Dezember 2015 Das Gehirn – Der Gesundheitsguide | 11 I n t er v i e w Das Leben neu lernen – Rehabilitation ebnet Wege nach dem Trauma Bewährte Konzepte und neue Chancen: Neurowissenschaft und Lernpsychologie prägen die moderne Rehabilitationsmedizin. W ir kennen diese Szene aus Kinofilmen: Der Filmheld liegt nach einem schweren Unfall bewusstlos auf der Intensivstation, Monitore piepen und schon die nächste Kameraeinstellung bringt die Wende: Der Patient erwacht, steht auf und geht davon – ganz ohne Mühe, meist ohne Hilfsmittel. Der Realität entspricht das nicht... Das Leben schreibt in der Tat leider oft andere Drehbücher. In der Schweiz erleidet alle 30 Minuten ein Mensch einen Schlaganfall. Circa 12‘500 Menschen in der Schweiz erkranken pro Jahr an einer Durchblutungsstörung des Gehirns. Rund 5‘000 Menschen haben nach einem Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma oder eine Verletzung des Rückenmarks. Nach der Versorgung im Akutspital müssen die Betroffenen oft sehr lange und hart arbeiten für ihr persönliches «Happy End». Die Erholung des Nervensystems und seine Neuorganisation sind eine Vollzeitaufgabe auf Lebenszeit. Das Gehirn und das Rückenmark erholen und regenerieren sich in verschiedenen Stadien. Nervenzellen vernetzen sich neu. Für die betroffenen Patientinnen und Patienten bedeutet das oft, ihr Leben und ihren Alltag ganz neu zu erlernen. Wann ist eine stationäre Rehabilitation erforderlich? In welchen Fällen ist eine ambulante Behandlung ausreichend? Wenn Lähmungen, Sprachstörungen und veränderte Hirnleistungen die Betroffenen im Alltag unselbstständig und abhängig machen, ist klar eine stationäre Rehabilitation angezeigt. Nur mit diesem Setting lässt sich die erforderliche Anzahl und Intensität von Therapien für die Patienten sinnvoll herstellen und das Potenzial des Nervensystems zur Wiedererholung ausschöpfen. Teilstationäre, tagesklinische und ambulante Rehabilitation sind erst dann sinnvoll und erforderlich, wenn der betroffene Patient seine Selbstständigkeit für tägliche Abläufe wieder erlangt hat: Es besteht keine Spitalbedürftigkeit mehr, und es geht um weitere Verbesserungen für den begleiteten Rückweg in einen Alltag mit angepassten Anforderungen. Was erwartet den Patienten konkret in der statio­ nären Reha? Die Rehabilitation beginnt schon am Tag der Erkrankung oder des Unfalls, also noch in der Akutklinik. Ist die Erstbehandlung abgeschlossen, übernehmen wir im REHAB Basel die Betroffenen in vielen Fällen gerade von der Intensivstation in Zum Unternehmen REHAB Basel Klinik für Neurorehabilitation und Paraplegiologie T: +41 (0) 61 325 00 00 www.rehab.ch Tiergestützte Therapie im REHAB Basel: Den Patienten gelingen einfache Alltagstätigkeiten besser, sie sind motivierter und länger bei der Sache, wenn ein Tier als Co-Therapeut in Spiel kommt. Eine wissenschaftliche Studie untersucht derzeit am REHAB die Effekte dieser neuen Therapieform in der Neurorehabilitation. die Frührehabilitation, oftmals noch mit Kanülen, Kathetern und Teilbeatmung. Wir beginnen genau dort mit dem Patienten, wo er mit seinen Möglichkeiten steht: Sitz und Stand mit Hilfe statt Liegen, die Frühmobilisation beginnt. Der Patient wird mehr und mehr selbst zum Akteur. Art, Umfang und Länge der Therapien sind abhängig vom Ausmass der funktionellen Einschränkungen. Die beeinträchtigten motorischen, sprachlichen und kognitiven Funktionen müssen genau erfasst und zielgerichtet neu erlernt und trainiert werden. Begleiten, unterstützen, fordern und fördern in einem oftmals langwierigen Prozess des Neulernens und der Neuorientierung – das ist die Aufgabe des interprofessionellen Rehabilitationsteams. Ärzte, Logopädinnen, Ergo-, Physiotherapeuten, Psychologinnen und therapeutisch Pflegende sind im besten Fall auch Begleitende, Coaches, Motivatorinnen und Schrittmacher. Oft randvolle Therapiepläne sind die Basis für den Erfolg. Was hat sich in der Rehabilitation geändert? Die Rehabilitationsmedizin war im vergangenen Jahrzehnt selbst eine interprofessionelle, bewegliche Plattform mit grosser Lernkurve, und sie ist es weiterhin. Impulse und Wissen Bei dieser Neurofeedback-Therapie werden Gehirnstromkurven (EEG-Wellen) des Patienten in der Sitzung automatisch analysiert. Durch visuell-akustische oder taktile Rückkoppelung können die Betroffenen unbewusst erlernen, ihre Gehirn­ wellenaktivität zu beeinflussen und zu trainieren. Dies dient in der Rehabilitation der Förderung der Wachheit, Aufmerk­ samkeit und Verbesserung der Hirnleistungen. Ein Forschungsprojekt im REHAB Basel klärt den Einfluss der Technik auf die Rehabilitationsverläufe. aus der Verhaltens- und Lernpsychologie, aus den Neurowissenschaften und der Sporttherapie sind eingeflossen und hielten Einzug ins Patientenzimmer. Wenn es um Reha-Inhalte geht, ist etwa der Roboter zum Co-Therapeuten geworden. Die Gangrehabilitation erlebt hier gerade eine regelrecht technische Revolution. Vom ersten Stehen bis hin zum flüssigen Gangbild steht Robotik zur Verfügung. Der Patient nimmt trotz Lähmungen von Beinen und Armen geführt Bewegungen wieder auf, die eigentlich noch unmöglich wären. Durch repetitive Bewegungseinheiten wird kortikale Plastizität angebahnt. Das alles ersetzt aber keineswegs die erfahrene Physiotherapeutin. Welche weiteren Chancen eröffnen sich für die Patienten? Die Sprachtherapie der Logopädie in der Rehabilitation zielt heutzutage auf den frühen Erwerb von Kommunikationsstrategien mit allen Mitteln ab. Diese werden «zum Sprachrohr» für betroffene Patientinnen und Patienten mit Aphasien. Das Tablet ist dabei längst ein willkommenes Hilfsmittel. Neue Therapieverfahren sehen Techniken der mentalen Vorstellung (Imagery) und Videotherapie als Trigger für kortikale Plastizität, welche unabhängig und ergänzend neben den konventionellen, klassischen Therapieverfahren ihren Stellenwert für Reorganisationsprozesse liefern. Ein inzwischen fest etabliertes, interdisziplinäres Konzept für Ergo- und Physiotherapie ist die Spiegeltherapie. Bei einer Halbseitenlähmung sitzt der Patient so vor dem Spiegel, dass sich der gesunde Arm in seinem Blickfeld befindet. Beim SpiegelTraining entsteht die visuelle Illusion, dass sich die gelähmte Seite so gut bewegen kann wie die gesunde. Das Gehirn wird praktisch ausgetrickst. Am REHAB Basel hat jenseits der neuen Technik die besondere Beziehung zwischen Mensch und Tier eine ganz besondere Bedeutung in der Rehabilitation. In der Animal Assisted Therapy (AAT) nutzen wir diese zum Wohle unserer Patientinnen und Patienten aus und haben in den vergangenen Jahren sehr ermutigende Erfahrungen gemacht: Das Gangbild des Patienten wird aufrechter und flüssiger, die Mimik besser und die Motivation grösser, wenn Hase, Esel, Meerschweinchen, Katze oder Huhn ins Spiel kommen. Eine umfassende erste Verhaltensstudie zu diesem Thema werten wir gerade aus. Wie lassen sich verloren gegangene Hirnleistungen trainieren? Neuropsychologische Diagnostik und Therapie beginnen als Bedside-Test in der Frühphase Das REHAB Basel ist eine hochspezialisierte Klinik für Neurorehabilitation und Paraplegiologie. Schwerpunktmässig nimmt sie Patienten mit einer Hirnverletzung und/oder Querschnittlähmung auf. Zum Angebot gehören Wachkoma-Station, Übungswohnen, Tagesklinik und eine lebenslange Nachsorge. und begleitet den Patienten massgeschneidert im gesamten Rehabilitationsverlauf. Das neuropsychologische Störungsprofil gibt auch vor, wie und wann der Patient für welche Therapieziele optimal gefördert werden kann. In der nahen Zukunft wollen wir am REHAB ebenfalls funktionelle kortikale Stimulationsverfahren gezielt in der Neurorehabilitation einsetzen, um die Hirnplastizität zu fördern und kurzfristig bessere Behandlungserfolge für ein langfristig besseres Outcome zu erzielen. Schon jetzt setzen wir in unserer Klinik das «Neurofeedback» als BioFeedback-Verfahren bei unseren Patienten ein und studieren seine Effekte in einer eigenen klinischen Studie. Der Hintergrund: Die Gehirnstromkurve erlaubt nach technischer Analyse Rückschlüsse auf Aufmerksamkeits- und Bewusstseinszustand unserer Patienten. In der Neurofeedback-Sitzung lernt der Patient mittels Feedback ohne grosse Anstrengung eine bessere Selbstregulation über ein gezieltes «Training» der Hirnströme. Dies kann er im besten Fall für ein verbessertes Rehabilitationspotenzial nutzen. Zur Autorin PD Dr. med. Margret Hund-Georgiadis Chefärztin und medizinische Leitung Margret Hund-Georgiadis ist seit 2013 Chefärztin am REHAB Basel. Für sie bedeutet Neurorehabilitation stetiges Neu-Lernen für alle Beteiligten, Patient und Therapie-Team.