Das Immunsystem erkennt Viren an ihrer DNA. Forscher haben nun entdeckt, wie die Alarmierung bei einem Angriff läuft: Die von Viren attackierte Zelle warnt ihre Nachbarn. So kann die Abwehr auf breiter Front organisiert werden. Wenn sich das Immunsystem zur Abwehr von Eindringlingen rüstet, muss es die Krankheitserreger sicher erkennen. Dabei geht es ganz ähnlich vor, wie die Spurensicherung bei Kriminalfällen: Anhand von genetischen Fingerabdrücken erkennt das angeborene Immunsystem, ob eine virale Infektion vorliegt. „Bei der Replikation der Viren in der Zelle wird virale DNA freigesetzt. Sie reicht aus, um das Immunsystem zu aktivieren“, sagt Prof. Dr. Veit Hornung vom Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie des Universitätsklinikums Bonn. Die Viren werden als „fremd“ erkannt und in Folge dessen leitet das Immunsystem eine Abwehrreaktion ein. Eine wichtige Rolle in der Viruserkennung spielt der Rezeptor „cGAS“, der nach Kontakt mit der Virus-DNA den Botenstoff cGAMP herstellt. Allerdings wird dadurch nicht sofort die Immunabwehr der Zelle eingeschaltet, um die Krankheitserreger zu bekämpfen. Es wird vielmehr zunächst ein weiterer Rezeptor (STING) aktiviert, der wiederum die Abwehr in der Zelle aktiviert. „Warum leistet sich das Immunsystem einen so komplizierten Umweg?“, fragten sich die Forscher zusammen mit ihren Kollegen vom Institut für Angeborene Immunität des Universitätsklinikums Bonn. „Wir vermuteten, dass diese ungewöhnliche Signalkette einem weiteren Zweck dient, der über den Schutz der Virus-befallenen Zelle hinausgeht“, erläutert Erstautorin Dr. Andrea Ablasser, Mitarbeiterin in Prof. Hornungs Team. Forscher erkennen den Alarmruf mithilfe eines Fluoreszenzproteins Dass dies tatsächlich so ist, beobachteten die Forscher an einer Zelllinie, die sich von Nierenzellen des Menschen ableitet. „Wir haben daraus Zellen hergestellt, an denen sich unter dem Mikroskop erkennen lässt, ob der STING-Rezeptor aktiviert wurde“, sagt Jonathan L. Schmid-Burgk aus der Forschergruppe. Hierfür koppelten die Wissenschaftler ein Fluoreszenzprotein an den Rezeptor, wodurch es ein klares Signal gab, sobald STING aktiviert wurde. Im Experiment unter dem Mikroskop war zu beobachten, dass immer dann, wenn ein STING-Rezeptor aktiviert wurde, auch die Rezeptoren in den Nachbarzellen ansprangen. „Das war ein starker Hinweis dafür, dass eine Kommunikation über verschiedene Zellen hinweg stattfand“, berichtet Inga Hemmerling aus Prof. Hornungs Team. Der Botenstoff cGAMP musste also auch von Zelle zu Zelle transportiert worden sein. Zellen können sich über ein „Rohrpostsystem“ warnen In der Wissenschaft ist schon lange bekannt, dass es zwischen den Zellen ein Kommunikationssystem gibt. Wie über eine Art Rohrpost sind die lebenden Zellen miteinander verbunden und können darüber Botschaften austauschen. „Wir konnten zeigen, dass der Botenstoff cGAMP über diesen Kommunikationsweg ausgetauscht wird und dadurch Rezeptoren in Nachbarzellen aktiviert werden“, sagt Prof. Hornung. Es handelt sich dabei um selbstlose Nachbarschaftshilfe: Sobald eine Zelle mit einem Virus befallen ist, nimmt sie in Kauf, dem Tod geweiht zu sein. Bevor sie stirbt, kann sie über die Informationsschleife mit Hilfe von cGAMP ihre Nachbarzellen warnen. Diese versuchen dann, noch rechtzeitig das Immunsystem zu aktivieren, um die Eindringlinge zu bekämpfen. Es gehen zwar einzelne Zellen verloren, dafür kann aber die Mehrheit gerettet werden. „Bei diesen Erkenntnissen handelt es sich um ein völlig neues Prinzip in der Immunologie: Statt der Immunabwehr auf der Ebene des Individuums können wir die Kommunikation auf Zellebene verfolgen“, erläutert der Immunologe des Universitätsklinikums Bonn. Diese Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung könnten auch Konsequenzen für neue Therapien haben: Jeder Schritt, durch den die Arbeitsweise des Immunsystems besser verstanden wird, kann auch der Entwicklung von zum Beispiel besseren Impfungen und Behandlungen von Autoimmunerkrankungen dienen. Originalpublikation: Cell intrinsic immunity spreads to bystander cells via the intercellular transfer of cGAMP Andrea Ablasser et al.; Nature, doi:10.1038/nature12640, 2013