Wahlen in Griechenland Keine Strafe für den Verrat am „Oxi“? Als der griechische Premierminister Alexis Tsipras der Bevölkerung im Juli ein Referendum verordnete hatte diese zu 63 % mit OXI gegen die Sparpolitik der Troika gestimmt. Die Massen waren über diesen Sieg begeistert, es wurde sogar eine Freudenfeier vor dem Parlament organisiert. Aber Tsipras war über das große Votum eher bestürzt und vereinbarte innerhalb einer Woche mit Merkel gegen den Willen der Wählerschaft das bisher härteste Memorandum. Dieser Vertrauensbruch führte dazu, dass Tsipras innerhalb eines Monats Neuwahlen anordnete – mit dem Nebeneffekt, dass er so kritische Teile der eigenen Partei von den Wahllisten streichen konnte. Was waren die Gründe, dass er trotzt des Vertragsbruchs wieder siegen konnte? Was können wir in der nächsten Zukunft in Griechenland erwarten? Die Arbeiter*innenparteien Syriza konnte mit 35,46 % die Mehrheit erzielen, verglichen mit den Wahl von Januar 2015 mit 36,34 % verloren sie scheinbar nur wenige Wähler*innen. Aber die Rosa-Luxemburg-Stiftung schreibt: Seit „2009 (dem letzten Jahr vor der Ära der Memoranden) haben wir einen Wählerrückgang von 1,5 Millionen. Zwischen den Januarwahlen und den Septemberwahlen erhöhte sich die Wahlabstinenz um 764.000 und erreichte 43,3 Prozent. Anzumerken ist, dass die Zahl der Wähler im Referendum vom Juli etwa gleich hoch war wie bei den Januarwahlen. Ein großer Anteil der von SYRIZA enttäuschten Wähler von Januar entschied sich letztlich für die Enthaltung durch Wahlabstinenz (320.000 Wähler, als etwa 14 Prozent ihrer Wählerpotentials). Hinzu kommt, dass SYRIZA aufgrund einer als verantwortungsbewusst geltende Haltung am Ende der Verhandlungen für bisherigen Wähler von Parteien der rechten und linken Mitte „attraktiver“ wurde.“ Wahlstromanalysen zeigen, dass die „neuen Wähler*innen“ von der PASOK (12%), der ND (5 %) und von POTAMI zu SYRIZA kamen. Es gab auch einen Zulauf von 13 % von der KKE und auch mit 3 % von der XA, der faschistischen Goldenen Morgenröte. Die SYRIZA-Wähler*innen wählten sie in hohem Maße aus Angst vor der Rückkehr der traditionellen Parteien an die Macht, mangels glaubwürdiger Alternativen mit einer AntiMemoranden-Ausrichtung und auch aufgrund der Anerkennung der kämpferischen Haltung während der Verhandlungen mit EU-Granden. Die KKE, die „kommunistische“ Partei, hat ihren Anteil von 5,45 % im Januar 2015 auf nun 5,55 % geringfügig erhöhen können. In absoluten Zahlen hat sie aber Stimmen verloren. „Die Tatsache, dass all dies in einer Situation geschah, als SYRIZA in der Krise war und sich gespalten hatte und nachdem Tsipras gerade eben ein neues Memorandum mit harten Austeritätsmaßnahmen unterzeichnet hatte, zeigt jedoch, dass es für die KKE keinen Anlass zum Feiern gibt: Mit der Politik der KKE-Führung war es nicht möglich, aus einer selten gegebenen Gelegenheit Nutzen zu ziehen.“ kommentiert der „Socialist Worker“. Die LAE („Laiki Enotita“, Volkseinheit), die Abspaltung der Syriza, hat bei der Wahl am 20. September eine Niederlage erlitten. Sie erhielt 2,9 % und verfehlte damit die 3 %-Hürde, um ins Parlament Einzug zu halten. Ein führender Genosse von der LAE versucht, diese herbe Niederlage zu erklären. „Es gibt objektive Ursachen für unsere Niederlage. Wir hatten bloß einen Monat für die Schaffung einer neuen politischen Formation und mussten gleichzeitig zunächst ohne irgendwelche finanziellen Mittel einen landesweiten Wahlkampf organisieren. Das Risiko des Scheiterns war von Anfang an groß. Es hat aber auch wichtige subjektive politische Fehler gegeben. Gegenüber dem Druck unserer politischen Gegner, die darauf beharrten, die Unterwerfung unter die Herren in Europa sei unabwendbar, haben wir die Befürwortung einen Austritt aus der Eurozone überbetont. Dieser notwendige Teil unserer umfassenden Alternative ist dabei irgendwann immer mehr überhöht und über das allgemeinere Programm gestellt worden, nämlich die Organisierung einer gemeinsamen Klassenbewegung gegen die Austerität und ein antikapitalistisches Programm mit dem Ziel sozialistischer Emanzipation. Das war ein Geschenk für Tsipras und die Massenmedien, die auf jede Gelegenheit lauerten, uns als „Drachme-Linke“ zu verunglimpfen.“ (Socialist Worker) ANTARSYA, ein kleineres antikapitalistischen Bündnis, konnte zwar ihren Stimmenanteil geringfügig erhöhen, von 0,64 % im Januar 2015 auf nun 0,85 %, die Wahl war für sie erfolglos. In einer Stellungnahme nach der Wahl hat die NAR („Neue Linke Strömung“), eine der größeren Gruppen in ANTARSYA, „eine breite militante Front, um den kommenden Ansturm von arbeiter*innenfeindlichen Maßnahmen zurückzuschlagen“ gefordert und „das Engagement für gemeinsame Aktionen aller Teile der kämpferischen Linken einschließlich der kommunistischen Partei und der Volkseinheit“.(Socialist Worker) Das Problem ist aber, dass diese Stellungnahme einen Tag nach der Wahl und nicht drei Wochen davor herausgegeben worden ist. Denn in der Wahlschlacht von September 2015 haben es die Kräfte der „kämpferischen Linken“ versäumt, eine gemeinsame Antwort zu geben. Die bürgerlichen Parteien Die ND (Nea Dimokratia) war nach dem Referendum bei Umfragewerten unter 20 Prozent gefallen und zeigte schon Auflösungserscheinungen. Während des Wahlkampfes wurde aber die Nominierung ihres Übergangsvorsitzenden positiv aufgenommen und der ND spielte dann in der Wahl eine wesentliche Rolle. Die ND war mit einer vorläufig bestellten Parteiführung und ungeklärten Fragen hinsichtlich ihrer Oppositionsstrategie nicht auf die Wahlen vorbereitet. PASOK hat aufgrund der Polarisierung zwischen der ND und SYRIZA Verluste hinnehmen müssen, erhöhte aber ihren Anteil an den Wählerstimmen wegen der im September nicht zur Wahl stehenden Partei von Altpremier Papandreou, die im Januar 2,47 Prozent erzielte. Die nazistische „Chrysi Avgi“ (Goldene Morgendämmerung) liegt mit 6,99 % der Stimmen an dritter Stelle, sie hat gegenüber Januar 2015 9.000 Stimmen verloren. Aber die Tatsache, dass sie nur wenige Tage nachdem ihr Parteiführer öffentlich die „politische Verantwortung“ für den Mord von Pavlos Fyssas übernommen hat, ihren Rückhalt auf Wahlebene konsolidieren konnte, zeigt, welche Gefahr von ihr ausgeht. Die Regierung Siebzehn Minister behielten ihre führenden Ressorts, aber keine Ministerin. „Der kleine rechtspopulistische Koalitionspartner Anel wurde erneut großzügig bedacht: Die Hälfte der zehnköpfiger Parlamentsfraktion rückt ins Kabinett ein.(...) Kritik wurde sogar nach der Bestellung von Dimitris Kammenos – er ist nicht verwandt mit Ponos Kammonis – laut. Der für antisemitische und homophobe Äußerung bekannte Politik übernahm das Amt der Vizeministers für Infrastruktur und Transport“ (Der Standard) Noch vor der Wahl hatten Vertreter*innen von SYRIZA gesagt, dass nur die rechtspopulistische ANEL eine mögliche Koalitionspartnerin wäre, da sie ein Garant gegen die Politik der EU und ihrer Memoranden sei. Jetzt ist sowohl Tsipras als auch die ANEL umgefallen, aber die Koalition mit den Rechten wird weitergeführt, egal wie antisemitisch und rassistisch ihre Politiker reden. Das Spar- und Reformpaket Der ehemalige Finanzminister Yanis Varoufakis hat in letzter Zeit immer wieder Kommentare abgegeben, die mitunter interessant sind, weil wir sie in der bürgerlichen Presse sonst nicht lesen. Er sagte: „Die Tsipras-Regierung hat sich verpflichtet, eine lange Liste von rezessiven Maßnahmen durchzuführen.Drei davon sollen zu einer Steuerlawine führen: Über 600.000 Bäuerinnen und Bauern müssen für 2014 rückwirkend zusätzliche Steuern zahlen und über 50 % der geschätzten Steuern des nächsten Jahres. Etwa 700.000 Kleinunternehmer*innen müssen 100 Prozent (!) der Steuern des nächsten Jahres vorauszahlen. Und ab dem nächsten Jahr werden den Händler*innen ab dem ersten verdienten Euro 26 % Umsatzsteuer abgezogen – und 2016 müssen sie dann 75 % der Steuern von 2017 vorauszahlen.“ Zudem habe die „Tsipras-Regierung versprochen, die Renten zu senken und die Privatisierung öffentlicher Güter zu beschleunigen“. (Der Standard) Die Opposition hatte Tsipras’ Regierung vorgeworfen, nach den neuen Maßnahmen werde die griechische Wirtschaft weiter schrumpfen. Die Billigung des Pakets war aber die Voraussetzung für weitere Finanzspritzen, ein weiteres Sparpaket steht auch noch aus. Die Unzufriedenheit über das Paket war der Grund für die Neuwahlen, weil sich Tsipras der Stimmen aus den eigenen Parlamentsreihen, vor allem der Linken Opposition, nicht mehr sicher war. Die griechische Verfassung gesteht es ihm bei Neuwahlen zu, die Wahllisten der eigenen Partei selbst aufzustellen – und mögliche Oppositionelle nicht mehr ins Parlament zu lassen. Demonstration in Athen Die FAZ berichtete von den Protesten während der Parlamentsdebatte: „Während im Parlament debattiert wurde, demonstrierten tausende Griech*innen im zemtrum Athens und vor dem Parlamentsgebäude gegen weitere Sparmaßnahmen. Das berichtete das Staatsfernsehen. Zu den Protesten am Freitagabend aufgerufen hatten die kommunistische Gewerkschaft PAME sowie die Gewerkschaft der Staatsbediensteten (ADEDY). Teilnehmer*innenzahlen aus offiziellen Quellen lagen nicht vor. Reporter vor Ort berichteten von rund 3.000 Demonstrant*innen. Das waren bei weitem weniger, als die Organisatoren gehofft hatten. Noch vor zwei Jahren waren bei ähnlichen Abstimmungen zehntausende auf die Straße gegangen. Im November soll ein zweites, noch härteres Sparpaket folgen. Dann sind die Bäuerinnen und Bauern dran: Alle ihre Steuererlichterung sollen abgeschafft werden. Die Proteste dürften dann noch härter werden.“ Vor allem Arbeiter*innen, die Jugend aber auch die städtischen Kleinbürger*innen haben 5 Jahre gekämpft. Das ist eine lange Zeit und es scheint so, als ob die Kämpfer*innen müde seien. Auch der Verrat von SYRIZA hat viele frustriert und eine neue Führung haben sie sich noch nicht aufgebaut. Bisher hat die Regierung die Bäuerinnen und Bauern noch nicht frontal angegriffen, wie heiße Kartoffeln hat sie sie nicht angefasst weil sie sehr gut organisiert und kampfbereit sind. Schon vor zwei Jahren hatten griechische Kartoffelproduzent*innen ihre Ware auf den Märkten ausgeschüttet, weil die Preise ihre Kosten nicht mehr deckten. Jetzt aber konzentrieren sich die Angriffe der Imperialist*innen und ihrer Anhänger*innen, der „linken“ griechischen Regierung, auf eben jene Bäuerinnen und Bauern. Die gleichen deutschen Politiker*innen, die sagen, dass Subventionen für die deutsche Landwirtschaft notwendig sind, verlangen nun, dass die griechischen Subventionen gestrichen werden. So kann die deutsche Wirtschaft auf Kosten der Griech*innen mehr Marktanteile und Profite an sich reißen. Wenn die griechischen Bäuerinnen und Bauern, die normalerweise sehr gut organisiert und kampfbereit sind, wirkliche kämpfen sollten, werden die jetzt müden Arbeiter*innen, Jugendlichen und Kleinbürger*innen möglicherweise wieder aufrichten und dann könnte es eine neue Etappen im griechischen Klassenkampf werden. Den Nachrichten zufolge werden zudem Generalstreiks in Griechenland geplant. In der letzten Ausgabe unserer Zeitung haben wir versucht, die Zustände in Griechenland und in Kärnten zu vergleichen. Die Probleme sind die gleichen, die Situation ist aber (momentan) noch nicht so kritisch wie in Griechenland. Doch auch in Österreich spitzt sich die Lage zu und die Probleme der Griech*innen werden bald auch die der Österreicher*innen. Es ist daher für bewusste Arbeiter*innen und fortschrittliche Organisationen notwendig, die Erfahrungen ihrer griechischen Kolleg*innen zu studieren und zu lernen, um Fehler zu vermeiden und internationale Solidarität praktisch werden zu lassen. Günter Schneider, AST 21.10.2015