Workshop # Wie Gegenmacht in EUropa organisieren? Organisator: Nikolai Huke, Politikwissenschaft Universität Marburg, Europäische Integration und Politische Ökonomie Moderator: Laura Horn, Universität Roskilde, Schwerpunkt Politische Ökonomie der Europäischen Integration Autor_innen: Elisabeth Gauthier ist Vorstandmitglied von transform! Europe, Vorsitzende der Stiftung Espaces Marx und Mitglied der nationalen Leitung der französischen kommunistischen Partei (PCF) Björn A. Manuel ist in der deutschen Interventionistischen Linken aktiv und war an der Vorbereitung der Blockupy-Aktionstage beteiligt Haris Triandafilidou forscht zu sozialen Kämpfen in Griechenland im Kontext der EuroKrise und ist im griechischen Parteienbündnis Syriza aktiv Seite 1 von 6 Strukturelle und institutionelle Hindernisse für die Organisation von Gegenmacht in Europa Von Haris Triandafilidou Die Frage „Wie Gegenmacht in Europa organisieren?“ setzt voraus, dass wir uns zunächst der Antwort auf die Frage „Wie wird Macht in Europa ausgeübt?“ nähern: Begreift man Macht nicht allein als einen von oben herbeigeführten Zustand, sondern als Fähigkeit bestimmter AkteurInnen, die eigenen Interessen auf eine Art und Weise durchzusetzen, dass diese als dem Gemeinwohl dienlich in Erscheinung treten, so sind die Antworten auf unsere Ausgangsfragen notwendiger Weise mehrdimensional. Ein Blick auf die EU, der von ihr verfolgten politischen Projekte und die Art der Entscheidungsfindung zeigt auf, aus welchem Grund: So findet die Identifikation der Kapitalinteressen und die Formulierung einer konkreten politischen Agenda zu deren Durchsetzung im Raum der EU vornehmlich über die direkte Einflussnahme transnationale organisierter Interessenorganisationen (European Round Table of Industrialists, informelle Kontakte, Lobbying etc. ) auf die Institutionen und Entscheidungsträger verschiedener nationaler Regierungschefs der EU statt1. Zudem sind demokratisch legitimierte Institutionen und Prozesse auf EU Ebene nach wie vor kaum von Bedeutung. Die jüngsten Versuche zur Organisation von Gegenmacht auf europäischer Ebene, wie die Versuche über die „Europäische Bürgerinitiative“ die Kräfteverhältnisse auf EU Ebene zu verändern, haben die deutliche Asymmetrie der Einflussmöglichkeiten in Europa vor Augen geführt: Sowohl die Initiative zum europaweiten Atomausstieg, die von verschiedenen europäischen Umweltschutzorganisationen initiiert worden war, als auch die von der Europäischen Linkspartei getragene Kampagne zur Gründung einer öffentlichen europäischen Bank, wurden von der Kommission, mit der Begründung, gegen das geltende Vertragswerk zu verstoßen, zurückgewiesen. Trotz der beschriebenen Gewichts von Kapitalinteressen auf EU Ebene, ist auch diese Ergebnis einer bestimmten Kräfteverhältnisses, welches sich aus Kämpfen und Konflikten auf anderer räumlicher Ebene ergibt: So sind Konstitution und Reproduktion subalterner Zustimmung in Europa ebenso wie deren Widerstand auf dem Terrain der Nationalstaaten angesiedelt. Dieser Umstand ist für die Organisation von Gegenmacht von zentraler Bedeutung und muss sich in der politischen Praxis jener AkteurInnen niederschlagen, die sie sich zur Aufgabe machen. Apeldoorn, Bastiaan van (2000): Transnationale Klassen und europäisches Regieren: Der European Round Table of Industrialists. In: Bieling, Hans-Jürgen/ Steinhilber, Jochen (Hrsg.): Die Konfiguration Europas. Dimensionen einer kritischen Integrationstheorie, Münster. Ders.(2001): The Struggle over European Order: Transnationale Class Agency in the Making of ‚Embedded NeoLiberalism’. In: Bieler, Andreas/ Morton, Adam David (Hrsg.): Social Forces in the Making oft he New Europe. The Restructuring of European Social Relations in the Global Political Economy, Hampshire/ New York. 1 Seite 2 von 6 Die Präsentation der Krise in Europa als konfliktiver Zusammenstoß zwischen Nationen statt zwischen Klassen, wie sie von den VertreterInnen der Kapitalinteressen inszeniert und auch von breiten Teilen der Linken übernommen wurde, haben zu nicht unbedeutendem Maß dazu beigetragen, den organisierten Widerstand gegen den europaweit geführten neoliberalen Feldzug entschärfen. Zur Organisation von Gegenmacht in Europa, also der ernsthaften Herausforderung des neoliberalen Projekts in Europa, muss folglich Abstand von einem Bündel von bestimmter Vorstellungen über ihren räumlichen Schauplatz und ihre Konstitutionsweise genommen werden: (a) Zur Bildung von Gegenmacht, die auf eine anderes Europa, welches den Interessen seiner Bevölkerungsmehrheit dient, zielt, bedarf es einer europaweiten heterogenen, demokratisch Organisierten Widerstandsbewegung. Dies ist jedoch weder als ein europaweit gleichzeitig ablaufender Prozess zu verstehen, noch kann er räumlich dort ansetzen, wo die Formierung von Kapitalinteressen in Europa sich vollzieht. (b) Die Machtverhältnisse, denen wir uns in der EU gegenübersehen, sind Ausdruck eines bestimmten Kräfteverhältnisses zwischen Klassen, nicht Nationen, weshalb die Bildung von Gegenmacht in Europa keinesfalls über den Rückzug in den Nationalstaat erfolgen kann, wie dies von VerfechterInnen eines Euro-/EU-Austritts vorgeschlagen wird. (c) Eben weil der Nationalstaat, räumlicher Schauplatz der Lebensrealität der Subalternen, auf dem ideologisch/ kulturell Hegemonie konstituiert und dekonstruiert wird, muss die Organisation von Gegenmacht in Europa notwendiger Weise auf dieser Ebene ansetzen. Es ist Aufgabe der in Parteien und Bewegungen organisierten Linken in den hier stattfindenden Kämpfen präsent zu sein. Die Identifikation der nationalstaatlichen Ebene als Hauptschauplatz von Kämpfen und die daraus resultierende Notwendigkeit, die Bemühung um die Organisation von Gegenmacht in diesem Raum, ist jedoch nicht als Zurückweisung/ Unterbewertung europaweiter Koordination der diese tragenden AkteurInnen miss zu verstehen. Welche Konflikte und Spaltungen innerhalb der Linken erschweren die Organisation von Gegenmacht auf europäischer Ebene? Ein großes Defizit der in Parteien und Bewegungen organisierten Linken, stellt das nach wie vor fragmentarisch ausgeprägte Verständnis dessen dar, was die EU ist und wie sie funktioniert. Es besteht zwar weitestgehend Einigkeit darüber, dass der seit den 1990er Jahren eingeschlagene Weg der europäischen Einigung, eine äußerst erfolgreiche Strategie zum neoliberalen Umbau der europäischen Gesellschaftsformationen darstellt und die gegenwärtig von der EU verfolgten Krisen(lösungs-)strategie demokratische sowie arbeitsrechtliche Errungenschaften des 20. Jahrhunderts in wenigen Schritten auslöscht. Zur Organisation von Gegenmacht auf europäischer Ebene bedarf es jedoch mehr, als der Benennung dessen, was man ablehnt. Auf das von Parteien und Bewegungen seit knapp drei Jahren ausgesprochene Nein zu Austerität, Privatisierung und Flexibilisierung, muss, um die Dominanz dieser aggressivsten Form des Neoliberalismus politisch erschüttern zu können, ein Ja folgen, das all jenes in sich trägt, was wir an Stelle dieses, den Interessen des Kapitals dienenden Konstruktes, stehen soll. Ein solcher Prozess demokratisch verlaufender, inhaltlicher Konkretisierung unter Beteiligung aller potentiellen TrägerInnen einer Seite 3 von 6 solchen Gegenmacht, scheint jedoch nur schleppend voran zu kommen. So haben breite Teile der in Parteien und sozialen Bewegungen organisierten Linken, das zentrale Argument, welches von den VertreterInnen des neoliberalen Katstrophenkurses zu dessen Rechtfertigung herangezogen wird, stillschweigend übernommen, statt es zu dekonstruieren: Seit Krisenbeginn wird der erbarmungslose Angriff auf Sozialstaat und ArbeitnehmerInnenrechte sowie der Ausverkauf öffentlichen Eigentums von den jeweils Regierenden unter Bezugnahme auf die „Naturgewalten“ Markt und EU zu rechtfertigen gesucht. Die Organisation von Gegenmacht auf europäischer Ebene, setzt eine Dekonstruktion dieser Argumentationsweise voraus, welche Resultat eines demokratisch geführten Dialogs über das Verhältnis von EU, Kapital und nationalstaatlicher Ebene sein muss. Ein solcher Dialog wird derzeit dadurch erschwert, dass viele AkteurInnen, die der gegenwärtigen EU kritisch gegenüberstehen, die im mainstream-Diskurs suggerierte Allmacht der EU als tatsächlich annehmen und daraus folgern, dass Gegenmacht niemals auch in sondern, ausschließlich gegen die bzw. außerhalb der EU organisiert werden kann. Beispielhaft ist die von der griechischen Linken auch auf andere europäische Bewegungen und Parteien übergeschwappte Debatte über das verlassen der Eurozone, zur Lösung der griechischen Krise2. EU und Währungsunion, werden von Seiten der BefürworterInnen eines Austritts, nicht als das, was sie sind, nämlich Erscheinungsform der EU-weiten Durchsetzung des neoliberalen Projekts, wahrgenommen, sondern als deren alleinige Ursache. In diesem Denkschema wir der Austritt aus EU/ Währungsunion zur Voraussetzung für jegliche Form der Zusammenarbeit und des Dialoges mit anderen Teilen der Bewegung erklärt und verhindert auf diese Weise das Zustandekommen alternativer Politik- und Regierungsmodelle im europäischen Raum. Eine Linke, die ihre Existenz nicht als Selbstzweck begreift, sondern als Ausgangspunkt zur Realisierung eines Gesellschaftsmodells, welches der Erfüllung der Bedürfnisse der Mehrheit seiner Mitglieder dient , muss sie von Avantgardismen dieser Art dringend Abstand nehmen. Wo liegen Probleme und Stärken bisheriger politischer Strategien? Um eine Vorstellung davon zu bekommen, das Verhältnis zwischen Parteien und Bewegung sich gestalten kann, erweist sich Betrachtung der Parlamentswahlen im Mai bzw. Juni dieses Jahres in Griechenland und des Erfolgs von SYRIZA als sinnvoll. Die politische Strategie des Bündnisses der radikalen Linken beruht auf dem konsequenten Festhalten an 1. dem Ziel einer geeinigten Linken, 2. der Auffassung, dass die Partei organischer Teil sozialer Bewegungen agieren muss und 3. den im demokratischen Dialog ausgehandelten programmatischen Eckpunkten. Diese Positionen wurzeln in der Beteiligung an den Anti-Globalisierungsbewegung, den europäischen Sozialforen und der Antikriegsbewegung vieler heute an dem Bündnis 2 Zu Debatten der griechischen Linken über Wege aus der Krise: Haris Triandafilidou (2011) „Schulden, Europa und die Krise. Debatten der griechischen Linken über Alternativen zum neoliberalen Katastrophenkurs.“ Abrufbar unter http://www.links-netz.de/K_texte/K_triandafilidou_griechenland.html Seite 4 von 6 partizipierenden AkteurInnen, weshalb er Zusammenschluss verschiedener Parteien linker Organisationen zum Bündnis der Radikalen Linken im Jahr 2004 keineswegs der erste Schritt auf dem Weg zu den Ereignissen des Jahres 2012 war, wenn auch ein entscheidender. Und auch die Präsenz SYRIZA’s bei den Syntagma Protesten durch seine Mitglieder, ist keineswegs eine spontane Eingebung des Moments aufzufassen, als vielmehr auf eine Verwurzelung dieses parteipolitischen Gesichts der Linken in Griechenland, in den dortigen sozialen Bewegungen (Studierendenproteste 06/07, soziale Erhebung Dezember 2008, Kämpfe um städtischen Wohnund Lebensraum, Antirassismusinitiativen, Umweltschutz etc.). Die ständige Partizipation am demokratischen Dialog, innerhalb der verschiedensten Zweige der Bewegung, ohne erhobene Zeigefinger und elitistische Attituden, an der auch dann aus Überzeugung festgehalten wurde, als sie mit erheblichen Verlusten in der Wählergunst und massiven Schmutzkampagnen des medialen Mainstreams einhergingen3, haben entscheidend dazu beigetragen, dass SYRIZA sich zu einer parlamentarischen Kraft entwickeln konnte, die in den Bewegungen verankert ist. Diese in den kleinen und großen Protesten und Solidaritätsaktionen des Alltags geschaffene Verwurzelung, erklärt aus welchem Grund das Bündnis es bei den Parlamentswahlen am 06.Mai 2012 auf 17% der Stimmen schaffte und die neoliberalisierte Sozialdemokratie weit hinter sich ließ. Beim zweiten Wahlgang, der nachdem eine Regierungsbildung nach dem ersten Urnengang unmöglich war, am 17. Juni stattfand, konnte SYRIZA knapp zehn Prozentpunkte zulegen. Das Bündnis der Radikalen Linken hatte es dank konsequenter Basisarbeit geschafft, den Protest der vergangenen zwei Jahre auch bei den Wahlen sichtbar zu machen, denn SYRIZA war auch unter massivem Druck standhaft geblieben und hielt am im Wahlprogramm formulierten Ziel der Bildung einer Linken Regierung fest. Statt über Medien, die in den Wochen vor der zweiten Wahl nahezu ausnahmslos als Unterstützer den konservativen Nea Dimokratia mit der Bevölkerung zu kommunizieren, war SYRIZA in landesweit abgehaltenen Nachbarschaftsversammlungen täglich präsent. Die für das Amt des/ der Abgeordneten Kandidierenden, stellten das Wahlprogramm vor, erklärten die darin vertretenen Positionen, beantworteten Fragen, hörten und diskutierten Vorschläge. Die Einbindung der gesellschaftlichen Basis in das Projekt der Realisierung einer gerechteren Gesellschaftsordnung, mittels Einbindung durch direktdemokratische Prozesse, wie sie von SYRIZA verkörpert wird, beruht auf der Überzeugung, dass die Organisation von Gegenmacht in Griechenland wie in Europa nicht für Subalterne erreicht werden kann, sondern einzig mit diesen. Parteien und Bewegungen müssen hinsichtlich ihrer Praxis und Organisationsform bereits heute das sein, was sie künftig europaweit zu etablieren streben. Als der damals 34jährige Alexis Tsipras Anfang 2008 zum Parteivorsitzenden von SYNASPISMOS (mitgliederstärkste am SYRIZA-Bündnis beteiligte Partei) gewählt wurde, kam SYRIZA in einigen Erhebungen zur Sonntagsfrage auf bis zu 18%. Als am 06.12.2008 ein 15jähriger Schüler im Zentrum Athens von einem Polizisten erschossen wurde, wurde ganz Griechenland von einer mehrwöchigen Protestwelle erfasst, die vor allem von junge Menschen getragen wurde. Die mediale Berichterstattung sowie politische Debatte Fokussierte sich dabei vornehmlich auf das mitunter sehr gewaltsame Gesicht der Proteste, als deren Urheber allerseits SYRIZA identifiziert wurde. Trotz rapider Popularitätsverluste ließ sich man sich auf Seiten SYRIZAS nicht auf öffentlichkeitswirksame Verurteilung jeglicher Form von Gewalt ein. Die VertreterInnen des Bündnisses beharrten statt dessen auf dem Standpunkt, dass die von den Protestierenden ausgehende Zerstörungswut nur im Kontext sozialer Verelendung und Bildungsmisere zu verstehen und zu diskutieren sei. 3 Seite 5 von 6 Wie verändern sich die Möglichkeiten der Organisation von Gegenmacht im Kontext der Euro-Krise? Die Euro-Krise, die in den in ihrem Zusammenhang von Kapital verfolgten Strategien, haben vor allem in den am bisher stärksten von ihr betroffenen Staaten, die Organisation eines gesellschaftlichem Konsens über die neoliberale Umstrukturierung des gesellschaftlichen Ganzen deutlich erschwert. Nie zuvor waren in den Mitgliedstaaten der EU derart viele Menschen von Armut bedroht, wie die gegenwärtig der Fall ist. Arbeitslosigkeit, Präkarisierung und die Abschaffung sozialstaatlicher Sicherungssystem kennzeichnen die konkreten historische Situation, die wir derzeit erleben und können zum Ausgangspunkt eines Bruchs werden, an den etwas gänzlich neues anschließt. Ob dies geschieht und welchen Charakter, dies haben wird, hängt maßgeblich davon ab, ob es all jenen, die sich ein anderes Europa auf die Fahnen geschrieben haben gelingt, den Alltag und Praxis breiter Teile der von der Krise Betroffenen zu verändern. Die in der Krise verfolgten Strategien zur Durchsetzung langfristiger Ziele, die Organisation und Politisierung nicht nur von Widerstand sondern auch von kleinen, gelebten Beispielen des zu schaffenden neuen Europas (Solidaritätsnetzwerke, Nachbarschaftsversammlungen) sind in der Krise entscheidend. Welche neuen/alternativen Strategien und Konzepte sind notwendig/sinnvoll? Welche relativ unmittelbar realisierbaren Initiativen schlagt ihr vor? Wie weiter oben ausgeführt, muss Gegenmacht ihren Ausgangspunkt auf nationalstaatlicher Ebene nehmen, Einfluss und Druck auf nationale Entscheidungsträger ausüben. Die Möglichkeit, Entscheidungsverfahren durch eine Veto zu blockieren oder wie von SYRIZA wiederholt betont, die Durchsetzungskraft eines anderen Weges zu demonstrieren, stellen ein Möglichkeit dar, die Situation in eine andere Richtung zu lenken. Zur Diskussion über das, was eine anderes Europa ist und wie wir uns diesem nähern, wird im kommenden Jahr ein alternativer Europagipfel in Athen stattfinden, zu dem VertreterInnen linker Parteien und Bewegungen aus ganz Europa teilnehmen werden. Seite 6 von 6