Störungen des Sprechens und der Sprache

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Sprachstörungen im Kindesalter
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29.9.2010
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Störungen des Sprechens und
der Sprache, Stimmstörungen
sowie Schluckstörungen
M 10 Überblick über Störungen des Sprechens, der
Sprache und der Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
M 11 Allgemeine und spezifische Sprachentwicklungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
M 12 Stottern: Unterscheidungshinweise zur
„altersgemäßen Sprechunflüssigkeit“, zum
„beginnenden Stottern“ und zum
„chronischen Stottern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
M 13 Kindliche Stimmstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
M 14 Myofunktionelle Störungen: Störungen der
Zungenfunktion und der Mundmuskulatur . . 86
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Überblick über Störungen des Sprechens
und der Sprache: Fachausdrücke
und Erläuterungen
█
█
Ziel
Die Leser sollen mit den Fachausdrücken vertraut gemacht werden, die in der Logopädie, Sprachheilpädagogik und Phoniatrie verwendet werden. Sie sollen dabei die einzelnen Störungsbilder kennen lernen und voneinander unterscheiden
können.
█
Einsatzmöglichkeiten
Für alle Zielgruppen geeignet.
█
Aussprachestörungen
Neben dem Begriff der Aussprachestörung werden
verschiedene Begriffe parallel verwendet: z. B. Dyslalie, Artikulationsstörung, Sprechstörung, Lautbildungsstörung, phonetisch-phonologische Störung.
Man unterscheidet organische und funktionelle
Formen der Aussprachestörung.
█
Organische Aussprachestörungen
Störungen der Aussprache liegen bei einem organischen Befund vor und können z. B. bedingt sein
durch eine angeborene Hörstörung, Spaltbildung
im Lippen-Kiefer-Gaumen-Bereich, geistige Behinderung oder durch neurologische Befunde, wie
z. B. bei einer Zerebralparese (hirnorganisch bedingte Spastik oder Lähmung von Muskeln).
█
Funktionelle Aussprachestörungen
Störungen der Aussprache ohne Vorliegen eines
organischen Befunds werden als funktionelle Aussprachestörungen bezeichnet. Dabei werden folgende Formen unterschieden:
64
•
•
•
•
Artikulationsstörung
Verzögerung der Ausspracheentwicklung
konsequente phonologische Störung
inkonsequente phonologische Störung
Artikulationsstörung
Die Kinder zeigen eine rein artikulatorische Fehlbildung ihrer Aussprache; im Deutschen werden
hier vor allem Störungen der Sibilanten (Zischlaute)
diagnostiziert: die Laute „s“ (Sigmatismus) und/
oder „sch“ (Schetismus) werden inkorrekt gebildet.
Ursächlich kommen eine Zungenfehlfunktion oder
ein inkorrekt erlernter Artikulationsort infrage.
Diese Symptomatik bildet sich ohne logopädische
Intervention selten von allein zurück.
Verzögerung der Ausspracheentwicklung
Von einer solchen Störung spricht man, wenn die
Ausspracheentwicklung bei den Kindern rein zeitlich um mindestens 6 Monate verzögert ist (sog.
phonologische Verzögerung). Beispielsweise zeigt
sich das daran, dass:
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Inhalt
Es werden die wichtigsten Störungen des Sprechens und der Sprache, des Sprechablaufs, der Kommunikation sowie der
Stimme mit ihren Fachausdrücken vorgestellt, anschaulich beschrieben und anhand von Beispielen erläutert.
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• Laute bzw. Lautverbindungen vereinfacht wer-
•
•
den: statt Kaffee – Taffee, statt Garten – Darten
(Verlagerung der Lautbildung in den vorderen
Mund-/Zungenbereich);
Laute bzw. Lautverbindungen ersetzt werden:
– schwierige Zischlaute durch leichtere: statt
„ich“ – „is“, statt „Schule“ – „Sule“;
– schwierige Verschlusslaute durch leichtere:
statt „Roller“ – „Holler“;
Konsonantenverbindungen reduziert werden:
statt „Blume“ – „Lume“, statt „Schnecke“ –
„Necke“.
Konsequente phonologische Störung
Wird eine phonologische Störung diagnostiziert,
bedeutet dies, dass eine von der regelgerechten
Ausspracheentwicklung abweichende Sprachentwicklung vorliegt. Kinder mit einer konsequenten
phonologischen Störung zeigen mindestens eine
Form von Lautersetzungen und/oder Auslassungen, die Kinder mit normaler physiologischer Entwicklung zu keinem Zeitpunkt zeigen. Zusätzlich
können sie auch entsprechende phonologische
Muster der normalen physiologischen Entwicklung aufweisen.
Typische pathologische Fehlbildungen sind:
• Ort der Lautbildung im Mundraum ist rückverlagert: statt „Tomate“ – „Komake“;
• alle Reibelaute werden ersetzt durch Verschlusslaute: statt „Schule“ – „Dule“, statt
„Fuß“ – „Put“, statt „suchen“ – „duken“;
• alle Wortanfänge werden beispielsweise durch
den Laut „h“ ersetzt: „Pferd“ – „Hert“, „Brille“ –
„Hille“;
• Laute wie „f“ oder „w“ werden durch den Laut
„s“ ersetzt: statt „Fahne“ – „Sahne“, statt „Wolle“ – „Solle“;
• Wortanfänge oder Wortenden werden ausgelassen: statt „Kanne“ – „Anne“, statt „Hut“ –
„Hu“.
Inkonsequente phonologische Störung
Bei Kindern tritt eine solche phonologische Störung nur selten auf. Es handelt sich dabei um die
schwerste Form einer funktionellen Aussprachestörung, bei der ein Kind ein und dasselbe Wort
fast jedes Mal anders ausspricht (z. B. Frosch:
Fosch, Schof, Rotsch, Bosch), sodass auch die enge
Familie sich nicht in das Sprechen des Kindes einhören kann. Manche dieser Kinder geben aufgrund
ihrer Unverständlichkeit das Sprechen fast auf und
kommunizieren hauptsächlich über Gestik und
Mimik (bei altersgemäßem Sprachverständnis).
Sprachentwicklungsstörungen
Auch bei den Störungen der Sprache werden verschiedene Begriffe parallel verwendet: Sprachentwicklungsstörung, -verzögerung, -behinderung.
Teilweise werden nur Teilsymptome benannt, so
wird z. B. bei einem gestörten Grammatikerwerb
teilweise noch von Dysgrammatismus gesprochen.
Am häufigsten wird allerdings mittlerweile der
Begriff Sprachentwicklungsstörung (SES) verwendet. Man unterscheidet 2 Arten von Sprachentwicklungsstörungen, die hinsichtlich ihrer Ursachen
voneinander abweichen. Von ihren Symptomen her
unterscheiden sie sich allerdings nicht. Bei beiden
Arten beträgt der Sprachentwicklungsrückstand
mindestens 6 Monate:
• spezifische Sprachentwicklungsstörung
• allgemeine Sprachentwicklungsstörung
█
Spezifische Sprachentwicklungsstörung
Von einer spezifischen Sprachentwicklungsstörung wird gesprochen, wenn eine Sprachentwicklungsstörung vorliegt ohne vorausgehende organische, mentale oder emotionale Schädigungen. Ein
Kind kann demnach gut hören, gut sehen und ist
geistig und körperlich weitgehend normal entwickelt. Sein Elternhaus gibt ihm optimale Entwicklungsbedingungen und trotzdem hat es in der
Entwicklung seiner Sprache erhebliche Schwierigkeiten und ist sprachauffällig.
Sprachlich auffällig können sein:
• die Aussprache des Kindes (Dyslalie; s. oben)
• das Sprachverständnis
• die Grammatik (Dysgrammatismus; Satzbau
und Wortendungen)
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dialogischen Fähigkeiten
Allgemeine Sprachentwicklungsstörungen
Von einer allgemeinen Sprachentwicklungsstörung wird gesprochen, wenn organische, mentale
oder emotionale Schädigungen vorliegen, z. B. Höroder Sehbeeinträchtigungen, geistige Retardierungen oder emotionale Belastungen, und dabei die
Sprachentwicklung beeinträchtigt wird. Die sprachlichen Symptome müssen sich nicht von einer spezifischen Sprachentwicklungsstörung unterscheiden.
█
Symptome der spezifischen und der
allgemeinen Sprachentwicklungsstörung
Die Symptome können vielfältig sein und sich bei
jedem Kind in anderer Ausprägung und Form zeigen. Folgende sprachliche Symptome treten auf:
• phonologische Störung
• lexikalische Störung
• semantische Störung
• Störung der Grammatik
• Störung der Kommunikation
Phonologische Störung
Es handelt sich um eine verzögerte oder abweichende Organisation des phonologischen Systems,
wobei die Artikulationsfähigkeit intakt ist. Die
bedeutungsunterscheidende Funktion der Phoneme ist den Kindern häufig noch unbekannt.
Ursachen können in peripheren (z. B häufige Mittelohrentzündungen) auch vorübergehenden Hörbeeinträchtigungen liegen, in zentralauditiven
Verarbeitungsstörungen (s. M 5) und in einer genetischen Disposition. Die Aussprache ist abweichend. Sie lässt sich mit phonologischen Ersetzungs- und Strukturprozessen, die beim Kind
ablaufen (Strukturstrategien, die das Kind nutzt)
beschreiben. Abweichungen der Aussprache kommen auch im normalen Entwicklungsprozess des
kindlichen Spracherwerbs vor, werden aber früher
überwunden.
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• der (eingeschränkte) Wortschatz und/oder
• die (eingeschränkten) kommunikativen und
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Lexikalische Störung
Zu den lexikalischen Störung zählen 4 Untergruppen, die sogenannten Late Talker, die Störungen
im Wortverständnis, die Störungen in der Wortproduktion und die kindliche Wortfindungsstörungen.
Late Talker
Kinder mit verspätetem Sprechbeginn werden
als Late Talker bezeichnet. Mit etwa 24 Monaten
produzieren diese Kinder keine 50 Wörter. Auch
erste Wortkombinationen werden von den Kindern nicht geäußert. Im Laufe des dritten Lebensjahres holt ein Teil der Kinder (etwa 35–50 %) den
Entwicklungsrückstand weitgehend auf. Sie werden auch als Late Bloomers (Spätblüher) bezeichnet. Die anderen Kinder (50 %) zeigen ab dem
3. Geburtstag sprachliche Auffälligkeiten im Sinne
einer spezifischen Sprachentwicklungsstörung.
Störung des Wortverständnisses
Störungen im Wortverständnis sind die früheste Ausprägung von Sprachentwicklungstörungen. Betroffene Kinder lernen weniger Wörter und
können diese schlechter abspeichern als Kinder,
die in ihrem Spracherwerb ungestört sind. Störungen des Wortverständnisses werden begleitet von
Störungen der Wortproduktion.
Störung der Wortproduktion
Die Störung der Wortproduktion zeigt sich als
eine der häufigsten und eine der frühesten Formen
einer Sprachentwicklungsstörung. Wortarten wie
Nomen, Verben und Funktionswörter können von
der Störung unterschiedlich betroffen sein. Meistens werden Verben und Funktionswörter von
Kindern im frühen Stadium gar nicht produziert.
Kindliche Wortfindungsstörung
Der Wortabruf gelingt Kindern nur teilweise.
Das Störungsbild ist anhaltend, sodass die Zugriffsprobleme zu häufig auftreten, um als Versprecher
gelten zu können. Betroffene Kinder bedienen sich
häufig Umschreibungen oder machen mit Mimik
und Gestik kenntlich, was sie möchten.
Semantische Störung
Störungen der Semantikentwicklung oder Störungen der Bedeutungsentwicklung werden selten als
eigenständige Störung diagnostiziert. Semantische
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M 10 Überblick über Störungen des Sprechens
Störungen zeigen sich nicht in der Quantität von
Wörtern, sondern eher in der qualitativen Vernetzung von Bedeutungen. Kinder mit semantischen
Störungen haben Schwierigkeiten mit Sortier- und
Zuordnungsaufgaben, insbesondere das Finden
von Oberbegriffen fällt diesen Kindern schwer.
• fehlende/fehlerhafte Form:
•
– mangelnde Übereinstimmung zwischen Artikel und Substantiv („der Mädchen“),
– mangelnde Übereinstimmung zwischen
Subjekt und Verb („ich geht“, „du macht“);
falsche Stellung der Wörter im Satz („Heute
nach Hause ich gehe“).
Störung der Grammatik
Störung der Kommunikation
Unter kommunikativen Sprachschwierigkeiten
werden sozioemotionale Störungen verstanden.
Sie sind Folge einer Spracherwerbsstörung. Aufgrund fehlender kommunikativer Kompetenz (z. B.
ein Gespräch zu führen) können kommunikative
Situationen nicht adäquat gemeistert werden.
Häufig werden Kinder mit Kommunikationsstörungen als unreifer eingeschätzt. Betroffene leiden
häufig unter einem negativen Selbstwertgefühl.
Alalie (Nichtsprechen)
Hierbei handelt es sich um das sehr seltene Ausbleiben der Sprachentwicklung – eine extreme
Form der zuvor beschriebenen Sprachentwick-
lungsstörung liegt vor. Das Kind beherrscht keine
bzw. sehr wenige Wörter oder verwendet sehr stereotyp immer wieder nur dieselben Lautgebilde.
Störungen des Redeflusses
█
Stottern (Balbuties)
Das Sprechen ist durch Störungen des Redeflusses
gekennzeichnet: Es treten Wiederholungen von
Silben und Lauten, Dehnen von Lauten und/oder
Blockaden auf, die durch mehr oder weniger starke
Verspannungen/Kraftanstrengungen gekennzeichnet sind. Bei chronischem Stottern sind typisch:
• pressendes Verharren in einer Artikulationsstellung (Blockaden)
• auffällige Bewegungen der Mimik und Körpermotorik (sog. Mitbewegungen)
• emotionale Begleiterscheinungen (Angst-,
Wut-, Schamreaktionen)
• sprachliches und/oder soziales Vermeidungsverhalten
Oft ist die gesamte Kommunikation (auch das Verhalten des Gesprächspartners) beeinträchtigt. Des-
halb wird Stottern auch als Kommunikationsstörung bezeichnet. Ist das Stottern vor allem durch
Wiederholungen gekennzeichnet, wird es klonisch genannt; treten vor allem Pressen und Stillstände im Sprechablauf auf, bezeichnet man es als
tonisch (s. vertiefende Hinweise in M 12 und
M 22).
█
Poltern
Poltern zeigt sich als eine Störung des Sprechablaufs, die durch ein überhastetes, dabei oft unregelmäßiges Sprechtempo und eine verwaschene
bzw. undeutliche Aussprache gekennzeichnet ist.
Laute und Silben werden ineinander gezogen (Verschmelzungen), weggelassen oder in ihrer Abfolge
umgestellt, Satzteile bleiben häufig unvollständig
oder werden wiederholt. (Die Wiederholungen
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Gemeint sind Störungen beim Erwerb und
Gebrauch der Grammatik, d. h. der Wort- und Satzbildung. Die Störungen können sich zum einen als
zeitliche Abweichungen zeigen (Stehenbleiben auf
einem früheren Entwicklungsstand, Verzögerungen der Sprachentwicklung), zum anderen als qualitative Abweichungen vom normalen Ablauf der
Sprachentwicklung (strukturelle Störungen):
• Auslassungen von Wörtern und Satzteilen (sog.
„Telegrammstil“: „Timo Hause“, „Mama Ball“,
„Susi Tisch steht“);
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weisen eine gewisse Nähe zum klonischen Stottern auf.) Auch bei den Inhalten der Aussage kann
es zu Verwechslungen kommen. Dabei beschränken sich die Schwierigkeiten, Handlungsabläufe in
einer vorgegebenen Abfolge auszuführen, nicht
nur auf den sprachlichen Bereich, sondern werden
(nach neueren Theorieansätzen) als umfassendere
Störung der Wahrnehmung zeitlicher Abfolgen
interpretiert.
Stimmstörungen
Kindliche Dysphonie (Stimmstörung)
• Offenes Näseln: Beim Sprechen entweicht ver-
Stimmklang und/oder Lautstärke und/oder Tonhöhe sind verändert. Die Stimme klingt z. B. piepsig oder heiser bis zur Stimmlosigkeit (Flüstern).
█
Näseln (Rhinophonie)
•
stärkt Luft durch die Nase statt durch den
Mund. Um dies zu verhindern, wird häufig mit
zu viel Druck gesprochen. Die Stimme wird
höher, der Sprecher wirkt kurzatmig, die Sprache scheint „nach vorne herauszufallen“.
Geschlossenes Näseln: Der Luftstrom kommt
verstärkt durch den Mund statt durch die Nase
(z. B. bei „Polypen“ und schwerem Schnupfen).
Sprechen mit näselndem Stimmklang (oft auch als
Rhinolalie bezeichnet); 2 Arten werden unterschieden:
Mutismus
Beim Mutismus handelt es sich um eine Störung
der Kommunikation. Kinder, die bereits Sprache
erworben haben, sprechen nicht mehr bzw. teilen
sich lautsprachlich nicht mehr mit. Bei intakter
Hör- und Sprechfähigkeit kann die Sprechverweigerung total sein (totaler Mutismus) oder nur
gegenüber bestimmten Personen (z. B. fremden
Erwachsenen) oder in bestimmten Situationen
(z. B. im Kindergarten) auftreten (elektiver Mutismus).
Eine direkte Ursache ist noch unbekannt. In
Betracht gezogen werden müssen sowohl Milieuschädigungen, neurotisierende Traumata und Konflikte als auch somatische Faktoren wie frühkindliche Hirnschädigungen, familiäre Veranlagungen
(Dispositionen) u. a.
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Die Wissensvermittlung zum Themenbereich „Störungen des Sprechens und der Sprache“ kann durch folgende Gruppenübungen unterstützt werden:
• Übung 3: „Zeitlupensprechen“ (Teil 3, S. 168),
• Übung 4: „Bauchredner“ (Teil 3, S. 169f),
• Übung 6: „Hochgeschwindigkeitssprechen“ (Teil 3,
S. 172),
• Übung 7: „Die Bieftäger tommt“ (Teil 3, S. 173).
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Spezifische Fachliteratur
Amorosa H, Noterdaeme M. Rezeptive Sprachstörungen.
Ein Therapiemanual. München: Reinhardt; 2003
Bahr R. Wenn Kinder schweigen. Redehemmungen verstehen und behandeln. Ein Praxisbuch. 2. Aufl. Düsseldorf: Walter
Fox A. Kindliche Aussprachestörungen – Phonologischer
Erwerb, Differenzialdiagnostik, Therapie. Idstein:
Schulz-Kirchner; 2003
Franke U. Logopädisches Handlexikon. 8. Aufl. München: Reinhardt; 2008
Grimm H. Störungen der Sprachentwicklung. Grundlagen, Ursachen, Diagnose, Intervention, Prävention.
Bern: Huber; 2003
Grohnfeldt M. Lexikon der Sprachtherapie. Stuttgart:
Kohlhammer; 2007
Grohnfeldt M. Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und
Logopädie, Bd 2: Erscheinungsformen und Störungsbilder. Stuttgart: Kohlhammer; 2009
Keilmann A, Büttner C, Böhme G. Sprachentwicklungsstörungen. Interdisziplinäre Diagnostik und Therapie.
München: Reinhardt; 2009
Sandrieser P, Schneider P. Stottern im Kindesalter. 3.
Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008
Schöler H, Welling A, Hrsg. Sonderpädagogik der Sprache. Bern: Huber; 2007
Sick U. Poltern. Theoretische Grundlagen, Diagnostik,
Therapie. Stuttgart: Thieme; 2004
Siegmüller J, Bartels H. Leitfaden Sprache, Sprechen,
Stimme, Schlucken. 2. Aufl. München: Elsevier, Urban
& Fischer; 2010
Weinrich M, Zehner H. Phonetische und Phonologische
Störungen bei Kindern. 3. Aufl. Berlin: Springer; 2008
Wendlandt W. Stottern im Erwachsenenalter. Grundlagenwissen und Handlungshilfen für die Therapie
und Selbsthilfe. Stuttgart: Thieme; 2009
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Allgemeine und spezifische
Sprachentwicklungsstörung
Sandra Niebuhr-Siebert & Wolfgang Wendlandt
Inhalt
In diesem Kapitel werden 2 Formen der Sprachentwicklungsstörung beschrieben, die „spezifische“ und die „allgemeine“
Sprachentwicklungsstörung. Es wird aufgezeigt, wie sie sich voneinander abgrenzen lassen (diagnostische Abgrenzungskriterien) und auf welchen unterschiedlichen Ebenen sich die Störungen zeigen (Auswirkungsebenen). Dabei geht es
um Störungen auf der Ebene der Phonologie (der Fähigkeit, Laute voneinander unterscheiden zu können), auf der
Ebene der Semantik (der Wortbedeutung) und der Lexik (des Wortschatzes), auf der Ebene der Morphologie und Syntax
(der Grammatik) und auf der Ebene der Pragmatik (der Kommunikation). Zur Veranschaulichung werden einzelne Äußerungen von Kindern lautsprachlich nebeneinander gestellt (s. Tab. 11.1). Die meisten dieser Äußerungen beziehen sich
auf die abgedruckte Bildabfolge (Abb. 11.1).
█
Ziel
Es soll eine klare Abgrenzung der Störungen voneinander und ein Eindruck von der Erscheinungsweise der Störungen
auf den einzelnen Auswirkungsebenen vermittelt werden.
█
Einsatzmöglichkeiten
Gut für alle Zielgruppen geeignet; besonders hilfreich bei der Schulung diagnostischer Kompetenzen (Wahrnehmung
█
von Störungen des Sprechens und der Sprache); in Kombination mit Übung 7 (S. 173) gut einsetzbar.
Von Sprachentwicklungsstörungen (SES) wird
gesprochen, wenn die Sprachentwicklung des Kindes mindestens auf einer sprachlichen Ebene
gestört ist. Die Auswirkungsebenen lassen sich
unterteilen in:
• Störungen auf der Ebene der Phonologie
• Störungen auf der Ebene der Wortbedeutung
und des Wortschatzes (Sprachverständnisstörung)
• Störungen auf der Ebene der Grammatik
• Störungen auf der Ebene der Kommunikation
(Kommunikationsstörung)
Sowohl bei der spezifischen wie auch bei der allgemeinen Sprachentwicklungsstörung können die
genannten Auswirkungsebenen betroffen sein. Die
allgemeinen und die spezifischen Sprachentwicklungsstörungen werden vor allem hinsichtlich
ihrer Verursachung voneinander unterschieden:
• Eine spezifische Sprachentwicklungsstörung
liegt vor, wenn die Sprachentwicklungsstörung nicht im Zusammenhang mit anderen
Beeinträchtigungen auftritt, wenn beispielsweise keine Hörstörungen oder andere körperliche Auffälligkeiten, keine mentalen Retardie-
70
•
rungen und auch keine schwerwiegenden
sozial-emotionalen Probleme vorliegen. Die
Störung bezieht sich also „spezifisch“ nur auf
die Sprache des Kindes und zwar sowohl auf
das Sprachverständnis als auch auf die Sprachproduktion; das Sprachverständnis ist meist
weniger betroffen.
Eine allgemeine Sprachentwicklungsstörung
hingegen wird durch primäre Beeinträchtigungen verursacht: Störungen der Aussprache
können z. B. durch primäre Hörstörungen verursacht sein, Störungen des Erwerbs von Wortbedeutungen durch mentale Retardierungen.
Sprachtherapeuten erkunden bei ihren sprachdiagnostischen Untersuchungen, ob primäre Störungen erkennbar sind. Liegen diese nicht vor,
definieren sie die vorliegende Sprachentwicklungsstörung eines Kindes als „spezifisch“: Die
Diagnose ergibt sich also aus dem Ausschluss primärer Störungen.
Die Frage, die nun bleibt, lautet: „Was sind die
Ursachen einer spezifischen Sprachentwicklungsstörung?“ Dies ist im Einzelfall nicht immer klar
erkennbar, prinzipiell müssen allerdings immer 3
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Ursachen in Betracht gezogen werden, die durch
Forschungen der letzten Jahre ermittelt werden
konnten:
• Zum einen handelt es sich um Defizite in der
Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung (Informationen werden zu langsam verarbeitet).
• Zum anderen besteht ein Defizit bei der Kapazität, die für die Informationsverarbeitung zur
•
Verfügung steht: Um Informationen verarbeiten zu können, müssen diese gespeichert werden; bei einer zu geringen Speicherkapazität
kann es zu Verarbeitungsproblemen kommen,
weil wichtige Informationen nicht abgespeichert wurden.
Darüber hinaus wurden Defizite des phonologischen Arbeitsgedächtnisses festgestellt (s.
Kasten unten).
Im Allgemeinen können phonologische Störungen
im Hinblick auf folgende Prozesse unterschieden
werden:
• Einschränkungen des kategorialen Lautinventars: Das Kind verfügt nicht in ausreichendem
Maße über die Lautkategorien, nach denen unterschiedliche Laute zusammengefasst werden.
• Einschränkungen bei Silben- und Wortstrukturen: Das Kind erkennt Silben in Wörtern wie
„To-mate“ oder Wortgrenzen in einem Satz
nicht: „Der-Junge-spielt-mit-dem-Hund.“
• Probleme in der Lautdifferenzierung: Das Kind
•
kann z. B. den ähnlich gebildeten Laut „k“ nicht
von dem Laut „t“ unterscheiden.
fehlerhafte Wortbetonungsmuster: Das Kind betont z. B. nicht die 1. Wortsilbe, wie es das
Deutsche vornehmlich verlangt.
Was ist das phonologische Arbeitsgedächtnis?
Dieser Begriff beschreibt ein Erklärungsmodell, das man
sich folgendermaßen vorstellen kann: Um Sprache zu erwerben, müssen gehörte „Lautketten“ kognitiv verarbeitet werden. Stellen wir uns einen Ort vor, an dem Menschen eine uns unbekannte Sprache sprechen. Was hören
wir? Wir nehmen lediglich einen Lautstrom wahr. Wir wissen, dass die Menschen sich unterhalten, wir wissen aber
nicht, was sie sagen – kennen also die Bedeutung der
Wörter nicht. Auch können wir nicht feststellen, wann die
Menschen in ihrer fremden Sprache ein Wort sagen,
denn wir erkennen weder den Anfang noch das Ende des
Wortes.
Würden wir als Zuhörer nun aufgefordert werden, einfach nur zu wiederholen, was ein Mensch in der uns fremden Sprache gesagt hat – wir bräuchten ja eigentlich nur
nachahmend zu wiederholen –, wären wir dazu kaum in
der Lage, wir könnten die uns fremden Laute nur bedingt
wiedergeben. Einem Kind, das eine Sprache lernt, ergeht
es ähnlich. Es hört zunächst nichts als einen Lautstrom,
es erkennt weder die Laute im Einzelnen, noch weiß es,
was ein Wort oder die Bedeutung eines Wortes ist. Darüber hinaus weiß es auch nichts über Sätze, also Wortgefüge, die in jeder Sprache bestimmten Regeln folgen,
und es weiß nichts darüber, wie wir miteinander kommu-
nizieren: also dass wir beispielsweise abwechselnd miteinander sprechen, dass Sätze sich aufeinander beziehen
können und wir so in der Lage sind, ganze Geschichten zu
erzählen.
Da die mündliche Kommunikation flüchtig ist und das
Kind keine Möglichkeit hat, sie aufzuschreiben, um dann
in aller Ruhe darüber nachzusinnen, was mit einer Äußerung – also einem Lautstrom – gemeint sein könnte, hilft
ihm (und auch jedem Erwachsenen) das phonologische
Arbeitsgedächtnis. Wir können es uns als einen Speicher
für sprachliche Lautketten vorstellen. Hier werden die
Äußerungen gespeichert, werden Klang und Beschaffenheit des Lautstroms für eine kurze Zeit festgehalten.
Das Kind greift auf dieses phonologische Arbeitsgedächtnis zurück und ist so in der Lage, Laute, Wörter und allgemeine Zusammenhänge zwischen einzelnen Wörtern zu
erkennen. Es sucht in dem abgespeicherten Lautstrom
nach Regeln, die dem Geäußerten zugrunde liegen, und
es tut dies auf allen sprachlichen Ebenen.
Ist die Arbeitsweise des phonologischen Arbeitsgedächtnisses unzureichend, hat das Kind Probleme, sprachliche
Regeln zu erkennen. Es können Störungen in der Sprachentwicklung entstehen.
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Materialien zur Früherkennung und Beratung
Kinder können Schwierigkeiten haben, Wortbedeutungen (Seme) zu erwerben und Wortbedeutungen zu behalten. Um z. B. das Wort „Ball“ zu
erwerben, muss ein Kind wissen, für welches Ding
das Wort „Ball“ steht und was man mit ihm
machen kann. Das Kind muss begriffen haben,
dass ein Ball rund ist, dass man mit ihm spielen
kann und er sich fangen und rollen lässt. Und das
Kind muss eine solche Wortbedeutung speichern
und sich an sie erinnern können. Es kann also
sowohl der Erwerb als auch der Zugriff auf Wortbedeutungen gestört sein. Im Einzelnen lassen sich
folgende Störungsprozesse unterscheiden:
• Störungen der Organisation des „mentalen Lexikons“ (des Sprachspeichers): Derartige Störun-
•
•
gen zeigen sich beim Kind z. B. daran, dass es
einzelne Wortgruppen nicht zueinander in
Beziehung zu setzen vermag. Das kann daran
liegen, dass ihm die Leistungen des Kategorisierens fehlen, beispielsweise Über- und Unterordnungen (Tier – Säugetier – Hund).
Einschränkungen im Erwerb verschiedener Wortarten: Das Kind produziert vorrangig Hauptwörter, nur wenig Tätigkeitswörter und kaum
Eigenschaftswörter.
Störungen bei der Wortfindung und im Wortzugriff: Das Kind findet die richtigen Worte
nicht, beispielsweise sagt es zu „Kühlschrank“
nur „Kühler“.
Störungen der Grammatik
Störungen beim Erwerb der Grammatik werden
als Dysgrammatismus bezeichnet. Die Störungen
betreffen hierbei die Satzebene und die Wortebene. Auf der Satzebene werden Wörter in einem
Satz nicht an ihre richtige Stelle gesetzt. So steht
im Deutschen das Verb im Hauptsatz an 2. Position: „Peter spielt Ball.“ Ein dysgrammatisch sprechendes Kind würde nun beispielsweise das
gebeugte Verb an die letzte Position im Satz stellen: „Peter Ball spielt.“ Auf der Wortebene werden
Wörter falsch oder gar nicht gebeugt (dekliniert
und konjugiert).
Zusammenfassend können Störungen des
Erwerbs der Grammatik folgende Aspekte betreffen:
Satzebene:
• Eingeschränkte Satzlänge, kaum Mehrwortsätze: Das Kind sagt: „Peter Ball“ statt: „Peter holt
den Ball.“
• Eingeschränkte Satzkomplexität: Z. B. werden
kaum Präpositionalphrasen verwendet: Das
72
•
•
•
Kind sagt: „Katze bei Sofa liegt“ statt „Die Katze
liegt auf dem Sofa.“
Fehlen von Satzgliedern: Beispielsweise wird
das Objekt, das mit dem Gebrauch eines Verbs
gefordert ist, nicht genannt: Das Kind sagt:
„Mama Buch schenkt“ statt: „Mama hat Peter
ein Buch geschenkt.“
Falsche Wortstellung: Die Regel, dass das gebeugte Verb in Hauptsätzen an 2. Stelle steht,
wird nicht beachtet: Das Kind sagt: „Ich Tomate hole“ statt „Ich hole eine Tomate“.
Fehlerhafte „Verneinung“: Z. B.: „Ich nich komme“ statt „Ich komme nicht.“
Wortebene:
• Fehlerhafte oder unterbleibende Übereinstimmung von Subjekt und Verb: Z. B.: „Ich fahren“
statt „Ich fahre.“
• Fehlerhafter Gebrauch der Fälle: Beispielsweise
wird in Dativkontexten der Akkusativ verwendet: Das Kind sagt: „Ich kaufe mich das“ statt
„Ich kaufe mir das.“
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Störungen beim Erwerb von Wortbedeutungen und beim Erwerb eines
umfangreichen Wortschatzes
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Sprachstörungen im Kindesalter
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M 11 Allgemeine und spezifische Sprachentwicklungsstörung
Störungen der Kommunikation werden bei der
Betrachtung von allgemeinen und spezifischen
Sprachentwicklungsstörungen häufig vernachlässigt. Dabei ist die Fähigkeit zur Kommunikation
eine zentrale Voraussetzung für den Kontakt und
die gelungene Gestaltung von Beziehungen. Diese
kommunikativen Fähigkeiten werden auch in der
sprachdiagnostischen Situation erkennbar und lassen sich dort ermitteln.
Bei Sprachentwicklungsstörungen zeigen sich
vor allem 2 Arten von Beeinträchtigungen, entweder allgemein-kommunikative Störungen (die dialogischen Fähigkeiten sind begrenzt, ein Gespräch
kann nicht angemessen geführt werden). Und/
oder es liegen Einschränkungen beim Erzählen
von Geschichten vor (die narrativen Fähigkeiten
sind nicht ausreichend ausgebildet).
Störungen hinsichtlich der Fähigkeiten, einen
Dialog zu führen, zeigen sich beispielsweise wie
folgt:
• Nichtaufnehmen von Blickkontakt
• Sprecherrollenwechsel gelingt nicht angemessen (du-ich-du oder ich-du-ich)
• Ergreifen der Initiative unterbleibt, wodurch
das Aufrechterhalten eines Dialogs misslingt
• Gesprächspartnern wird nicht angemessen
Rückmeldung gegeben
• relevante Informationen werden den Gesprächspartnern nicht in ausreichendem Maße
mitgeteilt
• eingeschränkte Verfügbarkeit verschiedener
Sprechakte: Auffordern, Bitten, Fragen etc.
Störungen hinsichtlich der Fähigkeiten, eine Geschichte zu erzählen, können folgende sein:
• Die Hauptfigur oder andere wichtige Figuren
werden beim Erzählen einer Geschichte nicht
beschrieben (keine Aktanteneinführung): Das
Kind sagt „Pussi hat den aufgehoben“, statt
„Pussi, das ist ein kleiner Bär. Der hat den verletzten Vogel aufgehoben.“
• Es wird nicht deutlich, wo die Geschichte anfängt beziehungsweise wo sie endet (Markierung fehlt).
• Die Strukturierung von Informationen ist eingeschränkt: Unklar bleibt, wer tut wem was
und warum?
• Die Stimmigkeit der Informationen in einer
Geschichte und der Zusammenhalt der Geschichte sind unzureichend: Das Kind sagt:
„Vincent … Höhle ist ganz warm. Vincent liebt
Höhlen. Lernt die Welt nicht kennen.“ Statt:
„Es war einmal ein kleiner Bär. Sein Name war
Vincent. Der kleine Bär wohnte in einer Höhle.
Dort war es im Unterschied zu allen anderen
Höhlen warm und wonniglich. Und so liebte
der kleine Bär seine Höhle, ging nie aus seiner
Höhle und lernte deshalb auch nie die Welt
kennen.“
Weitere Beispiele sind aus Tab. 11.1 zu entnehmen,
die sich inhaltlich auf Abb. 11.1 bezieht.
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Störungen der Kommunikation
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Abb. 11.1a–d Bildvorlage „Ich schicke einen Brief“
(dient auch als Material für Übung 7; gezeichnet von Sibylle Reinshagen, Berlin).
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„richtigen“ Worte zu finden: Statt
„Briefträger“ sagt es beispielsweise
nur „Onkel“.
• Das Kind hat Schwierigkeiten, die
Störungen bei der Wortfindung
und im Wortzugriff:
Nomen („Brief“, „Post“, „Kasten“),
statt zusätzlich Verben und
Adjektive oder Präpositionen
(„Brief schreiben“, „einen langen
Brief“, „einen Brief an Oma
schreiben“).
• Das Kind benutzt vorwiegend
Einschränkungen im Erwerb
verschiedener Wortarten:
hält nur einen Brief an die Oma für
einen Brief, alle anderen möglichen
Briefe erkennt es nicht als Brief an.
• Untergeneralisierung: Das Kind
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lediglich einzelne Sätze, ohne diese
sinnvoll miteinander zu verbinden
durch z. B. „und dann“.
• Fehlende Kohärenz: Das Kind äußert
dass es sich um einen Brief handelt,
den es selbst gemalt hat, sondern
sagt z. B. nur: „Da eingesteckt“. Der
Gesprächspartner weiß somit nicht,
was das Kind wo eingesteckt hat.
• Das Kind erwähnt im Gespräch nicht,
Eingeschränkte Fähigkeiten, eine
Geschichte zu erzählen:
nicht diejenigen Informationen, die
das Verstehen sichern: So lässt es
z. B. aus, dass es sich um einen Brief
an Oma handelt und erzählt nur,
dass es zum Briefkasten gegangen
ist.
• Das Kind gibt dem Gesprächspartner
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Hinweis: Weitere Beispielsätze sprachauffälliger Kinder finden sich in den Übungen 13 u. 14 zur Gruppenarbeit (s. „Verbesserte Wiederholung“, S. 181–181)
anders: z. B. wird „Frosch“ zu „Poss“, „Fosch“,
„Sosch“ oder „Rot“.
• Das Kind bildet das gleiche Wort immer
„g“ und „ng“ ersetzt: „Das Kink hak einge
Feuerwehr geseheng“ (Das Kind hat eine
Feuerwehr gesehen).
• „Der Brief gleich rausgefallt“.
• „Klappe nicht geht zu.“
Falsche Stellung der Wörter im
Satz:
macht.“
• „Bei die Post der sein Tasche auf
einstecken.“
• „Briefträger der Brief in Tasche hat
Gebrauch von Fällen, Tätigkeitswörter fehlerhaft gebeugt:
• Verwechseln von Artikeln, falscher
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Sprachstörungen im Kindesalter
• Die Laute „t“, „d“ und „n“ werden durch „k“,
„h“: „Das Kind hat eine Seuersehr gesehen“
(Das Kind hat eine Feuerwehr gesehen).
• Alle „fließenden“ Laute werden zu „s“ oder
und „ch2“ werden „gestoppt“: „Dat Kind hat
eine Peuerbehr gedehen“ (Das Kind hat eine
Feuerwehr gesehen).
• Alle „fließenden“ Laute „f“, „w“, „sch“, „ch1“
einen hangen Hauch“ (Die hatte einen langen
Schlauch).
• Fast alle Wörter fangen mit „h“ an: „Die hatte
Ungewöhnliche Lautentwicklung:
• „Is sehe einen Swan“ (sch/ch1→s)
Lautverbindungen werden reduziert
(schw→s; fr→f)
Gespräch etwas sagen soll, es wartet
den Gesprächsbeitrag des anderen
nicht ab oder reagiert nicht auf eine
an ihn gerichtete Frage, z. B. auf:
„Hast du den Brief an Oma in den
Briefkasten gesteckt?“
• Das Kind weiß nicht, wann es im
Eingeschränkte Fähigkeiten, einen
Dialog zu führen:
Kommunikation
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Fehlende/fehlerhafte Formen:
• Falsche Über- und Unterordnung
• „Kind Briefkasten (geht)“
• „Kind Brief ein(ge)steckt“
• „Kasten hoch ist“
• „Posthorn schwarz“
• „Das Tint deht in denTinderdarten“ (k/g→t/d)
• „Mein S[.]ester hat eine F[.]eundin“;
von Begriffen: Das Kind ordnet
einen „einzelnen Brief“ nicht unter
den Oberbegriff „Postsendung“.
Für das Kind hat das Wort „Brief“
nichts mit dem Begriff „Postsendung“ zu tun.
Störungen der Organisation des
mentalen Lexikons:
Auslassen von Wörtern und
Satzteilen:
• „Ich habe einen Holler“ (r→h)
Verzögerter Lauterwerb:
Wortbedeutungen und Wortschatz
Grammatik
Störungen der Phonologie, Grammatik, Semantik und des Wortschatzes sowie der Kommunikation.
Phonologie
Tab. 11.1
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M 11 Allgemeine und spezifische Sprachentwicklungsstörung
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Materialien zur Früherkennung und Beratung
Weiterführende Literatur für Eltern, Erzieher und andere Interessierte
Mannhard A, Scheib K. Was Erzieherinnen über Sprachstörungen wissen müssen. Mit Spielen und Tipps für
den Kindergarten. 2. Aufl. München: Reinhardt; 2007
Spezifische Fachliteratur
Amorosa H, Noterdaeme M. Rezeptive Sprachstörungen.
Ein Therapiemanual. München: Reinhardt; 2003
Böhme G. Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) im Kindes- und Erwachsenenalter. Defizite, Diagnostik, Therapiekonzepte, Fallbeschreibungen. 2. Aufl. Bern: Huber; 2008
Clahsen H. Normale und gestörte Kindersprache: linguistische Untersuchungen zum Erwerb von Syntax
und Morphologie. Amsterdam: Benjamins; 1988
Fox A. Kindliche Aussprachestörungen. Phonologischer
Erwerb, Differenzialdiagnostik, Therapie. Idstein:
Schulz-Kirchner; 2003
Franke U. Logopädisches Handlexikon. 8. Aufl. München: Reinhardt; 2008
Gebhardt W. Entwicklungsbedingte Sprachverständnisstörungen bei Kindern im Grundschulalter. Status
und Diagnostik im klinischen Kontext. München:
Herbert Utz; 2001
Grimm H. Störungen der Sprachentwicklung. Grundlagen, Ursachen, Diagnose, Intervention, Prävention.
Bern: Huber; 2003
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WN 013444/01/06
Grohnfeldt M. Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und
Logopädie, Bd 2: Erscheinungsformen und Störungsbilder. Stuttgart: Kohlhammer; 2009
Hacker D, Wilgermein H. Aussprachestörungen bei Kindern – plus CD-ROM mit dem AVKIA-Test. Ein
Arbeitsbuch für Logopäden und Sprachtherapeuten.
München: Reinhardt; 2001
Jahn T. Phonologische Störungen bei Kindern. 2. Aufl.
Stuttgart: Thieme; 2006
Keilmann A, Büttner C, Böhme G. Sprachentwicklungsstörungen. Interdisziplinäre Diagnostik und Therapie.
München: Reinhardt; 2009
Kannengieser S. Sprachentwicklungsstörungen. Grundlagen, Diagnostik und Therapie. München: Elsevier
Urban & Fischer; 2009
Sandrieser P, Schneider P. Stottern im Kindesalter. 3.
Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008
Schrey-Dern D, Stiller U, Tockuss D. Sprachentwicklungsstörungen. Logopädische Diagnostik und Therapieplanung. Stuttgart: Thieme; 2006
Sick U. Poltern. Theoretische Grundlagen, Diagnostik,
Therapie. Stuttgart: Thieme; 2004
Siegmüller J, Bartels H. Leitfaden Sprache, Sprechen,
Stimme, Schlucken. 2. Aufl. München: Elsevier, Urban
& Fischer; 2010
Spital H. Stimmstörungen im Kindesalter. Ursachen,
Diagnose, Therapiemöglichkeiten. Stuttgart: Thieme;
2004
Weinrich M, Zehner H. Phonetische und Phonologische
Störungen bei Kindern. 3. Aufl. Berlin: Springer; 2008
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Stottern: Hinweise zur Unterscheidung von
altersgemäßer Sprechunflüssigkeit,
beginnendem und chronischem Stottern
Inhalt
Redeunflüssigkeiten treten in der Sprachentwicklung unserer Kinder zwischen 2½ und 5 Jahren auf. Sie sind als „altersgemäße Sprechunflüssigkeiten“ bekannt, stellen aber keine Störungen dar, obwohl sie Ähnlichkeiten mit dem beginnenden Stottern aufweisen. Die Merkmale der altersgemäßen Sprechunflüssigkeit und des beginnenden Stotterns werden
beschrieben, voneinander abgegrenzt und in einer tabellarischen Gegenüberstellung veranschaulicht (Tab. 12.1). Dabei
wird auch das chronische Stottern mit seinen Begleitsymptomen berücksichtigt.
█
Ziel
Die Leser sollen auf einen Blick Unterscheidungshinweise für 3 verschiedene Zustandsbilder von Redeunflüssigkeiten
erhalten, die in der Praxis oft nicht richtig voneinander abgegrenzt werden. Die Vermittlung dieser Wissenseinheit dient
der Früherkennung des Stotterns.
█
Einsatzmöglichkeiten
• Für alle Zielgruppen gut geeignet.
• Tabelle auch in Plakatform/Folie bei Informationsveranstaltungen einsetzbar.
Bei Kindern zwischen 2½ und 5 Jahren zeigen sich
in der Regel Unflüssigkeiten im Redefluss, sog.
altersgemäße Sprechunflüssigkeiten (früher auch
Entwicklungsstottern genannt). Sie klingen zwar
ähnlich wie ein Stottern, gehören in diesem Lebensalter aber zum normalen kindlichen Sprechverhalten und stellen damit keine Störung dar.
Altersgemäße Sprechunflüssigkeit und beginnendes Stottern lassen sich beim flüchtigen Hinhören nur schwer voneinander unterscheiden, da
es bei beiden Sprechweisen zu ähnlichen Auffälligkeiten kommt: Es treten Wiederholungen auf,
Laute werden gedehnt (Langziehen von Anfangsbuchstaben) und es kommt zu Unterbrechungen
im Redefluss durch Pausen.
Bei genauerer Analyse erkennt man aber die
Unterschiede:
• Wiederholungen:
– sie beziehen sich bei der altersgemäßen
Sprechunflüssigkeit vor allem auf Satzteile
(„da war, da war, da war …“), Wörter („diedie“), manchmal auch Silben („ei-eine“);
– während sie beim beginnenden Stottern vor
allem kleinere Einheiten betreffen: Silben
und insbesondere einzelne Laute. Diese Wiederholungen treten bei einer Silbe bzw. ei-
•
•
█
nem Laut nicht nur ein-, zweimal, sondern
mehrfach auf („ei-ei-ei-ei-eine“, „d-d-d-dder“).
Dehnungen:
– sie sind bei der altersgemäßen Sprechunflüssigkeit nur kurz („aaaber“);
– beim beginnenden Stottern ist das Langziehen einzelner Anfangslaute hingegen deutlich länger („aaaaaaber“).
Pausen:
– bei der altersgemäßen Sprechunflüssigkeit
signalisieren Pausen, dass das Kind innehält,
um das richtige Wort zu finden oder den Ablauf des Satzes neu zu planen;
– beim beginnenden Stottern sind die Pausen
hingegen Ausdruck von körperlichen Anspannungen: Das Kind bleibt an einem Laut
„hängen“ („kkk … kkann“), oder das Aussprechen eines Wortes ist ganz blockiert, das
Kind stockt kurzfristig im Redefluss, um
dann (mit mehr oder weniger Kraftanstrengung) wieder weiter zu sprechen. Die Redeflussunterbrechungen beim beginnenden
Stottern können mit Verspannungen vor allem im Mund- und Gesichtsbereich einhergehen (sog. Mitbewegungen).
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█
TEIL 2
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Materialien zur Früherkennung und Beratung
• allgemein:
– Bei der altersgemäßen Sprechunflüssigkeit
lässt sich erkennen, dass die Fähigkeit, flüssig zu sprechen, ohne sich zu verhaspeln
oder hängen zu bleiben, erst noch erworben
bzw. gefestigt werden muss, genauso wie es
beim Erlernen des Laufens anfangs üblich ist
zu zögern, zu stolpern, hinzufallen und sich
dann wieder aufzurappeln.
– Bei einem richtigen Stottern erkennt man
hingegen, dass die inhaltliche Aussage bereits gedanklich präsent ist, das Aussprechen
aber – häufig durch zu viel Krafteinsatz der
am Sprechen beteiligten Muskulatur – beeinträchtigt ist.
In der Regel dauern altersgemäße Sprechunflüssigkeiten nicht länger als ein halbes Jahr an. Wird
dieser Zeitraum überschritten, müssen Eltern Acht
geben, dass sich die Unflüssigkeiten nicht zu
einem echten Stottern entwickeln.
Als zusätzliches Erkennungszeichen eines beginnenden Stotterns gilt der sog. Schwa-Laut, der
wie das „e“ am Ende von „eine“ und „beinahe“
klingt. Bei Wiederholungen ist nun dieser „e“-Laut
zu hören, obwohl er in der Lautabfolge des Wortes
nicht vorkommt: Statt „Ba-ba-banane“ sagt das
Kind „Be-be-be-banane“.
Wenn sich das beginnende Stottern verfestigt
hat, kann es bei Wiederholungen zu dem Phänomen der Sprechtempoerhöhung kommen: Das
Tempo der Wiederholungen wird z. B. bei einer
Silbe zunehmend schneller. Oder bei Dehnungen
ist ein Ansteigen der Lautstärke bzw. der Tonhöhe zu verzeichnen.
Auch können Blockaden im Sprechablauf auftreten, die das Kind registriert und gegen die es
anzukämpfen versucht: Es beginnt die Symptome
bewusst oder intuitiv bewältigen zu wollen und
zeigt dabei unterschiedliche Reaktionsweisen:
• Zunahme von Krafteinsatz beim Sprechen (Ankämpfverhalten).
• Austauschen von Wörtern (Vermeidung).
• Einsatz von Floskeln („nun ja“) als so genannte
Starter, um leichter in das gefürchtete Wort
hinein zu kommen.
• Verwenden von Einschüben, um das gefürchtete Wort hinauszuzögern (Aufschubverhalten).
• Vielleicht zeigt sich beim Kind auch schon eine
gewisse Sprechunlust oder Sprechscheu: Es
spricht nicht zu Ende, bricht resigniert ab nach
dem Stottern, blickt zu Boden oder ärgert bzw.
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TN 778506
WN 013444/01/06
schämt sich. Oder es will bestimmten Sprechsituationen ganz aus dem Weg gehen.
Bei Kindern mit einem beginnenden Stottern liegt
nicht immer ein Bewusstsein von der Gestörtheit
des eigenen Sprechens vor, und selbst wenn ein
solches Störungsbewusstsein existiert, verhalten
sich viele stotternde Kinder (zumindest in der ersten Zeit) noch völlig unbefangen ihrem eigenen
unflüssigen Sprechen gegenüber. Es muss also nicht
zwangsläufig ein Leidensdruck mit dem Stottern
einhergehen.
Ganz anders beim chronischen Stottern: Hier
liegt in der Regel ein stärkerer Leidensdruck vor
mit einer ganzen Reihe von Begleitsymptomen
(Sekundärsymptomen). Diese zeigen sich nicht nur
im Sprechverhalten, sondern haben Auswirkungen
auf das Kommunikationsverhalten und die emotionale Befindlichkeit des Kindes. In diesem Sinne
kann es zu deutlichen Beeinträchtigungen der psychischen und sozialen Entwicklung des stotternden Menschen und seiner Lebenssituation kommen.
!
Unflüssiges Sprechen wird vom Kind nicht absichtsvoll
produziert und lässt sich auch nicht durch Hinweise
und Ermahnungen einfach „abstellen“.
Eltern und Erzieher, die sich wegen der Sprechunflüssigkeiten ihres Kindes sorgen, sollten sich nicht
scheuen, eine schnelle fachkundige Abklärung vornehmen zu lassen (s. M 26 bis M 28). Im Einzelfall
ist es für Laien nicht leicht zu entscheiden, ob
bereits eine behandlungsrelevante Störung vorliegt. Durch eine rechtzeitige Diagnostik und Frühberatung kann beginnendes Stottern in den meisten Fällen gestoppt werden. Und auch chronisches
Stottern lässt sich heutzutage erfolgreich behandeln.
In Tab. 12.1 sind die beschriebenen Punkte noch einmal
gegenübergestellt.
Weitere Einzelheiten zur altersgemäßen Sprechunflüssigkeit, zum beginnenden Stottern und zum chronischen
Stottern sowie Empfehlungen für angemessenes Erziehungsverhalten finden sich in dem Beratungsbrief für
Eltern und Erzieher stotternder Kinder (M 22, S. 122ff).
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Dehnungen
Pausen als Blockade/Pressen
(„Hängenbleiben“ an einem Laut) vor und im Wort
• von Lauten („k-kein“, „T-T-Tür“, „o-o-o-ohne“)
Dehnungen
eines Lautes, länger als 1 Sekunde („mmmmmmein“,
„aaaaaaaber“)
(Stille) Pausen
• vor oder im Satz
• ggf. innerhalb eines Wortes
• „Hängenbleiben“ an einem Laut: Das Weitersprechen
• von ganzen Wörtern („Ich, ich, ich weiß nicht.“)
• selten von Silben („Ei-Eisenbahn“, „Ba-Banane“)
Dehnungen (Langziehen)
eines Lautes, kürzer als 1 Sekunde („mmmein“,
„aaaber“)
Stille Pausen, Abbrüche, Neubeginn
Vor dem Satz wird gezögert und/oder die Äußerung
wird abgebrochen und eine Pause (…) eingelegt, in
der geeignete Wörter bzw. das richtige Sprachmuster
gesucht werden (sprachliche Planung): „Und dann,
dann ist das, das … Kaninchen gekommen und hat …
also, es ist mit den Füßen am, also am Gitter so hoch …
hat sich so so hochgestellt.“
Symptomproduktion (Fixierungen)
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• Unbeweglichkeit von Mimik und Gestik
• „Einfrieren“ von Bewegungen im Moment der
Starrheit der Körperhaltung
telbar am Sprechen beteiligt sind (Augen, Hände,
Arme, Beine, ganzer Körper)
• Bewegungen von Körperpartien, die nicht unmit-
Mitbewegungen
Sprechen beteiligten Muskulatur, z. B. Zittern/
Zucken der Lippen
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Sprachstörungen im Kindesalter
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beteiligten Muskulatur (z. B. Pressen der Lippen, Zucken
des Mundwinkels)
• ggf. Anzeichen von Verspannungen in der am Sprechen
• mit und ohne Ton/Stimme
• verbunden mit Kraft und Anstrengung der am
• länger als 1 Sekunde
• Anspannung im Mundbereich, Gesicht, Hals
• mit Anstieg der Tonhöhe
• mit Anstieg der Lautstärke
Wiederholung öfter als zweimal
• Silben (mit Schwa-Laut: „Be-Be-Be-Be-Banane“)
• Laute („k-k-k-kein“, „g-g-g-gut“) Frequenz der
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bzw. das Bilden des nächsten Lautes gelingt nicht
• Sprechtempoerhöhungen bei Wiederholungen
• von Silben („Ei-Ei-Ei-Eisenbahn“, ggf. Schwa-Laut2:
„Be-Be-Be-Banane“)
• von Satzteilen („Und dann bin ich, und dann bin ich
weggerannt“)
Wiederholungen
Wiederholungen
Wiederholungen
Chronisches Stottern3
Beginnendes Stottern1
Abgrenzung altersgemäße Sprechunflüssigkeiten – beginnendes Stottern – chronisches Stottern.
Altersgemäße Sprechunflüssigkeit
Tab. 12.1
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negativen Einstellungen sich selbst, anderen Menschen und
dem Leben gegenüber geprägt ist
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• in der Regel ausgeprägtes Störungsbewusstsein
• hoher Leidensdruck
• eventuell Selbstwertproblematik, die von sozialen Ängsten und
Störungsbewusstsein
• Peinlichkeits- und Schamgefühle in Kommunikationssituationen
• allgemeine Unsicherheit
• Identitätsprobleme
wegen des Stotterns
• Angst vor dem Stottern
• allgemeine Sprechangst
• Logophobie (spezifische Lautangst4)
• situative Erwartungsangst, Misserfolgsvorwegnahme
• Ärger- und Wutreaktionen bezogen auf auftretendes Stottern
• Hilflosigkeit, Gefühle des Ausgeliefertseins (Kontrollverlust)
Emotionale Beeinträchtigung
• Vermeiden von Kontaktsituationen, soziales Rückzugsverhalten
nen
• Vermeiden von Kommunikation und üblichen Sprechsituatio-
sprechen
• andere Personen dazu bewegen, dass sie für den Stotternden
Wendlandt
Sprachstörungen im Kindesalter
(Wortkargheit kann fälschlicherweise den Eindruck geistiger
Undifferenziertheit vermitteln)
• Wortabbrüche, Verschlucken von Silben/Wörtern
• Redeabbrüche, Schweigen
• Zeichensprache (Zeigen statt Sprechen)
• allgemeine „Sprechfaulheit“, Redeunlust, Einsilbigkeit
bei sich ankündigenden oder auftretenden Symptomen
• „Ankämpfreaktionen“ (Krafteinsatz, Anstrengungsverhalten)
benutzt, um Blockaden auszuschalten bzw. besser ins Reden
zu kommen
• „Starter“ (Bewegungen, Geräusche oder Wörter) werden
Floskeln und stereotypen Redewendungen („gewissermaßen“,
„wollen wir mal sagen“)
• Gebrauch von Flickwörtern/Einschüben („naja“, „also“),
ständlich)
• Umkonstruieren des Satzes (Aussage bleibt teilweise unver-
(Synonyma)
• Ersetzen „schwieriger“ Begriffe/Wörter durch gleichartige
Sprachliches Vermeidungsverhalten
• Kaschieren der Symptomatik (z. B. Kopf abwenden, Hand vor
• abgewandt bei Symptom
• allgemein abgewandt, unstet
den Mund nehmen)
Soziales Vermeidungsverhalten
Blickkontakt gestört
Chronisches Stottern3
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Störungsbewusstsein muss beim Kind nicht vorliegen.
Schwa-Laut klingt wie das „e“ am Ende von „eine“ und „beinahe“, gilt als Warnzeichen für den Beginn des Stotterns.
3
Die hier aufgeführten Merkmale chronischen Stotterns treten nicht immer gemeinsam bei einer Person auf.
4
Bestimmte Buchstaben werden vom Betroffenen als extrem schwierig erlebt, Wörter mit entsprechenden Anfangslauten als typische Stotterwörter betrachtet.
1
(Fortsetzung).
TEIL 2
Altersgemäße
Beginnendes
Sprechunflüssigkeit Stottern1
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Umbruch
M 12 Stottern: Hinweise zur Unterscheidung von altersgemäßer Sprechunflüssigkeit
Bundesvereinigung Stotter-Selbsthilfe, Hrsg. Mein Kind
stottert – was nun? Köln: Demosthenes-Verlag der
Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe; 2010
Hood S. An einen Stotterer. 7. Aufl. Köln: DemosthenesVerlag der Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe;
2004 (als Lektüre auch für stotternde Jugendliche
geeignet)
Literatur für Fachleute
Katz-Bernstein N. Aufbau der Sprach- und Kommunikationsfähigkeit bei redeflußgestörten Kindern. Ein
sprachtherapeutisches Übungskonzept. 6. Aufl.
Luzern: Verlag Schweizerische Zentralstelle für Heilpädagogik; 1995
Natke U. Stottern. Erkenntnisse, Theorien, Behandlungsmethoden. 2. Aufl. Bern: Huber; 2005
Ochsenkühn C, Thiel M, Ewerbeck C. Stottern bei Kindern und Jugendlichen. 2. Aufl. Heidelberg: Springer;
2010
Sandrieser P, Schneider P. Stottern im Kindesalter. 3.
Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008
Wendlandt W. Stottern im Erwachsenenalter. Grundlagenwissen und Handlungshilfen für die Therapie
und Selbsthilfe. Stuttgart: Thieme; 2009
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interessierte Laien und betroffene Jugendliche
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Kindliche Stimmstörungen
Inhalt
Nach einer allgemeinen Beschreibung von Stimmstörungen werden deren Ursachen diskutiert und es wird über die Notwendigkeit und Art ihrer Behandlung informiert. Abschließend werden wichtige Hinweise zur Prävention von Stimmstörungen gegeben.
█
Ziel
Es soll der Tendenz entgegengewirkt werden, Auffälligkeiten der Stimme zu „überhören“, sie zu vernachlässigen beziehungsweise sie unbehandelt zu lassen.
█
Einsatzmöglichkeiten
Gut für alle Zielgruppen geeignet; besonders wichtig für Eltern, Erzieher sowie für Lehrer der ersten Schulklassen.
█
Allgemeine Hinweise zu Stimmstörungen
„Wie lustig sich Peter anhört!“ Die Erzieherinnen
schmunzeln. Der kleine, zarte Peter spricht mit
gespitztem Mund und piepsigem Stimmchen, das
ganz zu seinem zarten Wesen zu passen scheint.
Marie hingegen, mal wieselflink, mal Tollpatsch,
hat eine krächzende „Reibeisenstimme“, sodass
man sich jedes Mal räuspern möchte, wenn man
sie hört. Das ist ihre Eigenart; alle kennen und lieben sie so. Und keiner findet etwas Auffälliges an
Peter und Marie.
Eine kindliche Stimmstörung (Dysphonie) wird
oft „übersehen“: Eltern und Erzieher sind durch
den täglichen Kontakt mit dem Kind so an sein
Sprechen gewöhnt, dass sie das Ungewöhnliche
der Stimme gar nicht mehr bemerken. Die Stimmstörung wird wie eine Eigenschaft betrachtet, die
zum Kind dazu gehört, nicht wie eine Störung, die
behandelt werden sollte. Dabei ist für einen Fremden die Auffälligkeit meist sehr deutlich erkennbar: Der „normale“ Klang der Stimme ist verändert, Lautstärke bzw. Tonhöhe zeigen deutliche
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Abweichungen. Kindern mit Stimmstörungen
begegnen wir häufiger als gemeinhin angenommen.
Eine gestörte Stimmbildung ist erkennbar an
• Atem- und/oder Haltungsfehlern (Brustatmung,
Schultern beim Atmen hochgezogen, krumme
Haltung beim Sitzen oder Gehen);
• pathologischen (zu harten, zu verhauchten)
Stimmeinsätzen;
• einer zu hohen oder zu tiefen Sprechstimmlage;
• einer undeutlichen, spannungslosen, gepressten oder heiseren Sprechweise;
• Auffälligkeiten beim Singen (Kind singt häufig
zu laut und/oder trifft die Melodie nicht)
• subjektiv empfundenen Stimmbeschwerden;
• Fehlspannungen der Gesichts-, Hals- und
Atmungsmuskulatur;
• einer eingeschränkten Belastbarkeit der Stimme.
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Sprachstörungen im Kindesalter
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29.9.2010
Umbruch
M 13 Kindliche Stimmstörungen
Bei dem größten Prozentsatz stimmgestörter Kinder liegt eine funktionelle Dysphonie vor. Sie ist
gekennzeichnet durch eine Störung des Stimmklangs und der stimmlichen Leistungsfähigkeit.
Eine krankhafte Veränderung des Stimmapparats
liegt nicht vor beziehungsweise kann nicht gefunden werden. Fachleute unterscheiden hyperfunktionelle Dysphonien von hypofunktionellen Dysphonien. Auch gibt es Dysphonien mit einer
gemischten Symptomatik.
Bei hyperfunktionellen Dysphonien ist der
Stimmklang oft rau, heiser und gepresst. Meist
wird mit zu viel Kraftanstrengung gesprochen –
ein Übermaß an Spannung liegt vor. Die Stimme
wird über lange Zeit durch hohes oder lautes Sprechen, Schreien oder Singen überbeansprucht. Die
Muskelspannung des gesamten Körpers ist erhöht.
Beim Sprechen wird auffällig gepresst. Manchmal
werden dabei sogar die Venen am Hals sichtbar.
Die Atmung ist auffällig mühsam. Am Ende eines
Tages können diese Kinder – durch die Überbeanspruchung der Stimmlippen – manchmal gerade
noch flüstern.
Spricht das Kind gewohnheitsmäßig in dieser
Art und Weise, können sich an den Stimmlippen
(„Stimmbänder“; sie sind für den Klang unserer
Stimme verantwortlich) stecknadelkopfgroße
Gewebepolster bilden, die sog. Stimmlippen- oder
Schreiknötchen. Die Stimmlippen sind dann in
ihrer Schwingungsfähigkeit beeinträchtigt und
schließen nicht mehr richtig. Die Luft entweicht,
die eigentlich zur Stimmbildung benötigt wird.
Das führt nicht selten dazu, dass das Kind bei der
Stimmgebung nun noch stärker presst. Die Stimme
hört sich heiser an. Häufig ist ein Räusperzwang
die Folge.
Beim Singen zeigt sich die hyperfunktionelle
Störung darin, dass die Stimmlage oft zu hoch und
der (musikalische) Stimmumfang eingeschränkt
sind. Die Singstimme klingt verhaucht, brüchig
und gepresst. Die Tonhaltedauer ist deutlich verkürzt.
Bei hypofunktionellen Dysphonien wirkt der
Stimmklang kraftlos, die Stimme wenig tragfähig.
Beim Sprechen und Singen entweicht „wilde Luft“,
was zu einem erhöhten Luftverbrauch führt. Die
Stimmgebung ist meist zu leise, eine Lautstärkesteigung nur eingeschränkt möglich. Das Sprechen
wirkt monoton. Die Singstimme wirkt wenig tragfähig.
Ursachen von Stimmstörungen
Beim normalen Stimmgebrauch kommt es zu
einem Ineinandergreifen und Zusammenwirken
von Atmung, Muskelspannung (Tonus), Phonation
(Stimmbildung im Kehlkopf) und der Intention
(Absicht) des Sprechers. Wenn wir nach Ursachen
von Stimmstörungen fragen, müssen wir in der
Regel von Störungen in diesem Gesamtgefüge ausgehen.
So können konstitutionelle Faktoren, also angeborene körperliche Gegebenheiten, wie ein anlagebedingt zu kleiner Kehlkopf oder Asymmetrien
des Kehlkopfs, verantwortlich für eine Stimmstörung sein. Oder es liegen organische Erkrankungen
wie eine akute oder gar chronische Entzündung
des Kehlkopfs vor, die Stimmlippen können sich
entzündet und Knötchen gebildet haben oder
Polypen sind festzustellen.
Darüber hinaus neigt ein Teil der Kinder dazu,
eine Stimmstörung in ihrer Entstehung zu begünstigen oder aufrechtzuerhalten: Sie zeigen „Fehlverhaltensweisen“ wie ein exzessives Nachahmen von
Geräuschen, eine lang anhaltende oder ständig
laute Stimmgebung beim Spielen, überlautes
Rufen und Schreien oder auch häufiges Räuspern.
Ebenso kann das soziale Umfeld die Auslösung
einer Stimmstörung entscheidend beeinflussen,
beispielsweise durch einen hohen Lärmpegel im
Kindergarten oder zu Hause, durch zu hohe Leistungsanforderungen oder stimmlich negative Vorbilder.
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Arten von Stimmstörungen
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TEIL 2
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Materialien zur Früherkennung und Beratung
Bei Stimmstörungen ist eine gründliche Untersuchung durch einen Facharzt unerlässlich, um mögliche organische Ursachen oder Veränderungen
im Bereich der Stimmlippen nicht zu übersehen.
Ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt ist hier die richtige
Adresse, vor allem dann, wenn er die Zusatzqualifikation „Stimm- und Sprachheilkunde“ besitzt
oder „Phoniater“ (Facharzt für Stimm- und Sprachheilkunde) ist. Der Arzt wird in vielen Fällen eine
logopädische Behandlung verordnen. Allerdings
wird es jeweils vom Alter und von der Art der
Stimmstörung abhängen, welche stimmtherapeutische Intervention notwendig ist.
Bei einer logopädischen Diagnostik ist der Blick
auf die Eltern und Bezugspersonen genauso wichtig wie auf das Kind mit seiner Stimmstörung. Den
betroffenen Eltern wird beispielsweise ein Bewusstsein von ihrer eigenen Stimme vermittelt:
„Wie hört sich meine Stimme an?“, „Spreche ich
zu langsam/zu schnell?“, „Bin ich zu laut/zu leise?“
Eltern und Erzieher haben mit ihrem stimmlichen
Verhalten eine Vorbildfunktion für ihre Kinder –
zumindest können sie lernen, diese Vorbildfunktion positiv auszufüllen, eben „positive Stimmvorbilder“ zu sein.
Auch werden Eltern nach ihren Erziehungsstilen oder allgemeinen Kommunikationsverhaltensweisen gefragt: Stimme ist eben ein eigenes Kommunikationsmittel, über das sich die Gefühle oder
Gemütszustände der Erwachsenen vermitteln. Oft
sind es Stimmklang und Stimmkraft und nicht die
Worte, die deutlich machen, welche Anforderungen an das Kind gestellt werden oder dass feste
Regeln eingehalten werden müssen. Das Aufdecken und Kennenlernen der kindlichen „Stimmumgebung“ ist eine wichtige Voraussetzung, um
dem Kind weiterhelfen zu können.
Eltern und Erzieher brauchen sich bei diesem
Suchprozess in keiner Weise angeklagt zu fühlen.
Vielmehr geht es darum, ihnen Belastungen und
Unsicherheiten zu nehmen und ihren positiven
Einfluss auf das stimmliche Verhalten des Kindes
bewusst zu stärken. Abwartende Hilflosigkeit kann
sich so in tatkräftige Unterstützung wandeln.
Neben dem Blick auf die Eltern und Erzieher
steht natürlich auch die Untersuchung des Kindes
selbst mit seiner Stimme im Mittelpunkt des diagnostischen Geschehens: So ist z. B. die Atemform
von Interesse (Bauch- oder Brustatmung), die Ausatmungsdauer, die Sprechstimme, die Rufstimme,
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die Singstimme, die Art des Einsatzes und des
Beendens der Stimme, der Stimmumfang und die
Tonhaltedauer.
Ist eine stimmtherapeutische Behandlung angezeigt, so besteht zunächst das Ziel, Eltern von
Schuldzuweisungen oder Selbstvorwürfen zu entlasten und dann mit ihnen gemeinsam Möglichkeiten zu erarbeiten, wie sich die kommunikativen
und stimmlichen Ausdrucksweisen des Kindes
stärken lassen. Statt einer Fixierung auf die Gestörtheit gilt es für Eltern und Erzieher ihr Augenmerk auf hilfreiche Strategien für den Umgang mit
der Stimmstörung im Alltag zu richten (z. B. Phasen der Stimmruhe einzuführen).
!
Eltern und wichtige andere Bezugspersonen lernen im
Rahmen von Beratungsgesprächen, wie sie das
„Stimmumfeld“ positiv für die Stimmentwicklung des
Kindes gestalten können.
Darüber hinaus gibt es selbstverständlich für das
Kind selbst wichtige therapeutische Zielsetzungen
wie die Normalisierung der kindlichen Stimmfunktion (z. B. verbessertes Schwingungsverhalten
der Stimmlippen und das Aufheben des Räusperzwangs), die Verbesserung der stimmlichen Leistungen (z. B. der Tragfähigkeit der Stimme oder
des Stimmumfangs) und das Erarbeiten einer
belastungsfähigeren Stimme.
Mit stimmtherapeutischen Maßnahmen, beispielsweise mit einer Verbesserung der Stimmleistung beim Kind, wird sich auch das Kommunikationsverhalten zwischen den Eltern/Erziehern und
dem Kind positiv ändern: Es kommt zu einer positiven Wandlung des kindlichen Selbstbilds (Zunahme von Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen) sowie zu einer positiveren Einschätzung
durch andere (Fremdbild). Diese Veränderungen
zu ermöglichen ist eine befriedigende Aufgabe für
alle Beteiligten, die am Entwicklungsprozess der
kindlichen Stimme mitwirken.
!
Stimmlippenknötchen können sich – das sollten besorgte Eltern wissen – wieder zurückbilden!
Eine operative Entfernung der Knötchen ist in den
allerseltensten Fällen erforderlich. Die Selbstheilung kann dann eintreten, wenn die Überbean-
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Diagnostik und Therapie von Stimmstörungen
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M 13 Kindliche Stimmstörungen
spruchung der Stimme nicht mehr stattfindet oder
das Kind durch die stimmtherapeutischen Inter-
ventionen gelernt hat, ökonomischer mit seiner
Stimme umzugehen.
Abschließend werden wichtige Regeln zur Stimmhygiene
vorgestellt. Das Einhalten dieser Regeln hat eine vorbeugende Funktion beziehungsweise wirkt einer bereits bestehenden Stimmstörung entgegen.
• Lautes Schreien vermeiden! Nicht gegeneinander anschreien oder sich durch Lautstärke Gehör verschaffen!
Hier können dem Kind hilfreiche Kommunikationsregeln beigebracht werden.
• Nicht zu laut singen!
• Räuspern sollte vermieden werden! Räuspern beansprucht die Stimmlippen in besonderem Maße, denn
die Stimmlippen reiben sich beim Räuspern aneinander. Ein unangenehmes Gefühl im Hals, das zu dem
Räuspern zwingt, kann mit trockenem Schlucken oder
mit einem Schluck Wasser (am besten lauwarm) unterdrückt werden.
• Husten statt Räuspern! Wenn beim Kind immer wieder
ein starker Räusperzwang auftritt, sollte das Kind angeleitet werden, stattdessen lieber zu husten (das belastet die Stimmbänder deutlich weniger).
• Anleitung zu einer ausgewogenen Mund- und Nasenatmung! Kindern mit einer gewohnheitsmäßigen Mundatmung (bedingt beispielsweise durch eine orofaziale
Schwäche; s. auch M 14) sollte beigebracht werden,
wie sie eine verstärkte Nasenatmung bei Satzpausen
vornehmen können (dadurch trocknen die Schleim-
Weiterführende Literatur für Eltern, Erzieher und
andere Interessierte
Beushausen U. Kindliche Stimmstörungen. Ein Ratgeber
für Eltern und pädagogische Berufe. Idstein: Schulz
Kirchner Verlag; 2008
Gutzeit S. Die Stimme wirkungsvoll einsetzen. 3. Aufl.
Weinheim: Beltz; 2008
Herrmann-Röttgen M. Wenn die Kinderstimme nicht
stimmt. Wehrheim: Verlag für gruppenpädagogische
Literatur; 2006
häute weniger aus und der Räusperzwang wird gemindert).
• Es sollte ausreichend viel, über den Tag verteilt, getrunken
werden! Die Schleimhaut des gesamten Sprechapparates wird auf diese Weise ausreichend feucht gehalten
und ist somit besser funktionsfähig. Besonders in trockenen und überheizten Räumen ist es wichtig, auf genügend Flüssigkeitszufuhr zu achten, um die Schleimhäute nicht austrocknen zu lassen.
• Flüstern vermeiden! Flüstern schont die Stimme nicht.
Die muskuläre Beanspruchung ist beim Flüstern größer
als beim normalen Sprechen.
• Der Stimme Ruhe gönnen! Bei Erkältungen, Stimmbeschwerden oder einer ermüdeten Stimme sollte Stimmruhe gehalten werden.
• Gähnen tut der Stimme gut! Gähnen wirkt einem Engeoder Kloßgefühl entgegen, da die Muskeln oberhalb
des Kehlkopfes gedehnt werden.
• Rauchen vermeiden! Das gilt hoffentlich mehr für die Bezugspersonen als für das Kind selbst. Allerdings kann
auch passives Rauchen neben allen anderen Risiken zu
veränderten Zellstrukturen in den oberen Schichten
der Schleimhäute führen.
Spezifische Fachliteratur
Brohammer C, Kämpfer A. Therapie kindlicher Stimmstörungen. Übungssammlung. München: Reinhardt;
2004
Grohnfeldt M, Hrsg. Stimmstörungen. (Handbuch der
Sprachtherapie, Band VII. Edition Marhold). Berlin:
Spieß; 1994
Pascher W, Bauer HH. Differentialdiagnose von Sprachstörungen, Stimmstörungen und Hörstörungen. 2.
Aufl. Frankfurt: minerva, Edition Wissen; 1998
Ribeiro A. Funktionelle Stimmstörungen im Kindesalter.
Schulz-Kirchner Verlag; 2006
Spital H. Stimmstörungen im Kindesalter. Ursachen,
Diagnose, Therapiemöglichkeiten. Stuttgart: Thieme;
2004
Wender J, Seidner W, Eyshold U. Lehrbuch der Phonologie und Pädaudiologie. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme;
2005
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Regeln zur Stimmhygiene
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Myofunktionelle Störungen: Störungen der
Zungenfunktion und der Mundmuskulatur
Wolfgang Wendlandt & Ulrike Wiecha
Inhalt
Störungen im muskulären Bereich des Mundes, der Lippen und der Wangen sowie des Schluckakts werden von Eltern
weniger häufig erkannt als Störungen der Aussprache oder Grammatik. Die Symptome derartiger myofunktioneller Störungen werden aufgezeigt und ihre Auswirkungen auf den Spracherwerb im Kindesalter beschrieben.
█
Ziel
Der Leser soll auf eine Störung aufmerksam gemacht werden, die außerhalb von Fachkreisen bisher wenig bekannt ist.
Das Kapitel will Hinweise geben, wie myofunktionelle Störungen erkannt werden können, und will zur Frühdiagnostik
ermutigen.
█
Einsatzmöglichkeiten
Besonders für Eltern und Erzieher gut geeignet.
Myofunktionelle Störungen sind für den Laien
weniger auffallend als Störungen der Aussprache
oder der grammatischen Fähigkeiten. Sie können
jedoch weitreichende Auswirkungen haben, wie
z. B. die falsche Aussprache bestimmter Laute. Im
█
folgenden Kapitel werden Hinweise gegeben,
wann eine myofunktionelle Störung vorliegen
kann. Liegt der Verdacht auf eine Störung vor, sollten Eltern dies mit einem Kieferorthopäden oder
Kinderarzt besprechen.
Was sind myofunktionelle Störungen
Unter einer myofunktionellen Störung versteht
man die Beeinträchtigung der Muskelkraft und der
Muskelfunktion des Mund- und Rachenraums
sowie die Störungen des Schluckens. Bei den
betroffenen Kindern kann man feststellen, dass sie
beim Schlucken mit der Zunge gegen oder zwischen die Zähne pressen. Das Schlucken wirkt oft
angestrengt oder es muss nachgeschluckt werden.
Häufig kompensieren dabei Muskelgruppen, die
normalerweise am Schluckvorgang nicht beteiligt
sind, die unzureichende Zungenfunktion. Zudem
lassen sich muskuläre Beeinträchtigungen im
gesamten Mund-, Lippen-, und Wangenraum feststellen sowie Zahn- und Kieferfehlstellungen
beobachten. Mitunter bereitet den betroffenen
Kinder auch das Kauen Schwierigkeiten. Nicht selten meiden sie feste und kauintensive Nahrungsmittel.
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Auffälligkeiten, die auf eine myofunktionelle Störung hinweisen, sind beispielsweise:
• Mundatmung
• offene Mundhaltung
• offene, schlaffe Lippen
• Oberlippe ist verkürzt, Unterlippe dick und gerötet
• Zunge ist zwischen den Zähnen sichtbar
• schlaffe Gesichtsmuskulatur
• Kind drückt Zunge beim Schlucken gegen oder
zwischen die Zahnreihen
• Fehlstellungen der Zähne
Um myofunktionelle Störungen verständlicher zu
machen, werden zunächst die normalen Schluckvorgänge bei Babys bzw. bei Kindern beschrieben.
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█
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Myofunktionelle Störungen: Störungen der Zungenfunktion und der Mundmuskulatur
Der physiologische Schluckvorgang
dort gekaut. Hierzu transportiert die Zunge das
Essen nach rechts und links zwischen die Kauflächen. Ist die Nahrung ausreichend zerkleinert,
wird sie auf der Zungenmitte gesammelt. Die
Zunge presst die Nahrung nun nach oben und hinten an den Gaumen. Der weiche Gaumen verschließt die Öffnung zur Nase und die Zunge
drückt die Nahrung in den Rachen. Nun setzt der
Schluckreflex ein und die Nahrung wird in den
Magen transportiert.
Entwicklung der Mund- und Zungenfunktion bei Babys
Der Mundraum des Neugeborenen weist deutliche
anatomische Unterschiede zum Mundraum des
Erwachsenen auf. Er ist verhältnismäßig kleiner,
wodurch die Zunge den gesamten Mundraum ausfüllt und gleichzeitig den Gaumen, den Mundboden, die Zahnleisten und oft auch die Innenseiten
der Wangen berührt. Der Hals- und Rachenraum
ist kürzer als bei Erwachsenen. Aufgrund des kleinen Mundraumes sind das Bewegungsausmaß und
die Bewegungsrichtung der Zunge bei Neugeborenen begrenzt. Die Zunge wird zunächst nur vor
und zurück bewegt. Beim frühkindlichen Schluckvorgang wird die Milch durch die Rückbewegung
der Zunge in den Rachen transportiert und von
dort an beiden Seiten des Kehldeckels vorbei in die
Speiseröhre geleitet.
Beim Säugling bestehen die beschriebenen –
altersgemäß bedingten – anatomischen Besonderheiten bis zu einem Alter von 3–4 Monaten
(besonderer Bewegungsablauf der Zunge und des
Schluckens). Danach setzen, über die Dauer des
gesamten 1. Lebensjahres, anatomische Wachstumsprozesse ein: Die Mundhöhle vergrößert sich
nun, die Zunge bekommt zunehmend mehr Bewegungsspielraum. Ab etwa dem 5. Lebensmonat
führt die Zunge auch Auf- und Abbewegungen aus.
Es beginnt die Umstellung auf das Schluckmuster
von älteren Kindern und von Erwachsenen.
Die anatomischen Veränderungen des Mundraums und die sich entwickelnden Bewegungsmuster der Zunge sind eng miteinander verbunden: Zur Vergrößerung von Gaumen und
Oberkiefer werden die Bewegungsreize der Zunge
benötigt. Sie formt durch ihre Bewegungen den
Kiefer und ist u. a. für die Kieferweitung zuständig,
sodass später alle Zähne Platz haben. Saug- und
Suchreflex bilden sich zurück, und neurologisch
höher gelegene Areale im Gehirn übernehmen die
Steuerung der Bewegungsmuster der Zunge. Wird
diese Entwicklung nicht vollzogen, können ein
steiler Gaumen und ein Engstand der Zähne die
Folge sein.
Störungen der Zungenfunktion und des Schluckens
Myofunktionelle Störungen lassen sich bei Kindern
aller Altersstufen diagnostizieren. Meist wird vom
Kieferorthopäden neben der zu behandelnden
Zahnfehlstellung eine eingeschränkte Zungenfunktion und ein infantiles Schluckmuster festgestellt,
das dem Schlucken bei Neugeborenen ähnelt und
das durch ein Zungenpressen gegen oder zwischen
die vorderen oder seitlichen Zähne charakterisiert
ist. Diese Art des Schluckens wird auch als Zun-
genstoß bezeichnet. Es sind in erster Linie diese
beschriebenen Auffälligkeiten, die Fachleute zur
Diagnose „Myofunktionelle Störung“ veranlassen.
Dieses Störungsbild kann aber auch anhand
zusätzlicher Auswirkungen erkannt werden: eine
Artikulationsstörung der Zischlaute, eine Fehlbildung der Laute /t/, /d/, /l/ und /n/ sowie häufig
eine ganzkörperliche Unterspannung der Muskulatur.
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Schlucken ist ein Vorgang, über den wir uns normalerweise keine Gedanken machen, da er ganz
automatisch abläuft. Würde man gefragt wie man
schluckt, würde die Antwort lapidar ausfallen:
„Na, ich beiße ab, kaue und dann schlucke ich einfach runter!“ Um auffällige Schluckmuster bei
betroffenen Kindern verstehen zu können, ist es
notwendig, sich zunächst den physiologischen
Schluckvorgang genauer anzuschauen: Beim Essen
wird die Nahrung in den Mund aufgenommen und
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Behandlung myofunktioneller Störungen
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Therapie setzt das selbständige Üben des Kindes
zu Hause und die Mitarbeit der Eltern dringend
voraus.
Weiterführende Literatur für Eltern, Erzieher und
andere Interessierte:
Kittel A. Myofunktionelle Störungen. Ein Ratgeber für
Eltern und erwachsene Betroffene. Idstein: SchulzKirchner; 2006
Spezifische Fachliteratur
Bigenzahn W. Orofaziale Dysfunktion im Kindesalter.
Stuttgart: Thieme; 2003
Engel-Hoek L van den, Börgeling I. Fütterstörungen: Ein
Ratgeber für Ess- und Trinkprobleme bei Kleinkindern. Idstein: Schulz-Kirchner; 2008
Kittel A. Myofunktionelle Therapie. Idstein: SchulzKirchner; 2007
Siegmüller J, Bartels H. Leitfaden Sprache, Sprechen,
Stimme, Schlucken. 2. Aufl. München: Elsevier, Urban
& Fischer; 2010
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Aufgrund des außerhalb von Fachkreisen wenig
verbreiteten Wissens um myofunktionelle Störungen werden diese oft erst spät diagnostiziert. Sie
fallen meist erst dem Zahnarzt oder Kieferorthopäden auf. Der Zungenstoß gegen oder zwischen
die Zähne kann Zahnfehlstellungen verursachen
oder aufrecht erhalten und behindert eine kieferorthopädische Behandlung.
Da die Auffälligkeiten bei einer myofunktionellen Störung sehr umfangreich sein können und
ohne eine gezielte Behandlung der Muskel- und
Funktionsstörung das falsche Schluckmuster nicht
verändert werden kann, muss neben einer kieferorthopädischen Behandlung immer auch eine
myofunktionelle Therapie erfolgen. Eltern und
Erzieher, die sich nicht sicher sind, ob bei einem
Kind eine Schluckstörung besteht, sollten auf
jeden Fall beim Arzt oder Therapeuten um Rat fragen. Logopäden und Sprachtherapeuten führen
eine gezielte Diagnostik durch und therapieren die
beschriebenen Störungen. Eine Therapie umfasst
in der Regel 20–40 Sitzungen. Da eine myofunktionelle Störung nie von alleine verschwindet, muss
das Kind in einer Therapie angeleitet werden,
Übungen zur Kräftigung der Mund- und Zungenmuskulatur und zu einem physiologisch richtigen
Schluckverhalten durchzuführen. Eine erfolgreiche
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