK-Zellen vermittelte Abstoßung der A20-niedrig-Zellen induziert ein immunologisches Gedächtnis. Mäuse wurden mit 106 oder 105 A20-niedrig-Zellen immunisiert und erhielten 100 Tage später eine letale Dosis Wildtyp-Tumorzellen. (B) Für die Abstoßung des A20niedrig-Tumors sind nicht nur NK-Zellen nötig, sondern auch CD8-positive T-Lymphozyten. Die angegebenen Zellpopulationen wurden in vivo mit Hilfe monoklonaler Antikörper drei Tage vor der Injektion von 106 A20-niedrig-Zellen depletiert. wenig MHC-I (MHC-I-niedrig-Zellen) in vitro mit geringerer Effizienz als die parentalen, nicht transfizierten Zellen. Wenn die Tumorvarianten jedoch in Mäuse injiziert wurden, kam es erwartungsgemäß zur Abstoßung durch NK-Zellen, während die parentalen Zellen in 100 Prozent der Tiere Tumoren bildeten. Wurde ein Antikörper verabreicht, der die NK-Zellen beseitigt (depletiert), wuchsen die Tumorvarianten ebenso schnell wie die Wildtypzellen, so dass die Tiere nach durchschnittlich 40 Tagen getötet werden mussten (Abb. 1). Überraschend war der Befund, dass die Mäuse nach der durch NK-Zellen vermittelten Tumorabstoßung ein T-Zell-abhängiges Gedächtnis erworben haben. Erhielten sie 14.05.2004 9:37 Uhr Seite 89 nämlich 100 Tage nach der Gabe der MHC-Iniedrig-Zellen eine letale Dosis von WildtypTumorzellen, so wurden diese ebenfalls abgestoßen. Das Ausmaß der Protektion hing dabei eindeutig von der Zahl der bei der ersten „Immunisierung“ verwendeten MHCI-niedrig-Zellen ab: 106 Zellen vermochten ein potentes immunologisches Gedächtnis zu induzieren, 105 Zellen waren dagegen hierzu nicht in der Lage (Abb. 2A). Wurden die T-Lymphozyten mittels spezifischer Antikörper drei Tage vor Verabreichung der Wildtyp-Tumorzellen unterdrückt, ging das Gedächtnis vollständig verloren. Weiterhin zeigte sich, dass bereits bei der primären Abstoßung der MHC-I-niedrig-Zellen zytotoxische T-Lymphozyten eine wichtige Rolle spielen: Nicht nur die Depletion von NKZellen verhinderte die Abstoßung (Abb. 1 und 2B), sondern auch die Gabe von Antikörpern, die die ZTL selektiv eliminierten (Abb. 2B). Die Induktion spezifischer ZTL scheint also sehr rasch zu erfolgen. A In-vivo-Behandlung DZ NK nicht-NK A20 A20-niedrig A20-niedrig + anti-IFN-γ 0 60 Anstieg IFN-γ-Expression 120 B In-vivo-Behandlung DZ NK nicht-DZ A20 A20-niedrig Aktuelle Themen 087_090_imi_akt.qxd A20-niedrig + anti-IFN-γ 0 300 600 Anstieg IL-12p40-Expression 900 C In-vivo-Behandlung CD3+CD8+ A20 Bindeglied: Dendritische Zellen A20-niedrig Um diesen unerwarteten Befund zu erklären, wurde die Hypothese aufgestellt, dass dendritische Zellen (DZ) ein direktes Bindeglied zwischen dem angeborenen schnellen und dem adaptiven spezifischen Teil der Immunabwehr sind. NK-Zellen, die MHC-Iniedrig-Zellen erkennen und lysieren, werden aktiviert und sezernieren Interferon-γ (IFN-γ). Dieses führt zur Aktivierung von DZ, die wiederum durch Sekretion von Interleukin-12 (IL-12) und durch Präsentation der von den Tumorzellen übernommenen Antigene spezifische zytotoxische T-Lymphozyten induzieren. Um diese Hypothese zu überprüfen, wurden Mäuse mit MHC-Iniedrig-Zellen behandelt und ihre Milzen zu unterschiedlichen Zeitpunkten isoliert. NKZellen, DZ und T-Lymphozyten wurden aus den Milzen mittels präparativer Durchflusszytometrie angereichert und hinsichtlich der Expression ausgewählter Zytokine analysiert (Abb. 3). In NK-Zellen war vier Stunden nach Injektion von MHC-I-niedrig-Zellen eine deutliche IFN-γ-Expression nachweisbar, nicht jedoch in den anderen Zellarten oder nach Injektion von Wildtyp-Tumorzellen. Ein A20-niedrig + anti-IFN-γ 0 60 Anstieg IFN-γ-Expression 120 Abb. 3.: Aktivierung von NK-Zellen, DZ und TLymphozyten als Folge der Injektion von A20Lymphomzellen mit reduzierter MHC-I-Expression. Vier Stunden (A,B) oder vier Tage (C) nach Verabreichung von A20-niedrig- bzw. A20-Wildtyp-Zellen wurden die angegebenen Zellpopulationen separiert, um mittels RT-PCR die Expression von IFN-γ (A,C) bzw. IL-12 (B) zu bestimmen. Die Ergebnisse wurden auf Proteinebene bestätigt. Einzelheiten sind im Text erklärt. in vivo gegebener IFN-γ-neutralisierender Antikörper konnte die IFN-γ-Expression nicht aufheben (Abb. 3A). Zum selben Zeitpunkt trat in DZ, nicht jedoch in den anderen Zellpopulationen, eine Hochregulation der IL-12-Expression auf, die sich durch Neutralisierung des von den NK-Zellen sezernierten IFN-γ rückgängig machen ließ (Abb. 3B). Vier Tage später war die IFN-γ-Expression in den NK-Zellen wieder auf Hintergrundniveau zurückgegangen, jedoch zeigte sich nun eine Aktivierung der T-Zellen. Auch diesen GSF 89 087_090_imi_akt.qxd 14.05.2004 9:37 Uhr Seite 90 selektiv eliminiert wurden, kam es nicht mehr zu einer Aktivierung von T-Zellen. Durch In-vitro-Stimulation war es möglich, aus Tieren, die mit MHC-I-niedrig-Zellen immunisiert worden waren, T-Zell-Linien zu generieren, die eine spezifische Reaktivität gegen den Wildtyp-Tumor zeigten (Abb. 4). IFN-γ (Einheiten/ml) 60 30 Schlussfolgerung Splenozyten Splenozyten + A20 Abb. 4.: Generierung A20-spezifischer T-ZellLinien aus Mäusen, die mit A20-niedrig-Zellen „immunisiert“ wurden. Vier Tage nach Gabe von A20-niedrig-Zellen wurden T-Lymphozyten aus den Milzen isoliert und expandiert. Nach 10 Tagen wurde die Reaktivität gegen A20-Zellen in Gegenwart Antigen-präsentierender Zellen bzw. gegen Milzzellen (Splenozyten) überprüft. Sezerniertes IFN-γ wurde im Überstand mittels ELISA bestimmt. Aus Mäusen, deren NK-Zellen depletiert worden waren oder die mit parentalen A20Zellen behandelt worden waren, ließen sich keine T-Zell-Linien etablieren. Effekt verhinderte die Gabe des neutralisierenden IFN-γ-Antikörpers (Abb. 3C). Depletionsversuche bestätigten, dass NKZellen für die Initiation dieses Reaktionspfades von zentraler Bedeutung sind: Wenn die NK-Zellen in den behandelten Mäusen Der aufgezeigte Pfad der Immunaktivierung stellt ein neues Bindeglied zwischen angeborenem und adaptivem Immunsystem dar. Er gibt eine Antwort auf die Frage, warum Virus-infizierte oder maligne Zellen trotz ihrer verringerten MHC-I-Expression spezifische und protektive T-Zell-Antworten hervorzubringen vermögen. Damit der Mechanismus in Gang gesetzt werden konnte, bedurfte es der „Immunisierung“ mit einer Mindestanzahl von MHC-I-niedrig-Zellen. Dies könnte eine Erklärung dafür bieten, warum Viren, die in einer großen Zahl infizierter Zellen die MHC-I-Expression rasch supprimieren, potente ZTL-Antworten induzieren, während Tumoren, die ihre MHC-IMoleküle nur langsam verlieren, vom adaptiven Immunsystem meistens ignoriert werden. Ausgewählte Veröffentlichungen Mocikat, R., Selmayr, M., Thierfelder, S. and Lindhofer, H.: Trioma-based vaccination against B cell lymphoma confers long-lasting tumor immunity. Cancer Res. 57, 2346-2349 (1997) Wahl, U., Nößner, E., Gangnus, R., Pohla, H., Hallek, M. and Mocikat, R.: Vaccination against chronic-lymphatic B-cell leukemia with trioma cells: Preclinical evaluation. Clin. Cancer Res. 9, 4240-4246 (2003) Egeter, O., Mocikat, R., Ghoreschi, K., Dieckmann, A. and Röcken, M.: Eradication of disseminated lymphomas with CpG-DNA-activated Th1 cells from non-transgenic mice. Cancer Res. 60, 1515-1520 (2000) Mocikat, R., Braumüller, H., Gumy, A., Egeter, O., Ziegler, H., Reusch, U., Bubeck, A., Louis, J., Mailhammer, R., Riethmüller, G., Koszinowski, U. and Röcken, M.: Natural killer cells activated by MHC class I-low targets prime dendritic cells to induce protective CD8 T cell responses. Immunity 19, 561-569 (2003) Kronenberger, K., Dieckmann, A., Selmayr, M., Strehl, J., Wahl, U., Lindhofer, H., Kraal, G. and Mocikat, R.: Impact of the lymphoma idiotype on in vivo tumor protection in a vaccination model based on targeting antigens to antigen-presenting cells. Blood 99, 1327-1331 (2002) 90 GSF