Zahnmedizin 05 - Ruhr

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Zahnmedizin
Differentialdiagnosen odontogener Zysten
Ameloblastom unter dem klinischen Bild einer
infizierten follikulären Zyste am Weisheitszahn
Christian Walter, Martin Kunkel
Fotos: Walter
In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor,
die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen
sollen den differentialdiagnostischen
Blick unserer Leser schulen.
Abb. 1: Orthopantomogramm nach Abszessinzision. Es zeigt sich eine ausgedehnte zystisch imponierende Osteolyse im rechten Kieferwinkel. Der Zahn 48 ist offensichtlich an den basalen Unterkieferrand verdrängt. Auffällig und für die spätere Diagnose eines Ameloblastoms typisch sind
die deutlichen Resorptionen an den Zähnen 46 und 47. Die im Lumen der Osteolyse erkennbaren
Strukturen stellen die Silikondrainagen der Abszessbehandlung dar.
Eine 21-jährige Patientin mit bekanntem
Pickwick-Syndrom (kardiopulmonales Syndrom der Adipösen) und Hypothyreose
wurde aufgrund einer stark schmerzhaften,
derben, den Unterkieferrand umgreifenden
Schwellung unter dem klinischen Verdacht
auf einen perimandibulären Abszess mit
submandibulärer Ausbreitung stationär aufgenommen. Klinisch imponierte ein typisches entzündliches Infiltrat über der Kieferwinkelregion mit überwärmter und geröteter Haut. Enoral zeigte sich der Zahn 47
gelockert und war ebenso wie der Zahn 46
nicht sensibel.
Es erfolgte zunächst die umgehende
Abszessinzision in Intubationsnarkose als
Notfallbehandlung, wobei sich bereits
intraoperativ aufgrund eines tastbaren
Knochendefektes ein erster Anhaltspunkt
für eine größere Osteolyse ergab. Auf dem
postoperativ angefertigten Röntgenbild
(Abb. 1) zeigte sich dann auch eine scharf
begrenzte von regio 45 bis zur Mitte des
aufsteigenden Unterkieferastes reichende,
den Unterkiefer in voller Höhe durchsetzende, scharf begrenzte Osteolyse. Der
Zahn 48 war bis an den Unterrand des Kiezm 95, Nr. 5, 1. 3. 2005, (564)
erfolgte eine Zystektomie mit Einlage einer
stabilisierten Eigenblutfüllung. Die histopathologische Aufbereitung des Präparates erbrachte schließlich nicht die Diagnose einer
follikulären Zyste, sondern eine follikuläre
Form eines Ameloblastoms mit Zystenbildung.
Diskussion
In der Differentialdiagnose der radiologisch
als zystisch imponierenden Knochenläsionen
stellt das Ameloblastom die wichtigste Differentialdiagnose der odontogenen Zysten
dar. Das radiologische Bild ist sehr variantenreich und reicht von einem waben- bezie-
Abb. 2: Bei der Revision von enoral stellte sich
das typische Bild einer follikulären Zyste mit
einer in das Zystenlumen hineinragenden
Krone des Zahnes 48 dar.
fers verdrängt, die Radices der Zähne 46
und 37 zeigten deutliche Resorptionen.
Nach Abklingen des akuten Abszessgeschehens wurde der Situs von enoral unter Bildung eines Knochendeckels revidiert. Es
zeigte sich das klassische intraoperative Bild
einer follikulären Zyste mit einer in das Zystenlumen ragenden Zahnkrone 48 (Abb.
2). Der N. alveolaris inferior war in typischer
Weise nach caudal verdrängt (Abb. 3). Es
Abb. 3: Intaoperativer Situs nach vollständiger
Zystektomie. Der N. alveolaris inferior verläuft
gut abgegrenzt am Boden der Läsion ( ➞ ).
Fazit für die Praxis
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hungsweise seifenblasenartigen, multizystischen Muster bis hin zu einem vollständig
homogenen, unizystischen Erscheinungsbild
[Scholl et al., 1999]. Eine sichere radiologische Abgrenzung zu odontogenen Zysten ist
praktisch unmöglich und wird zusätzlich dadurch erschwert, dass zahlreiche, vor allem
zystische Ameloblastome, sehr häufig im Zusammenhang mit retinierten Zähnen auftreten [Philipsen and Reichart, 1998]. Auch im
vorliegenden Fall war die Annahme einer follikulären, durch den intraoperativen Befund
einer in das Zystenlumen hineinragenden
Zahnkrone durchaus nahe liegend. Ein erster
Hinweis auf die spätere Diagnose ergab sich
aber durch die sehr auffälligen Zahnresorptionen an den Zähnen 46 und 47, die zwar
auch im Zusammenhang mit odontogenen
Zysten auftreten können, sehr viel typischer
aber beim Ameloblastom anzutreffen sind
[Neville et al., 2002].
Für die zahnärztliche Praxis sollte dieser Fall
noch einmal daran erinnern, das auch bei
hochgradigem klinischem Verdacht auf
eine einfache follikulärer Zyste grundsätzlich eine vollständige Entfernung und histopathologische Untersuchung des Zystenbalges erfolgen muss. Für die aktuelle wissenschaftliche Diskussion um die prophylaktische Entfernung retinierter Weisheitszähne [Sign, 2000; Song et al., 2000; Strietzel et al., 2001] weist die Entstehung odontogener Neoplasien auf der Basis retinierter
Zähne auf die Notwendigkeit einer regelmäßigen radiologischen Kontrolle der im
Kiefer belassenen Zähne hin.
■ Das Ameloblastom ist eine der wichtigsten Differentialdiagnosen der radiologisch als zystisch imponierenden Knochenläsionen.
■ Eine eindeutige intraoperativ-klinische oder radiologische Abgrenzung ist
nicht möglich, so dass grundsätzlich die
histopathologische Untersuchung des
Zystenbalges gefordert werden muss.
■ Zahnresorptionen sind ein wichtiger
Hinweis auf ein neoplastisches Geschehen, sie können aber selten auch bei normalen odontogenen Zysten auftreten.
Dr. Christian Walter
Privatdozent Dr. Dr. Martin Kunkel
Poliklinik für Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgie der Universität Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz
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zm 95, Nr. 5, 1. 3. 2005, (565)
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