Politische Situation - Griechenland-Solidaritäts

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Politische Situation
Griechenlands Regierungskoalition besteht aus der konservativen Nea Dimokratia
(ND) des Ministerpräsidenten Antonis Samaras und der nominell
sozialdemokratischen, eigentlich aber seit Jahrzenten sehr neoliberalen PASOK
des Aussenministers Evangelos Venizelos als Juniorpartner. Die nominell linke
kleine Partei DIMAR (Demokratische Linke), die die neoliberale Politik im Namen
des mit allen Kosten Verbleibs Griechenlands in der Eurozone ein Jahr lang voll
mitgetragen hatte, hatte die Koalition im Juni 2013 verlassen, weil sie mit der
plötzlichen Schliessung des öffentlichen Fernsehens und Rundfunks (ERT) nicht
einverstanden war.
Unter Samaras und seinem engen Beraterkreis hat sich die ND von einer
gesellschaftlich relativ liberalen und ökonomisch neoliberalen Partei zu einer
Mischung aus ordentlich rechts, viele (nach neuesten Entdeckungen, 04.04.14,
fast alle) sagen rechtsradikal und reaktionär einerseits und ultraneoliberal
andererseits verwandelt.
Die ehemals starke PASOK der Papandreou Dynastie ist wegen der MemorandaPolitik aktuell unter Venizelos zu einer kleinen, stets kleiner werdenden
neoliberalen Partei geworden, die bei der grossen Mehrheit der Griechen als
extrem korrupt und extrem machthungrig gilt. Sie versucht gerade mit vielen
Tricks, den „Mitte-links“ Raum zu beleben, um selbst zu überleben.
Obwohl seit der letzten Wahl zahlreiche MPs die Regierungsparteien verlassen
haben, meist weil sie gewisse Aspekte der Memorandenpolitik nicht mittragen
wollten, verfügt die Regierung noch über eine kleine Mehrheit von 152 von 300
Sitzen im Parlament.
Die tiefe Verachtung der Demokratie und des Parlaments einerseits und die Angst
vor weiteren Abweichlern andererseits sind die Gründe, aus denen die Regierung
die allermeisten Massnahmen, die sie im Rahmen der Memorandenpolitik trifft,
nicht per Gesetz im Parlament wählen lässt, sondern per Dekret beschliesst…
Die im Parlament vertretene Partei der Unabhängigen Griechen ist eine
patriotische, konservative Partei, deren Mitglieder die ND verlassen haben, weil
sie gegen die neoliberale Politik, die extreme Abhängigkeit Griechenlands und die
Memoranda sind. Nicht zuletzt ihre fast rassistische anti-MigrantInnen Politik
macht es fast unmöglich, dass SYRIZA mit den ANEL bei einer künftigen
Regierungsbildung koaliert.
In allen Umfragen (und es gibt in Griechenland einige vertrauenswürdige und
viele weniger…) liegt spätestens seit dem vergangenen Herbst die grösste
Oppositionspartei, die SYRIZA (Koalition der radikalen Linken) vorn, mal mit
hauchdünnem, mal mit grossem Vorsprung. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass
sie aus den Wahlen fürs Europaparlament als erste Partei hervorgeht, obwohl die
neugegründete Partei „To Potami“ (der Fluss) des systemnahen, aber sich
jugendlich-apolitisch-fröhlich gebenden populären Journalisten Theodorakis in den
Umfragen schon einige Stimmen von SYRIZA nimmt. Der Unterschied zur ND
wird wichtig sein. Bei einem Vorsprung des SYRIZA von 5% oder mehr gilt es als
sicher, dass vorgezogene Neuwahlen fürs griechische Parlament angesetzt
werden.
SYRIZA besteht seit elf Jahren und war bis zu seinem ersten Kongress im
vergangenen Sommer ein Wahlbündnis aus vielen zum Teil sehr verschiedenen
linken Parteien. Bis zum ersten der beiden Parlamentswahlen von 2012 hatte
SYRIZA selten mehr als 5% der Stimmen bekommen können. Die Zerstörung der
Politik der Memoranda, die entsprechende Radikalisierung der politischen Linie
von SYRIZA und die kluge Strategie des ständigen und, ich glaube, ehrlichen
Anstrebens einer Regierung und einer Zusammenarbeit der gesamten Linken,
also auch der KKE (KP Griechenlands), der ausserparlamentarischen ANTARSYA
(Bündnis antikapalistischer linken Parteien), des Plan B des ex-Chefs von SYRIZA
Alavanos, der linken Ökologie usw. trotz ständigen und zum Teil (KKE)
vehementen Widerspruchs dieser anderen Linken katapultierten SYRIZA zu 17%
im Mai und schliesslich knapp 27% im Juni 2012.
Bald darauf begann aber SYRIZAs Führungsmannschaft um den noch jungen,
charismatischen Alexis Tsipras (der übrigens der Spitzenkandidat der Partei der
europäischen Linken für die Europarlamentwahl ist) eine immer noch glattere,
kompromissbehaftetere, immer weniger radikale Politik zu machen (trotz
massiver und wachsender innerparteilichen Widerstands des immer stärker
werdenden linken Flügels), ganz verstärkt so in den letzten Monaten (und oft in
krassem Widerspruch zu dem im Sommer 2013 beschlossenen und ohnehin nicht
radikalen Parteiprogramm). Die zwei letzten Beispiele dieser Politik sind a) die
wiederholten Äusserungen zwei-drei führender Wirtschaftsexperten von SYRIZA
über die Wirtschaftslage und SYRIZAs Lösungsvorschläge, die man auch von
einem nur ein wenig linkeren Giannis Stournaras (der ultraneoliberale, eng mit
den Banken verbundene Wirtschaftsminister der ND) hören könnte und b) die
ohne Absprache mit den Parteigremien erfolgte Nominierung der Kandidaten für
die am 18. und am 25.05. stattfindenden Kommunal- und Distriktwahlen,
mindestens zwei von denen selbst vor sechs Monaten eigentlich unvorstellbar als
Kandidaten von SYRIZA wären, weil sie politisch viel zu opportunistisch sind und
die Memorandenpolitik bis sehr spät voll mitgetragen haben, um vor kurzem aus
dem sinkenden Schiff zu springen…
Leider scheint die Popularität der neonazistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene
Morgenröte, XA) trotz der Tatsache, dass ihre Führer und mehrere MPs und
Funktionäre wegen krimineller Aktivitäten seit dem vergangenen Herbst in
Untersuchungshaft sitzen, nur wenig gesunken zu sein. Die Regierung und die ihr
im grossen Teil ergebene Justiz haben plötzlich nach einem geplanten und brutal
ausgeführten Mord von einem XA Parteimitglied an einem linken Rapper
entdeckt, dass die XA eine kriminelle Organisation ist. (In GR gibt es keine
Parteiverbote). Zahlreiche Angriffe auf MigrantInnen, Linke, Homosexuelle und
andere, die eindeutig aufs Konto von XA gingen, hatten die Regierung, die Polizei
und die Justiz bis dahin überhaupt nicht beeindruckt! Im Gegenteil hatten
führende Berater von Samaras (wie der am 02.04.14 wegen erwiesener engsten
Beziehungen zu führenden Persönlichkeiten der XA zurückgetretene
Generalsekretär des Ministerrats und persönlicher Freund von Samaras Baltakos)
oft und öffentlich darüber sinniert, dass im Fall des Falles die ND auch mit einer
„reformierten“ XA regieren können sollte! (Nicht nur in der Ukraine arbeiten die
europäischen neoliberalen Machthaber gerne mit Nazis zusammen…) Nach vielen
Umfragen würde diese Partei um die 10% der Stimmen bekommen können…
Widerstand (ausser Solidarität)
Seit dem Anfang der katastrophalen Memorandenpolitik gab es in Griechenland
breiten Widerstand. Nicht nur in den klassischen, bekannten Formen (Streiks,
kleinere und grössere bis sehr grosse Demos, Besatzungen usw.), sondern auch in
neuen, zum Teil sehr erfinderischen Formen (nicht Zahlung der horrenden
Zusatzsteuern auf Immobilien, praktische Hilfe zur Zahlungsverweigerung, die
„wir zahlen nicht“-Bewegung gegen extrem erhöhte Autobahnmaut und
Preissteigerung im öffentlichen Nahverkehr u.v.a.)
Der Höhepunkt des Widerstands bildete die sogenannte Bewegung der
öffentlichen Plätze. Im Jahr 2011 besetzten monatelang hunderttausende von
Menschen die öffentlichen Plätze und demonstrierten täglich sehr kämpferisch
und sehr friedlich gegen die Regierung, die Troika und deren Politik. Im zentralen
Athener Syndagma Platz waren täglich 100000-500000 Menschen versammelt –
und das in einem Land mit 10,7 Millionen Einwohner. Selbstverständlich haben
damals die neoliberalen EU-Machthaber kein einziges Wort der Sympathie über
diese Bewegung verloren, geschweige denn den Sturz der so offensichtlich von
breiten Massen des Volkes verhassten Regierung Griechenlands gefordert. Auf
einem anderen europäischen Platz waren bis vor ein paar Wochen (Stand: April
14) nie mehr als maximal 80000 (laut BBC und LeMonde) zum grossen Teil
bewaffnete und extrem gewaltbereite Menschen täglich am Werk und das in
einem Land mit 46 Mil. Einwohner. Das Verhalten der EU-Machthaber war in
diesem Fall total unterschiedlich…
Von 2010 bis etwa Anfang/Mitte 2012 war der Widerstand in Griechenland sehr
gross. Seit dem Sommer 2012 ist er zwar noch sehr lebendig und alles andere als
gebrochen, auf jeden Fall aber geringer. Welche Gründe gibt es dafür? Es gibt
dafür viele Gründe, die fünf wichtigsten sind aber nicht nur m.E. die folgenden:
a) die Beherrschung vieler Gewerkschaften von Menschen, die politisch und oft
auch persönlich eng mit den Parteien der ND und der PASOK verbunden sind und
den Widerstand bremsen
b) die Resignation vieler Langzeitarbeitslosen, die auch in anderen Ländern zu
beobachten ist und zum Teil von der Psychologie und der Soziologie erklärt
werden
c) die für eine Demokratie beispiellos brutale und für einen Rechtsstaat
beschämende extreme Gewalt der Polizei und besonders deren Spezialeinheiten
(oft begleitet von faschistischen Schlägertrupps in enger Zusammenarbeit)
während der Demonstrationen oder anderen Protestaktionen, die schon einige
Menschen einschüchtert. Ganz alte und ganz junge DemonstrantInnen sind
bevorzugtes Ziel der Polizeigewalt
d) die massive und gut organisierte, richtig wissenschaftliche Propaganda der
privaten Fernsehsender und der Mehrheit der grossen Printmedien für die Politik
der Troika und der Marionettenregierung. Diese offene Parteinahme hat ganz
konkrete Gründe, die wir vielleicht in der anschliessenden Diskussion erörtern
können
e) die Haltung der linken Parteien: die KKE – obwohl wie eh und je kämpferisch weigert sich standhaft und vehement, in irgendeiner Form mit SYRIZA
zusammenzuarbeiten. Sie beschuldigen SYRIZA (und nicht erst in den letzten
Monaten) nur das kapitalistische System verwalten und fortsetzen zu wollen und
nicht für eine wahre Veränderung zu stehen. Sie beschuldigt aber auch die
anderen, ausserparlamentarischen linken Parteien, sofort das System stürzen zu
wollen, obwohl es die objektiven Bedingungen dafür nicht gäbe. Laut KKE sollte
man nicht speziell die Troika und die Memorandenpolitik bekämpfen, sondern nur
insgesamt das kapitalistische System. Keine wahre Veränderung sei möglich,
ohne dass das System insgesamt abgeschafft wird und der Sozialismus herrscht.
In Wahrheit ist die KKE erstaunt und entsetzt über den rasanten und grossen
Anstieg des Einflusses von SYRIZA und den Verlust der eigenen Hegemonie
innerhalb der griechischen Linken. Ihre Haltung ist zweifellos äusserst negativ für
den Widerstand und stärkt objektiv die neoliberalen Machthaber.
Aber die Abkehr der führenden Gruppe von SYRIZA von seiner radikalen Politik
der Jahre 2008-2012 ist laut vieler Beobachter nicht minder negativ für den
Widerstand gegen die Memorandenpolitik. Zahlreichle Menschen, die an SYRIZA
als eine wahrlich befreiende, radikaldemokratische, ja friedlich revolutionäre
Kraft geglaubt haben, sind von dieser Wende sehr enttäuscht und
dementsprechend kleiner ist deren Lust auf Widerstand. Optimistisch stimmt
mich das langsame, aber stete Erstarken des linken Flügels von SYRIZA, das sich
oft gegen diese Wende Widerstand innerhalb der Partei und besonders in den
sozialen Bewegungen leistet.
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