VIII. Vertikale Kontrolle In den bisher betrachteten Modellen gibt es nur eine Verarbeitungsstufe: Monopolistische oder oligopolistische Firmen fragen auf kompetitiven Märkten inputs nach, verarbeiten sie und verkaufen das Endprodukt direkt an die Konsumenten. Illustration: konstante Inputkosten pro Stück p m (c ) Nachfrage x( p) Oft sind die vertikalen Strukturen komplexer. Es gibt mehrere Stufen zwischen Inputlieferanten und Konsumenten (z.B. Produzenten, Großhandel, Einzelhandel), und es kann vertikale Bindungen zwischen den Agenten der verschiedenen Stufen geben. VIII-1 VIII.1. Typische vertikale Strukturen und mögliche vertikale Bindungen Fall 1: Monopolistische upstream Firma M liefert die Menge x zum Großhandelspreis pW an monopolistische downstream Firma H, welche x zum Einzelhandelspreis pH an die Nachfrager verkauft. Illustration: pW pH x ( p) Art und Ausmaß der vertikalen Kontrolle sind dadurch bestimmt, wer über welche Variablen entscheidet. Keine Bindung (linearer Preis): H entscheidet über x bzw. pH , M entscheidet über pW . H zahlt an M den linearen Tarif T = pWx. Franchise Gebühr (nichtlineare Preise): H zahlt an M eine fixe Gebühr f und die laufende Gebühr pWx. H entscheidet über x bzw pH , M entscheidet über f und pW. (Kann entsprechend den Überlegungen in Kapitel III. auf allgemeinere nichtlineare Tariftypen ausgedehnt werden). Preis- oder Mengenbindungen: Upstream schreibt dem downstream p H ≤ p, p H ≥ p oder p H = p bzw. Mindest- oder Höchstmengen vor. VIII-2 Fall 2: Ein upstream Monopolist M beliefert zwei (oder mehrere) downstream Firmen H1, H2, welche die Nachfrager bedienen. Illustration: H1 H2 Zusätzliche Möglichkeit für vertikale Bindung: M verhindert durch exklusive Territorien (Marktsegmentierung) den (intrabrand-)Wettbewerb zwischen H1 und H2. Fall 3: 2 (oder mehrere) upstream Firmen M1, M2 liefern inputs x1, x2 an downstream Firma H. Illustration: M2 M1 x1 VIII-3 x2 Zusätzliche Möglichkeit für vertikale Bindungen: Einkaufbindung (‘tie-in’): Inputlieferant Mi entscheidet über H’s Inputzukauf von Mj mit. Z.B. Mi schreibt vor, daß die inputs von Mj über ihn bezogen werden. M2 M1 x1 x2 Exklusivhandel: Lieferant Mi zwingt H, nur seine Marke (und nicht gleichzeitig jene von Mj) zu führen. (Vermeidung von interbrand competition). VIII-4 VIII.2. Theoretische Analyse des Problems der vertikalen Kontrolle Gegeben eine vertikale Struktur, in welcher auf verschiedenen Ebenen verschiedene Entscheidungsvariablen wie Preise, Mengen, Qualitäten festzulegen sind. Wir vergleichen 3 Situationen: i) Die vertikal integrierte Lösung, das ist jene Lösung, die sich ergibt, wenn alle Entscheidungen so getroffen werden, daß der von allen beteiligten Agenten zusammen erzielte Profit maximal ist. Diesen maximalen aggregierten Profit nennen wir vertikal integrierten Profit Π I . ii) Die nichtintegrierte Lösung, die sich ergibt, wenn jede Firma i für sich entscheidet, so daß Π i maximal wird. Der aggregierte Profit der nichtintegrierten vertikalen Struktur ist dann Π A( ggr .) = ∑ Π i . iii) Die vertikale Kontrolle, bei der ein an der vertikalen Struktur beteiligter monopolistischer Agent Instrumente der vertikalen Bindung so einsetzt, daß Π I (möglichst gut) erreicht wird. (Wenn Π I erreicht wird, spricht man auch von suffizienten Instrumenten). Ein Motiv für vertikale Kontrolle ergibt sich dann wenn Π I > ∑ Π i . Gründe für Π I > ∑ Π i können sein: a) Externalitäten zwischen den an der vertikalen Struktur beteiligten Agenten, und zwar: − vertikale Externalitäten zwischen downstream und upstream Firmen: Das Verhalten der Händler beeinflußt die Verkaufszahlen und damit den Profit der Produzenten. − horizontale Externalitäten zwischen Agenten der selben Stufe: Wenn ein Händler Reputation oder Information für ein Produkt erzeugt, profitiert auch der andere Händler davon. b) Erhöhung der Marktmacht der in der vertikalen Struktur vereinigten Agenten gegenüber den Wirtschaftssubjekten außerhalb der vertikalen Struktur. Aus wettbewerbspolitischer Sicht kann vertikale Kontrolle gut oder schlecht sein, wobei im Fall a), wenn Externalitäten internalisiert werden, eine Wohlfahrtssteigerung zu vermuten ist, während im Fall b) Wohlfahrtsverluste zu erwarten sind. VIII-5 Die folgenden zwei Modelle stellen die zwei Arten von Externalitäten exemplarisch dar und zeigen, wie sie durch vertikale Bindungen internalisiert werden können. VIII.2.1. Vertikale Externalität durch doppelte Monopolpreisaufschläge (‘double marginalization’, Spengler [1950]) Vertikale Struktur: upstream Monopolist M mit Grenzkosten c verkauft zum Stückpreis pW an downstream Monopolisten H x Einheiten eines Gutes, die dieser ohne weitere Kosten zum Preis pH an die Konsumenten mit Nachfragekurve x(p) weiterverkauft. Integrierte Lösung: max Π I = ( p − c ) x ( p) , p also (8.1) p I = p m ( c ), x I = x ( p m ( c )) Nichtintegrierte Lösung: Problem von M: max Π M = ( pW − c) x( p H ) W p (8.2) wobei pH in Abhängigkeit von pW von H wie folgt entschieden wird. Problem von H: max Π H = ( p H − p W ) x( p H ) H p also p H = p m ( pW ) und x NI = x ( p m ( pW )) . Schlußfolgerung: Da pW > c , gilt p H > p I und x NI < x I . Außerdem gilt: Π A( ggr .) = Π M + Π H = ( p H − c ) x ( p H ) < Π I . VIII-6 (8.3) Erklärung: Es kommt zu doppelten Preisaufschlägen. M schlägt pW − c auf die für ihn maßgeblichen Kosten c auf. Wenn H seinen Preisaufschlag auf die für ihn maßgeblichen Kosten p W kalkuliert, berücksichtigt er nicht, daß für jede über pW hinausgehende Preiseinheit der Profit von M zurückgeht, weil die verkaufte Stückzahl sinkt. (negative vertikale Externalität). Suffiziente vertikale Kontrollen: i) Franchiseverträge mit 2-stufigem Tarif T = f + cx: Wenn pW = c , dann setzt H gemäß (8.3) p H = p m (c ) . Also p H = p I , x ( p H ) = x I und Π A = Π I . Durch die Wahl von f kann sich M den gewünschten Teil von Π I holen. Bei perfekter Information ist f = Π I optimal, da gemäß Annahme H keine outside opportunities hat. Bei unvollkommener Information sind differenziertere Franchiseverträge optimal. Falls H über Nachfragesituation x(p) informiert ist und M nicht, dann ist es sinnvoll verschiedene Verträge zur Wahl zu stellen, wobei in dem für die schlechte Nachfragesituation gedachten Vertrag pW > c gilt. (Siehe Kapitel III. über volle Preisdiskriminierung). Falls Unsicherheit über die Nachfragesituation besteht (also weder M noch H darüber informiert sind) und H risikoavers ist, ist ebenfalls ein Vertrag mit pW > c gekoppelt mit einer Franchisegebühr f < Π I optimal. Dadurch trägt H nicht das ganze Risiko, so daß leichter ein Franchisnehmer gefunden werden kann (siehe Kapitel XII über Principal-Agent-Beziehungen). ii) Preis- oder Mengenbindung: pW = p m ( c ) und Preisvorschrift p H ≤ p m (c ) oder Mengenvorschrift x ≥ x I ( = x( p m ( c ))) . Wohlfahrtspolitische Bewertung: Vertikale Kontrolle ist positiv, da Profite der vertikalen Struktur steigen und Preise für die Konsumenten sinken. VIII-7 Modellerweiterung: Suboptimaler Downstream Service Oft hängt die Nachfrage x(p,s) nicht nur vom Preis sondern auch positiv von dem durch H gelieferten service s ab. Dieser service verursacht der Firma H Kosten von φ (s,x). Für die in der integrierten Profitfunktionen gilt: bzw. nichtintegrierten Lösung relevanten Π I = ( p − c ) x ( p, s ) − φ ( s, x ( p, s )) Π M = ( pW − c ) x ( p H , s H ) Π H = ( p H − pW ) x ( p H , s H ) − φ ( s, x ( p H , s H )) Solange p W > c , gilt nicht nur p H > p I , wie oben analysiert, sondern auch sH < sI . Nicht nur die Preisentscheidung, auch die Serviceentscheidung wird aufgrund der vertikalen Externalität gestört. Wenn H den service s H festlegt, berücksichtigt er nur seinen Profit, nicht aber den Profit von M, der ebenfalls vom Absatz und damit von s H abhängt. Wiederum stellt ein Franchisevertrag mit pW = c eine suffiziente Kontrolle dar, die zu p H = p I und s H = s I führt. Preisbindung wäre allerdings keine suffiziente Kontrolle. Die s-Störung würde dadurch nicht behoben. Sie muß durch eine Qualitätskontrolle ergänzt werden. Suffizient ist hingegen eine Mengenbindung der Form x ≥ x I . M kann dadurch je nach Wahl von pW einen Profit Π M = ( pW − c ) x I extrahieren, der nicht von H’s Entscheidungen abhängt. Andererseits reduziert sich H’s Problem auf max Π H = [ p H − p W ]x ( p H , s H ) − φ ( s H , x ( p H , s H )) W H = [ p H − c]x ( p H , s H ) − φ (s H , x ( p H , s H )) − (1 p 44 −4 c )2 x (444 p H , s3 ) 1444444 424444444 3 (8.4) ΠM ΠI s.t. x ( p H , s H ) = x I . Da H wegen der bindenden Mindestmengenrestriktion Π M nicht beeinflussen kann, ist sein Maximierungsproblem identisch mit dem Π I -maximierungsproblem (8.4). Also wählt er p H = p I und s H = s I . VIII-8 VIII.2.2. Horizontale Externalität bei Händlerwettbewerb und freien Serviceleistungen Wir betrachten folgende vertikale Struktur: Eine monopolistische upstream Firma M verkauft ein Produkt zum Stückpreis pW an zwei (oder mehrere) downstream Firmen H i . Diese können durch pre-sale services (z.B. Beratung) si die Nachfrage beeinflussen. Je besser die Beratung ist, die ein Konsument erfährt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß er das Produkt kauft. Allerdings haben die Beratungsservices Charakterzüge eines öffentlichen Gutes. Die Konsumenten gehen zuerst zum Geschäft mit der besten Beratung und kaufen dann bei jenem mit dem niedrigsten Preis. Wenn die Preise in allen Geschäften gleich sind, kaufen sie dort, wo sie sich beraten haben lassen. Wenn alle Preise piH und Serviceangebote si gleich sind, teilt sich die Nachfrage gleichmäßig auf die Firmen Hi auf. Ohne vertikale Kontrollen führt der Preiswettbewerb zu piH = p W , weil durch Unterbieten von p > pW der ganze Markt geholt werden kann. Bei piH = p W machen jedoch die Firmen H i keinen Profit, aus dem sie die Kosten der services si finanzieren könnten. Also ergibt sich in der nichtintegrierten Lösung si = 0. Durch Mindestpreisvorgaben piH ≥ p > pW kann M sicherstellen, daß die Firmen H i einen Anreiz zur Bereitstellung von Beratungsservices haben. (Diskontläden ohne Beratungsleistung werden verhindert). Da jedes Geschäft den gleichen Preis p > pW verlangen wird, lohnt es sich durch Beratung Kunden anzulocken bzw. die Nachfrage zu steigern. Ebenso kann M durch Zuteilung exklusiver Territorien den Wettbewerb zwischen den Firmen H i ausschalten, so daß der Kunde Beratung und Produkt nur bei ein und demselben Geschäft kaufen kann. Natürlich wäre auch die Vorschreibung eines bestimmten Servicestandards (“Qualitätsbindung“) eine zielführende vertikale Kontrolle. Grundsätzlich sind derart motivierte Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen Einzelhändlern aus wirtschaftspolitischer Sicht positiv zu bewerten, da sie die Bereitstellung nützlicher services ermöglichen. Allerdings muß sorgfältig geprüft werden, ob z.B. Mindestpreisvorgaben oder Marktaufteilung wirklich durch presale services der beschriebenen Art begründet sind. Insbesondere muß der Verdacht ausgeräumt werden, daß sich hinter wettbewerbsbeschränkenden vertikalen Kontrollen wie Mindestpreisvorschriften oder Gebietsaufteilung einfach ein Händlerkartell versteckt, das durch M’s vertikale Bindungen gestützt wird. VIII-9