Wie sicher ist Blut? Prof. Dr. Rainer Seitz Paul-Ehrlich-Institut Paul-Ehrlich-Straße 51-59 63225 Langen GERMANY ! +49 (0) 6013 77 2600 ! +49 (0) 6013 77-1250 Email: [email protected] Homepage: http://www.pei.de Arzneimittel aus Blut: seit 1994 Arbeitsfeld des PEI " Produktgruppen " Blutkomponenten zur Transfusion, blutbildende Stammzellen " Aus Plasma industriell hergestellte Arzneimittel, z.B. Gerinnungsfaktoren. " Tätigkeitsfelder " " " " " " " Zulassung von Arzneimitteln Staatliche Chargenprüfung von Plasmaprodukten Inspektionen und Mitwirkung bei der Überwachung Erfassung von unerwünschten Wirkungen Koordiniertes Meldewesen nach §21 TFG Mitwirkung in Gremien und Politikberatung Forschung 1 Blut als Arzneimittel Blutspenden werden zu „Blutkomponenten“: Rote Blutkörperchen, Blutplättchen (Blutstillung), Plasma Die Bluttransfusion ist in der modernen Medizin unverzichtbar! Sicherheitsprobleme " Übertragung von Erregern " Virusinfektionen: " Humanes Immunschwäche Virus (HIV) " Leberentzündung: Hepatitis B (HBV), Hepatitis C (HCV) " Prionen? " Creutzfeldt-Jakob-Krankheit " Immunologische Unverträglichkeit oder allergische Reaktionen " Auslösung von Gerinnseln (Thrombosen) 2 Virussicherheit von Blut " Wo liegt die Gefahr ? " Viren können bei einer unerkannten Infektion im Blut eines Spenders vorhanden sein und dann übertragen werden; in den 80er Jahren wurde massenhaft HIV durch Blut und Plasmaprodukte übertragen " Es gibt wirksame Vorkehrungen: " Auswahl gesunder Spender " Testung auf „Virusmarker“ " Bei HIV, HBV, HCV, den „wichtigsten Viren“, haben wir einen sehr hohen Stand der Sicherheit erreicht Warum gibt es ein „Restrisiko“? " Der Nachweis durch „serologische Marker“ gelingt erst, wenn im Blut Abwehrstoffe, sog. Antikörper gegen die Viren (Anti-HIV, Anti-HCV), oder vom Virus gesteuerte Eiweiße (HBsAg) gebildet worden sind #Die Zeit zwischen Infektion und Nachweisbarkeit heißt „Fensterphase“ $ In der Biologie kann man 99,9999 % erreichen, aber niemals volle 100 % $ Es wird nie möglich sein, Fehler (z.B. Pannen bei der Testung) vollkommen sicher auszuschließen 3 HCV-NAT, Blutkonserven zur Transfusion " NAT (Nukleinsäure-Amplifikations-Test; „PCR“) ist eine äußerst empfindliche Methode zum Nachweis geringer Mengen von Erbsubstanz (Genom), z.B. von Viren " 1995 Initiative der DRK Blutspendedienste, NAT auf Genome von HIV, HBV und HCV von Spenden " PEI-Stufenplan: Einführung HCV-NAT ab 1. April 1999 " Vorkommen von Spenden in der Fensterphase bei HCV relativ am höchsten (1:117.000) " relativ starke Verkürzung der Fensterphase (ca. 59 Tage) " die benötigte Empfindlichkeit ist relativ am niedrigsten wegen des steilen Anstiegs der Virustiter " Erfolg: seitdem nur eine einzige Übertragung von HCV durch Blutkomponenten gemeldet " PEI-Stufenplan: Einführung HIV-NAT ab 1. Mai 2004 (*) NAT = NukleinsäureAmplifikations-Test 3,00 1,0E+10 1,0E+09 1,0E+08 1,0E+07 1,0E+06 1,0E+05 1,0E+04 1,0E+03 1,0E+02 1,0E+01 1,0E+00 2,50 2,00 1,50 1,00 an ti-H C V (s/co ) H C V -R N A (co p ies/m l) HCV NAT (*) reduziert die “Fensterphase” um ca. 60 Tage 0,50 59 days 0,00 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Days after infection M. Nübling et al. Das PEI hat eine NAT-Testung der Blutspenden zur Transfusion auf HCV (ab 1.4.1999) und auf HIV (ab 1.5.2004) angeordnet 4 Spontanberichte über wahrscheinliche Übertragungen von Hepatitis C Virus durch Transfusionen 1990-2005 (n = 60) 16 14 Einführung von NAT 12 10 8 6 4 2 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 Jahr der Transfusion 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Virussicherheit von Bluttransfusionen nach Einführung der NAT " Die Auswahl gesunder Spender und die hoch entwickelten Testmethoden haben das Risiko drastisch gesenkt " Das „Restrisiko“, heute noch eine Virusinfektion durch eine Bluttransfusion zu bekommen, ist äußerst gering und lässt sich nur noch ungefähr abschätzen: " Bei HIV und HCV liegt es deutlich unter 1 : 3.000.000 " Bei HBV ist die NAT schwierig und nicht vorgeschrieben; trotzdem gibt es auch hier nur vereinzelt Übertragungen " Ob neue Entwicklungen zur Virusinaktivierung der Blutkomponenten weitere Fortschritte bringen, wird sich zeigen 5 Bakterielle Transfusionsreaktionen 1995 - 2005 Verdachtsfälle insgesamt Kausalzusammenhang wahrscheinlich Kontamination der Konserve Nicht erkannte Infektion des Spenders (Yersinia enterocolica, E. coli, Malaria) Tödlicher Ausgang insgesamt Sepsis durch Erreger, die im Restbeutel festgestellt wurden (Yersinia (2x), Staph. aureus, Klebsiella pneumoniae, Proteus vulgaris, Enterobacter cloacae, Strept.pyogenes) 92 45 42 3 15 7 Plasmaprodukte " Aus der zusammengeführten (gepoolten) Blutflüssigkeit (Plasma) von zahlreichen Spendern werden industriell gereinigte Präparate (z.B. Gerinnungsfaktoren, Abwehrstoffe) hergestellt " Die Hämophilie (Bluterkrankheit) verurteilte früher für die Betroffenen zu Schmerzen, Behinderung und frühem Tod; durch die modernen Präparate verbesserten sich Lebensqualität und Lebenserwartung dramatisch 6 Virussicherheit Erforschung von wirksamen Methoden zur Inaktivierung oder Entfernung von Viren " " " " Chemische Inaktivierung Inaktivierung durch Hitze Entfernung durch Virusfilter Entfernung durch AlkoholFällung Virusübertragungen durch industrielle Plasmaprodukte seit 1985 Product Inactivation by Virus No. of Transmissions Year PPSB β-Propiolacton, UV HIV >10 1989/90 Factor VIII Solvent/ Detergent HAV >80 1989 ff. iv-Ig Cohn Fractionation HCV >250 1993/94 PPSB Pasteurization HBV >30 1994 7 HCV PCR in Plasmapools Anti-HCV Spendertest Anti-HCV positive Pools (Anti-HCV 2.G) Anzahl Plasmapools im Test kein +++ 8 8 (100%) Anti-HCV 1.G +/- 85 65 (76%) Anti-HCV 2.G - 123 49 (39%) Anti-HCV: Test auf Antikörper gegen HCV Anti-HCV 1.G: Tests der “1. Generation” (ab 1990) Anti-HCV 2.G: Tests der “2. Generation” (ab 1992) Anzahl HCV-PCR positive Plasmapools M. Nübling et al. NAT Testung auf HCV " Um als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme die Belastung der Plasmapools mit Hepatitis C Virus (HCV) zu reduzieren, wurde von der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA eine NAT (Nukleinsäure-AmplifikationsTest) empfohlen " HCV NAT in Plasmapools wurde verbindlich durch das Europäische Arzneibuch, die Revision der Monographie “Human Plasma for Fractionation” 2001:0853 8 Drei Schutzmauern gegen Virusübertragung nach: N Dhingra, WHO Conference on SARS, Kuala Lumpur, 17-18 June 2003 Gesunde Spender Testung Elimination Prionerkrankungen (TSE): variante Creutzfeldt-Jakob Krankheit (vCJK) ist anders als die sporadische Form (sCJK) MRT (links); floride Plaque (oben) 9 Übertragung von BSE/vCJD % Verbreitung von BSE unter Rindern durch kontaminiertes Futter % Primäre Infektion von Menschen über die Nahrungskette (SRM) Exposition der Bevölkerung: Anzahl klinischer BSE-Fälle im Jahr des Peaks Land Jahr (Höhepunkt der Epidemie) Anzahl Rinder mit klinischer BSE Rinderbestand (Alter > 2 Jahre) in 1000 Tiere im angegebenen Jahr Inzidenz (BSE-Fälle pro 1 Mio. Tiere) VK 1992 36682 6196,1 5920 58,015 632 Irland 1999 91 3853,9 24 3,753 24 Portugal 1999 170 715,8 237 10,030 17 Schweiz 1995 68 810,3 84 7,166 6 Frankreich 2000 101 11033,0 9 59,329 1,7 Belgien 1998 6 1470,2 4 10,202 0,6 Bevölkerung in Mio. Klinische BSE-Fälle pro 1 Mio. Einwohner http://www.pei.de/pm/2001/gesamtstrategie_bericht.pdf 10 Exposition der Bevölkerung: Rindfleischexport aus dem VK in Tonnen Fälle (wahrscheinlich/bestätigt) von vCJK weltweit (Stand Dezember 2005) Land Fallzahl VK Großbritannien 155 * Frankreich 15 Irland 2 (1 *) Italien 1 Portugal 1 Spanien 1 Niederlande 1 China (Hongkong) 1* Kanada 1* USA 1* Japan 1 (*) Saudi-Arabien 1*? * Zusammenhang mit Aufenthalt im VK angenommen 11 Aktuelle Lage in Deutschland " BSE " Nach SSC geographical BSE risk (GBR) Kriterien wurde Deutschland in Klasse III eingestuft " 6 klinische BSE Fälle 1992-1997, alle importiert " Systematische Testung von Rindern (>24 Monate) seit 10/2000, bisher 357 positiv (Stand 31.12.04) von insgesamt > 10 Mio. getesteten Rindern (*). 2000 2001 2002 2003 2004 7 125 106 54 65 2005 bis 31.10.: 29 " vCJK " bisher kein Fall von vCJK entdeckt " klinisches Überwachungssystem vorhanden (*) http://www.verbraucherministerium.de Übertragung von BSE/vCJD % Verbreitung von BSE unter Rindern durch kontaminiertes Futter % Primäre Infektion von Menschen über die Nahrungskette (SRM) " Gibt es eine Übertragung von Mensch zu Mensch, z.B. über menschliches Blut ? 12 Primärinfektionen aus der Nahrungskette " Es muss damit gerechnet werden, dass auch in Deutschland vCJK auftreten wird, allerdings in einem (auch im Vergleich zu sCJK) begrenzten Umfang " Abschätzung der Zahl der primär über die Nahrung Infizierten schwierig; Import von Risikomaterial und BSEBelastung im Inland nicht genau erfasst " Ein Teil der Infizierten könnte Blut spenden, so lange die vCJK-Erkrankung noch nicht klinisch manifestiert ist http://www.pei.de/cln_042/nn_432232/SharedDocs/Downloads/blut/gesamtstrategie-bericht.html vCJK durch Blutkomponenten ? " Experimente an Schafen haben gezeigt, dass solche Erkrankungen grundsätzlich durch Blut übertragbar sind " Im Vereinigten Königreich Großbritannien werden durch ein Überwachungssystem vCJK-Patienten beobachtet; falls diese Blutspenderwaren, werden auch die Empfänger dieser Bluttransfusionen beobachtet " Ein Patient entwickelte 6,5 Jahre nach Transfusion Symptome und verstarb 13 Monate später an vCJK " Ein Patient verstarb 5 Jahre nach der Transfusion, ohne Anzeichen einer neurologisch-psychiatrischen Störung, aus einer anderweitigen Ursache. Hinweise auf vCJK wurden in der Milz und in Lymphknoten gefunden 13 Plasmaderivate " „Für die Plasmaderivate könnten die verschiedenen Herstellungsschritte das Potential haben, eine möglicherweise im Ausgangsmaterial vorhandene vCJKInfektiosität erheblich zu reduzieren. Das Ausmaß dieser Risikominderung muss jedoch noch weiter untersucht und belegt werden. Verglichen mit den Blutkomponenten wird derzeit das Risiko einer Übertragung des vCJK-Erregers durch fraktionierte Plasmaprodukte als um Größenordnungen geringer eingeschätzt.“ http://www.pei.de/cln_042/nn_432232/SharedDocs/Downloads/blut/gesamtstrategie-bericht.html Vorsorgliche Maßnahmen " Keine Nutzung von Plasma aus UK zur Fraktionierung " Ausschluss von Spendern mit potentiellem Risiko " sCJK oder vCJK beim Spender oder seiner Familie " Behandlung mit humanem Hypophysenhormon, Transplantation von harter Hirnhaut oder Hornhaut " Nach Aufenthalt(en) für insgesamt 6 Monate oder mehr im VK zwischen 1980 und 1996 " Empfänger von Bluttransfusionen ? " Leukozytenfilterung von Blutkomponenten zur Transfusion " Rückruf von allen Produkten, wenn festgestellt wird, dass ein Spender vCJD entwickelt 14 Perspektiven bei vCJK ? " Rigorose Fortführung der Maßnahmen zum Schutz der Nahrungskette von Tieren und Menschen, sowie von Arzneimitteln vor BSE Risikomaterial " Weitere Überprüfung und Optimierung der Effektivität von Reinigungsschritten von Plasmaprodukten " Als Priorität, Entwicklung von ausreichend empfindlichen Testmethoden für Blutspenden (als Screeningtest); Berücksichtigung psychologischer und ethischer Probleme " Optimale Anwendung von Blutprodukten: Sorgfältige Indikationsstellung und Vermeidung unnötiger Exposition; als generelle Maxime wirkt dies für alle durch Blut übertragbaren Krankheiten risikomindernd " Das Risiko ist sehr gering; sinnvolle Transfusionen sollten nicht aus Angst abgelehnt werden Hämovigilanz im Transfusionsgesetz (TFG) § 16 Unterrichtungspflichten (1) Treten im Zusammenhang mit der Anwendung von Blutprodukten und gentechnisch hergestellten Plasmaproteinen zur Behandlung von Hämostasestörungen unerwünschte Ereignisse auf, hat die behandelnde ärztliche Person unverzüglich die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Sie unterrichtet die transfusionsbeauftragte und die transfusionsverantwortliche Person oder die sonst nach dem Qualitätssicherungssystem der Einrichtung der Krankenversorgung zu unterrichtenden Personen. 15 Hämovigilanz im Transfusionsgesetz (TFG) § 16 Unterrichtungspflichten (2) Im Falle des Verdachts der Nebenwirkung eines Blutprodukts ist unverzüglich der pharmazeutische Unternehmer und im Falle des Verdachts einer schwerwiegenden Nebenwirkung eines Blutprodukts und eines Plasmaproteinpräparates im Sinne von Absatz 1 zusätzlich die zuständige Bundesoberbehörde zu unterrichten. Die Unterrichtung muss alle notwendigen Angaben wie Bezeichnung des Produktes, Name oder Firma des pharmazeutischen Unternehmers und die Chargenbezeichnung enthalten. Von der Person, bei der der Verdacht auf die Nebenwirkungen aufgetreten ist, sind das Geburtsdatum und das Geschlecht anzugeben. Wir sind gut unterwegs, dürfen bei Blut aber nie leichtsinnig werden! 16