Delir und Rehabilitation – geht das? Margret Hund-Georgiadis Interprofessionelle Fortbildung vom Montag 23.05.2016 Delir – aus der Spur geworfen copyright by REHAB Basel Topics • Diagnose «Delir» und «organische Psychose» • Praktische Fallbeispiele aus der Rehabilitation • Konzeptentwicklung SAP-Station im REHAB • Diagnostik und Therapie - Rollenverteilung im interprofessionellen Team copyright by REHAB Basel Verwirrend viele Worte für einen Verwirrtheitszustand Delir, Delirantes Syndrom, Organisches Psychosyndrom, akuter exogener Reaktionstyp, (Bonhoeffer, 1914) Durchgangssyndrom (Wieck 1961) copyright by REHAB Basel Delir – Definition und Diagnose Nosologische Klassifikation von organischen psychischen Störungen in ICD-10 u. DSM-IV Akutes schweres, prinzipiell reversibles, organisch bedingtes Psychosyndrom mit: Bewusstseinsstörung Aufmerksamkeitsstörung Wahrnehmungsstörung Denkstörung Gedächtnisstörung Störung der Sprache Störung der Psychomotorik Störung der Emotionalität Charakteristisch ist eine deutliche tageszeitliche Fluktuation der Symptome. Ursache: organisch oder pharmakologisch (Drogen, Entzug voncopyright Drogen by REHAB Basel Wie lassen sich Verhaltensänderungen messen? copyright by REHAB Basel Häufiges ist häufig: Schwere Verhaltensauffälligkeit nach SHT • 8-70% aller Patienten in der Rehabilitationsphase nach SHT • Dauer meist bis 14 Tage • Bei Polytrauma 3-fach häufiger bei Patienten mit SHT im Vergleich mit Polytrauma-Patienten ohne SHT • Assoziation mit schlechterer Prognose, längerem Klinikaufenthalt und höheren Kosten Delir - Ein unterdiagnostiziertes Syndrom • 33-95% aller Fälle im Krankenhaus werden nicht erkannt oder fehldiagnostiziert • Delirsymptome werden fälschlich Alter, Demenz, Depression oder anderen psychischen Erkrankungen zugeordnet Brain Injury 2012;26:1155ff copyright by REHAB Basel Formen des Delirs Hyperaktives Delir (1 bis 15%) • Psychomotorische Unruhe bis zur Erregung Hypoaktives Delir (25-43%) • „Scheinbare“ Bewegungsarmut • Kaum Kontaktaufnahme • Halluzinationen und Desorientierung erst durch Befragen deutlich Gemischtes Delir (ca. 55%) copyright by REHAB Basel Wieso stören uns Patienten mit schweren Verhaltensauffälligkeiten ? • • • • • • • • • • Frustration der Therapeuten und Pflege Erschwerte rehabilitative Zielsetzung Eigen- oder Fremdgefährdung Assoziation mit ungünstiger Prognose Gefährdung des Behandlungserfolgs Belästigung der Mitpatienten Bedrohung für die Behandlungsteams Bindung personeller Ressourcen Verlängerung des Klinikaufenthaltes Erschwerte Austrittsplanung Sind diese Patienten in der Rehabilitation überhaupt richtig? copyright by REHAB Basel Bis 2015 im REHAB: Konzept der integrierten Betreuung • Ressourcen-Planung und –verteilung schwierig • Stationen «vertragen» nur eine kleine Anzahl von betroffenen Patienten • Herausforderung für Team und Mitpatienten • Aufmerksamkeitsshifting durch 1:1-Betreuung: Alles dreht sich um den «schwierigen» Patienten • Nachteil: Unruhe auf den Abteilungen, Teams kreisen um «einen Fall», Stress und Störung für Mitpatienten • Entwicklung von Umgangsroutinen bei kleiner Fallzahl eher schwierig • Mitarbeiter haben Angst vor Übergriffen und Aggression der Patienten copyright by REHAB Basel Spezialstation statt Inklusion in der Akutphase – Erfahrungen aus der Nachbarschaft Hofmann et al., 2014, Zeitschr. für Gerontologie und Geriatrie copyright by REHAB Basel Zum Konzept einer Spezialstation/Teilstation SAP • Geschlossene eigene Einheit • Einheit von 6 bis maximal 8 Patienten • Enge Betreuung in einem kleinen interprofessionellem Team • Behandlungsplanung mit Aufenthaltsdauer von Tagen bis mehreren Monaten und klarem Übertritts-Regime • Checkliste / Eintrittskriterien/ Abbruchkriterien • Assessments zur Evaluation der schweren Verhaltensauffälligkeit • Reizabschirmung • Sicherheitskonzept, Hygienekonzept Den Patienten für die weiterführende Rehabilitation befähigen copyright by REHAB Basel SAP-Teilstation: Ziele der Station • Optimale Betreuung und Rehabilitation von schwer verhaltensauffälligen Patient/innen nach einer Hirnverletzung auf der Grundlage eines speziellen Behandlungskonzepts • Herstellen einer therapeutischen Beziehung, die die weiterführende Behandlung auf einer weiterführenden Neurorehabilitation ermöglicht • Stärkung des Behandlungsteams durch Konzept, spezielle Schulung und angepasstes räumliches Setting copyright by REHAB Basel Delir – ein Erklärungsversuch aus der Bildgebung copyright by REHAB Basel 1. Fallbeispiel: Sarah S., 17 Jahre • Juli 2015: Schwierigkeiten beim Schreiben am Handy, beim Rechnen, zunehmende Apathie • 12.08.15 epileptischer Anfall USB • Nachweis von Anti-NMDA-Rez.-Ak im Liquor immunmodulatorische Therapie mit IVIG, Steroiden und Rituximab • NMDA-Rezeptor: durch Glutamat aktivierter postsynaptischer Ionenkanal synaptische Signalübertragung • AK gestörte Hemmung der exzitatorischen Neurone • Medianes Erkrankungsalter 19 Jahre, 80% weiblich • In 85% Prodromalsymptome (Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen) • Psychiatrische Symptome: Halluzinationen, Wahn, Stupor, Mutismus, hyperkinetische Dyskinesien • Epileptische Anfälle, Autonome Dysregulation copyright by REHAB Basel Symptome und Verhaltensauffälligkeiten seit 06.10.15 • Symptomatik fluktuierend mit psychomotorischer Enthemmung, Echolalien, Perseverationen, sexueller Enthemmung, stuporösen Zuständen • Extrem erhöhte Ablenkbarkeit mit Aufmerksamkeitsspanne von 5-10 Minuten, Reizüberflutung, Therapieangebote mussten oft vorzeitig beendet werden • Reizabschirmung in Einzelzimmer, 1:1-Betreuung • Übersprungartiges, selbstschädigendes Verhalten: nimmt sich Butterfly aus Abwurf, um «sich Blut abzunehmen» versucht, unbekleidet ihr Zimmer zu verlassen löst REA-Alarme aus, da sie zwanghaft alle roten Knöpfe drücken muss rennt blitzartig los, um Station zu verlassen lässt sich plötzlich zu Boden fallen copyright by REHAB Basel 1. Fallbeispiel Video copyright by REHAB Basel 1. Fallbeispiel • FIM.- Entwicklung von Eintritt bis Austritt (19 -> 119) copyright by REHAB Basel Einsatzbereich der Neuropsychologie • • • • Interdisziplinäre Teambesprechungen Angehörigenarbeit (Psychotherapie & Neuropsychologie) Neuropsychologische Einzeltherapie Assessments - Neuropsychologische Untersuchung Diagnostik Verhaltensauffälligkeiten (Beobachtung, Fremdanamnese, Skalen) copyright by REHAB Basel Interdisziplinäre Teambesprechungen • Debriefing (Raum geben, um Belastungen und negative Emotionen ausdrücken zu können) • Situationsbeschreibung -> Problembeschreibung -> konkrete Fragestellung • Erfahrungsaustausch innerhalb des Behandlungsteams (Auslöser, Strategien/Verhaltensweisen, die funktionieren oder nicht funktionieren) • Vereinbaren von verbindlichen Verhaltensregeln fürs Team • Milieutherapeutische Abmachungen (Umgebungsgestaltung, Kommunikation, Aktivitäten) • Informationen geben zur Krankheit und dazugehörenden Symptomen (z.B. Artikel aus Gehirn&Geist) und Verhaltensmassnahmen daraus ableiten copyright by REHAB Basel Assessments von Verhaltensauffälligkeiten • Beobachtung • Fremdanamnese (Pflegende, Angehörige) • Skalen, z.B. Neuropsychiatric Inventory - Strukturiertes Interview mit Betreuenden - Erfasst, a) Vorliegen einer Verhaltensauffälligkeit, b) deren Ausmass und c) Belastung der Betreuer/Angehörigen - Erfragt werden: Wahnideen, Halluzinationen, Agitation/Aggression, Depression/Dysphorie, Angst, Euphorie, Apathie/Gleichgültigkeit, Enthemmung, Reizbarkeit, Labilität, Motorische Störungen (repetitive Handlungen, «herumtigern»), Essverhalten, Verhalten in der Nacht copyright by REHAB Basel Beziehungsaufbau, Vertrauen schaffen, aktivieren, begleiten, aushalten copyright by REHAB Basel Gefässe für den interprofessionellen Informationsaustausch • Börse morgens von 08.00 – 08.15 findet immer zusammen mit dem Stationsoberärztin statt ab dem 01.06.2016 • Interprofessionelle Besprechung des Rehabilitationsverlaufs jeden 2. Mittwoch von 08.30 – 09.00 Uhr ab dem 01.06.2016 - Evaluation der Wochenziele - Entscheidungen über mögliche Verlegung in die weiterführende Rehabilitation copyright by REHAB Basel Einsatzplan auf der SAP Station • Wochenplan / Einsatzplan der Mitwirkenden aus den verschiedenen Disziplinen copyright by REHAB Basel Einsatzplan auf der SAP Station • Therapieblock = Therapie nach Bedarf, nicht geplant Einzeltherapie zusätzlich geplant • Börse morgens und mittags, jeweils zu Beginn eines Blockes • Feste Gruppen / zusätzlich spontane Gruppenangebote • Kleines Behandlungsteam mit hohem Wiedererkennungswert für den Patienten • Tagesstruktur einfach, übersichtlich, hochstrukturiert copyright by REHAB Basel Infrastruktur der SAP Station • • • • 6 Zimmer ( 2 Einzelzimmer und 2 Doppelzimmer) Abtrennung zur anderen Station durch Vorhänge an der Decke Eigener Stützpunkt Balkone (Aussenraum) werden mitgenutzt und abgesichert • Familiäre Atmosphäre • Keine Reizüberflutung • Orientierungshilfen durch Umgebung und Therapieprogramm copyright by REHAB Basel Regal mit kleiner Bibliothek und Ludothek – zugänglich für Patienten copyright by REHAB Basel Zukunftsvision: Work in progress • Eigenes Schulungskonzept im interprofessionellen SAPBehandlungsteam • Sicherheitskonzept und Behandlungspfad sind vollständig erarbeitet mit Abbruchkriterien • Entwicklung einer eigenen Spezialstation SAP als eine Form der Frührehabilitation copyright by REHAB Basel Take home Delir und Rehabilitation, das geht: • Kulturwechsel im Rehabilitationsteam • Interprofessionelles Spezialteam mit Kernkompetenz für herausforderndes Verhalten • Assessments zur Symptombeschreibung • Eigene Infrastruktur der Station copyright by REHAB Basel copyright by REHAB Basel